Mirko Slomka

(rk) Für die einen ist er einer der erfolgreichsten Schalker Trainer überhaupt, schließlich ist er mit den blau-weißen Knappen sogar bis ins Viertelfinale der Champions League eingezogen. Für andere ist er ein Trainer ohne Mumm, der aus der Mannschaft noch wesentlich mehr hätte herausholen können und sogar müssen. Für den Rest ist er einfach nur „der nette Herr Slomka“.

Cover SCHALKE UNSER 65
SCHALKE UNSER 65

Normalerweise starten wir unsere Folge immer mit der aktiven Fußballkarriere des vorgestellten Trainers. Diese Passage müssen wir diesmal ersatzlos streichen und gehen gleich in die Zeit des Studiums von Mirko Slomka über. Er hat Sport und Mathematik auf Lehramt studiert (Abschlussnote: 1) und nebenbei noch Unterricht in Tennis und Skifahren gegeben. Nach dem Diplom trainierte er zunächst von 1989 bis 1999 verschiedene Nachwuchsmannschaften von Hannover 96, dabei waren unter anderem Gerald Asamoah und Fabian Ernst seine Schützlinge. Anschließend wechselte er als Jugendkoordinator zu Tennis Borussia Berlin. Als A-Jugendtrainer legte er der Clubführung im Sommer 2000 ein Konzept für die Zukunft vor. TeBe war gerade die Lizenz für den Profifußball entzogen worden, „es herrschte Chaos“, wie Slomka sich erinnert. Robert Jaspert, der die Amateure trainierte, bewarb sich auch um den Job, doch Slomka bekam die Zusage. Der unterlegene Kollege soll damals vor allem menschlich enttäuscht gewesen sein. Ein Muster, das sich noch wiederholen sollte. Innerhalb kürzester Zeit musste Slomka fast den kompletten Kader neu zusammenstellen. Nach einem guten Saisonstart stürzte TeBe Berlin immer weiter ab; im November 2000 wurde Slomka nach fünf Niederlagen in Folge entlassen. Doch er fand schnell wieder Unterschlupf bei seinem alten Verein, unter Ralf Rangnick wurde er als Co-Trainer des Profiteams engagiert.

Im Oktober 2004 folgte er Ralf Rangnick nach Gelsenkirchen – zunächst ebenfalls als Co-Trainer. Rangnick katapultierte das Schalker Team zu ungeahnten Höhenflügen, innerhalb weniger Wochen führte er das Team von einem Abstiegsplatz bis an die Tabellenspitze. Schalke avancierte zum ernsthaften Meisterschaftskandidaten, jedoch war die Mannschaft in der Rückrunde zu ausgepowert, um den Bayern bis zum Schluss Paroli bieten zu können. Dennoch winkte die Champions League mit sehr viel Geld. Die Vorrunde 2005/06 verlief jedoch unbefriedigend, obwohl Schalke in der Liga solide Ergebnisse erzielte. Im Pokal unterlag man 0:6 in Frankfurt und schied auch in der Champions League früh aus. Kurz vor der Winterpause beschloss der Vorstand, sich mit sofortiger Wirkung von Rangnick zu trennen, nachdem dieser schon angekündigt hatte, seinen 2006 auslaufenden Vertrag bei Schalke 04 nicht zu verlängern. Man erinnere sich an die „Ehrenrunde“ von Rangnick vor seinem letzten Heimspiel.

Mister X

Über den Rangnick-Nachfolger brodelte nun die Gerüchteküche. Matthias Sammer und Ottmar Hitzfeld wurden ins Gespräch gebracht und natürlich durfte auch Christoph Daum nicht fehlen. Doch über den echten Nachfolger waren dann alle erstaunt, auch der Nachfolger selbst. Mehrere Male hatte der damals 38-Jährige versucht, Teammanager Andreas Müller zu entlocken, warum der ihn nachts von Hannover nach Gelsenkirchen zitiert hatte. „Ich hatte eher mit meiner Beurlaubung gerechnet“, sagte Slomka. Schließlich hatte er lange im Stau gestanden und im Radio gehört, dass der Verein einen Trainer gefunden habe, der vermutlich Trond Sollied heißt, aus Norwegen kommt und Olympiakos Piräus trainiert. Das erwies sich ebenso als Ente wie die Meldung, dass Huub Stevens zurückkommt.

Als Mirko Slomka um 0:33 Uhr sein Auto an der Geschäftsstelle parkte, war er der neue Cheftrainer des FC Schalke. Sogar Slomka fragte sich zunächst wie fast alle anderen, warum die Wahl auf ihn fiel, schließlich hatte er in der Branche keinen Namen und erst eine – wenig erfolgreiche – Station als Cheftrainer bei TeBe Berlin hinter sich. Warum also Slomka? Gerald Asamoah sagte im Scherz: „Weil sie keinen anderen gefunden haben.“ Die ernsthafte Begründung kam von Andreas Müller. „Er ist die beste Lösung, die wir bekommen konnten“, sagte er. Er habe die Idee schon länger im Kopf gehabt. „In der Zeit der Besinnung um Weihnachten“ sei die Entscheidung dann gereift. Geholfen hat dabei auch ein Kandidat, der nach konkreten Gesprächen absagte. Dieser „Mister X“ wollte erst im Sommer den Job annehmen.

Auch Rudi Assauer, der sich diesmal aus der Trainersuche heraushielt, zeigte sich überrascht: „Da wäre selbst ich nicht drauf gekommen.“ So oder ähnlich lauteten auch die Reaktionen in den Schalker Internet-Foren, die von purem Entsetzen über „Wer ist Mirko Slomka?“ bis zu Glückwünschbekundungen reichten.

Schluss per SMS

In den fünf Jahren, in denen Mirko Slomka Rangnicks Assistent war, hatte sich auch eine Freundschaft entwickelt. Doch nach der Amtsübergabe brach der Kontakt völlig ab. „Darüber möchte ich eigentlich nicht mehr sprechen“, sagt Slomka heute, und auch Rangnick hat kein Interesse daran, die Geschichte neu aufzurollen. Die Ursache des Bruchs war anscheinend Slomkas Verhalten in den Tagen der Amtsübernahme. Er schickte nach seiner Einigung mit Schalke einfach eine SMS an Rangnick. Das war es. Rangnicks Enttäuschung hält sich bis heute.

Aber zumindest das Slomka-Debüt gelang (2:0-Sieg in Kaiserslautern) und auch im UEFA-Cup waren die Königsblauen erfolgreich. Unter Slomka wurden die Gegner Espanyol Barcelona, US Palermo und Levski Sofia beiseite geräumt. Im Halbfinale hieß der Gegner FC Sevilla ­ der spätere Pokalsieger. Dies lässt erahnen, dass Schalke unterlag, das aber wirklich denkbar knapp. Nach einem torlosen Hinspiel in Gelsenkirchen sorgte der eingewechselte Puerta erst in der 101. Minute für die Entscheidung, bescherte seiner Elf einen nicht unverdienten Erfolg und beendete den Traum der Knappen, nach 1997 zum zweiten Mal in der Vereinsgeschichte in das Endspiel des UEFA-Cups einzuziehen. In der Bundesliga verfehlte die Mannschaft mit einem vierten Platz die angepeilte Qualifikation zur Champions League ebenfalls nur knapp. Zu Saisonbeginn 2006/07 folgten neben einigen schwachen Ergebnissen in der Bundesliga das frühe Aus in UEFA-Pokal und im DFB-Pokal. Danach startete Schalke jedoch eine Siegesserie und führte monatelang die Tabelle an.

Ent-Assauerisierung

Ein Grund für diesen Aufschwung mag gewesen sein, dass sich sowohl Trainer als auch Andreas Müller immer mehr von Rudi Assauer absplitteten. Die Entmachtung des früher allmächtigen Managers nahm ihren Lauf. Auch die Episode mit Frank Rost gehört in diese Reihe. Der Torhüter wurde im Herbst 2006 auf die Bank versetzt, „aus rein sportlichen Gründen“, wie Slomka versicherte. Schon drei Monate zuvor hatte der Trainer bestimmt, dass der Torhüter die Kapitänsbinde abgeben müsse, „weil ich in diesem Amt jemanden wollte, der im Zentrum des Platzes Einfluss nehmen kann“, erklärte er. Fortan füllte Marcelo Bordon das Kapitänsamt aus. Geplant oder nicht, Rosts schleichende Entmachtung gehörte möglicherweise zum Fundament des Schalker Erfolgs, denn sie war der letzte Schritt weg vom alten Assauer-Schalke. Manuel Neuer hielt bravourös und Marcelo Bordon war nun der unangefochtene Chef unter den Spielern, sein Wirken sei ein „riesiger Bestandteil des Erfolges“, sagte Slomka. Denn der Kader, der lange als zerstrittener Haufen galt, präsentierte sich nach der Verschiebung der Machtpole als homogene Einheit. Selbst der seit Monaten Interna ausplaudernde Maulwurf schwieg unter Slomka.

Schicksalsspiel

In der Nachbetrachtung war es möglicherweise ein einziges Spiel, das Mirko Slomka das Genick brach. Wir schreiben den 12. Mai 2007. Am vorletzten Spieltag tritt der FC Schalke 04 als Tabellenführer zum Revierderby gegen Lüdenscheid-Nord an. Im Vorfeld waren alle heiß wie Frittenfett: Die Fans organisierten einen „Marsch“ durch „Feindesland“ und Gerald Asamoah kündigte an, im Falle eines Sieges nackt über die B1 zu laufen. Doch was die Schalker Elf an diesem Samstagnachmittag an Leistung zeigte, spottet jeder Beschreibung. Ohne Drang nach vorn, ohne Mumm, ohne Willen. Die Kicker-Noten sprechen Bände: Pander (6), Ernst (6), Lincoln (6), Kuranyi (5,5), Rafinha (5), Özil (5). So kann man in einem Revierderby nicht bestehen.

„Wir sind seit dem 20. Spieltag Erster. Jetzt am vorletzten Spieltag die Spitze abgeben zu müssen, ist eine ziemlich bittere Situation für uns“, so Slomka. „Das tut mir unglaublich leid für eine Supertruppe, die für das Ziel Meisterschaft unheimlich viel gegeben hat.“ Das klang nach Resignation und Slomka vergaß auch die Fans in seiner Ansprache, die nach einer Meisterschaft lechzten. Das Trauma der Saison 2000/01 war wieder allgegenwärtig. „Ihr werdet nie Deutscher Meister“, die Enttäuschung saß tief. Dass Schalke die Saison mit Platz 2 abschloss und sich direkt für die Champions League qualifizierte, war nur ein kleiner Trost.

Größter Erfolg und Abgesang

Dort lief es allerdings richtig gut: Nach der Gruppenphase mit Chelsea London, Rosenborg Trondheim und dem FC Valencia belegte Schalke den zweiten Rang. Im Achtelfinale gegen den FC Porto zeigte Manuel Neuer im Rückspiel dann eine überwältigende Leistung. Im Elfmeterschießen parierte er gleich zwei Schüsse und hielt Schalke im Rennen. Im Viertelfinale trafen die Königsblauen auf einen schier unbezwingbaren Gegner. Der FC Barcelona mit seinen Superstars wie Zambrotta, Puyol, Thuram, Iniesta, Eto’o oder Henrywar dann doch eine Nummer zu groß. Zwei 0:1-Niederlagen bedeuten dann auch bis heute den letzten Akt unter den Schalker Champions-League-Auftritten.

Es folgte drei Tage später eine Niederlage bei Werder Bremen (5:1). Am 13. April 2008 stellte der Verein Mirko Slomka vorzeitig frei. Nach Darstellung von Manager Müller war nicht mehr erkennbar, dass sich die Mannschaft sportlich weiterentwickelt. In den Medien wurde gewürdigt, dass Slomka bei einem Schnitt von etwa 1,8 Punkten pro Spiel zwischen 2006 und 2008 der erfolgreichste Trainer in Deutschland nach Ottmar Hitzfeld war. Anfang August 2008 bestätigte Schalke Medienberichte, wonach der Vertrag mit Slomka aufgelöst wurde. Slomka erhielt 800.000 Euro Abfindung für seinen eigentlich bis 2009 laufenden Vertrag. Nicht wenige Schalke-Fans vertreten aber dabei die Meinung, dass Slomka lediglich das geerntet hat, was Rangnick gesät hat. Trainingskiebitze berichten, dass Slomkas Trainingseinheiten oft so aussahen, dass Slomka am Mittelkreis herumstand, während Olli Reck und Techniktrainer Nestor „El Maestro“ Jevtic die Bälle platt gesessen haben. Ob man dies als „modernes Training“ bezeichnen kann? Jedenfalls hat Felix Magath diesbezüglich eine andere Auffassung.

Ja, ich will!

Neben Auftritten im ZDF-Sportstudio und der ARD-Sportschau wurde Slomka gerne von verschiedenen Fernsehsendern als Co-Moderator und Experte engagiert. Daneben wurde er in den letzten 18 Monaten immer wieder mit diversen Bundesligisten in Verbindung gebracht. Bei den Verhandlungsgesprächen mit dem VfL Wolfsburg, dem Hamburger SV sowie dem 1. FC Köln hat Slomka versucht, mit Powerpoint-Präsentationen sein Konzept vorzustellen und damit zu überzeugen.

Darüber hinaus modelt der neue Trainer von Hannover 96 für die Hochzeits- und Event-Mode eines Herrenausstatters. In Katalogen, Anzeigen und im Internet präsentiert er die Produktlinie „Tziacco“. „Tziacco“ ist nach Aussage des Herstellers „eine Kollektion für den jungen modernen Mann, die ihn auf Events, Hochzeiten und auch im täglichen Leben chic, modern und elegant erscheinen lässt“. Das passt ja dann doch wieder zum „netten Herrn Slomka“.