„Das ist doch Scheiße“

(rk) Wie erlebt man als Schalke-Fan im Rollstuhl den Fußball bei Heim- und Auswärtsspielen? Von den Hindernissen im Alltag bis zu euphorischen Aufstiegsfeiern. Unser Interview mit Flo gewährt einen einzigartigen Blick in seine bewegende Fan-Geschichte.

SCHALKE UNSER:
Könntest du dich kurz vorstellen und uns erzählen, wie du zum Fußballfan geworden bist?

FLO:
Seitdem ich denken kann bin ich Schalke-Fan. Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich als Dreijähriger im Wohnzimmer mit Schalke-Trikot saß. Ich sag immer: „Schalker wird man nicht, Schalker ist man.“

SCHALKE UNSER:
Kannst du dich noch an dein erstes Spiel im Stadion erinnern?

FLO:
Das erste Mal im Stadion, was mir in Erinnerung ist, war 2007, das Heimspiel gegen Stuttgart. Schalke hatte kurz vor Schluss das 1:0 gemacht. Wir waren Erster und hatten sogar schon ein paar Punkte Vorsprung vor Bremen. Wir befanden uns ziemlich nah am Gästeblock auf der Gegengeraden. Da war ich sechs Jahre alt.

SCHALKE UNSER:
Du fährst zu Heim- und Auswärtsspielen. Wie organisiert ihr so eine An- und Abreise zu einem Schalke-Spiel?

FLO:
Fangen wir mal mit den Heimspielen an. Wir haben einen kleinen Mercedes-Bus. Da haben wir eine Vorrichtung, so dass ich im Bus befördert werden kann. Ich fahre von hinten in die Heckklappe rein, bin im Auto mit Gurtsystem befestigt und dann kann es losgehen. Es gibt immer einen Fahrer und einen Begleiter, der mich unterstützen kann. Wir haben inzwischen auch eine gute Parkmöglichkeit erhalten, so dass die Heimspiele bei der An- und Abreise relativ problemlos sind.

Auswärtsfahrten aber sind schwieriger zu organisieren. Früher sind wir auch mit dem Auto gefahren, aber Fahrer und Begleiter wollen in der Regel auch eine Karte, und die haben dann meist über das Punktesystem wenig Chancen an Tickets zu kommen. Seit einiger Zeit haben wir daher die Möglichkeit der Reise mit der Deutschen Bahn entdeckt. In der Corona-Zeit war das schwierig, weil ich mit Maske nicht gut zurechtkomme. Auch da ist nicht alles einfach, grad Spiele am Freitagabend sind nicht möglich, weil wir dann nicht mehr zurückkommen. Und eine Übernachtung ist mit extrem viel Aufwand verbunden, das wollen wir uns nicht antun. Das einzige Mal mit Übernachtung haben wir Berlin zum Pokalfinale 2011 gemacht. Mit der ganzen Familie, das war ein fantastisches Erlebnis.

Wenn der Spielplan rauskommt, buchen wir sofort unsere ICE-Tickets, das waren in dieser Saison: Braunschweig Liga, Wiesbaden und Karlsruhe. St. Pauli war Samstagabend, da kommt man nicht mehr zurück, und nach Paderborn kommen wir mit dem Regionalexpress.

SCHALKE UNSER:
So eine Fahrt mit der Deutschen Bahn ist doch sicher auch problematisch.

FLO:
Ja, und wie. Als wir nach Braunschweig gefahren sind, sind wir von Wattenscheid aus mit der Straßenbahn nach Bochum gefahren und dann war da erstmal der Aufzug kaputt. Dann müssen wir mit der Rolltreppe fahren. Das ist gefährlich und das soll man nicht machen: Der Rollstuhl wiegt mit Mensch 150 Kilogramm.

SCHALKE UNSER:
Und an der Straßenbahnhaltestelle an der Arena auf Schalke gibt es gar keinen Aufzug.

FLO:
Man kommt nur bis Willy-Brandt-Allee.

SCHALKE UNSER:
Das ist auch für andere gehbehinderte Menschen ein unzumutbarer Zustand. Vor allem bei Samstagabendspielen erstmal bis zur Haltestelle bei Gelsenwasser zu rollen, dann etliche völlig überfüllte Bahnen an sich vorbeiziehen lassen zu müssen, ist sicher auch extrem frustrierend. Das dauert, wie wir auch von anderen Rollstuhlfahrern hören, bis zu zwei Stunden. Und wenn man dann endlich mal am Bahnhof ist, fährt von dort aus gar kein Zug mehr.

FLO:
Bus und Bahn innerhalb von Gelsenkirchen gehen gar nicht. Als Rolli-Fahrer ist man auf einen Aufzug angewiesen. Das empfinde ich auch als diskriminierend, wenn es dann keinen Aufzug gibt.

Ich möchte auch mal die Gelegenheit haben, mit der Straßenbahn zum Stadion zu fahren und auf der Schalker Meile die Fan-Treffs wie Bosch, Anno, Schacht, Quartiersbüro oder Fan-Laden besuchen. Das geht aber alles nicht. Und das ist richtig scheiße.

SCHALKE UNSER:
Die Arena ist 2001 eröffnet worden und war auch Austragungsort bei der WM 2006. Viele Großveranstaltungen und Konzerte von Weltstars finden dort statt. Eigentlich schon unglaublich, dass man damals keinen Aufzug gebaut hat, aber noch unglaublicher, dass sich seitdem immer noch nichts getan hat. Und in diesem Jahr werden in der Arena EM-Spiele ausgetragen. Ohne Aufzug an der Straßenbahn.

FLO:
Und da darf man auch nicht vergessen, wie sich der gesamte Straßenverkehr für Rollstuhlfahrer verändert. Es hat sich schon viel getan. Nur in Gelsenkirchen immer noch nicht. Wir sind im Jahr 2024, das muss doch heute eine Selbstverständlichkeit sein, dass es da ein Aufzug gibt. Ich finde gut, dass ihr das Thema aufgreift, aber das muss sicher von mehreren Seiten angegangen werden.

SCHALKE UNSER:
Wie sind denn deine Erfahrungen bei Auswärtsspielen?

FLO:
Wir sind nun auch schon viel auswärts gefahren, aber solche Probleme haben wir sonst eigentlich nur noch in Leverkusen am Bahnhof. Wenn man in Leverkusen mit der S-Bahn einfährt, dann gibt es auf dem Bahnsteig auch keinen Aufzug. Dann muss ich getragen werden und da hat sogar auch schon mal die Bereitschaftspolizei mitangepackt.

Ihr könnt euch das gar nicht vorstellen, was das alles für eine Planung voraussetzt. Und wenn dann mal ein Zug ohne große Ankündigung auf einem anderen Gleis einfährt, dann sind wir aufgeschmissen. Das ist schon für nicht handicapte Menschen ärgerlich, aber für uns bedeutet das, dass wir den Zug nicht mehr kriegen können.

SCHALKE UNSER:
Und sicher müsst ihr so eine Fahrt doch auch bei der Bahn anmelden, oder?

FLO:
Ja, aber das klappt eigentlich ganz gut, da ist die Bahn vernetzt und sie stellen die Rampe und auch Personal bereit. Nur sind die Bahnhöfe in verschiedene Kategorien eingeteilt. Unser Heimatbahnhof Bochum ist Kategorie 2. Und da bekommst du zwischen 22 und 6 Uhr keine Rampe zum Ein- und Ausladen, die gibt es nur in den Bahnhöfen der Kategorie 1. Da ist der nächste Bahnhof für uns Essen, was bedeutet, dass wir von da aus auch immer noch eine Stunde mehr für die Bimmelbahn-Fahrt einplanen müssen.

SCHALKE UNSER:
Nun hast du schon viele Auswärtsspiele gesehen. Wo ist es für Gehandicapte besonders gut oder auch besonders schlecht?

FLO:
Da erinnere ich mich an unser Spiel 2015 in Frankfurt. Es war fast unaushaltbar heiß an diesem Tag. Das Besondere an Frankfurt ist, dass wir Rollifahrer da mittendrin im Gästeblock auf einem Podest sind, man bekommt die Stimmung hautnah mit und hat trotzdem eine perfekte Sicht auf das Spielfeld. Toll! Wolfsburg ist auch gut. Da gibt es Wurst, Brezel und Getränke – sogar Bier – gratis. Freiburg ist für Rollifahrer auch sehr angenehm.

Richtig ätzend hingegen ist Hannover. Da ist man bei den Sitzplätzen im Unterrang untergebracht, aber die stehen da immer auf den Sitzplätzen, so dass wir da gar nichts sehen können. Und auch in Köln in der letzten Saison. Da war es extrem heiß und die Rollstuhlfahrer-Plätze befanden sich in der prallen Sonne. Ich bin kaputt gegangen. Es war so heiß und alles hat geblendet.

Schlimm finde ich auch Gladbach. Normalerweise sind die Rolli-Auswärtskarten auch in der Nähe der Gästefans, aber hier sind die Blöcke weit entfernt und wir sind zwischen Unter- und Oberrang reingequetscht. Ich kann zwar auf das Spielfeld schauen, sehe aber die Anzeigetafel nicht. Und die Fan-Kurven kann ich auch nicht sehen. Das ist für mich kein richtiges Stadionerlebnis.

Beschissen ist es auch bei unseren Nachbarn in Lüdenscheid. Da sitzt man als Rolli-Auswärtsfahrer direkt neben der Südtribüne – und von da ist auch der Zugang. Da habe ich auch ehrlich keinen Bock mehr drauf, muss ich sagen.

SCHALKE UNSER:
Müsst ihr euch da auch schon mal Sprüche anhören?

FLO:
Das Schlimmste, was ich da bislang erlebt habe, war in Bochum. Da sind wir mit vollen Bierbechern beworfen worden. Und, ja, da fliegen sicher auch schon mal Bierbecher irgendwo im Stadion hin und her, aber hier war doch für jeden ersichtlich, dass da Rollifahrer stehen.

Und das war nicht der einzige Becherwurf in der letzten Saison, das gab es auch in Hoffenheim. Da waren wir ja mit 15.000 Schalkern. Hinter uns waren ein paar Hoffenheimer und die haben uns mit vollen Bechern beworfen – einer hat mich am Arm getroffen. Das ist doch scheiße!

SCHALKE UNSER:
Das ist schon ein Wahnsinn, was du da alles auf dich nehmen musst. Und trotzdem zieht es dich immer wieder ins Stadion.

FLO:
Ein bisschen Pöbelei gehört ja auch dazu. Aber sowas war unter aller Sau.

SCHALKE UNSER:
Welches Stadionerlebnis hat sich denn bei dir besonders eingebrannt?

FLO:
Was ich nie vergessen werde, sind die beiden letzten Spiele der Aufstiegssaison: Zuerst das Pauli-Spiel zum Aufstieg, eines der einzigartigen Spiele, die ich zuhause erlebt habe.

0:2 hinten, ich hatte in der Pause so die Schnauze voll und dachte mir: „Das kann doch nicht wahr sein! Was soll die Scheiße?“ Und nachdem wir das Spiel mit Zalazars Siegtreffer zum 3:2 gedreht hatten und dann abgepfiffen wurde, das war einfach nur pure Freude.

Eine Woche später waren wir in Nürnberg, da sind wir mit dem Auto hingefahren. Nach dem Abpfiff sind alle auf das Spielfeld gerannt, nach und nach. Zuerst über den Zaun geklettert. Immer mehr und immer mehr. Der Sicherheitsdienst hat die erst noch abgefangen. Ich bin mit meiner Schwester runter zum Zaun. Dann haben wir dem Ordner gesagt: „Macht mal auf!“

Und da hat der uns reingelassen. Erst auf der Laufbahn und dann auf dem Rasen. Und so war ich auf einmal mitten im Mob bei der Meisterfeier. Ich hab zwar nichts gesehen, aber ich war mittendrin. Und die Schalke-Fans haben mich teilweise abgefeiert: „Schön, dass du auch hier bist!“ Das war einfach unvergesslich.

SCHALKE UNSER:
Wenn du dir noch etwas auf Schalke wünschen könntest, was wäre das?

FLO:
Ein Traum wäre auf jeden Fall, wenn es Rolliplätze innerhalb der Nordkurve gäbe, um mitten im Geschehen zu sein. Natürlich bekomme ich auch so im Stadion die Stimmung mit, aber wenn ich da mittendrin sein könnte, wäre das nochmal etwas anderes. Aber ich weiß nicht, ob das umzusetzen ist.

SCHALKE UNSER:
Vielen lieben Dank für das Interview, Flo. Alles Gute und Glückauf!

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