Bodo und Peter vom SCHALKE UNSER

„Was daraus entstanden ist, war außerhalb unserer Vorstellungskraft“

(dol/rk) Im Jahre 1994 machten sich ein paar Schalker Gedanken darüber, ein Fan-Magazin zu produzieren. Ein Vierteljahrhundert später haltet Ihr die 100. Ausgabe in Euren Händen. Wir sprachen mit Bodo und Peter, zwei der Gründer des SCHALKE UNSER, über die Anfänge und ihre Sicht auf den Fußball von heute.

SCHALKE UNSER:
Vor 25 Jahren gab es das erste SCHALKE UNSER. Wie ist es dazu gekommen?

BODO:
Die Fan-Initiative war zu der Zeit schon eine recht große Gruppe geworden. Gestartet als „Schalker gegen Rassismus“ zwei Jahre zuvor ist das sehr schnell gewachsen und wir brauchten ein Sprachrohr, um all das, was wir in unserer Gruppe schon diskutierten, nach außen zu tragen und zu transportieren. Es gab damals schon einige Fanzines: Bekanntestes in Deutschland war das „Millerntor-Roar“ aus St. Pauli. Das fanden wir klasse und so etwas wollten wir unbedingt auch auf Schalke etablieren.


PETER:
Es gab einen kleinen Vorgänger, quasi einen Rundbrief für die Mitglieder der Fan-Initiative. Das war aber wirklich noch mit Pritt-Klebestift-Technik zusammengeklöppelt. Und dann haben wir gesagt: Lass uns doch mal was ganz Verwegenes machen und nicht nur ein paar Seiten für uns, sondern vielleicht 24 Seiten für ein paar hundert Leute. Und so sind wir auf eine Spur geraten, auf der es immer schneller wurde.

Die ursprünglichen SCHALKE-UNSER-Macher
Die ursprünglichen SCHALKE-UNSER-Macher

SCHALKE UNSER:
Wie seid ihr auf den Namen gekommen?

PETER:
Als Namen wurden unter anderem „Blaulicht“ und „Tibulski“ diskutiert. Tibulski, weil er angeblich auf einem Foto, auf dem die ganze Schalker Kreisel-Elf mit ausgestrecktem rechten Arm zu sehen ist, die Arme unten gelassen haben soll. Das Ganze konnten wir allerdings schlussendlich nicht verifizieren. War vielleicht auch nur eine Legende. Urplötzlich fiel dann in der Diskussion von Christian der Name SCHALKE UNSER und allen war sofort klar, dass das der Name wird. Die Brücke von „Vater Unser“ und „Schalke ist ‘ne Religion“ über „Gebt uns Fans das Spiel zurück“ bis zum Namen SCHALKE UNSER war eigentlich geradezu naheliegend.

BODO:
Der Peter hatte mich dann angerufen und gefragt: „Was hältst du denn von SCHALKE UNSER?“ Und als ich das gehört habe, da war es, als ob eine Lampe in mir angegangen ist und ich hab gesagt: „Dat isset!“

SCHALKE UNSER:
Gestartet seid ihr mit einer Auflage von 1000 Exemplaren. Wie waren die ersten Reaktionen?

BODO:
Der damalige Schalker Pressesprecher, Andreas Steiniger, sagte zu mir, als er das Blättchen mit dem Namen SCHALKE UNSER sah: „Jetzt seid ihr völlig durchgeknallt.“ Im Grunde haben wir damals Collagen gemacht, im Kartoffeldruck und im Punk-Stil. Das war damals noch üblich, die Punk-Fanzines wie „Plastic Bomb“ oder „Ox“ haben genauso gearbeitet. Es gab noch keine ausgereifte Technik. Keine E-Mails, keine digitalen Fotos und unser Speichermedium waren 5 ¼-Zoll-Disketten. Ich weiß noch, dass wir irgendwo das Logo des FC Valencia abgedruckt haben, das sah dann aber eher aus wie eine Apfelsine.

PETER:
Ja gut, Valensina, Valencia …

SCHALKE UNSER:
Welches Ziel wolltet ihr mit dem SCHALKE UNSER verfolgen?

PETER:
Da muss man zwei Ereignisse vorschalten. Es gab damals Affenlaute im Parkstadion, ich kann mich da noch an wüste Beschimpfungen gegen Anthony Yeboah erinnern. Wirklich übel rassistisch. Und das zweite Ereignis war unsere Reaktion darauf, als wir bei einem Spiel am Mittelpunkt mit unserem Banner „Schalker gegen Rassismus“ standen und damit in die Kurve gelaufen sind. Das war eine spontane Aktion der Leute, die da zusammen auf dem Rasen standen. Und dann weiß man natürlich erstmal nicht, was gleich passiert. Kriegste Beifall oder wirste beworfen? Die Reaktion war überaus positiv und so entstand der Gedanke, dass wir noch mehr machen könnten.

Cover SCHALKE UNSER 100


BODO:
Damals haben sich ganze Stadien rassistisch verhalten und „Asylanten, Asylanten“-Gesänge angestimmt, und wir wollten da ein Gegengewicht setzen. Aber ich wüsste gar nicht, ob man das heute überhaupt noch einmal so starten könnte. Wir haben damals zum Beispiel einfach Flugblätter verteilt und von der Erstausgabe wusste im Verein niemand. Vieles wurde da einfach gemacht. Wenn man ein Banner „Schalker gegen Rassismus“ im Innenraum aufhängen wollte, hat man das dem Ordner gesagt und ist durchgegangen. Damals habe ich immer noch einen ganzen Rutsch Hefte in die Mannschaftskabine gebracht, bis mich der Lehmann mal rausgeschmissen hat: „Das gibt’s doch gar nicht, jetzt sind die Fans schon hier in der Mannschaftskabine.“ Aber so war das.

PETER:
In der Nachbetrachtung würde ich das Verhalten des Vereins von damals als orientierungslos bezeichnen. Da gab es zwar dann Diskussionen darüber, ob wir Flugblätter auf dem Vereinsgelände verteilen dürfen, aber andererseits waren die froh, dass wir was gemacht haben, weil die in den damaligen Strukturen gar nicht in der Lage waren, selbst etwas zu machen.

Vor der ersten Ausgabe des SCHALKE UNSER gab es Flugblattaktionen und die allererste Reaktion des Vereins war, dass man uns die Reinigungskosten dafür in Rechnung stellen wollte. Aber eine Woche später waren sie schon auf dem Trip, dass sie uns die gesamte Druckauflage bezahlen wollten. Was so ein bisschen zeigt: Erst so eine spontane, hektische Reaktion, „das geht doch gar nicht, was die da machen“, dann zwei Mal nachgedacht und es hieß „Wieviel braucht ihr?“.

BODO:
Ich glaube, dass der Verein damals etwas überrumpelt war. In der Fan-Ini kamen viele aus kreativen Bereichen und Berufen und mit dieser Kreativität konnten die nicht besonders gut umgehen. Mir hat mal jemand gesagt, dass der Verein damals Mitglieder verwaltet hat wie eine Partei, die ihre Karteileichen verwaltet. Die haben denen im Parkstadion Lena Valaitis vorgesetzt und dachten, das sei passend. Dabei war das völlig an den Fans vorbei.

PETER:
Wir hatten damals gar nicht das Ziel, dass es mal 20 oder 30 Ausgaben werden könnten. Für uns war erstmal wichtig: Wir machen was. Und dann schauen wir weiter. Wir waren offenbar zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Als dann eine Diskussion zu Rassismus in den Stadien hochkam, war man sicher auf Vereinsseite ganz froh, dass es bereits eine Gruppe gab, die sich damit auseinandergesetzt hat. Ich würde nicht so weit gehen, dass sie sich mit uns geschmückt haben, aber vielleicht haben sie aufgeatmet.

SCHALKE UNSER:
Rudi Assauer kam 1993 zurück nach Schalke. Wie war die Zusammenarbeit mit ihm? Es gab auch Punkte, wo ihr unterschiedlicher Meinung ward.


BODO:
Ja, Möller, sag ich da nur. Ich denke, dass ich damals einfach meiner Linie treu geblieben bin und mich dabei sogar an Rudi Assauers eigenes Motto gehalten habe als er sagte, dass wir nur Spieler holen, die zu uns passen. Und das war für mich der erste, der nicht passte. Aber ansonsten fand ich die Ära Assauer genial – insbesondere die Anti-Rassismus-Arbeit. Du bist zum Rudi gekommen und das erste, was der sagte, war „Wieviel braucht ihr?“. Der war einfach so ein „Handschlag-Mensch“ und ein Manager, wie man den sich nur vorstellen kann. Solche Typen gibt’s nicht mehr. Heute sehe ich da nur noch Nutznießer.

PETER:
Rudi war einfach anders gestrickt und hatte auch viele Sympathien für uns, es gab etliche gemeinsame Auftritte. Es gab keine formellen Hürden und Entscheidungen wurden innerhalb von wenigen Minuten getroffen. Nicht nur immer positiv für uns, es gab auch Dinge, wo er sagte: „Geht gar nicht, machen wir nicht.“ Aber dann wusste man sofort, woran man war.

SCHALKE UNSER:
Nun hat sich der Fußball in den letzten 25 Jahren völlig verändert. Vielleicht würde so ein Charakter wie der von Rudi Assauer im heutigen Fußballbusiness schon gar nicht mehr funktionieren. Wie seht ihr das?


BODO:
Für mich hat der Fußball seinen Reiz verloren, weil das ganze Umfeld nicht mehr stimmt. Ich habe noch Spiele im Parkstadion vor 7000 Zuschauern und im Regen gesehen. Da war ein Fußballspiel noch ein Ereignis, heute ist es ein „Event“.

PETER:
Ist bei mir etwas anders. Ich gehe weiterhin gern in die Arena, nicht zuletzt um dort alte Bekannte zu treffen. Nicht unbedingt wegen des eigentlichen Spiels, denn dann hätte ich ja die letzte Saison nicht kommen dürfen. Ich glaube, dass man aus der Erinnerung die Vergangenheit verklärt, wie schön es damals im Parkstadion war. Ich kann mich schon dran erinnern, dass ich damals bei strömenden Regen im Parkstadion den Schlusspfiff herbeigesehnt habe.

BODO:
Erzähl mir nix, das war ‘ne geile Zeit. Natürlich hat die heutige Zeit auch ihre angenehmen Seiten, aber mir kann keiner erzählen, dass der Fußball heute nicht anders ist. Er hat sich verändert und ist für mich uninteressant geworden. Ich guck zwar noch die Spiele, aber ich schalte den Fernseher immer erst zum Anpfiff ein, weil ich diese ganze Vorberichterstattung nicht ertragen kann. Das ist etwas, das geht mir gänzlich ab. Das ganze Drumherum, das kann mich mal.

SCHALKE UNSER:
Vor 25 Jahren war Fußball schon ein großes Geschäft, heute ist der Fußball ein noch viel größeres Geschäft. Es ist viel Geld auf wenige Personen verteilt. Dies führt zu Problemen. Das Problem ist dabei nicht unbedingt, dass einige Personen reicher sind als andere, aber es führt zu Gier. Und es führt dazu, dass Entscheidungsprozesse wie etwa eine WM-Vergabe nach Russland oder Katar von Geld und Korruption beeinflusst werden.

PETER:
Eine WM-Vergabe an ein Land, in dem bislang der Fußball eher eine Randsportart ist, finde ich erst einmal nicht schlimm. Unsere europäische Sichtweise ist da manchmal nicht immer ganz richtig, wenn wir meinen, dass eine WM in Länder vergeben werden muss, die unserer Klimazone entspricht und in denen es eine große, aktive Fanszene gibt. Ich habe aber Probleme damit, dass eine WM-Vergabe nach Russland stattgefunden hat – und vor allem, wie die Vergabe stattgefunden hat.

BODO:
Und vergesst nicht die Leute, die beim Bau der Stadien in Katar gestorben sind. Die Drei-Euro-Kräfte, die aus der ganzen Welt angekarrt wurden. Geschmacklos, das geht doch gar nicht. Früher hat man gesagt „Ich schick dich in die Wüste.“ Und heute spielen die Fußball in der Wüste und das geht nur mit vollklimatisierten Stadien. Was für ein Wahnsinn! Sind wir eigentlich noch alle ganz dicht? Die Diskussion darüber finde ich schon sittenwidrig.


Ich habe nach meinem Engagement in der Fan-Ini noch viel in Projekten zusammen mit dem DFB gearbeitet und ich weiß, dass der DFB-Sicherheitsbeauftragte Spahn seinen Platz beim DFB geräumt hat; der ist mal eben nach Katar gegangen und verdient dort sechsstellige Summen pro Monat als Sicherheitsberater. Das ist der gleiche Spahn, der beim DFB Anti-Rassismusarbeit mit Kosten von 5000 Euro über die Klinge hat springen lassen. Das sind Zusammenhänge, die kein Mensch mehr versteht. Da krieg ich Schnappatmung.

SCHALKE UNSER:
Auch wenn der Vergleich sicherlich etwas hinkt, aber im Kleinen ist das auf Schalke nichts anderes, es dreht sich alles ums Geld.

PETER:
Aber Geld, insbesondere wenn es nicht vorhanden ist, kann Vereine kaputt machen, wir sehen das ja grad bei Wattenscheid 09. Wenn Schalke chronisch finanziell angeschlagen erscheint, dann muss man allerdings bereit sein anzuerkennen, dass der Bau der Arena mit 200 Millionen Euro Investition schon eine Hausnummer war.


BODO:
Das ist heute ein guter Spieler, ein Neymar oder so. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen.

PETER:
Ich finde es dann eher erschreckend, dass man mit den Einnahmen von Leroy Sane und Thilo Kehrer, für die wir zusammen etwa 85 Millionen Euro bekommen haben, die Verbindlichkeiten nur geringfügig abgebaut hat. Und gleichzeitig schiebt man die 200 Millionen Verbindlichkeiten weiter vor sich her. Aber offenbar wollte man in Spieler investieren, um an die Fleischtöpfe der Champions League zu kommen, um damit wieder die horrenden Spielergehälter bezahlen zu können.

BODO:
Wir sind ja sogar noch privilegiert. Wie sehen denn wohl solche Gespräche bei Rot-Weiß Oberhausen, in Essen oder der SG Wattenscheid aus? Es geht doch darum, was noch vom Fußball übrig geblieben ist. Ihr könnt ja mal alle 100 Ausgaben des SCHALKE UNSER sichten und dann werdet ihr sehen, wie sich der Fußball entwickelt hat. Ich krieg da Angst.

SCHALKE UNSER:
Du kannst heute noch Texte aus der allerersten Ausgabe bringen, die haben an ihrer Aktualität nichts verloren. Das würde bei dem einen oder anderen Text gar nicht auffallen, dass der 25 Jahre alt ist.

PETER:
Das hat sich aber alles nicht geändert. Wenn du mit Leuten sprichst, die den Fußball in den 50er und 60er Jahren verfolgt haben: Die haben schon in den 80ern festgestellt, dass der Fußball kaputt ist und es nicht mehr schlimmer werden kann. Dann kommt die nächste Generation, die hat das in den 90ern gesagt und jetzt sagen wir, dass der Tiefpunkt erreicht ist. Dabei ist das doch immer eine Sichtweise der Generationen. Würde mich gar nicht wundern, wenn in zwanzig Jahren einige Leute sagen, wie toll der Fußball doch im Jahre 2019 war.

BODO:
Was mich auch völlig nervt, ist inzwischen die Medienlandschaft: Da wird über jeden Schnürsenkel berichtet.

PETER:
Vieles der Berichterstattung ist inzwischen hochspekulativ. Man kann das auch gut beobachten, wie das ausgeschlachtet wird, wenn wieder irgendein Gerücht über einen Zu- oder Abgang durch die Medien geht. Wenn man das dann über das Internet sucht, findet man direkt hundert Treffer, bei denen der eine von dem anderen abgeschrieben hat.

Man könnte dazu mal einen Feldversuch starten und irgendein Gerücht in die Welt setzen und nach 24 Stunden schauen wir mal, wie viele Seiten dieses Gerücht übernommen haben. Die Vereine werden da teilweise auch unter Druck gesetzt, so nach dem Motto: „Jetzt gib uns mal einen kleinen Anhaltspunkt, damit wir der Wahrheit etwas näher kommen, ansonsten werden wir spekulieren.“

Wenn Express oder Bild-Zeitung noch freien Platz haben, dann setze ich als Journalist irgendein Gerücht in die Welt und fülle die Lücke. Wenn ich daneben gelegen habe, spricht morgen kein Mensch mehr drüber und, wenn ich richtig gelegen habe, kann ich sagen, dass ich es exklusiv berichtet habe. Und es manifestiert sich der Gedanke, dass die alle gut informiert sind.

SCHALKE UNSER:
Jetzt seid ihr ja schon einige Zeit nicht mehr beim SCHALKE UNSER. Wie verfolgt ihr heute noch Schalke und das SCHALKE UNSER?

PETER:
Ich habe weiterhin meine Dauerkarte und verfolge quasi alle Heimspiele, auswärts bin ich nicht mehr so intensiv dabei wie früher, aber ab und zu. Das SCHALKE UNSER nehme ich heute aus einem ganz anderen Blickwinkel wahr. Damals kannte ich das ganze Heft ja schon vor dem Erscheinen, aber heute bin ich da eher Konsument und fange mit den Artikeln an, die mich besonders interessieren, dann lese ich am nächsten Tag weiter oder ich nehme das Heft mit in den Urlaub.

BODO:
Ich hab mein SCHALKE UNSER-Lesen völlig eingestellt. Das liegt aber nicht am SCHALKE UNSER, sondern daran, dass ich mich generell vom Fußball entfernt habe. Das hatte mit meiner beruflichen Situation zu tun, ich war einfach in vielen Projekten unterwegs, die meine volle Aufmerksamkeit benötigten. Ich habe eine Zeit bei einem Aussteigerprojekt für Neonazis gearbeitet und in weiteren sozialpädagogischen Programmen. Ab und zu habe ich bei meiner Pizzeria nochmal im SCHALKE UNSER geblättert, muss aber klipp und klar sagen, dass das nicht mehr die Welt ist, in der ich lebe.

Dennoch war das für mich alles eine tolle Zeit. Ich kann mich gut daran erinnern, dass ich mal 2000 Strohhalme auf das Heft geklebt habe, als es darum ging, dass wir uns für den UI-Cup qualifizieren. Oder als wir Charly Neumann im Mittelteil als Erotikposter reingetackert haben. Ich war letztens noch mit einem Freund, auch Gründungsmitglied der Fan-Ini, in Charlys Bummelzug. Und da stand so eine lebensgroße Figur von Charly und ich sagte noch zu meinem Freund: „Ralle, guck mal da, unser altes Erotikposter steht da.“

Und dann habe ich erfahren, dass der Bummelzug in zehn Tagen schließt. Das war für mich ein Synonym. Für mich ist der Profifußball und ein Teil dessen, was ich mit dem Fußball verbinde, ein Stück weit gestorben. Wir haben Dinge im Fußball erlebt, die gibt’s heute gar nicht mehr: Als nach dem Uefa-Cup-Sieg Fans ausgerastet sind, als sie mit einem Quadratmeter Rasen durch die Kneipen gerannt sind, als wir Fan-Feste gefeiert haben, das gibt’s alles nicht mehr. Ich freue mich, dass ihr mir die aktuelle Ausgabe mitgebracht habt und ich werde sie aufmerksam lesen, aber der Fußball hat sich so entwickelt, dass ich all das, was ich mit dem Fußball verbunden habe, gar nicht mehr mit ihm verbinden kann.

SCHALKE UNSER:
Stellt euch bitte einmal vor, ihr wärt 30 Jahre jünger. Würdet ihr – unter den heutigen Voraussetzungen – nochmal eine Schalker Fan-Initiative und ein SCHALKE UNSER ins Leben rufen?

PETER:
Ich bereue überhaupt nichts, keine einzige Minute. Es hängt aber immer davon ab, ob sich eine Gruppe findet so wie damals, in der einfach ganz viele Aktive einen Drive eingebracht haben, von dem man mitgetragen wird. Und es ist die Frage, ob man Gestaltungsmöglichkeiten findet. Damals haben wir die Gestaltungsmöglichkeiten gesehen oder glaubten sie zu sehen – wir waren sehr optimistisch. Unter diesen Rahmenbedingungen würde ich sagen „Ja“, aber pauschal kann ich das gar nicht beantworten.

BODO:
Jede Faser meines Körpers sagt, dass ich alles genauso nochmal machen würde. Unter den heutigen Voraussetzungen würde ich das aber wohl nicht mehr machen. Wir leben heute in einer völlig anderen Gesellschaft als vor dreißig Jahren. Heute mache ich viel im Tierschutz, das hätte ich mir vor dreißig Jahren gar nicht vorstellen können. Ich würde heute aber auf keinen Fall mehr in den Fußball gehen und versuchen, Dinge zu verändern, wie wir sie damals verändert haben. Es ist heute gar nicht mehr machbar. Heute kannst du kein Flugblatt mal eben so verteilen, denn dann bekommst du die Reinigungskosten wirklich aufgedrückt und nicht nur die. Und du findest auch nicht mehr die solidarische Vielfalt von Menschen, die an einem Strang ziehen. Damals kamen 70 Leute in die Kneipe und riefen, „Ja, wir wollen mitmachen!“.

Ich bin nach dem ganzen Theater um Clemens Tönnies und dem unsäglichen Ehrenratsurteil nach 50 Jahren Mitgliedschaft aus dem Verein ausgetreten, vor allem aufgrund des katastrophalen Umgangs des Vereins mit diesem Fall. Und Peter Peters hat sich nach meiner Kündigung nochmal persönlich bei mir gemeldet und wollte mich umstimmen. Und jetzt sag ich mal eins: So ein Mann wie der Peter Peters, trotz der Scheiße, in der er watet, und der Scheiße, die er teilweise von sich gibt, will im Grunde auch einen anderen Fußball. Das glaube ich. Aber da kannste nichts gegen machen. Wie will man das Rad aufhalten, geschweige denn zurückdrehen?

PETER:
Ich bin da etwas optimistischer. Es war damals schon ziemlich verrückt, was wir da gemacht haben. Wir waren uns dessen gar nicht bewusst, was wir da ausgelöst haben. Wir hatten auch gar keinen Anspruch, über einen so langen Zeitraum – bis heute und in 100 Ausgaben – intensiv etwas zu machen. Es ging uns vielmehr darum, ein Zeichen zu setzen. Wir hatten keinen Masterplan.

Und ich kann mir schon vorstellen, dass heute aus einer verrückten Aktion wieder etwas entspringen kann, mit dem man vielleicht am Anfang gar nicht rechnet. Wenn man uns damals gesagt hätte, dass wir in eine Glaskugel schauen dürfen und sehen, was da 20 Jahre später in Sachen SCHALKE UNSER läuft, dann hätten wir vielleicht sogar ein bisschen Schiss gekriegt. Was daraus entstanden ist, war außerhalb unserer Vorstellungskraft.

SCHALKE UNSER:
Vielen Dank für das Gespräch, euch alles Gute und Glückauf.

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