Schalkes Stadionsprecher auf dem Videowürfel

„Was bleibt, ist unsere Art und Weise“

(ru) Mit der Serie „Schalker Originale“ wollen wir Menschen würdigen, die auf besondere Weise die Leidenschaft und Hingabe für den FC Schalke verkörpern und fester Bestandteil der Schalker (Fan-)Kultur wurden. Diesmal begleiten wir zwei Männer am Mikro.

„Entschuldigung, ich kenne Sie doch irgendwo her.“ Diesen Satz kriegen Dirk Oberschulte-Beckmann und Bernd Scheffler des Öfteren zu hören. Zumindest zu Zeiten, als der FC Schalke noch im Parkstadion spielte und man die beiden noch nicht auf einer Videoleinwand sah, waren ihre Stimmen das Erkennungsmerkmal allerorten.

Viele kamen ins Grübeln, schließlich haben viele Fans diesen beiden in ihrem Leben beinahe häufiger geantwortet als dem Lebenspartner, doch noch nie vor ihnen gestanden. Denn das Frage-Antwort-Spiel findet alle 14 Tage über’s Stadionmikro statt, wenn beispielsweise Bernd Scheffler ruft: „Mit der 1, Manuel…“ und 60.000 ihm als Antwort geben: „Neuer.“ Oder wenn Dirk Oberschulte-Beckmann, den alle als DJ Dirk kennen, nach dem Spielstand fragt und dann ansetzt mit einem „Glück…“, das die Arena mit einem „Auf“ abschließt. Einsilbige, aber lautstarke Konversation – aber auch das soll ja in so mancher Ehe nicht anders sein.

Es ist das erste Heimspiel der Saison 2010/11, Schalke spielt gegen Hannover 96. Das Heimspiel beginnt für Beckmann und Scheffler nicht um 15.30 Uhr, sondern um 11.00 Uhr in den Katakomben des Schalker Stadions. Lagebesprechung, Techniker, Mitarbeiter der Stadionregie und viele andere finden sich zusammen, um einen mehrseitigen Dienstplan durchzugehen. Bis auf die Minute ist das Programm geplant, ein Punkt reiht sich an den nächsten, die einzelnen Zeitspannen umfassen selten mehr als drei Minuten.

Ein Stundenplan, den Beckmann und Scheffler morgens in die Hand gedrückt bekommen, manchmal auch am Tag vor dem Spiel per Mail erhalten. Das Auswendiglernen der einzelnen Punkte würde wohl eine halbe Arbeitswoche verschlingen und für das exakte Verinnerlichen der zeitlichen Abläufe müsste man Übungseinheiten mit der Stoppuhr absolvieren. Also werden die beiden den Ablaufplan als ständigen Begleiter den Tag über umklammern und vor dem Beginn einen „kleinen Mann“ ins Ohr gesetzt bekommen, der über die Länge der Moderationen wacht. Denn schließlich läuft über den Videowürfel bei jedem Spiel das Stadion-TV, das sich in den genauen zeitlichen Abläufen vom Fernsehen nicht großartig unterscheidet. „Viel Freiraum bleibt uns bei der Gestaltung nicht“, sagt Beckmann. „Das ist schon Fernseharbeit: Wie lange dauert jene Moderation, in welche Kamera muss geschaut werden – das steht alles auf dem Plan.“ Scheffler ergänzt: „Was bleibt, ist die Art und Weise, wie wir alles rüberbringen.“

Genau jene Art und Weise ist es, die die beiden Schalker Stadionsprecher aber so unnachahmlich und zu einem festen Bestandteil der Schalker Spieltage gemacht hat. Seit 1994 – mit kurzer Unterbrechung – geben sie gemeinsam auf Schalke den Ton an, ein eingespieltes Team.
Der 66 Jahre alte Scheffler ist mit ruhigem Auftreten und sonorer Stimme der Grandseigneur unter den Stadionsprechern, der 49-jährige Beckmann mit Matte und individuell bestickten Pullis für kesse Sprüche und originelle Ansagen zuständig.

Wären die beiden nicht so eingespannt, die ARD hätte sie wahrscheinlich schon längst als potentielles „Tatort“-Ermittlerduo in Erwägung gezogen. „Wir haben beide schon mit anderen zusammen gearbeitet, aber gemerkt, dass wir zwei einfach am besten zueinander passen für diesen Job“, erläutert Beckmann.

Cover SCHALKE UNSER 67
SCHALKE UNSER 67

Um kurz nach 13 Uhr werden sie darauf hingewiesen, dass das Gewinnspiel eines Sponsors noch ins Programm genommen wird. Kurz schauen sie sich an und sprechen in weniger als 30 Sekunden ab, wie sie es im Gespräch vorstellen werden. Blindes Verständnis à la Emile Mpenza und Ebbe Sand. Wie wichtig das sein kann, zeigt sich ab 14 Uhr, dem Beginn ihrer Arbeit am Mikro. Über Lautsprecher läuft ein Countdown, beide schauen noch einmal kurz auf den Zettel, dann geht es los. „Ein bisschen Anspannung ist jedes Mal da, aber das muss auch so sein“, meint Scheffler. Es geht los und wird bis zum Anpfiff nicht ruhig um die beiden.

Begrüßung, Sponsor-Gewinnspiel, Szenen von Liga-Total vom Freitagabendspiel, Kurzgespräch mit einem Fan und Peter Peters zur neuen Schalke-Anleihe, Scheffler auf einem Sofa vom Möbelsponsor neben einem Anzugträger und Horst Heldt, Beckmann schießt Bälle von einer Fluglinie ins Publikum, hastet dann zur Mittellinie, Begrüßung aller Tribünen, Aufstellung, Händeschütteln, Vereinslied inklusive dem obligatorischen Gruß an Maik Saam vom Ton mit „Maik, hau’s raus“, dann Status Quo beim Einlauf der Mannschaften. Und dann, dann wird erst einmal Fußball gespielt, Beckmann und Scheffler verfolgen das Spiel links neben der Trainerbank der Gäste hinter einer Bande. In der Pause geht es weiter.

1979 war das noch ein bisschen anders. In diesem Jahr übernahm Bernd Scheffler das Amt des Stadionsprechers auf Schalke von Volker Stuckmann. „Da gab es noch keine Ablaufpläne“, sagt er mit einem Lächeln. Eine Stunde vor Spielbeginn fand er sich in seiner Sprecherkabine oben auf der Tribüne ein, verlas kurz, was der Sportamtsleiter notiert hatte und spielte in den Pausen Schallplatten wie etwa von ABBA, die er von zu Hause mitgebracht hatte. Manchmal wurden im Laufe der Jahre Prominente begrüßt wie Wim Thoelke oder Gotthilf Fischer, Boxkämpfe oder Windhundrennen gab es auch mal vor den Spielen.

Beckmann verfolgte dies alles noch im Fanblock, bevor er 1994 einen Brief an den Verein schrieb mit Verbesserungsvorschlägen für das Programm rund um die Spiele. Kurze Zeit später wurde er auf die Geschäftsstelle eingeladen. „Das sind sehr gute Vorschläge. Können Sie das umsetzen?“, fragte man ihn. Zur Antwort kam er nicht mehr, denn da hieß es bereits: „Samstag ist das Spiel gegen den SC Freiburg, da fangen Sie als neuer Sprecher an.“ Er sei zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen, meint Beckmann.

Zehn Jahre später, im Jahr 2004, hatte sein Traumjob an Zauber eingebüßt. „Gerade mit dem Umzug in die Arena wurde eine unglaubliche Werbemaschinerie in Gang gesetzt. Als man mir dann eine Kappe eines Wettanbieters überstülpen wollte und ich auch noch sagen sollte, dass ich bei diesem Anbieter meine Tipps abgebe, da wurde es mir zu bunt.“ Beckmann wollte endgültig aufhören und nahm in der Folge seinen für diesen Fall bewahrten Dauerkartenplatz auf der Tribüne ein. In einer Nacht-und-Nebelaktion wurde er auf der Weihnachtsfeier 2007 zum Comeback überredet.

Und der Kommerz? „Ich bin weichgespülter geworden und habe mich damit abgefunden“, räumt Beckmann ein. Vielleicht liegt es auch an der Art und Weise, wie die beiden Sprecher ihr Handwerk erledigen, dass auch viele Fans das Werbeübel tolerieren. Denn die Reaktionen sind durchweg positiv. Einzig Rudi Assauer fand ein paar Mal Anstoß an den beiden. Scheffler sagte in der Halbzeit eines Grottenkicks, dass „es vielleicht morgen bei den Amateuren besser wird“ und musste zum Rapport. Beckmann ließ einmal eine LaOla durchs Parkstadion gehen und kommentierte, dass für jede Runde durchs Stadion Youri Mulder seinen Vertrag um ein weiteres Jahr verlängern würde. Dies machte Assauers Vertragspoker nicht einfacher.

Und: Assauer erzürnte sich einmal gegenüber Beckmann, als er mitbekommen hatte, dass Beckmanns Großvater, seinerzeit Präsident bei der SpVgg Herten, Assauer 1964 nach dessen Wechsel gen Lüdenscheid-Nord den Eintritt zur Hertener Spielstätte untersagte. Es folgte ein hitziges Gespräch in der Schalker Geschäftsstelle, Jahrzehnte nach dem eigentlichen Vorfall. Es blieb weitgehend bei jenen wenigen unangenehmen Momenten. Die Fans begegnen Bernd Scheffler und Dirk Oberschulte­Beckmann herzlich. Sie schätzen, dass die beiden mit Herzblut und Leidenschaft ihrem Job nachgehen, dabei aber nie ausfallend werden und auch ihre Sachlichkeit verlieren.

Und das können nicht viele Stadionsprecher, vor allem aus der näheren Umgebung, von sich behaupten.