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Hoch im Norden

SCHALKE UNSER schildert in aufwühlenden Tatsachenberichten die Entdeckung der Leidenschaft. Mitmenschen brechen das Schweigen. Diesmal berichtet Robert von Euphorie und Ekstase, von Agonie und Apathie. Er ist hörig ­ dem S04. Eine Serie voller Schicksale. Mitten aus dem Leben.

Ich wurde 1958 in Kiel geboren, im Meisterjahr. Eine Vorbestimmung? Kann sein, nur war mir das lange Zeit nicht bewusst. Die Eltern kamen aus dem Osten. Vater hatte mit Fußball eigentlich nicht viel am Hut, aber eben nur „eigentlich“. Meine erste Fußballerinnerung ist das legendäre Qualispiel 1969 gegen Schottland, als Libuda „Deutschland“ zur WM nach Mexiko schoss. Wir mussten zum Gucken rüber zum Nachbarn, denn meine Eltern hatten noch kein Fernsehen. Die WM habe ich dann in ganzer Länge und Breite miterlebt, denn Oma (wohnte im Obergeschoss) kaufte sich passend dazu die erste Glotze. Das legendäre 5:2 gegen Bulgarien ist mir noch in Erinnerung, Stan machte das „Spiel seines Lebens“.

Cover SCHALKE UNSER 46
SCHALKE UNSER 46

In der Bundesliga orientierte ich mich erst mal in Richtung HSV. Dort spielte noch das norddeutsche Idol „Euch Uwe“ und die Lokalzeitung berichtete regelmäßig. Aber Uwe ging 1971 in Rente und das Interesse am HSV flaute ab. Dann kam die große Saison der Schalker und – ich muss es hiermit leider zugeben – ich wurde zum Erfolgsfan. Ein Mitschüler war schon damals fanatischer Schalker. Erst haben sich alle über ihn lustig gemacht, aber je mehr über Klaus Fischer, Norbert Nigbur, Stan und Tanne berichtet wurde, desto interessanter schien mir seine Mannschaft. Der Virus sprang über. Mit Schaudern stelle ich mir manchmal vor, ich hätte mich damals für die andere Spitzenmannschaft begeistert und wäre dabei geblieben….. – würg!

Leider wurde es nichts mit der Meisterschaft; am letzten Spieltag ging der S04 mit 1:5 im neuen Olympiastadion gegen die Bayern unter. Mein erstes „Live“-Spiel (vor der Glotze) war dann das Pokalfinale 1972. 5:0 gegen die Lauterer, da war der ganze Frust vom verlorenen Bundesligafinale zu spüren und meine neuen Helden spielten die Roten Teufel schwindelig. Klasse!

Die nächste Saison war dann grausam und ein erster echter Test für die Widerstandskraft des Schalker Virus. Der Bundesligaskandal legte personell und psychisch das halbe Schalker Team lahm und statt Meisterschaftsträumen nachzuhängen, ging es gegen den Abstieg. In Erinnerung ist mir vor allem ein ganz wichtiges 1:0 beim ebenfalls stark gefährdeten HSV. Ich habe am Radio mindestens genauso gezittert wie die Zuschauer an diesem nasskalten Dezembertag im Volksparkstadion. Der Virus hatte mich fest im Griff. Karierte A5-Heftchen wurden mit Statistiken und handgemalten Kurven des Tabellenstandes über die Saison hinweg gefüllt. An jedem Samstag kamen neue Ergebnisse, Tabellen und Datenpunkte hinzu. Meine Eltern schüttelten nur den Kopf über ihren Sohn.

Die restlichen 70er und die grauen 80er Jahre boten das bekannte Auf und Ab unseres Lieblingsvereins. Ich war in Kiel weit weg vom Geschehen und muss zugeben, dass vor allem während der Studienzeit auch andere Sachen wichtig wurden. Die waren durchaus weiblich, hatten mit Fußball aber leider überhaupt nix am Hut. Ich kickte selbst eifrig in einer Freizeitfußballmannschaft (bis heute eine Konstante in meiner Freizeitplanung), verfolgte weiter die wenigen Erfolge und vielen Desaster unserer Königsblauen im Fernsehen, aber Zeit- und Geldmangel verhinderten die Reisen nach Gelsenkirchen.

Eine neue Zeit begann erst in den 90ern. Schalke war wieder erstklassig, Studium und Promotion waren abgeschlossen, und eine Vollzeitstelle gab mir finanziellen Spielraum. Zumindest die Spiele der Königsblauen beim HSV wurden regelmäßig von mir besucht. Leider fanden die immer im November oder Februar statt; Regen, Schnee und Westwind pfiffen einem in der Ostkurve voll ins Gesicht und Schalke gab mit unschöner Regelmäßigkeit die Punkte ab. Es war grausam.

Die Schalke-Mailing-Liste wurde dann Mitte der 90er ein Ankerpunkt in meinem Leben. Selbst als die Mitgliederzahl noch zweistellig war, wurde eifrig hin- und herdiskutiert. Und es gab viel zu schreiben: Unserer Lieblingsverein kriegte nach all den Leidensjahren auf einmal die Kurve zum Erfolg. Das Tabu-Wort „UEFA-Cup“ machte hinter vorgehaltener Hand die Runde, aber niemand durfte es laut aussprechen, zu unglaublich schien es zu sein, dass Schalke womöglich die Reise nach Europa antreten könnte. Doch es wurde wahr. In einer Premiere-Kneipe sah ich dann Andy Müllers Goldenen Kopfball zum 2:1 gegen die Bayern, die Schalke-Fans lagen sich in den Armen, „Barcelona“ und „Mailand“ machten die Runde… – Unfassbares war geschehen: Wir waren wieder wer!

Die rauschhafte Saison 1996/97 ist bekannt. Eine gute Handvoll Schalker Fans und Sympathisanten (eigentlich anderen Vereinen verbunden, aber dem „Underdog“ Schalke durchaus gewogen) verfolgte an wechselnden Orten in Kiel mit (anfangs) stets gut gefüllten Kühlschränken den unglaublichen Siegeszug unserer Eurofighter. Jedesmal kam ich hinterher spät zu Frau und Kindern nach Hause und flüsterte meiner eigentlich schon schlafenden Liebsten ins Ohr „Es ist unglaublich, wir sind schon wieder eine Runde weiter!“ Ich konnte es selbst kaum fassen, es war wie ein Traum, aber es klingelte kein böser Wecker. Das Mailänder Finale erlebten wir zu zehnt bei mir im Wohnzimmer, brüllend, hüpfend und am Ende in wilder Umarmung auf dem Fußboden.

Leider ging es nicht ganz so schön weiter. Schalke blieb im Mittelfeld der Tabelle und die Spiele in Hamburg waren meist Enttäuschungen. Irgendwann schoss der HSV immer noch den Ausgleich oder gar das Siegtor. Immerhin durfte ich Rene Eijkelkamp in einer seiner Sternstunden erleben, als er mit staksigen Beinen die Hamburger schwindelig spielte. „Rene, tanz für uns!“ rief ein Schalker Fan ihm zu. Er erfüllte uns diesen Wunsch, sogar mit Ball und Gegner. Erst die Saison 2000/2001 ließ mich dann wieder träumen. Das große Drama erlebte ich zusammen mit drei Schalkern aus Kiel in der Nordkurve des Parkstadions, völlig paralysiert und sprachlos. Immerhin weiß ich jetzt, wie es sich anfühlt, Deutscher Meister zu sein, denn ich „war“ vier Minuten lang Meister! Dennoch: Nicht einmal das Bier schmeckte mir hinterher, auch nicht als Antifrust-Mittel.

Seit dem Ende jener Saison habe ich immerhin Schalker Verstärkung zuhause. Mein damals 7­jähriger Sohn, der (wohl aus Opposition gegen Papa) zuerst mit anderen Vereinen sympathisierte (und dabei sogar die Schwarzgelben in Erwägung zog), sagte mir vier Spieltage vor Schluss „Du, Papa, ich find doch, Schalke soll Deutscher Meister werden!“ und als Erklärung auf meine vorsichtige Frage nach dem Grund seines Sinneswandels: „Weil sie es verdient haben!“ Ich war beeindruckt! Frederik ist seither stets dabei, wenn es zum letzten Saisonheimspiel auf Schalke geht. Ich weiß, dass ich irgendwann die Schale in den Händen meiner Idole sehen werde. Mein Sohn wird dann dabei sein und sehen, wie bei seinem Vater die Tränen rollen. Ich werde mich nicht dafür schämen. Den Virus habe ich längst weiter gegeben.