Von Klein-Schalke auf Groß-Schalke

Cover SCHALKE UNSER 1
SCHALKE UNSER 1

(mac/häb/um) Was den Dortmundern das Paket aus Turin (Vorsicht zerbrechlich!), ist für uns Schalker das Päckchen aus Wuppertal. Das wollen wir auch lieber. Billigeres Porto, besserer Inhalt. JÖRG ALBRACHT und WALDEMAR KSIENZYK wechselten von Klein-Schalke auf Groß-Schalke. Die Redaktion war beim Öffnen des Päckchens sehr angenehm überrascht.

SCHALKE UNSER
Wenn nichts besonderes passiert, Jörg, sitzt Du auf der Bank. Ist das nicht eine frustrierende Perspektive?

JÖRG ALBRACHT
Überhaupt nicht! Das ist eine tolle Perspektive. Ich bin zweiter Mann bei einem Erstligaverein und gehöre zu den 36 besten Torhütern Deutschlands, da mußte ich nicht lange überlegen.

SCHALKE UNSER:
Gibt es Bundesliga-Clubs zu denen Du nicht gegangen wärst?

JÖRG ALBRACHT
Das sind nur ein oder zwei, die zu weit weg gewesen wären. Eine schöne Wohnung, ein Kindergartenplatz; das ist wichtig. Ich könnte nie wie Gerri Hilringhaus im Maritim wohnen.

WALDEMAR KSIENZYK
Aber wenn die Bayern angerufen hätten, wärst Du doch auch dahin gegangen.

JÖRG ALBRACHT
(Zögert und nickt dann vorsichtig) Na ja, wahrscheinlich schon.

SCHALKE UNSER
Ihr seid doch nicht als Berufsfußballer zur Welt gekommen. Hattet Ihr als Kinder einen Lieblingsverein und habt Ihr den noch heute?

JÖRG ALBRACHT
Mein großes Vorbild war immer Heinze vom MSV Duisburg, aber seit Leute wie er und Dietz da nicht mehr gespielt haben, ist auch diese Vorliebe abgekühlt. Heute gucke ich nur noch mit einem Seitenblick auf die Duisburger in der Tabelle.

WALDEMAR KSIENZYK
Als Kind träumt man immer. Für uns im Osten war das Zauberwort die Bundesliga. Als Magdeburg gegen Schalke im Europacup gespielt hat, spürte man schon, daß das, ähnlich wie Bayern, ein besonderer Verein ist.

JÖRG ALBRACHT
Als ich jetzt im Urlaub in Portugal morgens aufgewacht bin, habe ich mich manchmal gekniffen, ob das auch kein Traum ist: Mensch, Du spielst jetzt auf Schalke.

SCHALKE UNSER
Und wie isses?

JÖRG ALBRACHT
Noch besser als ich erwartet hatte. Schon das erste Gespräch mit Rudi Assauer war sehr familiär. Er hält alles von einem fern und auch die Stimmung in der Mannschaft ist toll. Der Jens z.B. hat mich gleich am ersten Nachmittag zu sich nach Hause eingeladen.

WALDEMAR KSIENZYK
Genau das muß ja auch unsere Stärke sein. Wir haben nicht so viele große Namen wie andere Vereine.

SCHALKE UNSER
Elf Freunde sollt Ihr sein. Paßt das heute noch, wenn der Torjubel durch Can-Can vom Band angeheizt wird?

JÖRG ALBRACHT
Gegen Can-Can und diese Show habe ich nichts. Im Gegenteil, außen herum passiert noch viel zu wenig. Neue Attraktionen müssen her statt immer die gleiche blöde Musik. Am Spiel selbst sollte sich nicht soviel ändern. Größere Tore, Abseits abschaffen: das ist Quatsch. Für mich als Torwart wird es ja jetzt schon jede Saison schwieriger. In vier Jahren darf ich womöglich meine Hände nicht mehr benutzen und nur noch mit dem Kopf halten. Ändern muß sich das Programm vor, in der Pause und nach dem Spiel.

WALDEMAR KSIENZYK
Wir sind doch auch 30 Jahre weiter. Der Krieg ist vorbei, die Leute sind verwöhnt und haben andere Erwartungen. Man muß doch auch mal Leute ins Stadion locken, die nicht eingefleischte Fußballfans sind. Die Amerikaner sind da schon viel weiter.

JÖRG ALBRACHT
Für mich hatte Toni Schumacher schon vor sieben Jahren in seinem Buch bahnbrechende Ideen, z.B. das Familienstadion. Warum nicht eine Halfpipe für die Skateboarder hinter das Stadion bauen, damit den Kids auch noch nach dem Spiel etwas geboten wird? Schaut Euch doch mal um (er zeigt auf die große Fläche hinter dem Marathontor): Soviel Platz ist hier. Ab und zu trainieren hier ein paar Kugelstoßer – sonst passiert nichts. Sinnvoller genutzt, würde man auch die Gewalt rausnehmen…

WALDEMAR KSIENZYK
… und die Kinder von der Straße holen. Bolzen wie früher kennen die doch gar nicht mehr. Und wenn die Streit haben, nehmen sie nicht die Fäuste, sondern Messer und Gaspistolen. (Fragt lächelnd die umstehenden Kinder) Habt Ihr auch schon ein Messer in der Tasche?

KINDER
Nee – aber keinen Platz zum Spielen.

JÖRG ALBRACHT
… und dann die Preise. In Wuppertal z.B. zahlt man für ein Zweitligaspiel 45 Mark auf einer zugigen Tribüne. Wenn du da deinen 16järigen Sohn mitnimmst, bist du locker einen Hunderter los.

SCHALKE UNSER
Müssen da nicht auch die Stehplätze erhalten bleiben?

WALDEMAR KSIENZYK
Einige Tausend, ein gewisses Kontingent, sollten bleiben. Das gehört auch zur Fußballkultur.

JÖRG ALBRACHT
Die Herren bei der FIFA, die sind doch schon alle über 80. Die können nicht mehr solange stehen.

SCHALKE UNSER
Und die Zäune? Im Parkstadion sind sie gerade wieder ein Stück erhöht worden? Sind Zäune überhaupt nötig?

JÖRG ALBRACHT
Ja, ohne fühle ich mich bedroht. Schon bei einem Freundschaftsspiel habe ich meine Schwierigkeiten, wenn die Fans direkt am Pfosten stehen. Und auf Schalke kann ich mir ein Spiel ohne Zäune nicht vorstellen.

WALDEMAR KSIENZYK
Ja, aber Du mußt auch mal die andere Seite sehen. Das ist wie bei Tieren im Käfig, die werden auch immer wilder. Bei meinem ersten Europacupspiel 1984 in Aberdeen kam ich aus dem Staunen nicht mehr raus. 25000 Leute, volle Hütte, keine Zäune. Da hatte ich zuerst Angst. Aber als die Zuschauer mir den Ball beim Einwurf zurückgaben und mich dabei einfach nur berühren wollten, war ich echt baff. Wenn alle Fans soweit sind, können die Zäune weg. Die paar Störenfriede, die es dann noch gibt, das regeln die Fans schon untereinander.

JÖRG ALBRACHT
Ich kann mir das trotzdem nicht vorstellen.

WALDEMAR KSIENZYK
Das muß stufenweise gehen. Zuerst stehen da noch ein paar Bobbies und dann sind auch die nicht mehr nötig. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, dem kann man alles beibringen.

SCHALKE UNSER
Habt Ihr Verständnis für Fans, denen der Verein über alles geht?

JÖRG ALBRACHT
Leben und sterben für einen Verein, mit Tätowierungen und allem drumherum, das kann ich nur schwer nachvollziehen. Ich selbst bin uch nicht so. Als mein Wechsel bekannt wurde, hatten mir 40 WSV-Fans aufs Band gesprochen: „Du mußt unbedingt bleiben“. Das hat mich ein wenig erschreckt.

WALDEMAR KSIENZYK
Von Union Berlin kenne ich ähnlich verrückte Fans. Daß Leute auch mit ins Trainingslager ins Ausland fahren, gehört mit dazu.

SCHALKE UNSER
Muß man sich von Fans – Beispiel Effenberg – als Profi alles gefallen lassen?

JÖRG ALBRACHT
Viel, aber nicht alles. Als ich das vom Jens gelesen habe, daß er in Leverkusen von den eigenen Fans vom Platz gepfiffen wurde, fand ich das echt schlimm. Ich dachte, das kann dir selbst auch so ergehen.

WALDEMAR KSIENZYK
Ich kann den Effenberg gut verstehen. 40 Grad, das Spiel ist mies und dann pöbeln dich noch Zuschauer unqualifiziert an. Mir könnte es sogar passieren, daß ich über die Bande springe und mir den Kerl schnappe… Und außerdem finde ich es klasse, daß der Effenberg dazu steht und kein Arschkriecher ist. Das ist nämlich das Schlimmste.

SCHALKE UNSER
Danke, Jörg und Waldemar. Glückauf.