Nachruf

Am 19. Dezember ist Klaus-Dieter verstorben. Er wurde siebzig Jahre alt. Viele Jahre davon hat er als Obdachloser auf der Straße gelebt, die letzten Jahre dann im Heim der Caritas für Wohnungslose in Bonn. Sein Krankenpfleger hat uns kontaktiert. Er erzählte, dass Klaus-Dieter ein absoluter Schalke-Fan war. Trug jeden Tag seine Schalke-Jacke, seinen Schalke-Schal, trank aus seiner Schalke-Tasse.

Sein Krankenpfleger, selbst eingefleischter Leverkusen-Fan, sagte uns, Klaus-Dieter sei nie im Parkstadion gewesen. Er war auch nie in seinem Leben in der Schalke-Arena. Aber er war trotzdem ein wahrer Schalker. Er war eine Seele von Mensch. Allein. Einsam. Ohne Familie. Schalke 04 – das war seine Familie.

Klaus-Dieter habe einen Schalke-Fanklub in Bonn-Friesdorf mitgegründet, berichtete sein Krankenpfleger. Und auch wenn er nie im Stadion war, wir gar nicht wussten, dass es ihn gibt … er war da und einer von uns.

Klaus-Dieter hatte einige Schicksalsschläge hinter sich. Er begann zu trinken, seine Frau verließ ihn mit seinen beiden Töchtern, er landete auf der Straße und hauste im sogenannten “Bonner Loch”, einem Zugang mit mehreren Treppen zum unterirdischen Teil des Bahnhofs. Wie schnell das gehen kann, wie leicht man aus der Bahn geworfen werden kann, das sieht man auch an dem Schicksal von Klaus-Dieter. Mitte Januar wird Klaus-Dieter anonym beerdigt. Er wollte es so.

Der Krankenpfleger bestätigte, er habe selten solch einen liebenswerten Menschen – nicht nur während seiner Arbeit – erlebt. Klaus-Dieter sei so etwas wie der Ruhepol in der Heimgemeinschaft gewesen. Er habe immer für alle ein offenes Ohr gehabt. Er fehle nun, das merke man.

Ihr könnt Euch einen Eindruck von Klaus-Dieter machen, indem Ihr Euch das Youtube-Video anschaut. Es ist ein Video der Caritas aus der Reihe “Zusammen sind wir Heimat”. Sein Pfleger meint, die Fußballwelt lebt von Typen wie Klaus-Dieter. Fernab von Liveübertragungen und Kommerz.

An jedem Montag, wenn der Krankenpfleger die Medikamente für Klaus-Dieter organisierte, fachsimpelten die beiden über den gerade vergangenen Spieltag. Klaus-Dieter habe die Transfersummen in der Bundesliga und anderen Ligen nicht mehr nachvollziehen können. Die Summen sind jenseits jeglicher Vorstellungskraft für Klaus-Dieter gewesen.

Als wir unser Telefonat beendeten, lief auf Sky News grad ein Interview mit Jürgen Klopp. Der FC Liverpool hat einen neuen Abwehrspieler verpflichtet. Für eine Ablöse in Höhe von 84 Millionen Euro. Klopp bemerkte dazu, die Fans sollten sich am besten über die Ablösesummen keine Gedanken machen und nur den Spieler als Menschen sehen.

Was wohl Klaus-Dieter dazu gedacht hätte?

Der eine oder andere Leser mag nun kritisch anmerken, dass Klaus-Dieter wahrlich alle Klischees bedient hat, die man, insbesondere von gegnerischer Seite, mit Schalkern verbindet. Aber war er nicht genau der Schalker, den wir natürlich nicht ohne Selbstkritik und Selbstironie ständig lautstark feiern? „Wir sind Schalker, asoziale Schalker. Wir schlafen unter Brücken oder in der Bahnhofsmission …“ Das Lied könnte speziell für ihn geschrieben sein.

Es gibt Gewinner und Verlierer unserer Gesellschaft. In jeglicher Form. Was das Finanzielle und das Familiäre angeht, da gehörte Klaus-Dieter zu den Verlierern. In anderen Kategorien hat er aber vielleicht auch zu den Gewinnern gehört. Wer weiß das schon so genau? Klaus-Dieter hat tatsächlich alles verloren, aber niemals den Glauben an seinen Verein, die Liebe zu den Königsblauen.

2 Kommentare zu „Nachruf“

  1. Ich glaube, dass die Spieler und auch viele Verantwortliche auf Schalke gar nicht mehr erahnen, wie viele Menschen – übrigens weit über die lokalen Grenzen des Ruhrgebiets hinaus – sich immer noch diesem Verein, seiner Geschichte und seinem Mythos verbunden fühlen, und zwar unabhängig von einem Stadionbesuch, von einer Mitgliedschaft und erst Recht völlig unabhängig vom (aktuellen) sportlichen Erfolg. Ich glaube, die wenigsten wissen, welche Bedeutung Schalke für solche Menschen hat, wie viel Lebensfreunde und Gemeinschaftsgefühl Schalke diesen Menschen auch heute noch vermitteln kann.

    Der Mythos Schalke erzählt – auch wenn das mit der heutigen Lebenswirklichkeit im Millionengeschäft und Showbusiness Fußball natürlich nicht mehr viel zu tun hat – immer noch eine Geschichte, die ganz besonders auch Menschen anzieht und ein Wir-Gefühl vermittelt, die gelernt haben, dass es im Leben nicht nur Siege gibt. Dafür steht ganz sicher in ganz besonderem Maße der Schalker Klaus-Dieter.

    Es wäre schön, wenn man das auf Schalke auch in Zukunft noch aufrechterhalten könnte und die Spieler und Verantwortlichen sich wieder mehr bewusst würden, was sie mit ihrem Verhalten und ihren außersportlichen Entscheidungen diesen Menschen geben oder eben nehmen.

    Ruhe in Frieden, Klaus-Dieter!

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