Lüge und Wahrheit

Über 30 Jahre ist es nun her, dass der Bundesliga-Skandal Deutschlands Kickerwelt in die schlimmste Krise seit Ligagedenken trieb. Siege, Niederlagen, Tore und Gegentore: Der naive Glaube an rein sportliche Realitäten war der Skepsis vor gebündelten Scheinen, gekauften Spielen und Spielern gewichen. Dennoch wurde die Bestechungsaffäre – nach der ersten großen Aufregung – der Öffentlichkeit nur in stereotypen Formeln bekannt. Fakten und Hintergründe blieben auf der Strecke.

Noch heute ist der vermeintliche Irrtum, Schalke 04 sei Drahtzieher im Bundesliga-Skandal gewesen – in diesem Zusammenhang wird an erster Stelle immer Schalke genannt – weit verbreitet. Doch tatsächlich war fast die ganze Liga – Kickers Offenbach, 1. FC Köln, Hertha BSC Berlin, Arminia Bielefeld, VfB Stuttgart, Eintracht Frankfurt, MSV Duisburg, Bayern München, 1860 München, RW Oberhausen, Eintracht Braunschweig und Werder Bremen – in den Skandal verstrickt.

Der Geruch von Fäulnis

Die Bundesligasaison 1970/71 blieb bis zum letzten Spieltag spannend. Schalke war jenseits von Gut und Böse, aber an der Spitze lieferten sich seit Monaten schon Borussia Mönchengladbach und Bayern München einen packenden Zweikampf. Bis vor wenigen Wochen durfte sich auch Hertha BSC Berlin Hoffnungen auf die Meisterschale machen, ehe eine Niederlagenserie die keimenden Siegesträume zunichte machte und man sich mit einem gesicherten dritten Platz begnügen musste.

Aber nicht nur an der Spitze machte der Kampf um die Punkte Schlagzeilen. Auch in den unteren Tabellenregionen waren die Nerven bis zum Zerreißen gespannt, denn gleich mehrere Mannschaften mussten um jeden Punkt zittern, um nicht auf dem vorletzten Platz zu landen, der zum Abstieg in die Regionalliga (die 2. Liga gab es noch nicht) verdammte. So mussten Kickers Offenbach, Arminia Bielefeld, RW Oberhausen, Eintracht Frankfurt und der BVB jeden Samstag bangen und wechselten ständig die Tabellenplätze.

Einige dieser Mannschaften schwangen sich in der Saisonschlussphase zu großen Taten auf und schlugen übermächtig erscheinende Gegner. Rot­Weiß Oberhausen verlor keines seiner letzten vier Spiele und machte 7:1 Punkte, Eintracht Frankfurt gewann drei Spiele in Folge, Arminia Bielefeld holte vier „goldene“ Punkte in den letzten beiden Begegnungen. So mancher Toto­Tipper zweifelte an seinem Verstand ob dieser Ergebnisse, aber der Überlebenskampf der Abstiegskandidaten schien unerhörte Kräfte freizusetzen. Doch nicht alle Fußballfreunde gaben sich mit diesen „Überraschungen“ zufrieden.

In Offenbach hegte der Südfrüchtehändler („Bananenkönig“) Horst Gregorius Canellas schon lange Zeit Verdacht. Als Präsident der Offenbacher Kickers gehörte er auch zu den direkt Betroffenen. „Wir punkten und kommen doch nicht aus dem Keller“, musste er immer wieder verwundert feststellen. Bis zwei Spieltage vor Schluss waren die Kickers fünf Spieltage in Folge ungeschlagen, machten 8:2 Punkte und waren immer noch in akuter Abstiegsgefahr.