Vier Tage im Leben eines Blaubären

Samstag: Eigentlich sollte es ein gemütlicher Abend werden, aber dann klingelte das Telefon. Irgendsoein Kevin faselte was davon, er sei in der verbotenen Stadt von einer Hundertschaft Schalker verprügelt worden. Denke, das ist doch bloß der olle Kuranyi, der mal wieder sein Busticket nach Gelsenkirchen verlegt hat, und lege auf.

Cover SCHALKE UNSER 64
SCHALKE UNSER 64

Komme ins Grübeln. Der Kevin ist um die Zeit doch immer zum Frisörtermin in Frankfurt und außerdem klang der Nachname anders, Großkotz oder so ähnlich. Kann aber nicht sein. Wenn das ein wichtiger Fußballer sein soll, müsste ich den Namen doch kennen. Egal. Greife wieder zu meinem Buch, interessante Lektüre: Die Genese der Unschuldsvermutung im römischen Recht. Kann man nur empfehlen.

Unterbreche nur kurz, um ins Fernsehen zu gucken. Dachte erst, Guido Knoop berichtet über Hexenjagden. War aber nur das Sportstudio, das eine Hetzjagd auf unseren Manuel macht. So kann man sich irren. Schalte lieber um zu Phoenix-Diskussionsrunde, Thema: Die Unschuldsvermutung in der Neuzeit. Interessantes Thema.

Schalte danach nochmal um auf 3sat. Läuft die Wiederholung von der Hetzjagd. Danach aber eine tolle Doku: Unschuldig verfolgt. Auch nicht schlecht, und auch diese Unschuldsvermutung spielt eine Rolle. Scheint doch wohl eher eine Dokufiction zu sein.

Sonntag: Schlage die Ruhr-Nachrichten auf. Geht um das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Dachte erst, unser Manu hätte auch den Bosnienkrieg ausgelöst. War er aber wohl nicht. Hatte aber angeblich so einen Kevin Großkotz auf dem Platz verprügelt. Schade, hätte die Story exklusiv erfinden können. Jetzt sind mir andere zuvorkommen. Muss die Lektüre unterbrechen, weil sich mein Pressekodex vom Schrank gestürzt hat. Vermutlich Suizid.

Krame in meinem VHS-Archiv und gucke noch mal einen Presseklub aus den 70er Jahren, Thema: Journalistischer Ethos in der Sportberichterstattung. Lustiges Thema. Komisch. Danach wurde sowas nie wieder ausgestrahlt. Vermutlich hatte auch der Bayrische Rundfunk lieber Schwarzbild gesendet. Wünschte, er würde das heute viel öfter machen. 24 Stunden am Tag oder so. Würde Reich-Ranicki auch gefallen. Würde das Programmniveau sicher heben.

Gucke lieber englisches Fernsehen. Die BBC berichtet, dass ein Filmemacher einfach Zeitungen angerufen und frei erfunden hat, dass Amy Winehouses Haare gebrannt haben. Hätten viele einfach ungeprüft abgedruckt und noch was dazu erfunden. Gut, dass das in Deutschland alles viel besser recherchiert wird. Mache Videotext an, steht auch auf RTL. Das mit den Haaren, nicht mit dem Filmemacher. Und dass der Manu BxB-Spieler verprügelt. Und irgendwas von Sixpack in sechs Tagen. Muss ich mal probieren. Bei mir reicht der sonst nur einen Abend.

Schalte abends noch WDR an. Da sind Fernsehbilder, und auf denen sieht man, dass der Manu nix macht. Macht aber nix, sagt der Zeigler, jetzt sagt der Großkotz, das sei gar nicht auf dem Platz, sondern im Kabinengang passiert. Da gebe es nur leider auch so wenig Fernsehbilder wie vorher auf dem Platz. Hacke mich mit Wolfgang Schäubles Fingerabdruck in seine Datenbank und hole die Bilder der Überwachungskameras. Ist auch nix drauf zu sehen, muss also stimmen. Frage mich, wie Amy Winehouse wohl mit Perücke aussieht.

Montag: Lade mir den Kicker-Podcast herunter. Die wissen noch nix von Manus Unschuld. Macht aber nix, ist ja erst 16 Stunden her mit dem WDR-Bericht. Bei Manu angerufen hat auch keiner. Er ist ja eh schuld. Lade mir neuen Pressekodex aus dem Internet herunter und maile ihn an alle Zeitungen, die ich kenne. Kann ja nix schaden. Und die meisten geben mir sogar eine Antwort. Was bedeutet eigentlich „ungelesen gelöscht“?

Dienstag: Jetzt haben ein paar gemerkt, dass Manu ja eigentlich nix gemacht hat. Halten das aber lieber klein. Brauchen den Platz wohl für die Story, dass Schalke pleite ist. Schade. Wenn Amy nicht so viel Geld für eine Perücke ausgegeben hätte, hätte sie uns helfen können. Beschließe, Geld zu sparen, und kündige alle Zeitungsabos. Habe ja noch Grimms Märchen im Keller.