Der Mann im Nebel

(rk) Rudi Assauer wurde übel mitgespielt. Das ARD-Nachrichtenmagazin „Kontraste“ behauptete, der Manager wäre in einen Anlagebetrugskandal verstrickt gewesen. Assauer stritt hingegen alles ab, zeigte sich sogar recht amüsiert ob der skurrilen Berichterstattung: „Dienstagabend war auf der Geschäftsstelle immer mit der gesamten Belegschaft ‚Kontraste‘-Gucken angesagt. Man konnte darüber aber nur noch lachen. Die Geschichte war so dermaßen an den Haaren herbeigezogen.“

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SCHALKE UNSER 48

In der nächsten Sendung von „Kontraste“ wurde das Thema noch heißer gekocht. Ein Zeuge im Halbdunkel belastete darin Rudi Assauer, von den Termingeschäften des in U-Haft sitzenden Peter Schwan gewusst zu haben. Wer dieser Zeuge war, wurde nicht gesagt, man sah lediglich seinen Schatten, die Stimme war verfälscht. Laut „Kontraste“ habe der Zeuge, der angeblich bedroht wurde, eine eidesstattliche Erklärung hinsichtlich der Richtigkeit seiner Behauptungen abgegeben. Eidesstattliche Erklärung? Hatten wir das nicht schon einmal?

„Assauer wusste, wie die Gelder beschafft wurden. Wie ich das sehe, hat Schwan sich eingekauft und Assauer hat ihm geholfen. Schwan alleine hätte den Geist dazu gar nicht gehabt“, äußerte sich der anonyme Zeuge. Zudem soll Assauer Peter Schwan seit „ungefähr 1988“ gekannt haben. Beweise blieben allerdings Fehlanzeige.

Hinter verschlossenen Türen tagte der Ehrenrat des Vereins. An die dreißig Demonstranten hatten sich vor der Geschäftsstelle eingefunden, und parallel dazu jagte eine Pressekonferenz die nächste. Assauer: „Langsam muss ich über die ganze Geschichte lachen. Ich sehe der Angelegenheit gelassen entgegen.“ Der Vorstand reagierte mit Bestürzung und Unverständnis auf den ARD-Beitrag. Man wollte nun weitere juristische Schritte gegen die Urheber dieser offensichtlich gezielten Kampagne einleiten. Rudi Assauer kämpfte um seinen Ruf, die BILD titelte: „Columbo Assauer jagt den Mann im Nebel: ‚Ich fahnde jetzt solange, bis ich den Kontraste-Kerl erwische. Und dann geht’s vor Gericht.‘“

Wenige Stunden vor der 0:1-Pleite gegen den 1. FC Kaiserslautern hob der Ehrenrat des FC Schalke 04 den vom Vorstand ausgesprochenen Vereinsausschluss gegen Helmut Kremers und Jürgen Wennekers wieder auf. Die Entscheidung, die aus formellen Gründen getroffen wurde, wirkte für die Chefetage wie eine Ohrfeige und löste neuen Ärger aus.

„So ein Verfahren habe ich noch nicht erlebt“, ereiferte sich Präsident Gerd Rehberg. Hintergrund: Teile des fünfköpfigen Ehrenrates sollen zweimal drei Stunden mit Wennekers und Kremers gesprochen, aber auf Erkundigungen beim amtierenden Vorstand verzichtet haben. Das Chaos war perfekt.

Nicht wenige Insider behaupteten, dass hinter den Türen ein Kuhhandel über die Bühne gegangen ist, denn noch vor der Entscheidung des Ehrenrates war Helmut Kremers als Aufsichtsratsmitglied mit sofortiger Wirkung zurück getreten. Dafür soll ihm die Mitgliedschaft im Klub zugesichert worden sein. Ein offensichtlicher Klüngel, den Herbert Burdenski und Heiner Kördell nicht teilten. Sie legten ihr Amt im Ehrenrat nieder. Initiator dieses „Kuhhandels“ soll der ehemalige Präsident Dr. Karl-Heinz Hütsch gewesen sein, mittlerweile 82 Jahre alt.

Verfluchtes Amsterdam

„Jetzt werden alle Register gezogen. Was dieses Magazin berichtet, ist erstunken und erlogen, und die dafür verantwortlichen Personen putze ich vom Tisch“, schimpfte Rudi Assauer, nachdem das „Kontraste“-Magazin erneute Vorwürfe erhob. Danach soll Assauers Auto am 22. März 1995 in Amsterdam gesehen worden sein, als das TV-Magazin von einem Informanten angeblich Beweismaterial gegen Assauer erhalten wollte, die Übergabe unter dubiosen Umständen aber platzte. „Ich war an diesem Tag zusammen mit Peter Peters und unserem Anwalt Fred Fiestelmann in Hünxe und nicht in Amsterdam“, schwor hingegen Assauer. Der empörte Manager bezeichnete den Bericht als eine „Ohrfeige für die öffentlich-rechtlichen Anstalten in Deutschland. Ich frage mich, wer ein Interesse daran hat, mich in ein so schlechtes Licht zu rücken.“

Die hanebüchene „Beweiskette“, die die Journalisten des Senders Freies Berlin (SFB) konstruierten, brachten Assauer nun endgültig auf die Palme: „In der nächsten Folge werden sie wieder einen im Nebel zeigen, und der behauptet: ‚Ich hab gehört, der hat einen umgebracht‘“. Es war wirklich eine TV-Satire über investigativen Journalismus vom Allerfeinsten: null Beweise, hundert Behauptungen. Eine davon war, dass es Fotos gebe, die zeigen sollten, dass sich Assauer und Schwan schon vor 1991 kannten. Aber das Foto konnte es gar nicht geben, deswegen mussten sie im Fernsehen zeigen, wie das Foto angeblich verschwindet.

Nun wollte Assauer Schmerzensgeld vom SFB: „Die haben mir in drei Sendungen nichts nachweisen können. Es gibt auch gar nichts nachzuweisen. Ich werde mehr Schmerzensgeld fordern als Caroline“. Caroline von Monaco hatte zuvor von der Illustrierten „Bunte“ 100.000 Mark wegen falscher, ehrrühriger Behauptungen erklagt – Assauer wollte nun 250.000 Mark.

Ein Gegendarstellungsersuchen hatte die „Kontraste“-Redaktion um ihren Leiter Jürgen Engert abgelehnt. Schalke setzte aber eine einstweilige Verfügung durch, diese Gegendarstellung auszustrahlen. Im Beschluss des Landgerichts Berlin hieß es: „Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, unverzüglich in der nächsten Sendung für die Ausstrahlung der noch nicht abgeschlossenen Ausgabe des Magazins Kontraste unter Ankündigung im Rahmen der eingangs der Sendung moderierten Themenübersicht ohne Einschaltungen und Weglassungen die Gegendarstellung durch Vorlesen zu veröffentlichen.“

Um die Namen der Zeugen der „Kontraste“-Berichte ausfindig zu machen, setzte der Klub nun eine Belohnung von 25.000 Mark aus. Ein Kopfgeld wie im Wilden Westen. Derweil meldeten sich die Hertener Geschäftsleute Bodo Schöneberg und Hans Joachim Christ zu Wort, die sich durch die SFB-Journalisten hintergangen fühlten. In dem „Kontraste“-Bericht und einem Artikel in der Sport-Bild seien die beiden als „eingeschüchterte Zeugen“ dargestellt worden. „Eine ganz linke Tour“, so bezeichneten sie die Arbeit der SFB-Redakteurin Maritha Ballnuß. Schöneberg und Christ legten Wert darauf, dass nicht sie die beiden anonymen Zeugen waren, die vor der Kamera plauderten.

Alles begann am 11. März. „Ich traf mich in der Gaststätte Christ mit Maritha Ballnuß“, erklärte Schöneberg. „Die Redakteurin des SFB wollte in der Angelegenheit Schwan/Schalke 04 Recherchen anstellen. Während des Gesprächs, das von 19:30 bis 2:30 Uhr morgens ging, stellte Ballnuß falsche Behauptungen auf“, so Schöneberg.

Sie behauptete, Assauer sollte Schwan bereits aus seiner Oldenburger Zeit kennen und bereits dort mit ihm Geschäfte gemacht haben. Zudem habe Assauer Medienvertreter „voll im Griff“. Insbesondere mit Benno Weber, Peter Wenzel, Werner Hansch und Dirk Westerheide würde Rudi Assauer „Puff-Arien“ durchführen, um diese gefügig zu machen, zitierte Schöneberg.

All dies erzählte Schöneberg nach eigener Darstellung Rudi Assauer auf einer Hochzeitsfeier im Gasthaus Christ am 18. März. Werner Hansch (Sat 1) wehrte sich gegen die Vorwürfe und verklagte Ballnuß. „Lass die Finger von Schalke“, will Schöneberg der Journalistin bei ihrem zweiten Auftritt am 2. April in der Gaststätte Christ geraten haben. Dort hielt Ballnuß ihm vor, er sei nach ihren Informationen massiv unter Druck gesetzt worden und hätte nur deshalb die eidesstattliche Erklärung abgegeben. Die Journalistin habe dabei auf die Schnittverletzung am Jochbein von Bodo Schöneberg verwiesen. „Alles Quatsch, das war lediglich eine Schnittverletzung von meiner morgendlichen Rasur. Ich bin nie unter Druck gesetzt worden, diese Erklärung abzugeben. Wir sind keine Zeugen des SFB und haben auch niemals Informationen abgegeben.“ Hans Joachim Christ sagte hierzu nur: „Ich war 1994 nur einmal auf Schalke – und da spielte Pink Floyd.“

Während der in U-Haft sitzende Peter Schwan inzwischen abdankte und seinen Aufsichtsratsposten räumte, wurde im vierten „Kontraste“-Bericht der Zeuge enttarnt. Es handelte sich um den in te Lobith (Holland) lebenden Wolfgang Brygier. Laut Schalke-Anwalt Fred Fiestelmann wurde er kurz drauf an der holländischen Grenze verhaftet. Sein Strafregister sei „nicht mehr in Zentimetern“ zu messen (Betrug, Urkundenfälschung). Das ARD-Magazin stützte seine gesamte Recherche auf die Aussagen dieses einen, zwielichtigen Mannes.

Schalke konnte eine eidesstattliche Versicherung präsentieren, in der Brygier nun alle seine Vorwürfe gegen Assauer als haltlose Lügen entlarvte. Pikant dabei: Brygier behauptete nun, er sei von der Berliner Journalistin Maritha Ballnuß sowie von den ehemaligen Vorstandsmitgliedern Kremers und Wennekers zu Aussagen gegen Assauer gedrängt worden und habe Geld dafür bekommen (3700 Mark von Ballnuß). Geld kassierte er auch von Schalke: Die 25.000 Mark Belohnung für seine eigene Enttarnung steckte er selbst ein. Der Wahrheitsgehalt der Brygier-Aussagen wurde von den Schalker Verantwortlichen nicht als sonderlich hoch eingestuft. Fred Fiestelmann: „Dass Herr Brygier erzählt, was sein Gegenüber hören will, hätte ‚Kontraste‘ wissen müssen. Er hat dem ‚Spiegel‘ mehrfach Geschichten angeboten, aber die haben abgelehnt.“

Rudi Assauer wollte erst einmal den Deutschen Presserat über die dubiosen Recherche-Praktiken des SFB informieren. Und auch Fistelmann drohte frohlockendend: „Die Kontraste-Redakteure als auch Helmut Kremers und Jürgen Wennekers werden demnächst wohl Besuch vom Staatsanwalt erhalten.“

Der bis dato letzte Skandal-Krimi war nun aufgeklärt. Seitdem bewegt sich der FC Schalke 04 in ruhigeren Fahrwässern.

Hiermit endet – vorerst – die Serie über die schönsten Skandale des FC Schalke 04. Vielleicht gibt’s ja eines Tages neue Skandale zu berichten – vielleicht aber auch nicht. Alle bisherigen 29 Folgen, angereichert mit weiteren Interviews sowie der Serie „Der Mythos lebt“ aus den ersten Ausgaben des SCHALKE UNSER findet Ihr in dem Buch „Die Spitze des Eichbergs“, erschienen im Klartext-Verlag. Die broschierte Ausgabe ist in allen Buchhandlungen für 14,90 Euro zu kaufen.