Der Sonnenkönig

Zeitungsartikel mit Titel "66000 feiern Schalke! 4:1 - die Rettung"

(rk) Schon am 23. September 1988 war die kürzeste Amtszeit einer Schalker Präsidentschaft wieder vorbei. Nach drei Tagen hatte Michael Zylka aufgegeben. Gesucht wurde nun ein Präsident mit Einfluss und vor allem sehr viel Geld auf der Tasche, denn die Schuldenlast war erdrückend.

Es musste ein „Verrückter“ gefunden werden, der das „Abenteuer Schalke“ eingehen wollte. Drei-Tages-Präsident Michael Zylka kannte Günter Eichberg bereits von der Düsseldorfer EG. Dort hatte Eichberg sogar verlauten lassen: „Wenn ich das vorher gewusst hätte, dass es so einfach ist, Präsident auf Schalke zu werden, dann hätte ich es schon viel früher probiert.“ Der Schuldenberg als Hürde aber ließ sich nicht wegreden.

Dennoch stellte sich Eichberg zur Wahl. Günter Eichberg, der Besitzer von sechs Privat-Kliniken (Spezialgebiet: Krampfadern) war erst vor kurzem Schalke-Mitglied geworden. Das machte ihn verdächtig, allerdings war weit und breit niemand anderes in Sicht, der Schalke schneller auf die Beine helfen konnte. Einziger ernst zu nehmender Gegenkandidat war Hermann Eppenhoff, den man auf Schalke als ruhigen, sachlichen Mann schätzte. Der ehemalige Meistertrainer hielt sich lieber im Hintergrund auf, und war von daher das genaue Gegenteil von Eichberg. Zudem hatte Eppenhoff gesundheitliche Probleme: „Es ist bekannt, dass ich einen Herzschrittmacher habe. Aber den hat Helmut Schmidt auch.“ Sein Konzept: „Ich würde Rolf Rüßmann zum Manager machen, wenn er zu bezahlen ist. Schalke braucht endlich Ruhe – denn wir haben uns schon genug blamiert.“ Doch im letzten Augenblick zog Eppenhoff seine Kandidatur zurück.

Erst am 16. Januar 1989, ein gutes Vierteljahr nach dem Rücktritt von Zylka, kam es zur Wahlnacht. Es sollte den bis dato größten Wahlsieg geben, den Schalke erlebt hat. 83,9 Prozent der fast 1400 wählenden Mitglieder stimmten für Günter Eichberg. 132 Journalisten bedrängten ihn anschließend, als er die Sektkorken knallen ließ. Champagner für 106 Mark die Flasche wurde geköpft. Günter Eichberg versprach Schalke den Aufstieg („aber noch nicht in diesem Jahr“) und Geld für neue Spieler. Mit dem 42-Jährigen jubelte seine Lebensgefährtin Christa Paas. Schalke hatte nun auch eine First Lady.

Eichberg trat kein leichtes Amt an, 2,5 Millionen Mark Schulden hatten sich aufgetürmt. Aber er zeigte sofort, dass er um originelle Ideen nicht verlegen war: Kneipenwirte, die 1000 Mark spendeten, durften ihren Laden ab sofort „Schalker Vereinslokal“ nennen.

Und nun wurde auch klar, warum Hermann Eppenhoff vor der Wahl einen Rückzieher machte, denn Eichberg machte den 69-Jährigen zum ehrenamtlichen Manager. Und gleich beim ersten Eichberg-Transfer war auch Eppenhoff beteiligt. Nachdem Eichberg diverse Profis abgesagt hatten (Rainer Schütterle, Stefan Engels, Christian Hausmann) wurde kurz vor der Schließung der Transferliste Günter Schlipper für 700.000 Mark von Köln an den Schalker Markt geholt. Die halbe Bundesliga lachte sich schlapp, denn der Preis war viel zu hoch. Vor sechs Monaten war der Mittelfeldspieler von Oberhausen nach Köln gewechselt, da kostete er gerade mal 175.000 Mark, in Köln saß er oft nur auf der Ersatzbank. Eichberg: „Sicher ist die Transfersumme zu hoch, aber wir waren unter Zeitdruck, mussten handeln. Aber wir sind sicher, dass wir einen Riesen-Mann geholt haben.“

Erste Rückschläge

So kam es nach der Winterpause zum ersten Spiel unter Eichbergs Regentschaft – ausgerechnet bei Fortuna Düsseldorf, dem Verein, bei dem Eichberg zuvor versucht hatte, Einfluss zu gewinnen. Mit Fortuna-Präsident Förster war er per Du, der Fortuna hatte Eichberg zuvor drei Spieler finanziert und ein Trainingslager bezahlt.

Beim Spiel gegen die Fortunen pennte die gesamte Schalker Mannschaft. Didi Ferner kritisierte sein Team nach der 0:2-Niederlage ungewöhnlich scharf. Das Schalker Mittelfeld mit Anderbrügge, Goldbaek, Schlipper und Marell ging völlig unter. Nach der Niederlage lud Eichberg seine Truppe dennoch in die Düsseldorfer Altstadt an die längste Theke der Welt ein.

Auf Schalke ließ es sich als Spieler prima leben. Das Training verlief ausgesprochen harmonisch, keiner wurde angemacht, selten ging es im Zweikampf richtig zur Sache. Nach jedem Training dufteten in der Kabine frischer Kaffee und leckerer Kuchen. Das Arbeitsklima auf Schalke verschlechterte sich aber drastisch, als die spielerischen Leistungen auf dem Platz nicht besser werden wollten. 0:1 in Braunschweig verloren, dann nur ein 1:1 gegen Rot-Weiß Essen und ein indiskutables 0:2 in Aschaffenburg. Charly Neumann blieben bei seiner Schrotkur in Oberstauffen die Körner im Halse stecken. Schalke befand sich schon wieder im Abstiegskampf – diesmal ging es aber um den Abstieg in die Amateurliga.

Die Gründe für den Absturz: Der Schalker Sturm war nur noch ein laues Lüftchen. Uwe Wassmer hatte Ladehemmung, Neueinkauf Uwe Igler passte überhaupt nicht in die Mannschaft. Jürgen Luginger war alles andere als ein Flankengott und Ingo Anderbrügge, Bjarne Goldbaek und Günter Schlipper arbeiteten kein bisschen nach hinten. Didi Ferner gönnte Jens Lehmann, der in den letzten Spielen einige Male patzte, eine Auszeit. Abstiegskampf in der 2. Liga und Prüfungsstress im Abitur waren wohl zuviel für den 19-Jährigen. Werner Vollack kehrte ins Tor zurück.

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Platzsturm

Der Linienrichter schaffte es gerade noch in den Kabineneingang zu stürmen. Doch für Schiedsrichter Michael Prengel blieb der Fluchtweg versperrt. Etwa 200 aufgebrachte Schalke-Fans stürmten knapp fünf Minuten vor dem Abpfiff der Partie Schalke 04 gegen Darmstadt 98 (3:4) den Rasen des Parkstadions und wollten den Unparteiischen „einfangen“.

Die Meute war kaum noch zu beruhigen und nur dem schützenden Einsatz der Schalker Spieler verdankte es Prengel, dass er mit einem Tritt in den Allerwertesten davonkam. Konnte die Partie nach einer Unterbrechung von 15 Minuten fortgesetzt werden, so lauerten zahlreiche Fans noch eine Stunde vor dem Marathontor, um den Referee „zu holen“. „Ich rechne mit einer angemessenen Strafe vom DFB, die haben wir auch verdient“, meinte Günter Eichberg, während Geschäftsführer und Großbäcker Fred Gartenbröcker nur kleine Brötchen backte: „Mit so etwas konnte niemand rechnen.“

Dabei war mit zunehmender Spielzeit abzusehen, dass der 25 Jahre alte Prengel in diesem Kellerduell überfordert war. Mit merkwürdigen Entscheidungen brachte das Schiedsrichtergespann die Volksseele mehr und mehr zum Kochen (vornehmlich nicht gegebene Abseitstore für Schalke, welche niemals abseits waren). Doch der Schiedsrichter hatte natürlich nicht die alleinige Schuld an der Niederlage. Die Spieler mussten sich an die eigene Nase fassen und auch Trainer Ferner war längst nicht mehr unumstritten.

Dennoch sollte das ganze ein Nachspiel haben, Schalke bekam vom DFB eine Platzsperre für das Heimspiel gegen Fortuna Köln auferlegt. Es gab ein langes Hickhack um den Austragungsort. Man wollte eigentlich nach Lüdenscheid (das echte Lüdenscheid), aber der DFB genehmigte dies aus Sicherheitsgründen nicht. Schließlich entschied man sich für Hannover. Das Verhalten der Zuschauer sorgte auch noch dafür, dass die hohen Zäune in die Nordkurve des Parkstadions kamen (wo sie bis heute stehen).

Ein Schritt vor dem Abgrund

Es kam der absolute sportliche Tiefpunkt in der Schalker Vereinsgeschichte. Schalke verlor auch das Keller-Derby in Osnabrück mit 0:1 und rutschte in der 2. Liga auf den vorletzten Platz ab. Bis zum rettenden Ufer waren es schon vier Punkte Abstand, der Absturz zu den Amateuren stand kurz bevor. Nach dem Spiel erklärte Günter Eichberg: „Wir werden noch in dieser Woche über die Trainer-Frage beraten müssen.“

So kam es, wie es kommen musste. Didi Ferner packte seine Koffer zum zweiten Mal und Günter Eichberg begann die Suche nach einem geeigneten Trainer. Geheimverhandlungen soll es sogar mit Rainer Bonhof und Udo Lattek gegeben haben, heißester Kandidat aber war der Trainer von Alemannia Aachen, Peter Neururer. Ein Spiel mit drei Marionetten, gelenkt von Günter Eichberg, das selbst für Insider kaum mehr nachvollziehbar war: Morgens um sieben Uhr wurden die Spieler aus den Betten geklingelt: „Kommen Sie gleich ins Stadion. Da erfahren Sie alles weitere.“ Spieler Jörg Mielers war telefonisch nicht zu erreichen, er wurde sogar von zwei Polizeiwagen abgeholt und zum Berger Feld gebracht.

Im Stadion standen die Spieler dann ratlos auf dem Parkplatz herum. Im Clubhaus hielt Eichberg eine Pressekonferenz ab, zwei Türen weiter verhandelte Ferner seine Abfindung. Denn Schalke hatte seinen Vertrag erst vor vier Wochen um ein Jahr verlängert.

Den Spielern wurde mitgeteilt, dass ihr alter Trainer entlassen war, der neue zwar feststeht (Peter Neururer), der aber noch nicht kommen darf, weil Aachen die Freigabe verweigerte, so dass Eichberg flugs den ehemaligen Schalker Nationalspieler Helmut Kremers zum Manager und auch Interimstrainer ernannte.

Um ihn war es in den letzten Jahren still geworden. Kremers ging nach seiner Schalker Zeit nach Calgary in die nordamerikanische Profi-Liga, spielte danach noch ein Jahr bei Rot-Weiß Essen und war danach in der Modebranche tätig gewesen. Charly Neumann brach unterdessen seine Kur im Allgäu ab. 36 Pfund leichter raste er sofort ins Trainingslager, um der Mannschaft vor dem „Schicksalsspiel“ gegen Saarbrücken beizustehen. Und tatsächlich: Trotz des enormen Drucks gelang den Schalkern ein 2:1-Erfolg.

Cover SCHALKE UNSER 39
SCHALKE UNSER 39

Neue Besen kehren gut

Doch eine Woche später war Peter Neururer bereits Trainer auf Schalke. Neururer hatte zuvor in Aachen ausgerechnet Didi Ferner abgelöst und war mit 33 Jahren einer der jüngsten Fußballlehrer der Bundesligageschichte. Zudem war er glühender Schalke-Fan: „Für Schalke würde ich von Aachen aus zu Fuß laufen.“ Er sollte ein absoluter Glücksgriff werden.

Gleich in seiner Antrittsrede hatte er angekündigt: „Mit Schönspielerei kommen wir unten nicht raus. Jetzt ist Kloppen gefragt!“ Neururer war selbst ein Kämpfertyp und so setzte er im Abstiegsduell bei Hertha BSC Berlin voll auf Kampf: „Wir wollen gewinnen, wir werden uns nicht verstecken. Jeder muss das Letzte geben.“ Gleichwohl sah auch Neururer Defizite im Schalker Kader und wollte einen der stärksten Kämpfer der Zweiten Liga verpflichten: Didi Schacht sollte von seinem alten Verein Alemannia Aachen an den Schalker Markt geholt werden.

Unter Neururer legte Schalke dann tatsächlich eine Serie hin: Zwar verloren die Königsblauen noch in Berlin, doch dann ging es aufwärts. 3:1 bei Union Solingen, 4:1 gegen Mainz, 1:1 in Bayreuth, 3:2 gegen Wattenscheid 09. Am 23. Mai sollte dann das „Heim“-Spiel gegen Fortuna Köln ausgetragen werden. Wegen der Platzsperre musste Schalke in das Niedersachsen-Stadion ausweichen. Das Spiel wurde von „Müller-Milch“ gesponsert und die Schalke-Fans wurden mit zig Bussen kostenlos nach Hannover gekarrt, um Support gegen den Abstieg zu leisten.

Unter 10.000 Zuschauern waren keine 30 Fortunen aus Köln und das Spiel war auch ein Top-Highlight (3:3). „Neutrale Fans“ staunten nicht schlecht: „Alle Achtung, ihr karrt mal eben 10.000 hier an“. Das war beachtlich, denn manche Heimspiele im Parkstadion fanden vor 5000 bis 7000 Zuschauern statt und ins 250 km entfernte Hannover fuhren „mal eben“ 10.000 hin.

Beim nächsten Heimspiel gab es ein 4:2 gegen den SC Freiburg. Der Klassenerhalt war in greifbarer Nähe und auch die Zuschauer kamen wieder ins Parkstadion. Gegen Freiburg waren es über 20.000 begeisterte Zuschauer, darunter auch nach langer Zeit mal wieder Olaf Thon, der sich beeindruckt von der tollen Atmosphäre zeigte. Im Clubheim herrschte ausgelassene Stimmung. Präsident Eichberg, offensichtlich ein Frauentyp, ließ sich hier und da ein Küsschen aufdrücken, nahm von einer Blondine einen überdimensionalen blau-weißen Ball entgegen, während die Theke Beifall klatschte, auch wenn dabei einige Pilsgläser zerbrachen.

„Ich freue mich schon auf den Tag, wenn wir in die 1. Bundesliga aufsteigen“, genoss Günter Eichberg das Bad in der Menge, das er zuvor auch schon auf dem Platz in der Nordkurve genommen hatte. m Siegestaumel ließ Schalkes Präsident einen beinahe nachdenklichen Charly Neumann zurück: „Wenn der so weiter macht, stiehlt der mir glatt die Show.“ Ein Riesenschritt in Richtung endgültiger Rettung folgte dann beim Spiel in Meppen. Schalke gewann durch Tore von Andres Müller, Uwe Wassmer und Ingo Anderbrügge vor 15.000 Zuschauern mit 3:1.

Doch das große Finale stand noch aus. Im letzten Heimspiel der Saison 1988/89 sollte ein richtiges Stadionfest steigen. Präsident Eichberg ordnete an, dass die Eintrittspreise um die Hälfte gesenkt werden. Das ging natürlich nur, weil ein Sponsor für das Spiel gefunden werden konnte. Ein japanischer Auto-Hersteller „kaufte“ das Spiel für 160.000 Mark und ermöglichte so einem Erwachsenen einen Stehplatz für gerade mal vier Mark. Und so kamen tatsächlich 66.000 Zuschauer zum Spiel gegen Blau-Weiß 90 Berlin, die den 4:1-Sieg und den Verbleib in der 2. Liga wie den Gewinn einer Deutschen Meisterschaft feierten. Unmittelbar nach dem Abpfiff stürmten hunderte Fans das Spielfeld und trugen „Retter“ Peter Neururer auf den Schultern bis vor die Kabine. „Nach Hochzeit und Geburt meines Kindes ist das der größte Tag in meinem Leben“, freute sich der Trainer. Trainerbank.

Feiern, bis der Arzt kommt

Die Schalker mussten in dieser Saison lange zittern, also wurde auch lange gefeiert. Und das nicht nur bei den Fans: Im Schalker Clubraum ging bei der improvisierten Feier sogar das Bier aus. Präsident Eichberg tanzte mit nacktem Oberkörper auf dem Tisch. Andreas Müller, Ingo Anderbrügge stimmten mit Ährwin Weiß in „Blau und Weiß, wie lieb ich dich“ ein. Trainer Neururer wurde schon auf der Rolltreppe von einem Rentner ein Umschlag überreicht. Inhalt: 600 Mark. „Mein persönliches Dankeschön an den Retter“, sagte der Mann.

Hinterher wurden die Geschenke größer. Christa Paas, Eichbergs Lebensgefährtin, schenkte dem Trainer im Siegestaumel sogar ihren Porsche. Neururer hatte nämlich immer wieder von Eichbergs Turbo geschwärmt. Und der Präsident hatte in Bierlaune versprochen: „Wenn wir die Klasse erhalten, bekommst Du den Wagen.“ Nach der Rettung rief Christa Paas durch den Saal: „Jetzt sollst Du Deinen Porsche haben.“

Auch Schalke-Sponsor Rüdiger Höffken hatte die Spendierhosen an: „Ich stelle bis zu einer Million für Verstärkungen zur Verfügung.“ Dafür wurden Neururers Wunschspieler Didi Schacht und Peter Sendscheid aus Aachen geholt. Und noch ein prominenter Neuzugang wurde vorgestellt: Matthias Herget sollte in der neuen Saison die Schalker Liberoposition besetzen.

Günter Eichberg lässt die Puppen tanzen. Als der eiserne Vorhang zum Osten fällt, landet Schalke mit Sascha Borodjuk einen Volltreffer. Aber genügt das auch zum Aufstieg in die 1. Liga? Das alles und vieles mehr in der nächsten Ausgabe des SCHALKE UNSER.