VfB Stuttgart: Was von den Versprechen übrig blieb

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(rk) Fußballfans verspüren nicht selten nur wenig Lust, sich mit Satzungen und Rechtsformen auseinanderzusetzen. Fußball soll Spaß machen und dabei ist so etwas vielen deutlich zu anstrengend.

Vereinsverantwortliche wissen das natürlich. Um so wichtige Entscheidungen wie die einer Ausgliederung der Profimannschaft in eine Kapitalgesellschaft vorzubereiten, wird daher auf ein einfaches Argumentationsschema zugegriffen. Ein Schema, in dem mit sehr einfacher Sprache die Pro-Argumente für eine Ausgliederung an den Fan gebracht werden – und Contra-Argumente gar nicht vorkommen. Transparenz für eine Entscheidungsfindung wird so nicht hergestellt, aber das ist ja auch gar nicht das Ziel der Vereinsführung. Die möchte, dass die Ausgliederung kommt und daher wird die Kommunikationslinie exakt so durchgezogen. Bedenken stören dabei nur.

Deshalb werden häufig einfach gehaltene Erklär-Videos bei Agenturen in Auftrag gegeben. So natürlich auch beim VfB Stuttgart. Dort heißt es: „Das ,e.V.’ in VfB Stuttgart steht für ,eingetragener Verein’. Diese Rechtsform ist für uns oft ein wirtschaftlicher Bremsklotz. Deshalb wollen wir die Profifußballabteilung in eine Aktiengesellschaft ansiedeln. So holen wir begeisterte Partner ins Team, die in unseren Sport investieren. Starke regional verwurzelte Unternehmen (gemeint ist hier insbesondere Daimler, die Red.) sind unser Heimvorteil. Den wollen wir nutzen und strategische Partner mit maximal 24,9 Prozent an der AG beteiligen. Dadurch erhalten wir Eigenkapital, das uns sofort zur Verfügung steht – ohne Rückzahlungen und Zinsen. Dieses Geld investieren wir nicht in einen vermeintlichen Topstar, sondern mit Köpfchen in unseren Profikader, unsere eigene Jugend und in die Infrastruktur. Ob direkt oder indirekt, jeder Euro dient dem Sport. Und so wird auch unser Kader nachhaltig gestärkt, um im Wettbewerb besser abzuschneiden. Das generiert wiederum Einnahmen in allen Bereichen des VfB. So zahlt sich jeder eingenommene Euro doppelt und dreifach aus. Die Ausgliederung ist keine Entscheidung zwischen e.V. und AG, sondern für einen e.V. mit einer AG. Der e.V. bleibt mit mindestens 75,1% alleiniger Entscheider über die Tochter. Für uns Mitglieder wird sich manches verändern – zum Positiven. Der neue Vereinsbeirat besteht zu 100 Prozent aus Mitgliedern und schlägt zukünftig die Präsidiumsmitglieder zur Wahl vor. Dieses Präsidium bestimmt den Aufsichtsrat der AG und dieser den Vorstand. So bleibt unsere Stimme wichtig.

Mit einer AG als Zugpferd und starken Partnern schaffen wir es, die Lücke zu anderen Vereinen zu schließen. So können wir agieren statt zu reagieren. Die Frage ist: Welche Rolle wollen wir in Zukunft spielen? Wir sind überzeugt: Mit einer Ausgliederung sind wir bald wieder vorne mit dabei. Um unsere Ziele zu erreichen, ist die einzig richtige Antwort: Am 01.06.2017 ,Ja!’ zum Erfolg.“

Wer das Video anschauen möchte, suche bei YouTube unter „Einfach erklärt: Die Ausgliederung der Profiabteilung des VfB Stuttgart“. Und was denkt der Otto-Normal-Fan, wenn er das Promotion-Video sieht? Der denkt: „Das klingt doch toll. Nur Vorteile. Wenn das so ist, dann stimme ich natürlich mit ,Ja’. Ich will ja auch, dass wir bald wieder vorne mit dabei sind.“

Und wenn es dann mal Stimmen gibt, die da nochmal nachhaken und wissen möchten, welche möglichen Nachteile sich durch eine Ausgliederung ergeben könnten, dann spielt sich häufig das gleiche Szenario ab: Diese Personen werden schnell abgekanzelt. Man versucht ihnen das Makel des Querulanten und Nestbeschmutzers anzuhängen bis hin zu noch weiter reichenden persönlichen Diffamierungen. Das ist nicht schön und bestimmt machen das auch die ausführenden Personen nicht gerne, aber wie sagt man so schön: Der Zweck heiligt die Mittel.

Ein Liedchen dazu singen kann auch die Stuttgarter Ultra-Gruppierung „Commando Cannstatt“, die im Interview mit dem Nürnberger Fan-Blog „Mein Club, mein Verein e.V.“ feststellte: „Wir sehen es so, dass mit dem Wahlkampf zur Ausgliederung das letzte Stückchen Vereinskultur bei uns den Bach runter ging. An dem Punkt, an dem Vorstand und Aufsichtsrat ihre ganze Power und Kommunikation dafür eingesetzt haben, ihre Ausgliederung genau so zu kriegen, wie sie es wollen, da war jegliche Diskussionskultur passé.“

Doch wie kam es überhaupt dazu, dass es Ausgliederungsbestrebungen beim VfB Stuttgart gegeben hat? Der Aufsichtsrat des VfB ist stark von Daimler geprägt. Die Geschäftsstelle des VfB liegt in unmittelbarer Nachbarschaft des Automobilherstellers. Und da schon in der Vergangenheit der Aufsichtsrat von den Mitgliedern nicht entlastet wurde, der Aufsichtsratsvorsitzende sogar gehen musste, wollte Daimler das alles nicht länger mit ansehen und nun klare Voraussetzungen schaffen.

Das hat man geschafft: Die Daimler AG wurde erster Investor der AG, erwarb 11,75 Prozent der Anteile und überwies dafür 41,5 Millionen Euro. Der Vereinswert betrug damit laut damaligem Präsidenten Wolfgang Dietrich 353 Millionen Euro. In der Kommunikation wurde nicht differenziert: „Macht man eine Ausgliederung – oder macht man einen Anteilsverkauf? Das war alles eins. Es hieß: Ausgliederung bringt Geld, bringt Erfolg, dazu muss man Ja sagen“, so das Commando Cannstatt. Seitens des VfB-Vorstands wurde die Zuspitzung bemüht, nur ein „Ja“ zur VfB-AG sei ein „Ja“ zum Erfolg.

Zur entscheidenden Mitgliederversammlung wurde dann auch ordentlich getrommelt und mobilisiert. Sehr abweichend zu den früheren Mitgliederversammlungen gab es diesmal Videobotschaften von Spielern, die sich für die AG ausgesprochen haben, es gab Shuttle-Busse für die Anfahrt, freie Parkmöglichkeiten, Verzehrgutscheine sowie ein Gratis-Trikot. Und siehe da: Statt der üblichen 2000 bis 3000 Mitglieder waren es diesmal fast 10.000.

Auch ansonsten spielte die Vereinsführung mit allerhand Tricks. Commando Cannstatt: „Die komplette Abstimmung wurde künstlich in die Länge gezogen. Da wurde erst nochmal der Trainer gefeiert, dann wurde die Mannschaft präsentiert. Der Stadionsprecher hat sie ausgerufen, wie bei einem Spiel. Es wurden über 1,5 Stunden verbummelt mit Belanglosigkeiten. Man merkte die Leute werden nervös. Das war vom Verein offensichtlich gewollt, damit die Aussprache kurz bleibt. Natürlich hat sich dann jemand gefunden, der in einem Mitgliederausschuss des Vereins saß. Derjenige hat dann gefordert, dass die Aussprache abgebrochen wird, schließlich sei alles gesagt, man müsse ja nur noch wählen. So kam es dann zur Wahl.“

Kritiker der Ausgliederung durften bei der Aussprache nicht ausreden, sie wurden ausgepfiffen, ausgebuht, beleidigt. Von der Versammlungsleitung wurde dies nicht unterbunden. Und so konnten sich die Mitglieder kein objektives Bild machen, es gab keine faire Chance zur sachlichen Gegenüberstellung von Pro- und Contra-Argumenten.

Was in dem Promotions-Erklär-Video noch so alles unter den Tisch gefallen ist, hier mal in aller Kürze zusammengefasst:

1) Ausgegliedert wurde nicht nur die Profimannschaft, sondern auch die Amateure, also die zweite Mannschaft oder U21, wie es jetzt nach dem neuen Konzept heißt. Dazu kommen die Jugendmannschaften bis zur B-Jugend.

2) Formal haben die Mitglieder gar keinen Einfluss mehr auf die AG. Zwar wählen die Mitglieder den Präsidenten des Vereins, der gleichzeitig Aufsichtsratsvorsitzender der AG in Personalunion ist. Er muss formal die Interessen des e.V. in der AG vertreten. Nur der e.V. hat ja keinen Profifußball mehr. Also welche Interessen hat der e.V. überhaupt noch?

3) Für die erste Tranche hat man Daimler als regional verankerten Investor gefunden. Für die zweite Tranche ist man bereits jetzt davon abgerückt, einen „regional verankerten“ Investor zu finden, obwohl man dies doch vorher so versprochen hatte, auch im Erklär-Video. Die regionalen Unternehmen Würth und Kärcher haben bereits erkennen lassen, dass sie nicht als Investor zur Verfügung stehen. Vielmehr geht es wohl nun in Richtung eines internationalen Partners oder eines Fonds. Für die Saison 2018/19 war ein weiterer Investor angekündigt, nun spricht man von 2020. Die Investoren stehen offensichtlich nicht Schlange.

4) Bei der Ausgliederung Mitte Juni 2017 ist der Präsident Wolfgang Dietrich sehr forsch aufgetreten und hat in Aussicht gestellt, dass der VfB in fünf Jahren wieder fest im internationalen Geschäft vertreten ist. Wer konnte da schon ahnen, dass man im darauffolgenden Jahr nochmal absteigt und selbst die Relegation gegen den eingetragenen Verein Eisern Union Berlin vergeigt?

Wolfgang Dietrich ist inzwischen Geschichte, er ist zurückgetreten, nachdem auf der Mitgliederversammlung im Juli 2019 eine Abstimmung über seine Abwahl nicht möglich gewesen war. Das drahtlose Internet funktionierte angeblich nicht – über das WLAN-Kabel gestolpert, wie die „Zeit“ schrieb.

Der eigentliche Grund für seine verhinderte Abwahl liegt nach kicker-Recherchen darin, dass er und sein Sohn – zumindest mittelbar – als Teilhaber an der Investmentgesellschaft Quatt-rex beteiligt – selbst am sportlichen Erfolg des Konkurrenten Union Berlin mitverdienten. Pikanterweise stieg der VfB gegen genau diesen Verein ab.

Sportdirektor Jan Schindelmeiser ist ebenfalls Geschichte – nur wenige Wochen nach der Abstimmung trennte sich der VfB von ihm, obwohl er doch eine Art Testimonial für die Ausgliederung war. Commando Cannstatt dazu: „Es ist halt irgendwie typisch VfB, man erhält eine einmalige Finanzspritze und wechselt während des Geldausgebens die Investitionsstrategie.“

Mit Schindelmeiser hatte man große Dinge vor, das Gleiche gilt für seinen Nachfolger Michael Reschke. Dietrich über ihn bei seinem Amtsantritt: „Ich bin stolz darauf, dass wir Michael Reschke gewinnen konnten. Er ist ein absoluter Glücksfall für unseren Verein.“

Reschke hat danach aber den Karren mal so richtig in den Dreck gefahren. Ende Januar 2018 musste Trainer Wolf seine Sachen packen, sein Nachfolger hieß Tayfun Korkut. Unter ihm lief es zunächst gut, der VfB war zweitbeste Rückrundenmannschaft. Sein noch ein Jahr laufender Vertrag wurde in der Sommerpause frühzeitig verlängert – doch schon Anfang Oktober 2018 hieß es wieder „Trainer raus“.

Im Februar 2019 musste dann auch Reschke gehen, seine Transfers nannte er dabei zuvor zum Teil selbst „Flops“. Eine katastrophale Außendarstellung, die aber zuvor noch von Dietrich belohnt wurde: Das einseitige Kündigungsrecht in Reschkes Vierjahresvertrag wurde gestrichen. Abfindungen in Millionenhöhe, ein nahezu wehrloser Abstieg in die zweite Liga und damit verbunden Umsatzeinbußen von 40 Millionen Euro.

Und so hinterlässt der frühere Präsident Dietrich, der nach seiner Wahl in 2016 ein kritisches VfB-Mitglied als „Drecksack“ bezeichnet hatte, einen gespaltenen Verein, eine vergiftete Atmosphäre und verpulvertes Investorengeld. Keine guten Voraussetzungen für seinen Nachfolger.

Die nächste Präsidentschaftswahl findet am 15. Dezember statt. Einer der beiden Kandidaten heißt Claus Vogt, er ist der Vorsitzende des „FC PlayFair e.V.“.

Im SCHALKE UNSER Nummer 91 haben wir ein Interview mit ihm geführt.

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