Wut und Enttäuschung

SCHALKE UNSER schildert in aufwühlenden Tatsachenberichten die Entdeckung der Leidenschaft. Mitmenschen brechen das Schweigen. Diesmal Dirk. Auch er berichtet von Euphorie und Ekstase, von Abhängigkeit und Sympathie. Er ist hörig – dem S04. Aber er ist nicht allein. Eine Serie voller Schicksale. Mitten aus dem Leben. Ungeschminkt. Schreibt uns, wie es Euch erging beim ersten Mal.

Cover SCHALKE UNSER 27
SCHALKE UNSER 27

(ds) Meine allererste Begegnung mit dem Parkstadion fand an einem Sonntagmorgen zu Beginn der 80er Jahre statt, als mein Vater die Erhebung der Gegengerade für hoch genug hielt, mir hier endlich das Fahrrad fahren beizubringen. Die Fahrversuche wurden jedoch durch mein Misstrauen zu Bremsen und Gestell schnell gestoppt, so dass die Zeit bis zum sonntäglichen Mittagessen mit Erklärungen meines Vaters über den Bau der Tribüne und die Erdaufschüttungen für die Gegengerade gefüllt wurde. Das Parkstadion war gerade sieben Jahre alt (so wie ich) und noch ´ne ganze Ecke grauer und lebloser als heute. Keine orangefarbenen Markierungen der Aufgänge, keine farbigen Tribünendächer und ­wände, graue Zäune und Wellenbrecher sowie eine Anzeigetafel, deren „Grafik“ schlimmer war als die von Atari.

Mein erstes Spiel war im Oktober 1982 gegen Fortuna Düsseldorf. Mein Vater nahm mich, meine Schwester und deren Freundin mit auf die Gegengerade. Der Ordner war ein Arbeitskollege meiner Mutter, so dass wir vier umsonst reinkamen. Späteren Statistiken entnahm ich, dass es sich um das letzte Spiel von Norbert Nigbur gehandelt hat: Das Spiel endete 3:3, wobei Fortuna in den letzten zehn Minuten noch ein 3:1 aufholte und das Gemecker entsprechend groß war. Mehr ist mir allerdings nicht in Erinnerung. Später sind mein Vater und ich dann wieder mit dem Rad zum Stadion gefahren – mein Misstrauen den Bremsen gegenüber hatte sich mittlerweile gelegt – wo vor Block 5 mit Farbe auf den Asphalt geschrieben stand: „Junghans raus!“ und „Wir wollen keinen Bayern-Depp, wir fordern Sandhofe!“

Auch wenn ich wusste, dass hier die Nordkurve war, ließ mich die Wut und die Enttäuschung, mit der die Beschriftung offenbar gemacht wurde, wissen, dass hier das Zentrum der damals „berühmt-berüchtigten“ Schalke-Fans sein musste, der „bösen“ Fans, die Bier trinken, pöbeln und stinken und bei deren Anblick Mütter mit Kindern die Straßenseite wechselten. Das Ganze war, wie ich später feststellte, wohl direkt nach der 1:2 Heimniederlage gegen den B*B, als Walter Junghans sich die Krönung seiner Fehlgriffe leistete. Den Rest der Saison verfolgte ich im Radio, wobei ich mich insbesondere an das Saisonfinale gegen den HSV erinnern kann, wo es für Schalke um den Klassenerhalt und für Hamburg um die Meisterschaft ging. Ich hatte die Konferenzschaltung im Radio damals sogar aufgenommen und bis in die 90er Jahre aufgehoben, doch dann aus unerfindlichen Gründen gelöscht.

In der Zweitligasaison 83/84 war ich dann mit meiner Schwester beim Spiel gegen RW Oberhausen. Das Spiel endete 3:0 und der damals 17 Jahre alte Olaf Thon machte ein schönes Tor aus 20 Metern in den Winkel. Entgegen anderslautenden Behauptungen des Kicker-Sonderheftes hat Olaf das Fußballspielen noch vor seiner Zeit bei STV Horst-Emscher bei Beckhausen 05 gelernt. Das 3:0 ist das Spiel, das ich als wirklich erstes Schalke-Spiel in Erinnerung habe. Auch wegen der Ereignisse nach dem Spiel: Meine Schwester und ich wollten uns nach dem Spiel noch eine Bratwurst holen und kamen an zwei Würstchenbuden. Die eine voll, die andere leer. Wir sind natürlich an die leere Bude, was ich am Abend, als ich brechend über der Kloschüssel hing, noch bereuen sollte. Durchfall hatte ich auch noch. Der Hausarzt schickte mich am nächsten Morgen sofort ins Krankenhaus, wo ich die nächsten zwei Wochen mit Salmonellenverdacht bleiben sollte. Das bestätigte sich zum Glück nicht; es war lediglich eine Magenverstimmung von der total verbrannten Fett-Bratwurst. Ich denke mal, dass es solch Bratwürste in der Arena nicht geben wird! Aber wird sie auch einen Radweg haben?