Aufstockung der Bundesliga – wegen Schalke

Es kam die schlimme Saison 1964/65 und mit ihr ein „harter Hund“ als Trainer. Fritz Langner, der wegen seiner Kriegsvergangenheit nur der „Feldwebel“ genannt wurde, sollte wieder für Disziplin und Ordnung sorgen. Langner vertrat den Standpunkt, dass man Berufsspieler – wie in Italien – ordentlich an die Kandarre kriegen muss, damit sie für ihr vieles Geld auch etwas leisten.

Der Standpunkt war vielleicht richtig, aber Langner konnte sich damit nicht durchsetzen. Mit seiner Anweisung im Training, „Ihr fünf spielt jetzt vier gegen drei“, machte er sich aber zumindest im Schalker Anekdotenschatz unsterblich.

Durchaus guter Hoffnung ging die Schalker Mannschaft – gespickt mit fünf Nationalspielern – in die neue Saison 1964/65. Aber schon nach wenigen Spieltagen fand sich Schalke am Tabellenende wieder. Zwei Unentschieden, vier Niederlagen zum Auftakt. Und dann gegen Dortmund ein 2:6! Schon zur Halbzeit hatten die Dortmunder 6:0 geführt, und später gab der Dortmunder Trainer Eppenhoff zu, dass nur dank seines Schalker Herzens die Niederlage nicht noch höher ausgefallen war. In der WAZ vom 28.9.1964 war „prophetenhaft“ zu lesen, dass sich Schalke nicht darauf verlassen sollte, dass am Ende auch die Bundesliga aufgestockt werde. Gerade siebenmal konnte Schalke in der gesamten Saison gewinnen. Und so stand Schalke am Schluss des zweiten Bundesligajahres an letzter Stelle der Tabelle und sollte zusammen mit Karlsruhe absteigen.

Spieler kommen, Spieler geh’n

In Schalke herrschte blankes Entsetzen, zum Teil auch Wut gegen die Spieler, die es so weit hatten kommen lassen. Die Kanonen kündigten allesamt, und es ging das Gerücht um, viele Spieler hätten bewusst auf Abstieg gespielt, weil auf diese Weise ihre Verträge gelöst wurden, da sie schon längst bessere mit anderen Vereinen in der Tasche hätten. Willy Schulz ging unter sagenhaft guten Bedingungen nach Hamburg. Als dies bekannt wurde, setzten sich einige Schalker Anhänger demonstrativ auf Stühlen vor seine Kneipe in Günnigfeld und tranken das Bier, das sie ebenso demonstrativ in einer gegenüber liegenden Trinkhalle gekauft hatten. Willy Schulz dazu: „Dat wa mich egal. Die Trinkhalle gehörte mich auch.“ Egon Horst ging ebenfalls zum HSV, Hans Nowak wechselte zu den Bayern, Stan Libuda sogar nach Dortmund.

Standing Ovations

Aber nun kam unter den vielen, fast traditionellen Skandalen einer, der sich zum Segen Schalkes auswirkte. Hertha BSC, durch das Fassungsvermögen des Olympiastadions plötzlich einer der reichsten deutschen Vereine geworden, hatte so unverschämt hohe Summen (auch verbotene Handgelder) beim Einkauf der Spieler gezahlt, dass der DFB sich verpflichtet fühlte einzugreifen. Hertha wurde mit einem Zwangsabstieg bestraft, und es gab wieder einen der berühmten DFB-Eiertänze, wie man die Bundesliga durch die Hertha-Lücke auffüllen konnte. Wie zwiespältig hierbei wieder das Verhalten des DFB war, bewies die Tatsache, dass den Enthüllungen der Berliner, die Verstöße auch bei allen anderen Bundesligisten öffentlich machten, nicht einmal nachgegangen wurde.

Der Tabellenfünfzehnte, der Karlsruher SC, war natürlich gerne bereit, den Platz der Berliner zu übernehmen – was dieser auch genehmigte. Doch nun protestierte Schalke: Wenn der sportliche Abstieg nicht zählte, so müsste auch Schalke in der Liga bleiben. Zu Hilfe kam den Schalkern dabei Ministerialrat Dr. Klein vom Westdeutschen Spielverband. Zwar war der Mann kein Schalke-Fan, aber im DFB-Gerangel der Länder vertrat er den Standpunkt des Westens in einer glänzenden Rede: Eine Bevorzugung der Badener wäre ungerecht. Und weil eine Bundesliga ohne Schalke eben doch nur die Hälfte wert wäre, überzeugte er den DFB-Bundestag in Barsinghausen, der sich nach der eigenen Entscheidung minutenlang selbst beklatschte. In Schalke feierte man die „Rückkehr“ wie die achte Meisterschaft.

Zittersaison 65/66

Die Bundesliga wurde auf 18 Vereine aufgestockt, und für Hertha BSC wurde die Berliner Tasmania neben den beiden regulären Neulingen Bayern München und Borussia Mönchengladbach aufgenommen. Im Zeitalter der Berlin-Sondermarken, kurz nach dem Mauerbau, musste aus „politischen“ Gründen eine Berliner Mannschaft dabei sein. Die Tasmania-Spieler wurden sechs Wochen vor Beginn der Saison aus dem Urlaub zurückgeholt. Selbst das Radio beteiligte sich an der Rückrufaktion.

Viel besser als die Tasmanen, die mit ihrem Negativrekord von 8:60 Punkten Bundesligageschichte schrieben, waren allerdings auch die Schalker nicht gerüstet. Manfred Kreuz und Günter Herrmann waren die einzigen Routiniers, die geblieben waren. Rausch und Becher bildeten in der Abwehr noch etwas Rückhalt, alle anderen waren neu und gerade noch Amateure gewesen. Fichtel, Neuser, Pyka, Pliska hießen die Unbekannten. Niemand wusste, wie dieser zusammengewürfelte Haufen, immer noch trainiert von Fritz Langner, den Klassenerhalt schaffen sollte. Nur Ernst Kuzorra glaubte an den Erfolg: „Ich bin froh, dass die Stars aus unserer Mannschaft heraus sind. Während früher nur auf’s Geld geschaut wurde, kommt es unseren jungen Leuten in der Hauptsache auf das Fußballspielen an. Ich halte unsere jetzige Mannschaft kämpferisch und moralisch sogar für stärker.“ Er sollte recht behalten. Die Mannschaft kämpfte, aber trotzdem gab es erst im achten Spiel den ersten Sieg gegen den HSV.

In der Rückrunde musste Schalke sogar eine 0:7-Niederlage gegen den Erzfeind aus Dortmund hinnehmen – die höchste in der Geschichte des Derbys. Bis zum 32. Spieltag war die Abstiegsgefahr nicht gebannt. Aber die Schalker Fans verließen ihre Mannschaft nicht. Wieder einmal bewährte sich das beharrliche „Trotzdem“ der Anhänger. Die Atmosphäre in der Glückauf-Kampfbahn war mit der heutigen Plastik-Bundesliga nicht zu vergleichen. Es gab keine bösen Sprechchöre gegen den Gegner, keine Pfiffe, wenn mal ein Fehlpass gespielt wurde. Die Gesänge „Aber eins, aber eins, das bleibt besteh’n, der FC Schalke wird nie untergeh’n“ verursachten 90 Minuten Gänsehaut. Mit 508.000 Zuschauern, über 30.000 im Schnitt, war die Zuschauerzahl die höchste in der Bundesliga bis zur Errichtung des Parkstadions. Nicht einmal in der erfolgreichen Saison 1971/72 waren es mehr. Und das obwohl (oder weil?) die Menschen in Gelsenkirchen eigentlich andere Sorgen hatten: Die größte Zeche der Stadt, „Graf Bismarck“, wurde geschlossen. Auch der Gang zur Glückauf-Kampfbahn war eine Form von Protest.

Das Entscheidungsspiel fand am drittletzten Spieltag gegen den direkten Konkurrenten Borussia Neunkirchen statt. Erstmals fuhr die Mannschaft in ein Trainingslager, in die Sportschule Kaiserau. Und am 15. Mai 1966 war es geschafft: Mit 2:0 besiegte Schalke Borussia Neunkirchen. Bechmann und Kreuz waren die Torschützen. Noch lange nach dem Schlusspfiff sangen die Schalker Anhänger „…dann wird der FC Schalke niemals untergeh’n“. Auch wenn die tausend Feuer in Gelsenkirchen langsam verloschen…