Peter Neururer

(rk) Es waren turbulente Zeiten, in denen Peter Neururer zum FC Schalke 04 kam. Günter Eichberg hatte soeben das Zepter übernommen. Finanzielle Unterstützung war bei dem maroden Klub zwar wieder in Sicht, aber sportlich stand man am Abgrund. Turbulent ging es auch zu, als Peter Neururer gut 1½ Jahre später seinen Hut nehmen musste. Und das ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als Schalke Tabellenführer der Zweiten Liga war – den Aufstieg vor Augen.

Cover SCHALKE UNSER 55
SCHALKE UNSER 55

Im Januar 1989 wurde Günter Eichberg auf der Mitgliederversammlung zum neuen Präsidenten gewählt. 1147 von insgesamt 1369 anwesenden Mitgliedern gaben dem „Heilsbringer“ ihre Stimme. Der Besitzer von diversen Privatkliniken, der bis dato wenig mit Fußball und speziell Schalke 04 am Hut hatte, kam mit Visionen an den Schalker Markt. Eichberg hatte zumindest ein Gespür dafür, was aus diesem Verein herauszuholen ist. Er hatte Geld und versprach, den Verein wieder an die Spitze zu führen.

Auch in den Strukturen änderte sich einiges. Neuer Schatzmeister wurde Rüdiger Höffken, Sauerländer Sponsor des Vereins und Hersteller der RH-Alu-Felgen. Neuer Manager wurde Helmut Kremers, als Geschäftsführer wurde Heribert Bruchhagen bestellt, der heute Eintracht Frankfurt managt. Als besonders innovativ galt die Einrichtung der sogenannten Marketing GmbH. Diese Gesellschaft wurde aus dem Verein ausgegliedert und sollte alles rund um Schalke 04 vermarkten. Erst nach dem Abgang von Eichberg stellte sich die Marketing GmbH als undurchschaubarer Dschungel dar.

Im April 1989 war Diethelm Ferner – nun bereits zum zweiten Mal – Cheftrainer der Knappen. Doch der Aufstieg in die Bundesliga war in weite Ferne gerückt – viel schlimmer: Es drohte der Abstieg in das Amateurlager. Ferner schaffte es nicht, die Mannschaft zu stabilisieren und musste nach kurzer Amtszeit wieder die Trainerbank verlassen.

Zu Fuß nach Gelsenkirchen

Als neuer Coach wurde Peter Neururer von Alemannia Aachen geholt. Neururer, von Kindestagen an Schalke-Fan, hatte schon seit Wochen verkündet, dass er auch zu Fuß von Aachen nach Gelsenkirchen laufen würde, wenn sie ihn brauchten. Und er wurde dringend benötigt: Es mussten mindestens zehn Punkte aus den restlichen Spielen her, um die Katastrophe des Abstieges in die dritte Liga zu vermeiden. Dank Eichberg wurden nun die ersten Verstärkungen verpflichtet. Günter Schlipper vom 1. FC Köln sollte die Rolle des Spielmachers übernehmen, was ihm beizeiten gelang – zu anderen Zeiten aber auch nicht.

Peter Neururer baute die verunsicherte Mannschaft wieder auf. Aus den letzten zwölf Spielen holten die Schalker 16:8 Punkte, was am Ende den 12. Platz bedeutete. Der Klassenerhalt in der zweiten Liga wurde gefeiert wie eine Meisterschaft: 66.000 Fans waren beim letzten Spiel gegen Blau-Weiß 90 Berlin im Parkstadion, was auch nicht zuletzt an den geringen Eintrittspreisen lag. Die Marketing GmbH hatte das Spiel an den Autohersteller Mazda verkauft, die Promotionsaktion sorgte dann für ein fast ausverkauftes Haus.

Glasnost und Perestroika

Es herrschte Aufbruchstimmung bei den Fans in Gelsenkirchen, jeder sprach nur noch vom Aufstieg in die 1. Bundesliga. Um dies zu „garantieren“, öffnete Günter Eichberg seine Privatschatulle und ging – speziell im Osten – einkaufen. Zu Zeiten der Perestroika waren nun auch sowjetische Fußballer „auf dem Markt“. Mit Aleksandr „Sascha“ Borodjuk kam der erste Sowjetrusse nach Deutschland, kurze Zeit später folgte ihm Wladimir Ljuty. Daneben eiste Peter Neururer den quirligen Stürmer Peter Sendscheid und das „Flugkopfballungeheuer“ Dietmar „Didiiiii“ Schacht von seinem letzten Verein Alemannia Aachen los. Alt-Nationalspieler Matthias Herget sollte zudem die Abwehr als Libero stabilisieren.

Doch Geld schießt bekanntlich keine Tore. Peter Neururer hatte im Unterschied zu vielen anderen nie vom Aufstiegsziel gesprochen. Für ihn war die Saison 1989/90 eine Spielzeit der Konsolidierung. Am Ende war es aber doch eine bittere Enttäuschung: Ganz schwache Leistungen wie etwa bei der 0:2-Niederlage bei Hessen Kassel, als man endgültig den Aufstieg vergeigte, führten zu den nicht ganz unberechtigten ironischen Gesängen „Nie mehr erste Liga“ und „Wir sind Schalker und ihr nicht!“.

Mehr Charisma

Für die Saison 1990/91 wurde nun auch Peter Neururer mutiger und gab den Aufstieg in die 1. Bundesliga als Ziel aus. Nicht nur Charly Neumann träumte von den „großen“ Mannschaften, auch die Fans waren die Auswärtstrips nach Havelse, Schweinfurth und Meppen so langsam leid. Schalke war in dieser Saison der Zuschauermagnet – und das nicht nur bezogen auf die 2. Liga. Beim Spitzenderby gegen den MSV Duisburg (1:0-Sieg, Tor durch Peter Sendscheid) kamen 60.000 ins Parkstadion. Das war an diesem Spieltag Rekord, auch bei keiner Partie in der ersten Liga kamen mehr Zuschauer in die Stadien.

Für alle unfassbar wurde Peter Neururer im November 1990 vom Trainerstuhl „entfernt“. Wohlgemerkt: Schalke stand zu diesem Zeitpunkt an der Tabellenspitze, nichts deutete daraufhin, dass es die Knappen diesmal nicht schaffen würden. Aber Günter Eichbergs Eitelkeit kannte kaum eine Grenze. Er wollte „mehr Charisma“ in den Klub bringen und den alten „Happel-Schüler“ Aleksandar Ristic verpflichten, der dann auch tatsächlich auf seinem „Pattex-Stuhl“ Platz nahm und fortan im Parkstadion Bonbons an die Linienrichter verteilte. Der Fan-Protest ließ nicht lange auf sich warten. Beim nächsten Heimspiel blieben die Fans dem Block 5 in der Nordkurve fern. Der Schnauzbartträger blieb Schalke 04 aber bis zum heutigen Tage zumindest als Vereinsmitglied treu.

Peter der Große

Peter Neururer hat selbst nie profimäßig gegen den Ball getreten, er kam nie über Einsätze in der Amateur-Oberliga hinaus (ASC Schöppingen, STV Horst-Emscher, VfB Remscheid, DJK Gütersloh und SpVgg Marl). Seine Trainerkarriere begann der diplomierte Sportlehrer dann beim TuS Haltern, erste größere Trainerstation war dann Rot-Weiß Essen, bevor er zur Alemannia nach Aachen ging.

Nach dem kuriosen Rausschmiss auf Schalke verließ er das Ruhrgebiet und erwarb sich in den kommenden Jahren aufgrund zahlreicher kurzfristiger Anstellungen den Ruf eines Feuerwehrmannes. Weder bei Hertha BSC, dem 1. FC Köln, dem 1. FC Saarbrücken, Hannover 96, Fortuna Düsseldorf, Kickers Offenbach oder LR Ahlen blieb der Coach aber länger als zwei Jahre im Amt. Seinen größten Erfolg feierte Neururer mit dem VfL Bochum, den er auf Anhieb zurück in die Bundesliga und zwischenzeitlich an die Tabellenspitze führte.

In der Saison 2003/04 führte „Peter der Große“ die Bochumer überraschend in den Uefa-Pokal. Unvergessen bleiben seine Tanzeinlagen vor der Bochumer Fankurve, die aber anschließend ausblieben, als noch nicht einmal die Gruppenphase im Uefa­Pokal erreicht werden konnte. Sein letztes Engagement bei Hannover 96 währte ebenfalls nicht allzu lang. Nach dem dritten Spieltag der Saison 2006/07 gaben Hannover 96 und Neururer bekannt, dass sie sich einvernehmlich getrennt hätten. Neururer wurde aber nicht als „Arbeitsloser“ geführt, offiziell stand er weiterhin bis Sommer 2007 bei Hannover unter Vertrag.

Aufputschmittel

In der Sommerpause brachte sich Neururer erneut ins Gespräch, diesmal mit einem sehr pikanten Thema. Er behauptete, dass in den 80er Jahren in der Bundesliga systematisch und weit verbreitet mit dem Mittel „Captagon“ gedopt worden sei. So ganz neu ist diese These ja nicht, schließlich hat Toni Schumacher in den 80ern Doping bereits in seinem Buch „Anpfiff“ thematisiert, wofür er mit seiner Degradierung in der Nationalelf vom DFB „belohnt“ worden war.

Peter Neururer hatte sich zunächst mit seinen Behauptungen recht missverständlich ausgedrückt, bezog er den Vorwurf doch auch auf den FC Schalke 04. Seine Aussage, „alle Schalker“ seien Ende der 80er Jahre zeitweise gedopt gewesen, wurde von Günter Eichberg gekontert: „Ich nicht!“

Kurz darauf relativierte Neururer seine Doping-Vorwürfe, sprach Schalke 04 frei, belastete dafür aber nun Rot-Weiß Essen und Alemannia Aachen. In seiner Zeit bei Schalke habe er keine Einnahme unerlaubter Mittel beobachtet. „Da war die Sache längst vorbei“, sagte der 52-Jährige den Presseagenturen. Seine Aussage, bis zu 50 Prozent der Spieler hätten das Aufputschmittel Captagon genommen, habe sich auf die Jahre 1986 bis 1988 in Essen und Aachen bezogen.

Dabei bekam Neururer Unterstützung von seinem Trainerkollegen Benno Möhlmann, der aber zugleich relativierte: „Ich persönlich habe keine Erfahrung mit diesen Dingen gemacht. Aber Captagon war in den 70er Jahren Kabinen-Thema. Das wurde aber hauptsächlich von Spielern genommen, die nicht so gut waren oder mal die Nacht vor einem Spiel durchgemacht hatten“. Ganz aufklären lassen wird sich diese Affäre wohl nicht mehr, die Straftatbestände dürften auch bereits verjährt sein.

Peter Neururer hat sich zudem den Ruf erarbeitet, auf freiwerdende Trainerjobs zu lauern. Gerade wenn der Stuhl eines seiner Kollegen wackelt, ist Neururer meist nicht weit. Früher im legeren Trainingsanzug (Marke Ballonseide in türkis/violett) trifft man ihn heutzutage recht adrett angezogen. Bochumer Fans beschrieben ihn dabei so: „Scheint die Sonne, trägt Peter gerne mal ein lappiges ockerfarbenes Sakko, dazu eine eierschalenfarbene Hose mit einem hellblauen Hemd und dunkelblauer Krawatte mit weißen Pünktchen. Dieses Outfit hat bei uns aber schon genauso Kultstatus erreicht wie sein in die Hose gestecktes blaues Polohemd mit der dunkelblauen Jeans und einer Sonnenbrille, wie sie seit zehn Jahren nicht mehr angesagt ist.“

Man darf jedenfalls gespannt sein, wo Peter Neururer in Kürze Brände löschen soll.