„Der liebe Gott vergibt mir meine acht gelben Karten, aber der DFB nicht.“

(mb/cr) Es sollte ein Interview von Fans mit dem Veteranen Andi Müller werden, der zehn Jahre auf Schalke überstand und es fertigbringt, immer noch so auszusehen wie früher. Stattdessen entspann sich ein lockeres Gespräch mit einem bekennenden SCHALKE UNSER-Verehrer. Ein Eintauchen in unsere Vereinsgeschichte, nach dem vieles in neuem Licht erscheint.

Cover SCHALKE UNSER 18
SCHALKE UNSER 18

SCHALKE UNSER:

Du kamst 1988 aus Hannover zum Zweitligaverein Schalke, der gerade abgestiegen war …

ANDREAS MÜLLER:

Ja, aber der abgebende Verein war der VfB Stuttgart, nach Hannover war ich nur ausgeliehen. Hannover hatte mir einen Vertrag für die erste Liga angeboten, aber dort wollte ich unter keinen Umständen bleiben. Mir und meiner Frau hat es dort überhaupt nicht gefallen. Ich hatte für den Verein auch keine große Zukunft gesehen, der mir in seinen ganzen Strukturen total brüchig erschien. Die alteingesessenen Spieler, die den Aufstieg geschafft hatten, hielten alle zusammen und die neuen Spieler wurden ausgegrenzt. Ich habe damals schon gewußt, daß die abgehen.

SCHALKE UNSER:

Mit Stuttgart bist du 1984 Meister geworden. Hast du oft gespielt?

ANDREAS MÜLLER:

In meiner ersten Saison war ich 19, wurde 20. Von 34 Spielen habe ich 20 Spiele gemacht, etwa zehn Spiele von Anfang an, sonst eingewechselt – und fünf Tore gemacht. Danach habe ich noch drei Jahre dort gespielt und war fester Stammspieler. In meinem vierten Jahr kam dann der Egon Coordes, und es gab Probleme. Er hat meine ganze Einstellung kritisiert, dabei habe ich damals für den Fußball alles gegeben, trainiert wie ein Schwein.

Er meinte aber, ich sei nicht aggressiv genug und im Zweikampf nicht so stark. Damit hatte er zu der Zeit auch nicht ganz unrecht, außerdem ist es immer ein Problem, sich als Eigengewächs dort durchzusetzen, wo man herkommt. Ich hätte schon nach zwei Jahren woanders hingehen sollen, mit dem Schwung, den ich am Anfang hatte.

Es gab dann Angebote vom Club und von Homburg, nach Homburg wäre ich aber nie gegangen. Außerdem stand ich mit meinen 24 Jahren auf der berühmten „Schwarzen Liste“, die den Multiplikator der Ablösesummen um ein bis drei Punkte erhöhte. Der VfB hatte ohnehin Faktor fünf, ich noch zwei oder drei Punkte drauf, da waren es dann 1,3 Millionen, und das 87/88, da entsprach das den Kosten für einen Nationalspieler. Dadurch stand ich im Sommer da und hatte überhaupt nichts.

Stuttgart hätte mich noch zwei Jahre verpflichtet, aber unter Coordes… das wäre zwar irgendwie gegangen, ich habe ja trotzdem unter ihm 30 Spiele gemacht. Doch ich habe gemerkt, wenn ich weiter kommen will, dann muß ich weg. Hannover war als Aufsteiger in der ersten Liga, hatte bereits in der zweiten Liga über 40000 Zuschauer, und der Trainer machte im Gespräch auf mich einen sehr vernünftigen Eindruck. Ich sah eine Chance und wollte es ein Jahr probieren. Gut, das hat nicht geklappt, aber in diesem Jahr habe ich am meisten gelernt. Der Sprung von zuhause weg, ‚mal auf eigenen Füßen stehen, und die Erkenntnis, es gibt nicht nur Leute im Fußball, die dir helfen…

Dann kam ich zu Schalke, Horst Franz stand noch unter Vertrag. Das schlimmste war, ich hatte mich auf Siebert verlassen, daß gestandene Spieler entweder kommen oder bleiben, aber da gingen ja fast 15 Spieler weg. Ich stand zwischen 18-, 19jährigen, ich dachte, ich bin im Kindergarten, als ältester Feldspieler mit 27 Jahren, das kann doch nicht sein. Das war das Problem, und da habe ich schon gewußt, was auf uns zukommt. Da wurde schon vom Aufstieg geredet, aber die 2. Liga ist oft schwerer als die erste. Junge Spieler denken, sie könnten spielerisch da durchkommen, aber da geht es richtig hart zur Sache.

Sie holten Didi Ferner, klasse Typ, aber in dieser Phase wohl nicht der Richtige, der die Mannschaft mal wachrüttelt. Es lief kurz und ging dann schnell bergab, dazu kam das Theater mit Eichberg, Übergangspräsidenten… hatte ich mich falsch entschieden? Aber die zweite Liga war mit die schönste Zeit, weil man sich trotz dieser ganzen Unruhe als Mannschaft zusammenreißen mußte. Langsam entstand ein Zusammenhalt, die Frauen lernten sich kennen, und ich fühlte mich wohl im Verein, man ging offen miteinander um.

Wir standen auf dem 19. Platz, aber ich habe meinen Schritt nie bereut, denn ich wußte, wir schaffen es schon. Neue Spieler stärkten das Potential, und Neururer war die richtige Wahl. Im letzten Spiel gegen BW 90 Berlin den Klassenerhalt zu schaffen, war wie ein Europapokal und wurde keinen Deut weniger gefeiert. Das unterscheidet Schalke auch von anderen Vereinen: Wenn es richtig hart auf hart kommt, stehen alle zusammen, einzigartig. Ein „schlafender Riese“, es dauerte nur viel zu lang, ihn zu wecken.

SCHALKE UNSER:

Zehn Jahre „auf Schalke“ in dieser schnellebigen Zeit – wolltest oder konntest du nicht wechseln?

ANDREAS MÜLLER:

Ich bin mit Schalke verwachsen, verbunden, bin inzwischen mehr absoluter Schalkefan als ich je VfB-Fan war. Ich komme von dort, habe in der Jugend gespielt, mich wohlgefühlt. Aber die Wärme, die Herzlichkeit, die mir hier entgegengebracht wurde, die habe ich in Stuttgart nicht gespürt. Auch das Zusammenhalten, die Fans, wenn man sieht, was hier im Stadion abgeht und dann nach Stuttgart schaut… dann lebt hier der Fußball. Es gibt für einen Spieler nichts Schöneres, als in einem Stadion zu spielen, das lebt, wo Action ist.

Man läßt sich auch immer was Tolles einfallen, opfert den letzten Pfennig, um Schalke auswärts zu sehen. Man merkt, daß der Verein den Leuten total am Herzen liegt, und auch die Spieler werden wirklich gepackt vom Schalke-Fieber, wie die Fans auch. Noch zur Zweitligazeit hatte ich ein Angebot von Gladbach, und Eichberg sagte, ich laß‘ dich nicht weg. Er war eigentlich ein richtiger Fan von mir… ich sah das als Bestätigung, daß die Leute im Verein total hinter mir stehen, das ist das beste Gefühl, das du als Fußballer haben kannst: Du wirst gebraucht, und die wollten sogar 1,5 Millionen Mark bezahlen, aber man läßt dich nicht raus. Toll, da macht man sich auch keine großen Gedanken, obwohl Gladbach damals erstklassig war. Man überlegt schon, ob es besser ist, zu wechseln. In zehn Jahren sehen die Leute auch deine Schwächen, deine Durchhänger. Als Neuer hat man erstmal eine Schonzeit und wird positiv gesehen, aber jeder Spieler hat Schwächen.

SCHALKE UNSER:

Du hattest Ärger mit Eichberg, hast den Verein auf Zahlung von Urlaubsgeld verklagt…

ANDREAS MÜLLER:

Ich hatte keine andere Wahl. Die wahren Hintergründe konnte ich damals nicht nennen, und Eichberg hat virtuos Politik über die Medien gemacht, mich über die Bildzeitung an den Pranger gestellt, und ich konnte mich nicht so einfach rechtfertigen. Im Dezember ´90 wurde Peter Neururer entlassen, ich hatte aber gerade meinen Vertrag verlängert. Peter war sauer, aber ich sagte, auch als Kapitän kann ich dich nicht halten, Eichberg ist hier im Moment der große Messias und entscheidet. Ich habe keine Chance, wenn ich mich querlege, fliege ich auch noch raus. So ist das Geschäft, ob das richtig ist oder nicht, ich fand das damals ja nicht richtig.

Um die Wogen zu glätten, wollte Eichberg nach draußen Zeichen setzen, damit die Leute sich beruhigen. Die Verträge von Ingo, mir und einigen anderen wurden verlängert, mir wurde ein Vierjahresvertrag für die erste Liga angeboten. Der Verein stand finanziell schlecht da und hatte Auflagen vom DFB, also mußte er andere Zahlungswege finden, daher gab es zusätzlich einen Privatvertrag; es gab noch das Angebot von Gladbach, aber Eichberg bot zusätzliche Zahlungen zu dem Betrag, den Schalke als Verein offiziell bezahlen durfte. Herr Ristic wurde Trainer… beim Freundschaftsspiel in Siegen habe ich mich dann schwer am Knie verletzt.

Nach der ärztlichen Untersuchung war für Eichberg schon abgemacht, daß er nicht ab 1.7. zahlen wollte wie besprochen. Ich habe zwei Monate gewartet und ihn dann angesprochen, wie es mit unserer Vereinbarung stehe. Er sagte: „Du glaubst doch nicht, das ich dir etwas bezahle, wenn du so verletzt bist“. Da haben mir schon die Ohren geklingelt. Ich habe ihn dann nochmal angesprochen: „Wenn Sie Ihre schriftliche Verpflichtung nicht einhalten, werde ich klagen“.

Er sagte, das solle ich ruhig tun. Im Vertrag stand zwar nichts davon, daß ich spielen mußte. Er hatte sich aber erkundigt, mit einem schweren Knorpelschaden sah es natürlich schlecht aus, also wollte er nicht zahlen. Ich wollte die Privatzahlung nicht an die Öffentlichkeit bringen und kam auf die Idee, auf Urlaubsgeld zu klagen. Ich habe ihm noch fünf-, sechsmal angeboten, sofort die Klage zurückzuziehen, wenn ich das zugesicherte Geld bekomme, es ging mir ja eigentlich nie ums Urlaubsgeld. Als ich dann wieder fit war, habe ich ein paarmal gespielt, aber Ristic hat das Spiel mitgemacht und mich dann auf die Tribüne gesetzt. Im Trainingslager in Gran Canaria drohte Eichberg, wenn ich die Klage nicht zurückziehe, schmeißt er mich raus. Ich sagte, das solle er ruhig machen.

Er wollte mich noch richtig einschüchtern, „du ziehst nie wieder das Trikot von Schalke 04 an!“, Bruchhagen und Höffken saßen auch dabei, hielten sich aber ziemlich raus. Zum Spiel in Gladbach sollte ich dann wieder mitfahren. Eichberg ließ mich rufen und sagte: „Du weißt, ich rede nicht mehr mit dir, ich rege mich zu sehr auf. Sprich mit Brinkmann und Höffken.“ Mit denen habe ich dann vereinbart, die Klage zurückzuziehen, gleichzeitig sollten die Zahlungen von Eichberg erfolgen. Im Spiel danach wurde ich eingewechselt und mache noch das Tor – in der 90. Minute. Kein Happy-End: Alle Positionen, auf denen ich spielen kann, waren inzwischen besetzt, und als alle zwei, drei Wochen später fit waren, saß ich wieder auf der Tribüne – die Retourkutsche.

SCHALKE UNSER:

Wie lange ist dir diese Geschichte hinterhergelaufen?

ANDREAS MÜLLER:

Gute zwei Jahre. Klaus Fischer wurde Trainer, und ich fragte: „Klaus, habe ich eine faire Chance bei dir?“. Er antwortete: „Ich lege dir keine Steine in den Weg, wenn du weg willst.“ Es war klar, Eichberg hatte ihn zum Cheftrainer gemacht und solange er Präsident war, hatte ich keine Chance. Jörg Berger wollte mich nach Köln holen, aber just zu dem Zeitpunkt, als Ristic ‚rausflog, gab es plötzlich kein Angebot mehr von Köln. Netzer war auch noch da, ich erzählte ihm alles. „Wärst du gleich zu mir gekommen, wäre die Sache erledigt. Aber ich spreche mit Eichberg, ich regle das.“ Zwei Tage später war der Netzer weg vom Verein.

Udo Lattek hat mich dann erstmal sehr kritisch beäugt, ist ja auch normal. Nach acht Wochen kam er zu mir, das fand ich sehr stark von ihm: „Junge, Hut ab. Ich habe dich jetzt eine Weile beobachtet, du hängst dich hier rein, im Training, du bekommst bei mir eine faire Chance und spielst demnächst.“ So war es dann auch, ich war zwar nicht immer dabei, aber ich habe wieder gespielt.

Dann war Höffken der starke Mann im Verein und hat den Schulte geholt. Der war auch nicht von Anfang an auf meiner Seite, muß er auch nicht sein, aber er hat mich immer öfter attackiert, auch nicht spielen lassen. Da habe ich ihn mir irgendwann geschnappt nach dem Motto „Hopp oder top“ und ihm meine Meinung gegeigt. Das muß ihm wohl so imponiert haben, daß ich danach wieder eingesetzt wurde, und die ganze Sache war für mich endgültig erledigt.

Bei mir muß es ehrlich laufen, so hintenrum, das kann ich nicht. Wenn man sein Wort gibt, gerade im Fußball, muß man es auch einhalten. Assauer ist so einer, da kannst du dich hundertprozentig darauf verlassen. Damit allein war Schalke noch nicht über den Berg, die Spieler hatten außer vielleicht dem Trainer überhaupt keine Ansprechpersonen. Bruchhagen, Netzer, die waren nie da. Das Interesse von Helmut Kremers, immer da zu sein, auch für die Spieler, das war auch nicht so groß. Da war es für uns schwierig, sich zurechtzufinden, Hilfe zu kriegen. Wenn dauernd die Führung wechselt, kommen immer andere Trainer, und die wollen immer andere Spieler. Die Mannschaft konnte sich nie finden. Heute wären Spieler wie Mihajlovic oder Christensen für den Verein besser zu akzeptieren als damals, das waren sehr gute Spieler. Aber es ging alles drunter und drüber, da haben die nicht gepaßt.

SCHALKE UNSER:

War es richtig, Jörg Berger auszutauschen?

ANDREAS MÜLLER:

Jörg Berger war genau der richtige Trainer zu dem Zeitpunkt, als wir da unten standen. Er hat die Begeisterung mitgebracht und den Teamgeist wiederbelebt. Vielleicht ist es hart, das zu sagen, aber es gibt bei ihm nach Erfolgen eine gewisse Zufriedenheit.

Wir wußten, daß wir große Defizite haben. Wir haben Vorschläge gemacht, wollten an Tagen trainieren, wo der Trainer uns freigegeben hat! Wir wollten mehr, und er hat uns das nicht gegeben. Die Ersatzspieler hatten Frust, haben gesehen, da spielen immer dieselben und die Kluft zu den Stammspielern wird größer. Gespräche gab es immer, aber ich war zu der Zeit nicht im Mannschaftsrat. Nach dem Pokalspiel gegen Bochum gingen Olaf, Jens, Ingo und Youri nochmal rüber. Der Manager hat das schon ein halbes Jahr lang verfolgt, und es war immer dasselbe Thema: Wir trainieren zuwenig, oft beim Training kam Berger nicht ‚mal mit raus, hat nur Taktik gemacht. Wenn man kein Feuer drin hat, muß es der Trainer schüren. Aber wir sind fast eingeschlafen.

Früher haben wir am Dienstag richtig rangeklotzt, aber dann schlich sich das so ein – auf einmal waren nur noch acht Mann mittags beim Training. Hinterher haben wir dienstags nur noch einmal trainiert. Wir sind ja noch Dritter geworden, aber auf einmal, nach der Pause, ging es ja ganz schlecht los: kein Heimspiel gewonnen, im Pokal ausgeschieden, da waren schon die Alarmzeichen da.

Okay, wir sind im Europapokal gegen Kerkrade eine Runde weitergekommen, aber wir haben gespürt: Wenn wir so weitermachen, sind wir bald ganz unten, wo wir herkamen. Wir hätten uns auch einen Lenz machen können und sagen, gut, wir haben ein schönes Leben, aber das haben wir nicht getan. Und das finde ich charakterstark. Huub Stevens gibt Gas.

SCHALKE UNSER:

Wie geht es weiter, hängst du eine Saison dran, vielleicht als Stand-by-Profi?

ANDREAS MÜLLER:

Die Entscheidung steht an, Rudi sagt, „Ich und der Trainer möchten, daß du noch ein Jahr als Spieler machst, du bist ja auch noch fit.“ Das konnte ich ihm bestätigen, aber es ist eine Kopfsache für mich. Ich war in den letzten Jahren Stammspieler, kann aber auch damit leben, daß ich nicht alle 30 Spiele mache, die Hälfte wäre auch okay. Aber das sollte schon sein, es ist für mich und die Mannschaft nicht gut, wenn ich mich auf die Bank setze, mich für die letzten fünf Minuten warmmache und dann reinkomme. Das ist für mich nicht zufriedenstellend, ich weiß nicht, ob ich das für eine ganze Saison machen sollte.

Der Trainer betont, daß ich auch außerhalb des Spielfeldes für die Mannschaft sehr wichtig bin. Das macht mir auch Spaß, als Ansprechpartner für jüngere Spieler meine Erfahrungen weiterzugeben, aber meine Rolle muß schon geklärt sein bevor ich noch ein Jahr dranhänge. Die andere Möglichkeit wäre, Assistent des Managers zu werden, eine sehr interessante Aufgabe für vielleicht zwei Jahre. Das hängt aber auch von der Familie ab, meine Frau kommt auch aus Stuttgart, und wir können uns gut vorstellen, zurückzugehen.

Außer Fußball habe ich nach dem Abitur aber nichts gelernt, wenn ich nach zwei, drei Jahren nicht klargekommen wäre, hätte ich das eben nachgeholt. Aber was würde mir jetzt eine Lehre nützen, die ich vor 15 Jahren gemacht hätte? Rudi Assauer hat alle Hände voll zu tun, würde mich aber nicht holen, um nur Briefe zu öffnen. Es gäbe jede Menge Arbeit, aber das war für mich nie ein Problem. Ich kann mich reinknien und habe immer mehr getan als ich mußte. Ich würde zum Beispiel Spieler beobachten, Freundschaftsspiele arrangieren, wichtige Erfahrungen sammeln. Unerfahren bin ich ja nicht, ich habe keinen Berater, habe meine Verträge immer selbst ausgehandelt.

SCHALKE UNSER:

Hast du noch Kontakt zu ehemaligen Spielern? Die könnte man ja einladen, bei einem Abschiedsspiel mitzumachen?

ANDREAS MÜLLER:

Ich brauche kein Abschiedsspiel, jedenfalls bin ich keiner, der sowas fordert. Ein schöner Blumenstrauß, eine Party hinterher, das reicht mir. Der Michael Prus läßt sich ab und zu nochmal sehen, Peter Sendscheid. Mit dem Waldemar Ksienzyk habe ich zuletzt öfters telefoniert, auch mit dem Frank Schön. Karsten Marquardt habe ich jetzt beim Hallenturnier wiedergesehen. Mit dem Werner Vollack habe ich ganz guten Kontakt, der hat sein Reisebüro in Krefeld, der sagt: „Du bist der einzige, der sich bei mir meldet, bei mir seine Reisen bucht und so.“ Aber das ist doch Ehrensache, wir haben zusammen gespielt und uns gut verstanden. Er hat Probleme mit seinem Knie, kann kaum richtig laufen. Mit Mihajlovic hatte ich noch längere Zeit Kontakt, aber der spielt jetzt in Korea, glaube ich, das ist für mich am anderen Ende der Welt. Das wäre nichts für mich. USA, da kann man mal drüber nachdenken (lacht), das Land interessiert mich auch, das hätte sicher ‚n Reiz, ich habe auch viel Verwandtschaft dort, aber Japan oder sowas….

SCHALKE UNSER:

Warum bist du Mormone, das ist doch ziemlich ungewöhnlich?

ANDREAS MÜLLER:

Von meinen Eltern her. Man geht als Kind immer mit in die Kirche, und irgendwann stehst du vor der Entscheidung. Und ich habe mich dafür entschieden. Ich bin kein Vorzeige-Mormone, aber ich bin sehr gläubig. Meine Frau und meine Kinder treffen ihre freie Entscheidung selbst, ich gebe meinen Kindern wohl Ratschläge, aber die müssen sie nicht annehmen. Meine Eltern haben mich auch nie zu irgendwas gezwungen. Das Religiöse ist für mich persönlich schon wichtig, aber ich überfalle niemanden damit. Wenn einer etwas wissen will – gern. Wenn man sowas aber als Profi in die Öffentlichkeit trägt, nicht nur Kirche, auch andere Themen, wird man so als scheinheilig hingestellt. Es ist auch nicht gut, damit öffentlich zu kokettieren, oder sogar zu sagen, man tut was oder spendet was. Dann kommen so die Sprüche „Ja, der ist bibelfest, aber der haut den von hinten um.“ Aber das ist halt mein Beruf, bei dem sowas vorkommt. Bei ranissimo habe ich so eine Frage gekontert „Ich glaube, der liebe Gott vergibt mir meine acht gelben Karten, aber der DFB nicht.“

SCHALKE UNSER:

Bist du im Rückblick mit deiner Karriere zufrieden?

ANDREAS MÜLLER:

In den Situationen mit der Erfahrung, die ich damals hatte, wäre jede Entscheidung genauso ausgefallen. Auch mit dem, was man dazugelernt hat, weiß man nicht, ob es anders besser gelaufen wäre. Es war jedenfalls richtig, von Stuttgart wegzugehen. Das hätte ich sogar eher machen sollen, aber die haben schnell geschaltet und mir einen ordentlichen Dreijahresvertrag angeboten. Heute, gerade nach Bosman, würde ich einem jungen Spieler raten, nur für ein Jahr zu unterschreiben, da steht dir alles offen. So konnte der VfB das Angebot von Nürnberg ablehnen, die wollten mich lieber in Homburg sehen. Sie haben mir Steine in den Weg gelegt, das ist Politik, angeblich war die Ablöse zu niedrig, die von Homburg war aber auch nicht so hoch. Hier war ich doch schon oft dran, den Bettel hinzuschmeißen, gerade wegen der Geschichte mit Eichberg. Aber ich habe mir immer wieder gesagt „Nee, den überleb‘ ich. Der macht mich nicht fertig, dem zeig‘ ich’s.“ Aber ich bin nicht nachtragend, ich würde ihm heute die Hand geben, auch wenn er bis zum heutigen Tage seine Zahlungen nicht eingehalten hat. Jetzt ist das Geschichte, das interessiert mich nicht mehr. Es hat mir sehr weh getan zu der Zeit und ich habe auch sportlich einiges versäumt – auf der Bank, bei Ristic –, aber geprägt hat mich’s. Normal müßte ich ihm dankbar sein, mir macht jetzt so leicht keiner mehr was vor, auch im späteren Berufsleben. Die Erfahrungen kann mir keiner mehr nehmen, aber gut, so richtig dankbar bin ich ihm dann doch nicht. Ich könnte ihm aber die Hand geben, ich glaube nur nicht, daß er mir heute in die Augen schauen kann… ich ihm schon.

SCHALKE UNSER:

Vielen Dank für das Interview. Glückauf und alles Gute, Andi.