Mladen Krstajic

„Was passiert ist, ist passiert. Und dazu stehe ich!“

(igo/dol) Im Februar bot sich dem SCHALKE UNSER die Gelegenheit, unseren Defensivspezialisten Mladen Krstajic ausführlich zu befragen. Dabei entpuppte sich der serbische Nationalspieler als ungemein sympathischer und ruhiger Zeitgenosse, der sehr professionell zu Themen wie Meisterschaft, Champions League, Zukunftsplänen und seinem angespannten Verhältnis zur Presse Stellung bezog.

SCHALKE UNSER:
Wie sehr beschäftigt dich das Aus im DFB-Pokal, wo du im Elfmeterschießen gescheitert bist? Viele Fans haben sich gewundert, warum ausgerechnet du geschossen hast.

MLADEN KRSTAJIC:
Ich selbst habe entschieden, dass ich schießen möchte. Nach Spielende hatte Mirko Slomka gefragt, wer als Schütze antreten will. Aus meiner Sicht muss ein 33 Jahre alter Spieler mit gutem Beispiel voran gehen und in so einer Situation Verantwortung übernehmen, zumal ich das zu meiner Zeit bei Bremen auch getan habe. Was bringt es, wenn ein 19- oder 20-Jähriger antritt, der seine Nerven nicht im Griff hat? Gut, diesmal habe ich versagt, doch mit meiner immensen Erfahrung fällt es mir sicher leichter, solch ein Ereignis zu verarbeiten, als einem jüngeren Mitspieler, der gerade am Anfang seiner Karriere steht und sich tage- oder wochenlang Vorwürfe macht. Diese Sache ist für mich abgehakt, ich habe keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, und konzentriere mich auf kommende Aufgaben.

SCHALKE UNSER:
Was du und deine Teamkollegen eindrucksvoll unter Beweis gestellt haben, denn beim Sieg über den VfB Stuttgart hat man eine frei aufspielende Schalker Mannschaft gesehen. Habt ihr den Sieg als Genugtuung für die letzte Saison angesehen, wo die Schwaben uns den Titel in letzter Sekunde „weggeschnappt“ haben?

MLADEN KRSTAJIC:
Ich sehe diesen Sieg als das Ergebnis einer hervorragenden Vorbereitung an. Lassen wir das Wolfsburg-Spiel außen vor. Kommt man aus der Winterpause, ist jedes Spiel schwierig, egal wer der Gegner ist. Man hat das anhand der anderen Ergebnisse bereits erkennen können, dass auch andere Mannschaften sich schwer getan haben. Unser Ziel war es, drei Punkte zu holen und schnell nach oben zu kommen. An die letzte Saison habe ich keinen Gedanken verschwendet. Unser Ziel ist es, wieder unter die ersten Drei zu kommen, um auch in der nächsten Saison in der Champions League spielen zu können.

SCHALKE UNSER:
In der Champions League erwartet euch im Achtelfinale mit dem FC Porto ein spielstarkes portugiesisches Team. Bei der Auslosung haben zahlreiche Anhänger wohl gedacht, dass dies der denkbar einfachste der möglichen sieben Gegner ist. Seht ihr das im Team genauso, immerhin haben die Portugiesen in den letzten fünf Jahren zwei große Titel unter Star-Trainer José Mourinho geholt, 2003 den UEFA-Cup und ein Jahr später in unserer Arena die Champions League?

MLADEN KRSTAJIC:
Im Achtelfinale gibt es keine guten oder schlechten Gegner. In Hin- und Rückspiel ist jeder Verein in der Lage, den anderen aus dem Wettbewerb zu schießen. Dennoch kann ich mit dieser Auslosung gut leben: denn Manchester United zum Beispiel wäre ein ungleich schwererer Brocken gewesen. Würde man gegen solch einen Gegner verlieren, wäre es halb so schlimm, denn sie wären klarer Favorit gegen uns. Gegen Porto hingegen sehe ich unsere Chancen bei fifty-fifty, da wäre eine Niederlage schmerzhafter.

SCHALKE UNSER:
Du siehst Porto nicht als Favorit an?

MLADEN KRSTAJIC:
Nein, keineswegs. Wir respektieren diese Mannschaft. Sie ist in der Champions League viel erfahrener und fast jedes Jahr dabei. Doch geben wir in den 180 Minuten Gas, können wir auch gegen Porto bestehen. Ich weiß, was wir leisten können.

SCHALKE UNSER:
Viele Fans haben sich einen „Kracher“ gewünscht und sind womöglich enttäuscht, dass es kein „Hochkaräter“ geworden ist wie etwa Real Madrid oder FC Barcelona. Es wäre toll gewesen, solche Ausnahmespieler wie van Nistelrooy und Raul auf der einen oder Rooney und Ronaldo auf der anderen Seite in der Arena bewundern zu dürfen.

Mladen Krstajic

MLADEN KRSTAJIC:
Das hätte für die Fans durchaus seinen Reiz gehabt, solche Top-Leute live in der Arena zu sehen. Ich sehe das etwas differenzierter. Lieber gegen Porto in die nächste Runde einziehen, als gegen ManU stark spielen und unglücklich ausscheiden. So war es vor zwei Jahren in der Gruppenphase gegen Milan der Fall und wir standen mit leeren Händen da.

SCHALKE UNSER:
Wie definierst du Schalkes Saisonziele?

MLADEN KRSTAJIC:
Alles ist offen, selbst Platz 1 ist noch möglich! Es sind noch genug Spiele, da kann alles passieren. Der Punkterückstand ist groß, aber nicht zu groß.

SCHALKE UNSER:
Genauso spannend war das Revierderby zwischen Schalke und dem BXB am 19. Spieltag. Wie bereitest du dich auf so ein Spiel vor? Oder ist es für dich als Routinier ein Spiel wie jedes andere?

MLADEN KRSTAJIC:
Nicht nur für diese Region, für ganz Deutschland ist dieses Spiel elektrisierend! Für mich ist es eines der größten Derbys in Europa. Egal, wie lange du Profifußball spielst, es bleibt immer etwas Besonderes. Mich erinnert dieses Spiel an meine Vergangenheit bei Partizan Belgrad, wo die Derbys mit Roter Stern ebenfalls immer das Saison-Highlight waren. Letzten Endes werden auch bei solch einem Spiel lediglich drei Punkte vergeben, aber die haben wir beim 3:2 gerne mitgenommen, um unsere Fans zufrieden zu stellen.

SCHALKE UNSER:
Nun bot dir das Derby dieses Mal einen zusätzlichen Ansporn. Es ging gegen deinen serbischen Nationalmannschafts-Kollegen Antonio Rukavina, den der BXB in der Winterpause verpflichtet hat. Hattest du schon mit ihm vor dem Knaller gesprochen?

MLADEN KRSTAJIC:
Nein, ich habe nicht mit ihm darüber gesprochen. Er hat genau wie ich bei Partizan Belgrad, wo er Kapitän war, gespielt und zu Recht den Sprung in die serbische Auswahl geschafft. Leider hat er sich für Dortmund entschieden. Pech für ihn und ein Minus in seiner Karriere.

SCHALKE UNSER:
Schade, aber Schalke wäre für ihn auch keine gute Option gewesen, da wir auf dieser Position mit Rafinha exzellent besetzt sind. Etliche andere serbische Nationalspieler könnte man sich hingegen sehr gut im blau-weißen Dress vorstellen. Mateja Kežman hatte sich in der Winterpause zum Thema Schalke 04 geäußert und durchaus Interesse an einem Wechsel in die Bundesliga bekundet. Warum rührst du nicht die Werbetrommel für die Knappen und lotst mal ein Talent aus Serbien zu uns, zumal das Jugendinternat von Partizan europaweit bekannt ist?

MLADEN KRSTAJIC:
Mateja ist natürlich ein hervorragender Stürmer, aber wir sind im Angriff mit Larsen, Kuranyi, Asamoah oder Lövenkrands schon mehr als gut besetzt. Gegenwärtig hätte ein Wechsel nicht viel Sinn gemacht. Nicht nur mit ihm habe ich über Schalke gesprochen, auch andere serbische Spieler haben mich nach unserem Club gefragt. Das ist doch normal, schließlich ist Schalke ein großer Verein und europaweit bekannt. Wichtig ist, dass die serbischen Spieler zumindest den Sprung in die Bundesliga schaffen. Trotzdem würde ich mich riesig freuen, wenn jemand nach Schalke käme.

SCHALKE UNSER:
Wenn man rückblickend deine Entwicklung betrachtet, als du nach deiner Verpflichtung in Bremen gar als Flop abgestempelt wurdest, bildest du mit Marcelo Bordon mittlerweile seit Jahren konstant eines der besten Innenverteidiger-Duos der Liga. Wie erklärst du dir selbst diesen Fortschritt?

MLADEN KRSTAJIC:
Es ist schön zu hören, dass die Leute über uns reden und als beste Abwehr der Liga bezeichnen. Ausschlaggebend für meine Entwicklung waren sicher die vier Jahre bei Werder, wo ich eine tolle Zeit erlebt habe und Deutscher Meister und Pokalsieger geworden bin, auch wenn es anfangs schwierig war. Aber ich hatte das Gefühl, dass es weitergehen und ich nach diesen vier Jahren einen weiteren Schritt in meiner Karriere tätigen musste. Ich bin ein Spielertyp, der Stillstand nicht mag. Nach vielen Jahren bei einem Club besteht die Gefahr, dass man zu sehr in die Bequemlichkeit abrutscht und die Leistungsfähigkeit darunter leidet. Ich verlasse den Verein lieber selbst als rausgeschmissen zu werden. Bei Partizan hatte ich dieses Gefühl nach viereinhalb Jahren ebenfalls und habe den Club gewechselt.

SCHALKE UNSER:
Nun bist du mit 33 Jahren der älteste Spieler auf Schalke und dein Vertrag endet im Sommer 2009. Kannst du dir vorstellen, den auslaufenden Vertrag sogar zu verlängern oder wie sehen deine Pläne für die Zeit nach der aktiven Fußballer-Karriere aus?

MLADEN KRSTAJIC:
Richtig, es bleiben noch eineinhalb Jahre Vertrag. Derzeit fühle ich mich körperlich topfit und habe keinerlei Probleme, mit den jungen Spielern mitzuhalten. Wenn es bis dahin gut läuft und ich von schweren Verletzungen verschont bleibe, kann ich mir alles vorstellen. Ansonsten habe ich kein Problem damit, wenn 2009 ein klarer Schlussstrich gezogen wird.

SCHALKE UNSER:
Vielleicht mit einem Abschiedsspiel so wie kürzlich bei Dario Rodriguez?

MLADEN KRSTAJIC:
Das wäre großartig, wenn ich die Möglichkeit hätte, mich gebührend von diesen tollen Fans zu verabschieden, die zusammen mit den Anhängern von Partizan Belgrad die besten sind.

SCHALKE UNSER:
Wo du wieder die fanatischen Anhänger deines ehemaligen Clubs erwähnst, was ist denn für dich das intensivste Derby überhaupt? Wo ist der Druck durch die Öffentlichkeit am größten? Partizan als Armeeclub und Schalke mit seinen Wurzeln im Bergbau gleichen sich in vielerlei Hinsicht, vor allem was den fanatischen Anhang und die enorme Erwartungshaltung angeht.

MLADEN KRSTAJIC:
Stimmt. Nicht nur die Spiele von Schalke gegen BXB sind absolute Highlights, auch bei Werder hat man diese Anspannung in den Duellen mit dem HSV gespürt. Ich denke, dass der Druck in Serbien im Vorfeld des Belgrader Stadtderbys noch gigantischer ist. Die Mentalität der Leute auf dem Balkan ist anders, die Liga ist schwach und lebt eigentlich nur von diesem Spiel zwischen Partizan und Roter Stern. Gewinnt man diese Begegnung, dann ist der Rest der Saison beinahe irrelevant.

SCHALKE UNSER:
Im Interview mit einem serbischen Internetportal hast du dich neulich dahingehend geäußert, dass du liebend gerne in deine Heimat zurückkehren würdest, weil dir die Tage in Deutschland zu sehr ähneln und nach dem gleichen Schema ablaufen. Kannst du dir nicht vorstellen, als Scout für Schalke tätig zu sein?

MLADEN KRSTAJIC:
Natürlich kann ich mir vorstellen, solch eine Tätigkeit auszuüben und zwischen Deutschland und Serbien zu pendeln. Eine vollständige Rückkehr nach Serbien ist ebenso möglich. Was ich in dem Interview neulich sagen wollte, ist, dass nun mal viele meiner Freunde und die Verwandtschaft in Serbien leben und ich den täglichen Austausch im gemütlichen Beisammensein oder beim Kaffeetrinken sehr vermisse.

SCHALKE UNSER:
Lass uns über deine Karriere in der Nationalmannschaft Serbiens sprechen. Da gab es eine Art Rückritt vom Rücktritt. Nach einer zwischenzeitlichen Ausbootung bist du wieder in das Team geholt worden. Wie geht es da weiter?

MLADEN KRSTAJIC:
Ich weiß es nicht. Vor zwei Jahren habe ich gedacht, dass nach der WM in Deutschland endgültig Schluss sei. Ich wollte den Platz frei machen für nachkommende junge Spieler, aber nach Rücksprache mit dem serbischen Verbandschef und dem damaligen Trainer Javier Clemente habe ich mich zum Weitermachen überreden lassen. Speziell Clemente hat sehr viel Wert auf meinen Verbleib gelegt. Wie es weitergeht, kann ich noch nicht absehen, ich werde im März 34 Jahre alt und unsere Mannschaft hat es verpasst, sich für die EM zu qualifizieren. Das nächste große Ziel wäre die WM 2010 in Südafrika, aber zu diesem Zeitpunkt bin ich bereits 36 und würde nur aushelfen, wenn Not am Mann ist. Doch da es viele gute serbische Abwehrspieler gibt, mache ich mir über dieses Szenario noch wenig Gedanken.

SCHALKE UNSER:
Da du in deiner Karriere zahlreiche Stationen im ehemaligen Gesamt-Jugoslawien durchlaufen hast, möchten wir gerne wissen, wie dein Verhältnis zu ehemaligen Mitspielern ist, die nun für andere Länder spielen. Seien es nun Kroaten oder Bosnier …

MLADEN KRSTAJIC:
Da gibt es überhaupt keine Probleme. Ich bin sehr gerne in Bosnien oder Kroatien und habe in all den Ländern noch meine Kontakte und Bekanntschaften. Ich weiß, dass viele Deutsche dieses immer noch bestehende Zusammengehörigkeitsgefühl auf dem Balkan nicht verstehen, weil es Kriege untereinander gab, aber die Mentalität verbindet uns nach wie vor.

SCHALKE UNSER:
Vor einigen Monaten gab es abseits des Platzes viel Wirbel um deine Person. Zusammen mit Ivan Rakitic bist du vor dem entscheidenden Champions League-Spiel gegen Trondheim aus dem Kader gestrichen worden, weil ihr wenige Tage vorher in einer Duisburger Diskothek zusammen mit Jermaine Jones bis tief in die Nacht gefeiert habt: die „Disco-Affäre“.

Cover SCHALKE UNSER 57
SCHALKE UNSER 57

MLADEN KRSTAJIC:
Um das klar zu stellen: Das ist für mich keine Affäre! Was passiert ist, ist passiert. Und dazu stehe ich. Wir sind auf einen Geburtstag eingeladen und von jemandem geknipst worden, der die Bilder an die Presse verkauft hat. Logisch, dass Schalke nach der Veröffentlichung solcher Bilder auf irgendeine Art und Weise reagieren muss. Und die Clubführung hat es auch angemessen getan. Die verhängte Strafe habe ich akzeptiert. Wie dann die Presse über diesen Abend berichtet hat, steht für mich wiederum auf einem ganz anderen Blatt. Mag sein, dass mir ein unterkühltes Verhältnis zur Presse nachgesagt wird, wer mich jedoch näher kennt, weiß, dass ich ein umgänglicher Mensch bin. Das, was die Berichterstattung letzten Endes bewirkt hat, war ein Image-Schaden für Schalke und ein Schlag ins Gesicht unserer Fans. Ich möchte nicht wissen, was passiert wäre, wenn wir es nicht ins Achtelfinale geschafft hätten. Auch wenn es unser Fehler gewesen ist, aber solch eine Berichterstattung ärgert mich ungemein. Sie hat quasi dazu geführt, dass Schalke gezwungen war, zwei seiner Spieler zu suspendieren und sich so selbst zu schwächen.

SCHALKE UNSER:
Wie sieht eigentlich dein momentanes Verhältnis zu Rudi Assauer aus, der dich nach deiner Verpflichtung einst als „Bandit und Partisanenkämpfer“ bezeichnet hat. Es schien immer so, als ob euch eine tiefe Männerfreundschaft verbindet. Habt ihr noch Kontakt zueinander?

MLADEN KRSTAJIC:
Ja, wir haben immer noch Kontakt zueinander. Ich kann mich seinerzeit an unsere Gespräche erinnern, als es darum ging, mich nach Schalke zu holen. Die Angelegenheit war nach fünf Minuten erledigt. Ich wusste von dem Moment an, dass ich zu Schalke wechseln will. Als ich Thomas Schaaf und Klaus Allofs von meiner Entscheidung, den Verein wechseln zu wollen, berichtet habe, war die Enttäuschung natürlich riesengroß, weil sie mich unbedingt halten wollten. Thomas Schaaf hatte bei diesem Gespräch Tränen in den Augen. Doch ich stand bei Rudi Assauer im Wort, und ein Handschlag bedeutet mir mehr als eine Unterschrift.

SCHALKE UNSER:
Abschließend interessiert uns deine Sicht der Dinge über den Transfer-Hickhack um Mesut Özil, der zu deinem alten Verein nach Bremen gewechselt ist.

MLADEN KRSTAJIC:
Es ist sehr traurig, was da passiert ist. Ein junger Spieler, gerade mal 19 Jahre alt und ein großes Talent des deutschen Fußballs. Es war nicht sein Fehler, er ist ein guter Junge und wollte gerne bei Schalke bleiben. Unser Vorstand hat alles versucht, ihn zum Verbleib zu überreden, doch Mesut hat sich offenbar zu sehr von seiner Familie lenken lassen. Jetzt haben wir ein Riesentalent verloren, aber es kommen gute junge Spieler nach. Ein Höwedes zum Beispiel könnte mein Nachfolger werden.

SCHALKE UNSER:
Danke für das Gespräch und Glück auf!