„Ich hab‘ in keinem Stadion so viel gelogen wie im Parkstadion“

(rk/bob) Manni Breuckmann ist in die Schalker Historie eingegangen, als er zusammen mit Sabine Töpperwien das UEFA-Cup-Finale in Mailand im Radio kommentierte. Grund genug für das SCHALKE UNSER, mit ihm ein Interview zu führen, in dem er ordentlich über die heutigen Profi-Spieler herzog, seine Bedenken über die Zukunft des Fußballs äußerte und dabei immer bei der Wahrheit blieb.

Cover SCHALKE UNSER 21
SCHALKE UNSER 21

SCHALKE UNSER:
Manni, wie bist du zum Radio und speziell zur Fußball-Reportage gekommen?

MANNI BREUCKMANN:
Die Liebe zum Fußball ist mir von meinem Vater eingeimpft worden, als ich in den 50er und 60er Jahren von meinem Vater an die Hand genommen wurde und wir zu den Spielen von Germania Datteln gegangen sind, die ja bekanntlich 1961 Westfalenmeister waren. Damals hatte ich immer eine grün-weiße Fahne dabei, die später durch eine blau-weiße ersetzt wurde. Später bin ich dann immer zur SpVVg Erkenschwick gegangen. Oben auf der Teerpappe des Klos konnte ich die Reporter sitzen sehen. Da saß dann schon Jochen Hageleit, Ende der 60er, und auch der berühmte Heribert Faßbender. Und da dachte ich mir: „So etwas möchtest Du mal gerne werden!” 1970 suchte man in einer Sportsendung im WDR Nachwuchsreporter, da habe ich mich dann beworben. Ich mußte da einige Probereportagen machen. Das erste Spiel war Westfalia Herne gegen Wuppertaler SV. Auch Schalke mußte ich kommentieren, da hatte ich ein wunderschönes Tor drin. Klassischer Treffer, Außenstürmer Kremers nach innen geflankt und Klaus Fischer mit dem Kopf rein. Da war ich live drauf, das war gut, Tore sind für einen Reporter immer gut. Dann haben sie sich entschieden, daß ich ab 1972 live kommentieren sollte. Erstes Spiel war Wattenscheid gegen VfL Neuss, Regionalliga, vorletzter Spieltag, 500 begeisterte Zuschauer. Das erste Tor, das ich live auf dem Sender hatte, wurde erzielt von Hannes Bongartz für Wattenscheid.

SCHALKE UNSER:
Und was hatte es mit der blau-weißen Fahne auf sich?

MANNI BREUCKMANN:
Die hatte ich, als ich Fan des FC Schalke 04 war, zu Zeiten von Rudi Gutendorf. Da war ich so zwanzig Jahre alt und habe im Europapokal Schalke gegen Manchester City gesehen. Ich bin immer von Datteln zur Glückauf-Kampfbahn getrampt. Da haben damals noch so Experten wie Hansi Pirkner gespielt, welcher im übrigen eine brutale Sau war. Mit der blau-weißen Fahne hatte ich auch meinen ersten Autounfall. Mit meinem Käfer habe ich einen anderthalbfachen Salto vorwärts gemacht. Ich war aber selbst schuld, ich hatte die Vorfahrt genommen. Meine Kumpels haben mich dann erkannt. In der Heckscheibe des Käfers, der auf dem Dach lag, hatte ich diese blau-weiße Fahne liegen. Da wußten die dann sofort: „Au, Manni hat ’nen Unfall gebaut.”

SCHALKE UNSER:
Und wie steht es heute mit deiner Liebe zu Schalke, bist du immer noch Fan?

MANNI BREUCKMANN:
Ich war Schalke-Fan. Heute bin ich überhaupt kein Fan mehr, ich bin auch kein Gladbach- oder BVB-Fan. Das ist interessant: Wenn ich den Rudi Assauer treffe, sagt der immer zu mir, „Na, du BVB-Arsch”, und umgekehrt, wenn ich mit den Dortmundern rede, sagen die: „Na, schläfst du in blau-weißer Unterwäsche?” Es ist wirklich so, daß ich definitiv kein Fan bin. Es ist aber schon wahr, daß mir die Ruhrgebietsvereine mehr am Herzen liegen. Vielleicht hab ich noch ’ne kleine Schwäche für Fortuna Düsseldorf, aber sonst? Für viele Leute ist Fortuna echt Kult, und ich kann das gut nachvollziehen. Das Gefühl, Underdog zu sein, hat schon etwas von Kult – wenn die Fortuna zu Hause im Rheinstadion – das ja auch nicht gerade besonders hübsch ist – gegen Schalke spielt. Und die bringen 25.000 Fans mit, man selbst hat aber nur 12.000. Dazu noch die Toten Hosen, das paßt irgendwie alles zusammen.

SCHALKE UNSER:
Diese Leidenszeit in der zweiten Liga haben wir Schalker auch schon mehr als einmal mitgemacht. Trotzdem war diese Zeit auch schön, so etwas prägt einen Fan. Es gibt den schönen Spruch „Man sucht sich seinen Verein nicht aus, er wird dir gegeben”. Ist man einmal Fan eines Vereins, so kommt man nicht mehr davon los.

MANNI BREUCKMANN:
Für mich persönlich ist aber so ein Fan, dessen Tagesablauf von seinem Verein bestimmt wird, zu sehr in eine Sache involviert, die es so tief gar nicht verdient hat. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Überschrift über meinem Leben „Schalke 04” hieße. Deshalb finde ich auch den Titel eures Fanzines so gut, weil er hiervon eine ironische Überspitzung darstellt.

SCHALKE UNSER:
Wie siehst Du denn heute die Entwicklung der Fans?

MANNI BREUCKMANN:
Erschreckend war es jetzt, bei der Fußball-WM in Frankreich mitzuerleben, daß beim Finale praktisch keine richtigen Fans mehr im Stadion waren. Da waren fast nur noch Sponsoren vor Ort, und das finde ich ganz furchtbar. Schlimm ist auch, daß die Fans mehr und mehr zur Staffage werden. „Die brauchen wir auch, damit ein bißchen Krach gemacht wird.” Ich möchte nicht wissen, wie über Fußballfans, zumindest hinter vorgehaltener Hand, in den entscheidenden Kreise der Vereine geredet wird, vielleicht auch in Schalke. Ich war noch nicht dabei, kann aber sein, daß die nicht so nett über die Fans reden. Häufig werden Fans als gewisse Bedrohung oder Problemgruppe angesehen werden, was ja nachgewiesenermaßen nicht der Fall ist. Ich bin davon überzeugt, daß die Vereine gerne Fans hätten, wie sie sich zum Beispiel bei Bayer Leverkusen entwickelt haben. Die sitzen da auf der Family-Street, gehen vorher noch lecker bei McDonald’s essen, bringen ihre Kinder mit, sind angepaßt und nett, haben auch noch genug Geld, um Fanartikel zu kaufen und machen keine Probleme.

SCHALKE UNSER:
In Leverkusen wird es demnächst für die Heimfans eine „Sing- und Stehtribüne” geben, dieser Name alleine…

MANNI BREUCKMANN:
Ich durfte dabei sein, als Bayer Leverkusen 1988 UEFA-Cup-Sieger wurde. Und ich stellte mir damals so vor, wie es wäre, wenn Schalke oder Dortmund jetzt da unten spielen würden. An der Anzeigetafel wurden doch tatsächlich immer klatschende Hände zur Animation eingeblendet. Der Ribbeck hat zwar nach dem Sieg geweint, aber ausgeflippt ist da keiner so richtig.

SCHALKE UNSER:
Eine ähnliche Emotionslosigkeit ist heute auch bei den Profi-Fußballern erkennbar.

MANNI BREUCKMANN:
Das sind schon zum größten Teil Stereotypen, das muß man einfach so sehen. Der Profi-Spieler an sich ist mit Sicherheit nicht intelligenter als früher. Er ist ein angepaßter Realschulabsolvent, der sich gerne Börsenkurse anguckt, sich gegenüber der Presse nicht die Schnauze verbrennen will und ’ne gute Mark macht. Das sieht man besonders auch an der derzeitigen Nationalmannschaft, die laufen auch da ‚rum wie Obertertia auf Klassenausflug. Mein Gott, früher hat der Wolfram Wuttke dem Berti Vogts mal ins Bett gepinkelt. Auf die Idee würde doch heute keiner mehr kommen. Vielleicht wird die Vergangenheit auch etwas glorifiziert, aber die Farblosigkeit ist schon ein Muster. Und was gegenüber der Presse oft deutlich wird, ist, daß sich dies häufig als Arroganz tarnt. Das kann ich ja gar nicht haben, wenn ich einen 20jährigen Spieler um ein Interview bitte, und dieser dann wie so ein arrogantes Arschloch auftritt. Aber genauso auch sogenannte Starspieler. Thomas Helmer wollte ich nach einem Spiel in Gladbach interviewen, ich sagte: „Können wir ein Interview machen für den Bayerischen Rundfunk?” Dann fummelte ich noch so ein bißchen an meinem Tonbandgerät herum, da sagte er schon: „Ich warte…” An der Stelle hätte ich am liebsten gesagt, „Mensch, verpiß dich doch, gib dir selber deine Interviews”. Man muß aber auch sehen, daß ein Teil der Medien aus kleinen Äußerungen Riesendinger aufbauschen. Wenn ein junger Spieler solche Erfahrungen ein paar mal gemacht hat, dann will er sie nicht noch mal machen. Aber die Unfähigkeit zu differenzieren, die wird auch von solchen Gestalten wie Otto Rehagel vorgelebt. Der will ja gar nicht differenzieren, wer mit ihm fair umgeht und wer nicht.

SCHALKE UNSER:
Andererseits gibt es aber auch einen Andreas Möller, der kein Fettnäpfchen ausläßt.

MANNI BREUCKMANN:
Sobald ein Mikrophon in der Nähe ist aber auch nicht, da benehmen die sich alle wie Regierungssprecher. Deswegen machen solche Interviews wie zum Beispiel mit Michael Meier auch überhaupt keinen Spaß mehr. Die gehen da hin und sagen sich innerlich, „Ich lasse nichts raus”, und so sind die Spieler teilweise auch schon.

SCHALKE UNSER:
Dann muß es doch ganz erfrischend sein, mit Rudi Assauer zu sprechen. Der präsentiert sich ja schon als ehrliche Haut und läßt auch meistens ein paar deftige Sachen heraus.

MANNI BREUCKMANN:
Er hat wirklich eine deutliche Sprache, für meinen Geschmack häufig ein wenig zu ruppig. Er hat auch schon in einigen Szenen gezeigt, daß er mit Kritik nicht so gut umgehen kann. Aber er ist mir dann letztlich lieber als diese Regierungssprecher. Dann gibt es noch diese Paradiesvögel, die sind schon wieder zu viel Paradiesvogel. Mario Basler zum Beispiel, der ist zwar ein Arsch, aber über den kann ich mich wenigstens noch aufregen.

SCHALKE UNSER:
Der Fußball im Radio hat immer noch eine Menge Anhänger, die Bundesliga am Samstag im WDR-Radio ist, wenn man schon nicht im Stadion sein kann, immer noch das größte.

MANNI BREUCKMANN:
Die Konferenz am Samstagnachmittag ist wirklich nicht zu toppen. Momentan sind beim WDR mit Tom Beyer, Armin Lehmann, Sabine Töpperwien und mir als die sogenannten Arrivierten auch immer noch Reporter vertreten, die ihre Leidenschaft für den Fußball auch als Fan eines Vereins gesammelt haben. Besonderer Klassiker war natürlich auch das UEFA-Cup-Finale in Mailand, das ich zusammen mit Sabine Töpperwien kommentieren durfte. An eine Szene nach dem Finale kann ich mich noch ganz gut erinnern, da war ich richtig gerührt. Da standen die ganzen Spielerfrauen vor der Kabine und sangen „Wir schlugen Roda …”. Irgendjemand besitzt auch noch das Foto von mir im Mailand­Flieger, wo ich den UEFA-Cup auf dem Schoß habe. Vielleicht kann derjenige sich mal bei Euch melden, das Foto hätte ich gern. Bei der neuen Generation von Fußballkommentatoren hat man manchmal schon das Gefühl, daß sie bei „ran” den Fußball als eine Show vermarkten wollen. Kerner und Beckmann sind jetzt da gelandet, wo sie eigentlich hingehören, in einer Samstagsabend-Unterhaltungsshow…

SCHALKE UNSER:
Auch die Masse an Fußballsendungen ist vor allem beim DSF sprunghaft angestiegen. Bald gibt es am Sonntag zunächst einen Bundesligarückblick, dann den Stammtisch und danach kommt noch „Auf Schalke”.

MANNI BREUCKMANN:
Solange es solche Spartenkanäle gibt, führt das auch zu wahnsinnigen Sachen. Ich war einmal bei solch einem DSF-Stammtisch bei der WM in Frankreich eingeladen, 11 Uhr morgens mitten in der Woche, und dann analysiert man da das Mittelfeldverhalten Nigerias. Dann denkst Du aber auch „Was machst Du denn gerade hier? Du kennst doch das Mittelfeldverhalten Nigerias gar nicht.” Dann kommt noch hinzu, daß es jeden Tag ein Live-Spiel geben muß. Das führt doch zu einer Übersättigung.

SCHALKE UNSER:
Gerade die Montagsspiele im DSF sind absolut fanfeindlich. Da bestimmt das Medium Fernsehen, wann ein Spitzenspiel in der zweiten Liga stattzufinden hat, und der Fan guckt buchstäblich in die Röhre. Unser Spiel gegen den Club aus Nürnberg wurde nun auch auf einen Freitag gelegt. Da kann dann auch wirklich nur noch der hinfahren, der sich dafür einen Tag Urlaub nimmt.

MANNI BREUCKMANN:
Es gab in den 70er Jahren mal ein Buch, das hieß „Die Fernseh-Liga“. Da wurde so ein Szenario entwickelt, in dem die Bundesliga vom Fernsehen praktisch inszeniert wird, ohne Publikum, mit Drehbuch. So allmählich nähert man sich diesem Zustand.

SCHALKE UNSER:
Wie siehst du denn die Entwicklung des Fußballs durch die Umwandlung in Aktiengesellschaften und den Bau von hochmodernen Stadien?

MANNI BREUCKMANN:
Eine Prognose ist bei solchen Phänomenen gar nicht so schwierig. Da braucht man nur nach Amerika zu schauen. Das gilt für’s Showgeschäft, für’s Fernsehen und für den Sport. Es wird so werden wie in den USA. Fußball wird ein Teil des Business, ein Teil der Unterhaltungsindustrie. Nicht mehr und nicht weniger. Aber wie ist das denn bei euch, freut ihr euch auf das neue Stadion?

SCHALKE UNSER:
Doch, wir freuen uns da sehr drauf. Das alte Parkstadion hat einfach zu viele Nachteile, als daß man es noch länger behalten möchte.

MANNI BREUCKMANN:
Ich freue mich auch schon drauf. In keinem anderen Stadion habe ich so viel gelogen wie im Parkstadion. Ihr müßt Euch vorstellen, daß wir anfangs noch höher saßen als jetzt. Man ist dort völlig abgeschottet. Stell Dir vor, es ist ein Freitagabend im November, Schalke spielt gegen den 1. FC Saarbrücken. Lehmiger Boden, die Spieler wälzen sich da alle ‚rum. Saarbrücken hast Du vielleicht mal vor einem Jahr gesehen, oder gar nicht, und dann sollst Du das Spiel kommentieren. Wer da hinten rechts dann zur Ecke klärt, ist von unseren Plätzen aus überhaupt nicht mehr auszumachen. Früher hatten wir ja auch keine Monitore, die gibt’s erst seit zwei oder drei Jahren. Ich hab im Parkstadion mal ein Länderspiel gegen die Türkei kommentiert, da war ich schon froh, daß ich die Deutschen erkannt habe, aber bei den türkischen Spielern mußte ich tatsächlich lügen. Das fiel mir schwer, bin schließlich katholisch erzogen und ehemaliger Meßdiener. Da lügt man sehr ungern.

SCHALKE UNSER:
Vielen Dank, daß du hier bei der Wahrheit geblieben bist. Vielen Dank für das Gespräch und Glückauf.