Keine rechtsfreien Räume schaffen

Das Protokoll der Sitzung des NRW-Innenausschusses liegt nun endlich vor und in einem waren sich alle Fraktionen im Landtag einig, als es um die Aufarbeitung der Vorfälle beim Champions-League-Heimspiel gegen Paok ging: Niemand will rechtsfreie Räume im Stadion. Richtig so, meint das SCHALKE UNSER, und deshalb müssen die mutmaßlichen Straftaten von Polizisten aufgearbeitet werden. Nur leicht wird das nicht.

Zunächst einmal sind die Polizisten nicht zu identifizieren – eine Kennzeichnungspflicht existiert auch in Nordrhein-Westfalen immer noch nicht, obwohl das die mitregierenden Grünen einst in ihr Wahlprogramm geschrieben haben. Vielleicht pusten sie doch bei dieser Gelegenheit noch den Staub aus ihren Unterlagen. Gerüchten zufolge verhindert ein gewisser Innenminister das.

Beweise sind auch schwer zu finden: Die Polizeikameras filmen nur, was die Polizisten, die diese führen, filmen wollen. Sie werden kaum draufhalten, wenn ihre Kollegen, mit denen sie am Frühstückstisch sitzen, Mist bauen. Auch die Kontrolle der Stadionkameras liegt in den Händen der Polizei.

Nun leben wir aber im Zeitalter der Smartphones. Wer aber diese zum Einsatz gebracht hat, durfte wie einer unserer Autoren den Schlagstock spüren – aus dem einzigen Grund, dass er gefilmt hat. Ein Erlebnis, das auch die Anhänger anderer Vereine bei ihrer Ansicht nach unverhältnismäßigen Eingreifen der Polizei machen durften. Dass hier die Strafverfolger die Strafverfolgung vereiteln – ungestraft -, stellt dem Rechtsstaat kein gutes Zeugnis aus.

Wer Anzeige gegen die Polizei stellt, der darf sich nicht wundern, dass er auf einmal selbst zum Straftäter wird: Die Polizei stellt gegen den, gegen den sie bisher nichts in der Hand hatte, selbst Strafanzeige, prophylaktisch wegen „Widerstand gegen die Staatsgewalt“. Und während sonst Gerichte wenig Hemmungen haben, missbräuchliche Anzeigen mit dem einen oder anderen Tagessatz zu ahnden, gilt das für die Polizisten nicht.

Für diese gilt ohnehin der Grundsatz „vor dem Gesetz sind alle gleich“ nicht. Während sonst „Aussage gegen Aussage“ dazu führt, dass Verfahren wegen nicht nachgewiesener Schuld im Sande verlaufen, ist die Aussage eines Polizisten vor Gericht „mehr wert“ und reicht für eine Verurteilung. Die Gerichte gehen davon aus, dass er kein Eigeninteresse hat, seine Aussage „anzupassen“. Dieses Eigeninteresse unterstellen sie selbst dann nicht, wenn gegen diesen Beamten wegen „Körperverletzung im Amt“ ermittelt wird. Auch hier hat der Rechtsstaat ein Defizit.

Ein weiteres Versäumnis des Rechtsstaats Deutschland wurde bereits mehrfach – vergeblich – von den Vereinten Nationen angemahnt: Es gibt in Deutschland und seinen Bundesländern keine unabhängige Ermittlungsbehörde, die Straftaten von Polizisten verfolgt. Dies macht in der Regel genau die Behörde, aus der die Polizisten stammen. Hier ermittelt der Beamte gegen die Beamte, die eben mit ihm am Frühstückstisch sitzen – Korpsgeist ist hier Tür und Tor geöffnet.

Oberster Verfechter des Korpsgeistes ist ausgerechnet Polizeiminister Ralf Jäger. Er beeilte sich, ohne die Fakten genügend kennen zu können, zu versichern, der Einsatz der Polizei sei „verhältnismäßig“ gewesen.  Seine Aufgabe wäre es natürlich gewesen, sich hinter seine Beamten zu stellen – aber auch gleichzeitig „rückhaltlose Aufklärung“ zu versichern. Er hat es unterlassen, sondern lieber Kritikern prophylaktisch einen Maulkorb verpasst.

Und damit verlässt er den demokratischen Raum. Wer zu einer Nötigung greift, um Kritik zu unterdrücken, kann sich um einen Ministerposten in Nordkorea bewerben; in der Regierung eines demokratischen Bundeslands hat er nichts verloren. Die SPD täte gut daran, ihn selbst aus seinem Amt zu entsorgen und sich ihrer 150-jährigen, stolzen demokratischen Tradition zu entsinnen.