Kevin allein im Supermarkt

(ru) In unserer Gesellschaft herrscht so viel Kälte, wer kümmert sich um die Vergessenen und die Benachteiligten? Das SCHALKE UNSER zeigt sich von seiner menschlichsten Seite. Wir begleiten den kleinen Kevin vom Sauerlandrand bei seiner Resozialisierung.*

Kevin hat es noch nie leicht gehabt. Er ist Einzelkind, was seine Schwester bestätigen kann. Als Kevin klein war, musste der Vater für zehn Jahre auf Montage nach Thailand. Die Mutter gab ihren Sohn total überfordert am Wochenende bei einer Aktiengesellschaft ab. Dort nahmen sich zum Glück Boris und Nobbi der Erziehung und Bildung des Sprösslings an. Mit Erfolg: Mit 8 wurde Kevin eingeschult, schon mit 10 Jahren erreichte er die zweite Klasse, mit 11 Jahren gar noch einmal und mit 12 schaffte er seine letzte und erste Prüfung, wenn auch nur den praktischen Mofatest, der theoretische misslang. Er begann damit eine Ausbildung als KFZ-Mechatroniker für Fahrräder und jobbte als Liftboy in Treppenhäusern. Doch Kevin kam nie richtig in der Gesellschaft an, lernte nie, alleine Bus zu fahren, die Spülung zu betätigen oder dass Beton nicht nachgibt. Nun begleiten wir ihn bei seinem ersten Einkauf – alleine.

SCHALKE UNSER 74

Samstagmorgen. Kevin fährt zum Supermarkt, dort angekommen kreist er allerdings minutenlang umher, weil er den Drive-in sucht. Er sieht, dass viele Menschen zu den Einkaufswagen hasten. Mühsam versucht er, einen an sich zu reißen, bis ein alter Herr ihm mitteilt, dass man dafür einen Euro in den Schlitz stecken müsste. ,,Wie auf der Cranger Kirmes, nur billiger.” Ein Euro für einen Einkaufswagen ist für Kevin ein echtes Schnäppchen, er besorgt sich gleich fünf. Da bekommt er eine Erinnerungs-SMS von seiner Freundin Chayenne, die mit 16 bereits eine Scheidung und zwei Kinder von drei Männern aufweisen kann – in Kevins Viertel würde man sagen: eine echte Spätzünderin. Chayenne schreibt: ,,Bring bitte zwei Tüten Paprika-Chips mit und was du noch zum Frühstück brauchst.”

Kevin geht also erst einmal in die Obstabteilung, um Paprika zu besorgen. Dort sieht er erstmals, dass Ananas etwas zum Essen ist. Vorher glaubte er, es handele sich um den Namen einer Schauspielerin. ,,Sie müssen das wiegen”, erklärt ihm eine Angestellte. ,,Alles?”, fragt Kevin. ,,Ja.” Das stellt sich als schwierig heraus, da Kevin das Symbol für Nutella-Gläser auf dem Display der Obstwaage einfach nicht finden kann. Auch an der Wursttheke hat er Probleme, weil die Verkäuferin keine Schinkenpizza herausgeben will. ,,Zum Mitnehmen”, keucht er. Keine Reaktion. Immerhin: Er bekommt ein Stück Fleischwurst. Ein schwacher Trost.

Nach nicht einmal fünf Stunden schafft es Kevin mit seinen fünf Einkaufswagen und allen abgewogenen Einkäufen an die Kasse. Auch wenn die Kassiererin ihn nicht mit seiner Dauerkarte zahlen lässt, so zeigt sie sich doch noch sehr freundlich: Als Kevin auf dem Beleg unterschreiben soll, zeichnet sie ihm mit einem Lineal Hilfslinien. Kevin ist stolz, alle Einkäufe erledigt zu haben. Nächste Woche will er sich dann nach einem Kühlschrank umsehen.

Auf dem Parkplatz wartet wiederum ein echtes Problem. Kevin weiß nicht, wie er die fünf Einkaufswagen in sein Auto bekommen soll. Den Tränen nahe ruft er Boris an, doch der kann ihm auch nicht weiterhelfen. Als er endlich Nobbi erreicht und ihm seine Situation schildert, bekommt dieser einen Lachanfall. ,,Mensch, Kevin. Manchmal stellst du dich echt dumm an”, sagt Nobbi. ,,Du kannst doch in deinem Auto die Rückbank umklappen.”

* Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig. Rechte an dem Filmstoff hält leider nicht das SCHALKE UNSER, sondern eine KgaA aus dem Sauerland. Adresse ist der Redaktion bekannt.