Der finale Torschuss: Brot und Spiele für alle? / Die FIFA auf dem Strich

(mac) Das Phantom hat wieder zugeschlagen. Für schlappe 3,4 Milliarden Mark hat Leo Kirch zusammen mit der Schweizer Agentur ISL die weltweiten TV-Übertragungsrechte für die Fußball-Weltmeisterschaften 2002 und 2006 gekauft. Das öffentliche Entsetzen darüber ist so groß wie geheuchelt. Denn jahrelang haben die Parteien diesem Mann eine schöne Gesetzes-Vorlage nach der anderen vor die Füße gespielt. Nun aber, da er zum finalen Torschuß ansetzt, herrscht angebliche Ratlosigkeit. Ein Gefühl, das sich bei den Fans tatsächlich einstellen dürfte. Bald müssen sie für Live-Übertragungen kräftig löhnen. SCHALKE UNSER in allen Einzelheiten über den sudden death des Fernseh-Fußballs.

Die Heuchel-Hitliste

  • 1. „Durch den großen Kampf zwischen dem Privat-Fernsehen und den öffentlich-rechtlichen Sendern um Übertragungsrechte steht unser Spiel im Mittelpunkt der Finanzen. Und das gefällt mir nicht so gut, denn wir dürfen uns nicht blenden lassen von den großen Summen, die da herumgehen.“
    (Joseph Blatter vor der Rechte-Vergabe an Kirch)
  • 2. „Unsere Partner sind die öffentlich-rechtlichen Anstalten.“
    (Joao Havelange vor der Rechte-Vergabe an Kirch)
  • 3. „Unser Ziel ist die flächendeckende Ausstrahlung der Weltmeisterschaft, nicht die Geldmaximierung“
    (Joseph Blatter nach der Rechte-Vergabe an Kirch)

Außer dem Kanzler und seinen Geschäftspartnern, sagt man, kennt ihn kaum einer, diesen Leo Kirch. Das ist wahrscheinlich auch besser so. Denn Verdienste erwarb er sich keine – es sei denn, man hält skrupellose Machtgier oder das bloße Handeln mit gefüllten Filmdosen und Sportrechten für Verdienste. Genau damit aber hat es dieser Kirch weit gebracht. Kirchs Unternehmensgruppe ist Mehrheitsgesellschafter bei SAT1 und darüberhinaus an den TV-Sendern DSF und Premiere sowie mit über einem Drittel am Springer-Verlag (Bild, Sport-Bild) beteiligt.

Zudem besitzt er die Internationale Sportrechte-Agentur ISPR und über sie die Übertragungsrechte an der Fußball-Bundesliga bis zur Jahrtausendwende. Mit anderen Worten: Dieser Mann kleckert nicht, der geht richtig ran. Er kontrolliert einen Großteil der veröffentlichten Meinung, wenigstens im Sport, auf alle Fälle aber im Fußball.

Insgesamt 3,4 Milliarden Mark (in Zahlen: 3 400 000 000 DM) hat Kirch für die beiden Weltmeisterschaften 2002 (in Japan und Südkorea) und 2006 (vielleicht in Deutschland) der allzeit bereiten FIFA besorgt. Zum Vergleich: Die Senderechte für die drei Weltmeisterschaften 1990, 1994 und 1998 (in Frankreich) kosteten die öffentlich-rechtlichen Sender Europas damals 408 Millionen Mark – gerade mal ein Achtel.

Eine solch hohe Investition – da sind sich alle Experten einig – läßt sich nicht durch Werbespots refinanzieren, vermutlich selbst dann nicht, wenn die Dauer der Werbeblöcke die Dauer des eigentlichen Fußballspiels übersteigen würde. Andere Vermarktungsformen müssen also her. Und da paßt es ganz hervorragend, daß Kirchs unscheinbares Imperium genau daran längst bastelt.

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Die Zauberworte heißen „Pay-TV“ (Bezahlen für einen ganzen TV-Kanal – Beispiel Premiere) und „Pay-per-view“ (Bezahlen für eine einzelne Sendung zusätzlich zur Monatsgebühr). Es ist nur zu offensichtlich, daß Kirch seinem digitalen TV-Projekt DF 1 (Investitionen laut Kirch-Gruppe: gut eine Milliarde Mark) auch mit solch exklusiven Sportrechten zum Durchbruch verhelfen will, koste es, was es wolle. Zehn digitale Kanäle soll DF 1 zunächst umfassen – zum Preis von mindestens 60 Mark im Monat. Um die attraktiv zu füllen, braucht der Dealer heiße Ware. Und was wäre heißer, als eine Fußball-WM?

Kein Problem für Kirch, denn die FIFA war wieder mal bereit, auf den Geldstrich zu gehen. Der Fußball hat damit endgültig seine Unschuld verloren. Kirchs golden goal ist gleichbedeutend mit dem sudden death für den Fußball der Fans. Denn wenn der Plan des zwar fast blinden, aber leider dennoch geschäftlich weitsichtigen Kirch aufgeht, darf der sich freuen – aber viele von uns sitzen in der allerletzten Reihe.

Zwar, sagt ein Kirch-Sprecher, werde jedes WM-Spiel „im Free-TV zu empfangen sein“. Er sagt aber nicht, in welcher Länge, ob live oder als Aufzeichnung womöglich vier Wochen später. Zwar sagt FIFA-Generalsekretär Joseph Blatter, daß die Rechtevergabe das Pay-per-view-Fernsehen ausschließe. Gegenüber der ARD-Sendung „Monitor“ aber gestand Blatter, daß Pay-TV nicht ausgeschlossen sei.

Die Redaktion von „Monitor“ hatte interne Papiere der FIFA einsehen können und stellte fest, daß Kirch sich zu gar nichts in Sachen „freies Fernsehen“ verpflichtet hat. Mit anderen Worten: Zustände wie beim UEFA-Cup-Spiel Barcelona – Bayern im April könnten die ganze Weltmeisterschaft durchaus herrschen. Zur Erinnerung: Die Begegnung war seinerzeit nur für löhnende Premiere-Kunden live zu sehen.

Von wegen also WM-Kick ohne Extra-Kosten! Außerdem weiß Blatter, daß bis zum Eröffnungsspiel der WM 2002 noch sechs Jahre ins Land gehen. Zeit genug also für einen Platzverweis in ganz kleinen Schritten. Denn was sind sechs lange Jahre, wenn die FIFA schon mal binnen sechs Monaten ihre Meinung komplett ändert. Noch im Februar etwa log Weltfußball-Präsident Joao Havelange: „Mit privaten Rechteverwertern verhandele ich nicht.“ (siehe Heuchel-Hitliste).

Die Wirklichkeit sieht anders aus. Viele Varianten des Fernseh-Fußballs kommen künftig in Frage, und allen ist gemeinsam, daß sie zur Verschlechterung aus Fan-Sicht beitragen werden. Die Fans werden schlicht ausgenommen. Beispiel eins: Besonders wichtige Spiele (möglicherweise auch die der deutschen Mannschaft, sollte sie sich qualifizieren) werden live und in voller Länge nur gegen Extra-Bezahlung zu haben sein – sei es nun, indem man für einen ganzen Sender oder für einen Sender und zusätzlich noch für das jeweilige Spiel abdrückt. Umsonst und live gäbe es dann nur die Krümel der WM, sprich die potentiellen Langweiler-Begegnungen.

Oder aber so: Alle deutschen Spiele sind zwar – Kirch, wir danken Dir – live und ganz auf SAT1 zu sehen, andere quotenträchtige Begegnungen dafür aber wieder nur gegen Bares. Im Gespräch sind dabei übrigens Preise von gut und gerne 30 Mark pro Partie.

Oder, sozusagen der Super-GAU: Live wird die komplette WM vom Eröffnungsspiel bis zum Finale nur im Abo-Fernsehen ausgestrahlt, andere Sender dürfen grundsätzlich nur Konserven zeigen. Gleich, welche Variante sich Kirch ausdenkt: Das Live-Erlebnis wird nicht so billig sein wie etwa „Premiere“ (das übrigens ab September über Satellit 47,80 Mark und über Kabel 49,80 Mark pro Monat kosten wird und – höre und staune – erste Schritte in Sachen Pay-per-view unternimmt). Alleine der Decoder für Kirchs DF 1-Projekt wird 1 000 Mark (in Worten: tausend) kosten. Kurzum: Die Weltmeisterschaften 2002 und 2006 werden höchstwahrscheinlich ein verdammt teures Vergnügen.

Was aber sagt der sich immer so volksnah und großherzig gebende DFB dazu? Die Antwort: Nichts. Rechtsaußen Gerhard Mayer-Vorfelder, ohnehin ein Mann der größten Peinlichkeiten, war bei der Abstimmung über die Vergabe der TV-Rechte überhaupt nicht anwesend. Sein Stuhl blieb einfach leer, Deutschland mit dem weltweit größten Fußballverband damit ohne Stimme. Na, wenn das mal ein Zufall ist…der deutsche Verband fehlt, während die Rechte ein Deutscher bekommt. Auf alle Fälle ist es eine elegante Art, die Entscheidung mitzutragen und trotzdem nicht verantwortlich zu sein.

Daß Mayer-Vorfelder nach Abpfiff noch einmal neu verhandeln wollte, zeigt seinen ganzen widerlichen Populismus. Die Rechte-Frage ist eben auch eine einigermaßen rechte Frage. Schließlich gehören weder Mayer-Vorfelder noch Braun, Vogts, der Kanzler und Kirch zu den progressiven Kräften im Lande. Und mehr noch: Der DFB will ja auch die WM 2006 ausrichten. Sich öffentlich für die Interessen der Fans und damit gegen das größtmögliche Geld einzusetzen, hätte Deutschlands Chancen gewiß nicht erhöht.

Andere Nationen sind offenbar bei der Betrachtung des Fußballs etwas weiter. So gehören für das britische Parlament große Turniere zweifellos zum „großen europäischen Erbe“. Die italienische Volksvertretung hat Fußball sogar zum Menschenrecht erklärt. Alle sollen sehen dürfen, was da so schön und wichtig ist. Brot und Spiele eben.

Nun denken sogar einige deutsche Politiker darüber nach, ob man nicht per Gesetz ein Recht auf große Spiele ohne Extrakosten für alle durchsetzen könne. Bayern-Fan und Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) appelliert an die „gesellschaftliche Verantwortung der Veranstalter“, allerdings ohne einen Schritt von CSU-Kirch zu weichen. Freizeitkicker und Grünen-Fraktionschef Joschka Fischer hält die freie Übertragung wichtiger Spiele für „ein Grundbedürfnis der Gesellschaft“. Und der rheinland-pfälzische SPD-Ministerpräsident Kurt Beck empfindet Kirchs Projekte als „Horrorvision“. Genau das wird es bleiben. Denn es gibt kein Grundrecht auf Live-Fußball. Medienforscher und Verfassungsrechtler betonen, daß es allenfalls ein Grundrecht auf Information gibt, nicht aber eines auf kostenlose Direktübertragung. Völlig zurecht entlarven sie die erschrockenen Polit- Äußerungen nicht nur von Stoiber als stimmenheischende Heuchelei. Denn die Politiker wußten natürlich, was sie tun, als sie das Fernsehsystem dem freien Markt öffneten.

Noch aus einem anderen Grund wird es keinen Fußball mehr für alle geben. Wann immer der brutale Zocker Kirch in den letzten Jahren am Rande des Ruins stand (und das war oft), eilte die politische Seilschaft zu Hilfe und ließ den Mann nicht hängen, wo er hingehört. Eine Seilschaft der besonderen Art: Schwarze Stutzen statt roter Socken.

So gibt es also theoretisch nur einen, der den Kirch im Dorf lassen kann – der Fußball-Profi selbst. Man stelle sich vor: Halbfinale 2002 in Tokyo oder Seoul. Alle großen Mannschaften sind ‚raus. Die Faröer-Inseln, die sich überraschend qualifiziert haben, gewinnen gegen Moldawien und treffen im Endspiel auf den Sieger aus der Partie Liechtenstein gegen Benin. Was für ein Finale! Aus Verzweiflung über die mangelnde Nachfrage bietet Kirch das Spiel kostenlos in SAT1 an. Trotzdem guckt kein Schwein hin. In der Halbzeit gibt es nur einen Werbespot für norddänischen Weichkäse und ganz Fußball-Deutschland zieht sich im Ersten den Zusammenschnitt der schönsten WM-Szenen des vergangenen Jahrhunderts rein. Träumerei. Gerne würden wir dafür die Daumen drücken. Wir fürchten nur, es hilft nichts. Zu viel Geld ist im Spiel, als daß es dazu kommen könnte. Wer alleine die Champions-League betrachtet und die Versuche, finanzstarke Fußballnationen stärker in diesen unsäglichen Wettbewerb zu hieven, der weiß, daß der Fußball eine alte Hure geworden ist.

Nein, das Szenario sieht anders aus: Zwei Außenseiter werden im Finale nie aufeinandertreffen. Gelbe Karten und Einwechslungen werden 2002 präsentiert von Krombacher. Auszeiten und werbefreundliche Drittel statt Halbzeiten werden Realität. Und es müßte schon gut laufen für uns Fans, wenn es dabei bliebe…