The final whistle

(dol) …und mindestens drei Schalker waren dabei. Saturday, 7th October 2000: Das letzte Spiel im „Empire Stadium Wembley“ genießen, ganz entspannt die WM-Qualifikation verfolgen, und das ganze mit ein paar Tagen in London abgerundet. Eine verlockende Perspektive für den Oktoberanfang, nicht wahr? Doch vor den Erfolg haben die Götter bekanntlich den Schweiß gesetzt. Und das heißt hier: Eintrittskarten bekommen. Den Einstieg bildete eine Internetanfrage beim DFB, und schon durften wir uns für eine Verlosung bewerben. 7150 Gästekarten sind nun wirklich ein bisschen wenig.

Cover SCHALKE UNSER 28
SCHALKE UNSER 28

Kurz darauf trifft ein neutraler Umschlag aus Frankfurt ein. Die Preise, die Plätze und die sonstigen Bedingungen werden vorgestellt: Namen, Anschriften, Blankoscheck sowie „Die Ausweisnummern bitte hier eintragen“. Hups. Aber wir dürften immerhin selbst anreisen, kein Reisegruppenzwang. Noch flugs eine eidesstattliche Versicherung unterzeichnet, dass man nicht mit Tollwut infiziert ist, und schon geht’s ab in die Lostrommel. Glaubten wir.

Beim DFB allerdings, dessen sind wir uns sicher, haben die unabhängigen Ziehungsbeamten jede einzelne Ticketanfrage besprochen, ausgependelt und bei vorzeitigem Ausscheiden in eine Trostrunde oder den UEFA-Wettbewerb geschickt. Denn es schritten Wochen, nicht Tage nach Einsendeschluss ins Land bis eine Abbuchung in merkwürdiger Höhe auf dem Kontoauszug stutzig machte, der postalisch drei Karten à 27 Pfund nachfolgten. Für die Vergabe gebührt dem DFB ausnahmsweise mal ein Kompliment; denn er riskierte es, dass zwei Schalker aus Gelsenkirchen zusammen mit einem Schalker aus London ein Fußballspiel zwischen zwei vermeintlich verfeindeten Verbänden besuchen durften. Der englische Verband ist nicht so mutig. Um auch nur den Hauch einer Chance auf ein Ticket für die Nationalmannschaft zu haben, muss der Interessent Mitglied einer sehr exklusiven englischen Supporter-Bruderschaft sein.

Zum Vorspiel: Die britische Presse berichtete über jedes Ereignis im Dunstkreis von Wembley auf den Titelseiten, die Erwartungen an die Engländer waren hochgesteckt, auch an das Sicherheitspersonal. Passend zum Spiel wurden kleinere U-Bahn-Arbeiten durchgeführt, was unerhebliche Umwege der 70.000 erforderlich machte. Der Samstag war kalt, es schüttete wie aus Eimern, und es gab nur drei Pubs in Wembley, von denen einer geschlossen war. „The last ever match beneath the Twin Towers.“ Ein merkwürdiger Rahmen für eine Abschieds-Feier.

Vor dem Stadion wurden neben diversen Souvenirs die vermutlich merkwürdigsten Burger des Universums angeboten und verzehrt, drinnen gab es kein Bier und wenig Aggressionen. Die Dimensionen der Herren-Toiletten ließen einstige Halbzeitpausen mit mehr als 100.000 Zuschauern erahnen. Im Innenraum tobte ein Stimmungsprogramm mit Synchronschwimmerinnen an Fesselballons und mehrsprachigen Appellen zur Fairness, dazu liefen die Charthits der Europameisterschaft – einschließlich Chumbawamba. Dann begann der feierliche Teil der Veranstaltung: „Jerusalem“, die unbestrittene Nummer 1 der kirchlichen Hitparade Großbritanniens, zumindest seit Emerson, Lake & Palmer, vorgetragen von einem Opernsänger. Einige Olympiasieger zeigten ihre winzig kleinen Goldmedaillen. Anschließend waren wieder Opernsänger dran und das Publikum: Gegnerische Nationalhymnen mit Pfiffen zu belegen, ist ja extrem originell. Die Organisatoren setzten in dieser Situation eine vorbereitete Publikumschoreographie ein: „Flagge zeigen und aufstehen.“

Zum Spiel gibt es nichts zu berichten, was nicht schon in den Zeitungen stand. Was dagegen nicht in der Presse zu lesen war: Die Kartenvergabe-Politik des englischen Fußballverbandes war, auch wenn es wenig Rangeleien gab, eine Katastrophe. Fangesänge und Anfeuerungen aus englischen Kehlen waren nach dem 0:1, als dem englischen Fußball ein wenig Ansporn von den 60.000 wirklich gut getan hätte, nicht mehr zu vernehmen. Das Gros der handverlesenen englischen Zuschauer war einfach still. „Football is coming home“ war dann ausschließlich aus rund 7148 Kehlen zu hören, und zwar bis zur neunzigsten Minute und darüber hinaus. Diese „neue“ englische Fankultur wurde förmlich vorgeführt. So verschenkt man leichtfertig Heimvorteile, lieber Verband!

Nach dem Abpfiff starteten ein Feuerwerk und die Feiern. Für die einen ging es im Stadion mit „Humba humba täterä“ direkt weiter, für andere begann die Party erst im Pub bei Kevin Keegans Rücktritt vor laufenden Kameras. Den Abschied vom alten Wembley und dabei gewesen zu sein, konnte schließlich jeder feiern. Sogar das englische Sicherheitskonzept war aufgegangen. Ein Novum der Fanbetreuung sei abschließend auch noch erwähnt: Spezial-Ordner, an die sich ernsthaft wenden solle, wer nicht „satisfied“ sei. Deren Stellenbeschreibung hätten wir gerne mal gelesen, am liebsten mit einem Pint ESB aus der Londoner Fullers Brauerei in der Hand. Cheers.

Das Rückspiel findet übrigens am 1.9.2001 statt. Karten? Kein Problem … bei unserem Losglück.