Der große WM-Biertest

(cd) Ich gebe es gleich zu: Ich war noch nie in Brasilien und ich werde auch nicht zur Fußball-WM dort sein. Als ich als SU-Bierexperte gebeten wurde, über Brasiliens Bierkultur zu berichten, fiel mir zu dem Thema dann spontan auch nicht allzu viel ein. Aber da man ja heutzutage so ziemlich alles online recherchieren und einkaufen kann, legte ich gleich los und bestellte mir erst mal eine breite Auswahl brasilianischer Biersorten. Und bis die geliefert wurden, wollte ich mich weiter kundig machen (hätte ich das mal vorher gemacht, wären mir einige Geschmackskatastrophen erspart geblieben – aber dazu später mehr).

Die brasilianische Bierkultur geht – wen wundert es? – auf Deutsche Einwanderer zurück. Die ersten Brauereien wurden in den 1830er Jahren gegründet. Und noch heute werden überall im Land neue Brauereien gebaut – Bier boomt und Brasilien liegt inzwischen auf Platz drei der weltweiten Bierproduktion!

Allerdings werden jede Menge Massenbiere produziert, mit denen wahre Bierfreunde nicht sonderlich glücklich werden. Es beginnt mit Itaipava, in die allerunterste Schublade des schlechten Geschmacks gehörend. Das Dosenbier ist in den Supermärkten günstig zu kriegen, wird daher von den ärmeren Schichten bevorzugt und gilt als „Favela-Bier“.

Ansonsten wird fast 70 Prozent des Biermarktes in Brasilien von der Anheuser-Busch Inbev-Gruppe dominiert, die ebenfalls kaum Wert auf geschmacklich ansprechende Produkte legt, sondern die günstige Produktion unter Verwendung von (oft genmanipuliertem) Mais bevorzugt: Antarctica, Bohemia, Brahma und Skol sind die bekanntesten Marken.

Letztere werden auch international vermarktet und konnten durch innovatives Marketing immerhin schon viele Werbefilmpreise, unter anderm in Cannes, gewinnen.

Weitere beliebte brasilianische Massenbiere sind Kaiser, Bavaria Premium oder NovaSchin, Nobel und Primus von dem Getränkehersteller Schincariol als zweitgrößtem Brauer des Landes.

Die häufigste Darreichungsform ist die in Deutschland unbekannte 0,66 Liter-Flasche und in den Bars der „chope“: Bier vom Fass (dem „Chopp“) in kleinen Gläsern. Das Bier wird meistens eiskalt serviert – Spötter behaupten, anders als mit betäubten Geschmacksknospen sei es auch nicht zu ertragen.

Inzwischen war auch meine Bierlieferung eingetroffen: Bestellt hatte ich unter anderem die schon erwähnten Sorten Antarctica, Brahma und Skol. Ein Blick auf die Zutatenliste verhieß tatsächlich nichts Gutes: „Wasser, Malz, nicht gemälztes Getreide, Kohlenhydrate, Hopfen, Antioxidationsmittel E 316, Stabilisator E 405, Säuerungsmittel 270.“ So wie sich das liest, schmeckte es leider dann auch.

Aber es gab nicht nur Enttäuschungen, z.B. XINGU Black Beeraus Jacareí, eine Stadt im brasilianischen Bundesstaat São Paulo, war malzig, leicht und ganz lecker – wenn auch nicht zusatzstofffrei.

Es gibt kleine brasilianische Brauereien, die ohne bedenkliche Zutaten auskommen und tatsächlich mit echter Gerste brauen – diese sind dann aber auch deutlich teurer und gelten in Brasilien als „Reichenbiere“. Bei meiner Bierbestellung merkte ich das übrigens auch.

Dazu gehört das Bier der Brauerei mit dem schönen Namen „Eisenbahn“ aus Blumenau im brasilianischen Bundesstaat Santa Catarina, wo es auch ein Biermuseum gibt und man preisgekrönte Biere nach dem deutschen Reinheitsgebot braut – z.B. das Eisenbahn Pale Ale (wobei ich Pale Ales im ersten Antrunk meistens etwas gewöhnungsbedürftig finde).

Ebenfalls preisgekrönt ist das Bier aus der höchstgelegenen Stadt Brasiliens Campos do Jordão im Bundesstaat São Paulo: Hier werden in einer Brauerei nach deutschem Reinheitsgebot elf Biersorten mit dem Namen „Baden-Baden“ gebraut.

Fazit: Für eine stilechte Brasilien-WM-Party zu Hause muss man bierreinheitsmäßig leider ein paar Kompromisse eingehen, findet aber durchaus auch was Leckeres in den Online-Getränkeshops oder vielleicht auch im Getränkemarkt vor Ort.

Brasilien-Touristen werden an den von ihnen üblicherweise besuchten Orten auch auf altbekannte Allerweltsbiere wie Heineken oder Stella Artois treffen, die total überteuert verkauft werden und einen bekanntlich auch nicht vom Hocker hauen.

Hinsichtlich des Bierausschanks in den Stadien – normalerweise in Brasilien nicht erlaubt – unterstützte die FIFA bei der brasilianischen Regierung die Interessen des Bierbrauers und WM-Sponsors Anheuser-Busch InBev, so dass schließlich einem Stadion-Bierverkauf während der WM nichts mehr entgegen steht.

Na dann Prost – oder besser auf brasilianisch „saúde“!