Jürgen Sundermann

Lech Walesa erhält den Friedensnobelpreis, Hitlers vermeintliche Tagebücher werden im Stern veröffentlicht, die Flick-Spendenaffäre erschüttert die Republik und über die deutschen Fernsehbildschirme flattern die ersten Folgen des Denver-Clans. Doch das richtig große Theater findet 1983 mal wieder auf Schalke statt ­ und mittendrin Jürgen „Wundermann“ Sundermann.

Jürgen Sundermann brachte es 1960 als 20-Jähriger auf einen einzigen Länderspieleinsatz unter Sepp Herberger beim 2:1-Sieg gegen Chile. Im Verein trat er für Rot-Weiß Oberhausen, Viktoria Köln, Hertha BSC Berlin, den FC Basel und Servette Genf gegen das Leder. Als Spieler bei der Hertha machte er 1965 den Zwangsabstieg mit. Der Grund für das drastische Urteil war ein Verstoß gegen die Statuten. Damals, in den Anfängen der Bundesliga, waren Ablösesummen (50.000 Mark) und Handgelder (10.000 Mark) reglementiert.

Auch Jürgen Sundermann war geständig: Für seinen Wechsel 1964 von Viktoria Köln zu Hertha hatte er 36.000 statt der erlaubten 10.000 Mark kassiert. Hertha, in die Ecke gedrängt, holte zu einem großen Rundumschlag aus und klagte insgesamt 15 Vereine und 20 Spieler an. Darunter auch die Nationalspieler Hans Nowak und Stan Libuda, die ebenfalls Handgelder über dem Limit kassiert haben sollen. Das DFB-Sportgericht ermittelte, ordentliche Gerichte wurden ebenfalls bemüht. Bestraft aber wurde nur Hertha BSC. So hart, wie später nur noch Arminia Bielefeld nach den Verwicklungen im „großen“ Bundesliga-Skandal – mit dem Zwangsabstieg. Weil aber Berlin aus politischen Gründen unbedingt in der höchsten Spielklasse vertreten bleiben sollte, wurde die Bundesliga kurzerhand von 16 auf 18 Vereine aufgestockt. So entging auch Schalke 04 dem sportlich besiegelten Abstieg, und so kam Tasmania Berlin in die Bundesliga.

Cover SCHALKE UNSER 60
SCHALKE UNSER 60

Sie sind der Meinung, das war spitze

Nach seiner aktiven Laufbahn startete Jürgen Sundermann seine Trainerkarriere in der Schweiz bei Servette Genf. 1976 gelang ihm dann der große Wurf, er heuerte im „Ländle“ beim VfB Stuttgart an. Ein besonderer Glücksfall für beide Seiten, denn unter ihm schafften die Schwaben bereits ein Jahr später den Aufstieg in die 1. Bundesliga. Und dort gab es kein Halten mehr: Mit offensivem Angriffsspiel mischten Karlheinz Förster, Hansi Müller und Dieter Hoeneß die Liga auf. Als Aufsteiger belegte die Mannschaft gleich den vierten Rang, verpasste ein Jahr später nur knapp die deutsche Meisterschaft als Zweiter hinter dem Hamburger SV. Sundermann hieß fortan nur noch der „Wundermann“. Erfolg hatte aber nicht nur er, sondern auch seine Gattin Monika. Als adrette Assistentin von Hans Rosenthal bei „Dalli-Dalli“ war ihre Rolle zwar nie klar definiert, aber als Vollblondine war das zu damaliger Zeit auch ziemlich unbedeutend.

Doch schon 1979 wechselte Sundermann zurück in die Schweiz. Bei den Grasshoppers Zürich verdiente er zwar etwas weniger als in Stuttgart, doch die Steuer zog dort nur 26 Prozent statt 56 Prozent wie in der Bundesrepublik ein. Außerdem verließ VfB-Mittelstürmer Dieter Hoeneß die Stuttgarter, und Sundermann befürchtete einen Leistungsrückgang. Das schien allerdings kein großartiges Argument gewesen zu sein, denn 1980 kehrte er für zwei Spielzeiten zum VfB zurück, bevor er dann die Stuttgarter Kickers für eine Halbserie übernahm. Bis Sundermann im Januar 1983 das Telefon abnahm und am anderen Ende die Stimme von Rudi Assauer ertönte.

Der Fliegenfänger

Schalke war inzwischen kurz vor dem Kentern. In dieser Saison kam aber auch wirklich alles zusammen. Nach einem Jahr Abstinenz war Schalke zwar wieder in der Bundesliga, hatte sich aber nicht genügend verstärkt. Es kamen lediglich Abel, Bücker, Schipper, Clute-Simon und Bernhard Dietz. In der Mannschaft gab es keine Harmonie, ein zusammengewürfelter Chaoten-Haufen. Erst im September gab es den langersehnten ersten Sieg gegen Hertha BSC Berlin (2:1, Tore von Clute-Simon und Tüfekci). Nach dem 2:2 in Karlsruhe dann der nächste Tiefpunkt: Torwartdenkmal Norbert Nigbur wurde suspendiert. Rausschmiss mit Stadionverbot. Per einstweiliger Verfügung erzwang Nigbur die weitere Teilnahme am Mannschaftstraining. Fliegenfänger Walter Junghans wurde als Nachfolger von Bayern München verpflichtet. Ein wahrer „Meister” in der Strafraumbeherrschung. Jeder Fehler, und es waren wahrlich nicht wenige, wurde gnadenlos kritisiert. Noch heute erzählen sich Zeitzeugen von seinem unfassbaren Umherirren im Fünfmeterraum.

Am Ende der Hinrunde hieß der Herbstmeister Hamburger SV, Schalke fand sich auf einem Abstiegsplatz wieder. Im DFB-Pokal gab es auch das Aus: Ausgerechnet Ex-Knappe Klaus Fischer hatte drei Tore zum Kölner 5:0 gegen Schalke beigesteuert. Unter dem Strich hieß dies das Ende für Siggi Held als Schalker Trainer, und Jürgen Sundermann erhielt die Chance, Schalke zu retten. Gebürtig aus Mülheim/Ruhr und aufgewachsen in Oberhausen kannte er den Verein schon von Kindesbeinen an.

Doch auch die Rückrunde verlief größtenteils trostlos. Es gab zwar zwischendurch einen 5:0-Heimsieg gegen Arminia Bielefeld, aber den sahen gerade mal nur noch 7.000 Zuschauer im Stadion. Zu sehr hatte die bisherige Spielweise die Fans vergrault. Die Sensation gelang aber am 30. Mai: Schalke siegte völlig unerwartet im Münchener Olympiastadion durch ein Tor von Manfred Drexler gegen die Bayern. Ganz Schalke glaubte plötzlich wieder an den Klassenerhalt. Das Ziel hieß nun: Relegation gegen den Zweitiga-Dritten Bayer 05 Uerdingen.

Spiel mir das Lied vom Tod (Teil 1)

16. Juni 1983. Bayer 05 Uerdingen hatte Heimrecht. Ein bekanntes Sprichwort sagt „Übermut tut selten gut“. Doch die gezeigte Schalker Leistung in der ersten Hälfte mit Übermut zu erklären – auch das würde nicht ausreichen. Schalke zeigte das vielleicht schlechteste Spiel seiner Vereinsgeschichte. Uerdingen führte nach zwei Toren von Feilzer und einem von Herget mit 3:0. In allen Belangen waren die Uerdinger der kläglich versagenden Schalker Mannschaft überlegen.

Nach 30 Minuten hatte sich die Elf von Trainer Jürgen Sundermann nicht eine Torchance erspielt. Als stünde nichts auf dem Spiel, lieferte man überheblich eine Leistung ab, die eines Bundesligisten unwürdig war. Schalke stand erneut vor dem Trümmerhaufen einer desaströsen Saison. Im zweiten Durchgang gingen die Schalker aggressiver in die Zweikämpfe und endlich konnte man den ambitioniert aufspielenden Uerdingern Paroli bieten. Die Kräfte des Zweitligisten schwanden und so kam Schalke in der 77. Minute zum Anschluss. Ein 1:3 ist vielleicht doch noch zu drehen?

Spiel mir das Lied vom Tod (Teil 2)

60.000 Schalker pilgerten mit dem letzten Fünkchen Hoffnung ins Parkstadion, um Schalke im Kampf gegen den Abstieg zu unterstützen. Über die ganze Spielzeit rannte das Team an, doch Uerdingens Torwart Werner Vollack wuchs mit tollen Paraden über sich hinaus. Es wurde mit zunehmendem Spielverlauf immer ruhiger im weiten Rund des Parkstadions. Chancen waren da, den Zwei-Tore-Rückstand wettzumachen, doch beste Gelegenheiten vergaben Abel und Wuttke kläglich. Als Manfred Drexler nach einer guten Stunde den Führungstreffer erzielte, keimte noch einmal kurze Zeit Hoffnung auf. Doch ein Konter wie aus dem Bilderbuch, abgeschlossen durch den zuvor eingewechselten Schuhmacher, stürzte die Knappen in ein tiefes Tal der Tränen. Beim 1:1 blieb es und Schalke 04 war zum zweiten Mal in seiner Vereinsgeschichte abgestiegen. Entsetzte Mienen bei den Schalker Verantwortlichen. Niemand wusste, wie es weitergehen sollte.

Der Abgang

Als Sundermann anschließend zögerte, das neue Schalker Vertragsangebot zu unterschreiben, wurde es Präsident Dr. Hans-Jürgen Fenne zu bunt. Er verkündete, dass die Zusammenarbeit zwischen Verein und Trainer beendet sei. Für ihn kam Diethelm Ferner an den Schalker Markt.

Sundermann packte seine sieben Sachen. Er arbeitete anschließend noch bei Racing Straßburg und Trabzonspor, ehe er wieder in Deutschland bei Hertha BSC Berlin landete. Seine weiteren Stationen waren: Malatyaspor, SpVgg Unterhaching, VfB Leipzig, Waldhof Mannheim, Sparta Prag und zum dritten Mal VfB Stuttgart. Rot-Weiß Oberhausen half er nach dem Ende seiner Trainerkarriere mit seinen exzellenten Kontakten entscheidend beim Aufbau eines Fußball-Ausbildungszentrums. Nachdem Sundermann monatelang zwischen seiner Wahlheimat Leonberg und Oberhausen gependelt war, ist er nun wieder im Süden sesshaft geworden.

Doch so ganz lässt ihn der Fußball nicht los: Seit Januar 2008 ist er ehrenamtlicher Berater des Trainerstabes der Stuttgarter Kickers. In seiner Freizeit beschäftigt sich der heute 68-Jährige mit Solartechnik und Umweltschutz.