„Das geht mir nicht am Arsch vorbei!“

Cover SCHALKE UNSER 14
SCHALKE UNSER 14

(mk/rk) Bodenständig, nett, aufgeschlossen, kämpferisch, im Herzen Schalker. Das sind die Attribute mit denen MIKE BÜSKENS normalerweise in Verbindung gebracht wird. Im SCHALKE UNSER-Interview konnte er all diese Eindrücke gleich mehrfach unterstreichen. Kurz vor dem UEFA-Cup-Halbfinale gegen CD Teneriffa nahm sich MIKE BÜSKENS trotz Terminstreß die Zeit, um mit uns über Gelsenkirchen, Spanien und Paella zu sprechen.

SCHALKE UNSER:

Mike, du bist nun schon seit über fünf Jahren hier auf Schalke. Wie hast du denn hier die Entwicklung in den letzten Jahren so miterlebt?

MIKE BÜSKENS:

Was sich da alles getan hat, ist einfach unvorstellbar. Das fing damit an, daß Udo Lattek verpflichtet wurde, der erfolgreichste Vereinstrainer der Welt. Dann kam Helmut Schulte, da gebe ich mal jetzt keinen Kommentar zu ab. Günter Eichberg ging, der Verein stand vor einem Scherbenhaufen. In der Saison standen wir auf dem letzten Platz, keiner hätte auch nur einen Pfifferling darauf gesetzt, daß wir die Liga noch halten können. Zum Glück kam damals Jörg Berger und von da an ging es eigentlich nur noch bergauf. Und jetzt stehen wir vielleicht kurz vor einer Krönung.

SCHALKE UNSER:

Nehmt Ihr das alles eigentlich richtig wahr, was momentan hier passiert? Kriegt Ihr nicht manchmal richtig Lust mitzufeiern?

MIKE BÜSKENS:

Als Spieler nimmt man das zwar wahr, man genießt das alles auch. Das sind ja alles ganz neue Eindrücke: Trabzon, Teneriffa oder Valencia. Das ist Neuland für uns, zumindest für die meisten von uns. Das ist eigentlich wie ein Fest. Aber leider haben wir zum Feiern im Augenblick überhaupt keine Zeit. Wir können zwar sagen, daß wir in all diesen Städten waren, aber wir haben so gut wie nichts davon gesehen. Nach dem Spiel fliegen oder fahren wir sofort wieder zurück. Das ist echt schade! Da ist dieses Riesenvolksfest „Las Fallas“ in Valencia, doch außer von den Böllern, die an jeder Ecke hochgehen, kriegst du da echt nichts mit.

SCHALKE UNSER:

Also, da müßt Ihr irgendwann noch einmal privat hinfahren. Vielleicht, wenn Ihr Euch zur Ruhe gesetzt habt. Das ist einfach unbeschreiblich, was da unten abgeht. Könntest du dir denn vorstellen, dort auch nur mal so runterzufahren?

MIKE BÜSKENS:

Klar, ich hab ohnehin eine Vorliebe für Spanien, von daher kann ich mir sowieso mal vorstellen dort hinzuziehen. Das ist so eine Vision von mir.

SCHALKE UNSER:

Vielleicht sogar als Spieler in der Primera Division?

MIKE BÜSKENS:

Das wäre bestimmt einmal ein Erlebnis, in Madrid oder Barcelona vor über 100000 Zuschauern spielen zu können und diese Atmosphäre mitzubekommen. Das sind alles so Träume von mir. Vielleicht hat man ja mal die Chance, sich das alles zu erfüllen. Noch schöner wäre natürlich, wenn wir einmal mit Schalke gegen Real Madrid spielen könnten.

SCHALKE UNSER:

Was sagst du denn zu den Fans, die auf allen möglichen Wegen nach Valencia gekommen sind?

MIKE BÜSKENS:

Das war schon Wahnsinn. Aber, daß da Leute mit dem Wohnmobil runter sind, die auch noch zur Auslosung nach Lausanne einen Abstecher gemacht haben, das bekommen wir als Mannschaft leider immer eigentlich nur durch’s Hören-Sagen mit. Für den Normalsterblichen ist das alles schwer nachvollziehbar. Wenn du jetzt mit einem darüber sprichst, der nichts mit Fußball am Hut hat, dann sagt der „Die haben ’ne Schraube locker“. Aber das ist halt die Faszination, die Schalke so ausmacht. Guck nur mal, wie viele Leute mitkommen, wenn wir ins Trainingslager fahren. Familien, die auch schon über Jahre mitfahren. Das ist schon so eine eigene Gruppe geworden, die verbinden ihren Urlaub mit dem FC Schalke 04, gucken beim Training zu, quatschen ein bißchen mit den Spielern. Aber das tritt eigentlich immer mehr in den Hintergrund, da bilden sich auch unter den Fans immer neue Freundschaften. Das ist wirklich wie so eine ganz große Schalke-Familie.

SCHALKE UNSER:

Ist denn die Schalker Mannschaft auch so etwas wie eine Familie?

MIKE BÜSKENS:

Familie kann man nicht sagen. Es gibt ja auch ein gewisses Konkurrenzdenken, aber der Zusammenhalt in der Mannschaft ist wirklich gut. Ich kann das zwar eigentlich nur mit Düsseldorf vergleichen, aber da war der Zusammenhalt beileibe nicht so groß. Aber das ist hier auch erst so gewachsen. Das ist entstanden als wir ganz unten waren und jeder uns abgeschrieben hatte. Mit den beiden neuen Trainern Jörg Berger und Hubert Neu kamen da neue Impulse. Da wurde viel mehr auf Teamgeist gesetzt, z.B. durch Mannschaftsabende oder Kabinenfeste. Da hat mal einer ’nen Leberkäs mitgebracht, Weißwürste oder Kuchen. Und dann saß man halt nach dem Training noch ’ne Stunde zusammen. Dabei hat man sich auch besser kennen- und schätzen gelernt. Und von dieser Geschlossenheit lebt auch unsere Mannschaft. Davon profitieren auch alle, die neu in die Mannschaft kommen, weil da jeder mit offenen Armen aufgenommen wird.

SCHALKE UNSER:

Du hattest vorhin schon mal Düsseldorf angesprochen. Irgendwie bist du selbst nach fünf Jahren Schalke für viele immer noch der „Düsseldorfer“. Was meinst du, warum du dieses Stigma nicht los wirst?

MIKE BÜSKENS:

Ja, da bin ich auch überhaupt nicht enttäuscht drüber, daß man mich immer noch mit Düsseldorf in Verbindung bringt. Man sollte immer wissen, woher man kommt. Man kann seine Vergangenheit doch nicht so einfach abstreifen. Ich hab da als C-Jugendlicher gespielt bis zum ersten Seniorenjahr. Da sind, glaube ich, immer noch drei Leute im aktuellen Kader mit denen ich zusammen Fußball gespielt habe und auch auf der Geschäftsstelle und im Jugendbereich arbeiten heute immer noch einige Leute mit denen ich früher zusammen war. Es wäre doch schlimm, wenn ich sagen würde: „Da hab ich nichts mehr mit zu tun.“

SCHALKE UNSER:

Gab’s bei Euch denn auch Straßenmannschaften, in denen du gepölt hast?

MIKE BÜSKENS:

Klar, wir haben in einer Einbahnstraße gewohnt, da war wenig Verkehr und dann haben wir immer auf die Garagentore gespielt. Da gab’s sogar ein paar mal Ärger mit den Nachbarn. Das ging sogar soweit, daß mich mal einer mit dem Auto verfolgt hat.

SCHALKE UNSER:

Trotz des „Düsseldorfers“, auf dem Platz bist du eher der Ruhrpottfußballer.

MIKE BÜSKENS:

Ich identifiziere mich ja auch voll mit dem Verein Schalke 04, fühle mich hier auch total wohl, aber ich finde auch, daß es wichtig ist, daß man weiß, woher man kommt, was seine Wurzeln sind.

SCHALKE UNSER:

Was bedeutet denn eigentlich Gelsenkirchen für dich?

MIKE BÜSKENS:

Eine ganze Menge. Meine Freundin kommt z.B. aus GE. Es ist nicht so, daß ich nach dem Training nach Hause fahre und Gelsenkirchen Gelsenkirchen sein lasse. Über die fünf Jahre hab ich ja auch Freunde hier gefunden und kriege hier die ganzen Probleme mit. Du wirst hier zwangsläufig mit den Problemen dieser Region konfrontiert. Gelsenkirchen hat 18% Arbeitslose, da kannst du nicht sagen „das geht mir am Arsch vorbei.“ Da spreche ich mit Freunden, die haben im Bergbau gearbeitet, haben dann eine Umschulung gemacht und finden jetzt seit über einem Jahr keinen Job. Das ist ja die Realität. Da kann ich mich nicht so verhalten wie die drei Affen „Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen“.

SCHALKE UNSER:

Da fanden wir die Aktion vom Verein auch gut, daß beim Duisburg­-Spiel ein ganzer Block den Bergleuten überlassen wurde.

MIKE BÜSKENS:

Gelsenkirchen und Schalke, das ist doch eins. Das kann man doch nicht trennen. Und es wäre fatal, wenn der Verein irgendwann einmal diesen Weg gehen sollte.

SCHALKE UNSER:

In Lüdenscheid, da haben wir den Eindruck, daß sich dort die Stadt jedoch mehr mit dem Verein identifiziert als das hier in Gelsenkirchen der Fall ist.

MIKE BÜSKENS:

Das ist sicher auch mit den Erfolgen so gewachsen. Guckt mal, die sind zweimal deutscher Meister geworden. Da ist doch klar, daß Stadt und Verein dadurch zusammenwachsen. Aber wie man jetzt liest, bewegt sich der Verein auch wieder davon weg, indem er die Spieler immer mehr abschottet. Wäre schlimm, wenn es hier auch so wird. Wir haben in den fünf Jahren hier so viel Scheiße mitgemacht und immer einen Zuschauerschnitt von ca. 40000 gehabt. Und den haben wir jetzt wieder, alle Europapokalspiele waren ausverkauft – und das bei 18% Arbeitslosen. Und hast du schon mal einem nackten Mann in die Tasche gefaßt? Guckt Euch doch an, was so ein Stadionbesuch mit der Familie kostet?

SCHALKE UNSER:

Fanden wir auch gut vom Verein, daß er bei den UEFA-Cup-Spielen keinen Topzuschlag genommen hat, wie das bei anderen üblich ist. Der Fan wird wirklich schon genug abgezockt. Bei einem normalen Stadionbesuch am Wochenende ist man doch schnell 50 DM los. Und deshalb sind wir einfach für den Erhalt von Stehplätzen.

MIKE BÜSKENS:

Diese ganze Diskussion: Stehplatz – Sitzplatz. Erstens gibt’s im Stadion kaum noch Ausschreitungen. Also ich kann mich an keine mehr erinnern in den letzten Jahren. Und zweitens, sollte es wirklich mal dazu kommen, dann kannst du mit ’ner rausgerissenen Sitzplatzschale mit Sicherheit mehr Unheil stiften als mit dem Wellenbrecher auf den Stehplätzen, weil den sowieso kein Mensch rauskriegt.

SCHALKE UNSER:

Du hast dich in der Vergangenheit immer wieder für soziale Belange eingesetzt. Zuletzt hast du ein Trikot für einen guten Zweck versteigern lassen. Würdest du so etwas noch mal wiederholen?

MIKE BÜSKENS:

Ich hab eigentlich immer solche Aktionen gemacht. Da muß ich wieder auf Düsseldorf zurückgreifen. Da waren wir mit der Mannschaft in der Uni-Klinik und haben dort die Kinder-AIDS- und Kinder-Krebsstation besucht. Da werden dir innerhalb kürzester Zeit die Augen geöffnet. Nach dem Motto: Ich bin auf der Sonnenseite, kann mir viele Annehmlichkeiten leisten, die sich die wenigsten leisten können. Und dann liegen da kleine Kinder, Säuglinge und die haben null Chance oder so gut wie keine Chance. Das fand ich frustriend und hab gedacht, daß ich mich da engagieren muß. Ohne das an die große Glocke zu hängen. Seitdem hab ich mehrfach Krankenhäuser besucht und dort Aktionen gemacht, einfach nur um den Jungs und Mädels, die dort auf den Stationen liegen, eine kleine Freude zu bereiten.

SCHALKE UNSER:

Mike, jetzt mal was ganz anderes. Was denkst du, warum wirken Fußballspieler selbst in jungen Jahren schon so alt?

MIKE BÜSKENS:

Die wirken schon so alt? Ja, das kann schon sein. Das liegt wohl daran, daß auf diese jungen Fußballspieler etwas Wahnsinniges einbricht. Wir reden von 18jährigen, die womöglich mitten im Abitur stecken und auf einmal sind sie hier auf der Showbühne Bundesliga. Und das wird ja immer schlimmer. Jetzt gibt es DSF, RTL, SAT1… die berichten alle täglich. Es ist heute so, wenn du als 18-jähriger ein Tor machst, stehst du sofort im Rampenlicht. Und damit fertig zu werden, ist auch nicht so einfach. du hast Kumpels, die geh‘n in die Lehre, verdienen 600 Mark und du selbst schießt auf einmal das entscheidende Tor, für uns im besten Falle gegen Dortmund. Die Relationen muß man sich mal vorstellen.

SCHALKE UNSER:

Diesen „Jungstars“ fehlt doch etwas die Freiheit, die können nicht immer das machen, was ihnen gerade in den Sinn kommt.

MIKE BÜSKENS:

Du mußt natürlich auch irgendwo dein Leben ändern. Deine ganze Konzentration gehört dem Sport, du kannst nicht um die Häuser ziehen wie Deine Kumpels.

SCHALKE UNSER:

Da gibt es aber auch Ausnahmen.

MIKE BÜSKENS:

Natürlich, aber diese Ausnahmen fallen dann auch sehr oft schnell durch’s Sieb.

SCHALKE UNSER:

Was bedeutet für dich im Augenblick ein „normales“ Leben?

MIKE BÜSKENS:

Seit Februar haben wir 15 Pflichtspiele gemacht. Von daher ist es so, daß du dich momentan nur auf den Fußball konzentrieren kannst, du eilst von Spiel zu Spiel und da hast du eigentlich überhaupt keine Zeit, Dummheiten anzustellen.

SCHALKE UNSER:

Ist das denn eine Dummheit, abends ins Kino oder Theater zu gehen oder ein Pils zu trinken?

MIKE BÜSKENS:

Nein, aber momentan hat man einen freien Tag pro Woche, den will man zu Hause sein. Sicher gehe ich ab und zu ins Kino oder ins Musical, das kann ja nur den Horizont erweitern. Und wir haben auch schon selbst sowas gemacht wie bei „Aida“ oder der „Rocky Horror Picture Show“. Aber momentan hat keiner von uns für so etwas Zeit. Jeder konzentriert sich voll auf das Sportliche. Erstens weiß ich nicht, wie oft jeder von uns noch mal die Chance bekommt, in ein solches Finale einzuziehen und zweitens haben wir jetzt diese Feste mitgefeiert und das wollen wir zukünftig auch.

SCHALKE UNSER:

Wie steckst du dir deine Ziele im Fußball?

MIKE BÜSKENS:

Vor acht Jahren da hab ich gedacht „Mein Gott, wenn ich einmal in der Bundesliga spielen könnte“ und plötzlich stand ich gegen den HSV auf dem Platz. Dann hab ich gedacht „100 Spiele wären nicht schlecht.“ Gegen Köln mache ich mein 250. Spiel. Es ist zwar schön, wenn man später sagen kann, man hat 300 Spiele gemacht, aber davon waren 14 gegen Duisburg. Dann willst du auch mal international spielen und sagst natürlich „Jetzt hab ich mich dran gewöhnt, jetzt will ich das nächstes Jahr wieder.“ du brauchst immer einen Antrieb. Wenn du den nicht hast, dann stagnierst du und dann ist es eigentlich schon ein Rückschritt.

SCHALKE UNSER:

Du bist gelernter Koch. Da müßtest du doch eine perfekte Paella zubereiten können. Was macht eigentlich die Paella so eklig gelb?

MIKE BÜSKENS:

Ihr meint wohl, weil wir jetzt so oft in Spanien waren? Wir sind leider nicht in den Genuß einer Paella gekommen. Und Safran macht die Paella so gelb, die Meeresfrüchte so schmackhaft.

SCHALKE UNSER:

Vielen Dank für das Gespräch, Guten Appetit und Glückauf.