Die Angst geht um

Während der Vorbereitung auf die neue Saison fand die Verhandlung gegen Sobieray, Pohlschmidt, Galbierz und Pirkner (er hatte als einziger der Beschuldigten keinen Eid geleistet) statt. Als Hans Kindermann zu seinem Plädoyer ansetzte, rutschte Co-Trainer Friedel Rausch immer tiefer in seinen Sessel. Gleichmäßige Atemzüge bekundeten kurz darauf, dass er eingenickt war. Sein Gähnen sprach auch für die Skandal-Müdigkeit, die noch nie so bewusst spürbar in den Räumen des DFB-Hauses hing.

„Unter Fußballspielern ist es üblich, dass sie mehr Geld haben als Normalbürger. So kam es mir nicht komisch vor, als ich nach dem Spiel gegen Bielefeld in der Kabine Spieler mit zwei Tausendmarkscheinen sah.“ Dieter Burdenskis Aussage als Hauptbelastungszeuge im Prozess gegen die vier Spieler musste dem unbedarften Beobachter zu denken geben. Burdenski hatte Geld in der Kabine gesehen und auch selbst erhalten – unter mysteriösen Umständen, wie er zu erklären wusste. Denn noch in der Kabine sei Manfred Pohlschmidt zu ihm gekommen und habe ihm den Treffpunkt des Parkplatzes vor dem Löwenpark Westerholt genannt. Um 21 Uhr des 17. April sei er dort eingetroffen, und habe, ohne aus seinem Wagen auszusteigen, von Pohlschmidt 2.000 Mark erhalten. Dabei habe er die anderen drei angeklagten Spieler in der Nähe des anderen Wagens erkannt.

Burdenski hatte also selbst Geld erhalten, wofür jedoch, wusste er unlogischerweise nicht zu sagen. Erst später, als er bereits in Bielefeld unter Vertrag war, habe er erfahren, um welche Gelder es gegangen sei. „Da habe ich Angst bekommen.“ Den Verteidigern Dr. Hütsch und Rechtsanwalt Weber ging es darum, die Glaubwürdigkeit des Zeugen zu erschüttern, da in den Protokollen der verschiedenen Vernehmungen von Burdenski unterschiedliche Angaben beteiligter Spieler gemacht worden waren. Außerdem habe er zuerst ausgesagt, die Spieler hätten sich in einer Gaststätte am Löwenpark getroffen, diese hatte aber nachweislich am 17. April geschlossen.

Wo die Wahrheit tatsächlich lag, konnten auch die Zeugen der Verteidigung nicht erhellen. Kindermann forderte für alle vier Spieler Sperre und eine Geldstrafe in Höhe von 2300 Mark. Das DFB-Sportgericht folgte der Forderung und sperrte die vier Spieler. Dieter Burdenski, der gestanden hatte, Geld genommen zu haben, durfte mit der Genehmigung des DFB weiter spielen. Kindermann ging sofort nach der Urteilsbegründung hin und stellte neue Prozesse in Aussicht. Mit großem Unbehagen startete Schalke 04 in die neue Saison.

Die Ankündigung des DFB-Chefanklägers Kindermann, dass mit der Verurteilung der vier Spieler der Skandal für Schalke noch lange nicht vorbei sei, bildete Gesprächsthema Nr. 1. Dabei standen unverblümt die Namen von Stan Libuda, Klaus Fichtel, Jürgen Wittkamp, Alban Wüst und Klaus Senger zur Diskussion. Trainer Ivica Horvat reagierte verärgert: „Unser Problem ist es nicht in erster Linie, Libuda und van Haaren zu ersetzen. Das Problem ist Kindermann. Sobieray ist gesperrt, weitere Verfahren sollen folgen. Ich verstehe das alles nicht.“ Keiner verstand es.

Der Ball rollte wieder. Schalke musste zunächst im Europapokal gegen Slavia Sofia antreten. Die Bulgaren überraschten bei ihrer Ankunft damit, dass sie ihre Spielerpässe in Sofia hatten liegen lassen. Für Schalke ein Grund, unter Protest zu spielen. Schiedsrichter Davidson aus Schottland vermerkte das im Spielbericht. Weitere Bemerkungen konnte er sich ersparen, denn das Spiel in der Glückauf-Kampfbahn litt kaum unter Fouls, wohl aber unter schwachen Leistungen beider Mannschaften, die vom Publikum nicht geschont wurden. Am Ende hieß es 2:1 für Schalke.

Zwei Wochen später wartete neuer Verdruss auf die Schalker. Dicke Wolken hatten sich über dem Himmel von Sofia zusammengezogen, und das Hotel entsprach auch nicht den Wünschen. „Das Wasser lief die Wände runter. Die Zimmer waren feucht und ungemütlich“, erinnert sich Rolf Rüssmann. Am Spieltag goss es in Strömen. Doch der Schweizer Schiedsrichter Scheurer ließ sich von den mürrischen Mienen der Spieler sowenig beeindrucken wie von den geöffneten Schleusen des Himmels. Knapp 5000 Zuschauer waren ins ziemlich leere Lewski-Stadion gekommen, viele hatte das schlechte Wetter vom Besuch abgehalten.

Die Schalker Spieler staunten nicht schlecht, als sie von 200 bundesdeutschen Touristen mit großem Jubel empfangen wurden. Beim Stande von 2:1 für Sofia hatte der Schiedsrichter, bis auf die Haut durchnässt, mit den Spielern ein Einsehen und brach das Spiel ab, zumal nun auch noch eine Verlängerung drohte. Schalke stimmte schweren Herzens einer Neuansetzung am nächsten Tag zu. Dies erwies sich als richtig, denn am Donnerstag hatten sich die Wolken verzogen, der Stadionrasen präsentierte sich in hervorragender Verfassung – genauso wie die Schalker Spieler, die siegreich mit 3:1 nach Hause fliegen konnten.