SCHALKE UNSER schildert in aufwühlenden Tatsachenberichten die Entdeckung der Leidenschaft. Mitmenschen brechen das Schweigen. Diesmal berichtet Pfennig aus Leipzig von Euphorie und Ekstase, von Agonie und Apathie. Er ist hörig – dem S04. Eine Serie voller Schicksale. Mitten aus dem Leben.
Als Kind spielt man mitunter an den unmöglichsten Plätzen. Mein Weg führte im Spätsommer 1990 in einen großen Müllcontainer, nach einiger Zeit fand ich ein paar Hochglanzillustrierte. Für alle, die jetzt ein blinkendes Fragezeichen übern Kopf haben, es handelte sich um eine große deutsche Sport-Zeitschrift. Welch großer Fund für ein Kind.
Beim Durchblättern stieß ich auf einen zweiseitigen Artikel über einen Zweitligaverein namens Schalke 04. Häh? Schalke, erster Spieltag und sie feiern schon den Aufstieg? Es ging um Jubel, Trubel, Heiterkeit, bzw. was man auf Schalke damals so drunter verstand. Ein Präsident, dessen ganze Aufmerksamkeit jeder Kamera galt. Lieblingswitz der Spieler: „Nachts in der Sahara. Ein Mann zündet sich eine Zigarette an. Drei Kilometer entfernt steht Günter Eichberg und lächelt sofort. Er dachte, es sei ein Fotograf mit Blitzlicht.“ Und Charly Neumann, wer bitte war oder ist das? Schon ziemlich bescheuert und verrückt war das alles – aber genau das richtige für mich. Wieso? – Keine Ahnung!
Und wenn ich ehrlich bin, kann ich die Frage „Warum ausgerechnet Schalke?“ heute immer noch nicht richtig beantworten. Aber das ist eigentlich auch scheißegal! Anscheinend hatte mich dieser viel zitierte Virus infiziert. Denn von da an interessierte ich mich für diesen Fußballverein aus dem 430 Kilometer entfernten Gelsenkirchen. Anfangs etwas schleppend, aber es wurde immer mehr und begann mein Leben zu verändern. Oder anders gesagt: Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben!
Von da an sog ich so ziemlich jeden Artikel über Schalke in mich auf, meine Eltern schenkten mir das erste Trikot und hin wollte ich auch. Ein Freitagsspiel hatte ich mir ausgesucht, gegen Kaiserslautern. War alles schon durchgeplant, mit Papa hinfahren und dann konnte aus irgend einem mir heute unbekannten Grund mein Vater nicht. Ich suchte mir eine Zugverbindung raus, wollte die Schule schwänzen und nach dem Spiel vorm Parkstadion pennen. Aber dieses mal siegte noch die Vernunft oder die zu erwartenden Strafen und Sanktionen meiner Eltern. Aber Papa machte alles wieder gut, und so fuhren wir zwei Wochen später dann doch hin. Dynamo Dresden war der Gegner am 21.5.1993, Sitzplatz im Block R direkt neben der Nordkurve. Faszinierend! Schal und Fahne gekauft und der Verkäufer schrie irgendwas von „Hier gibt es den berühmt berüchtigten Juve-Schal.“ und die Nordkurve sang „Borussia, Juve war da“. Die Seuche war gerade gegen Juve ausgeschieden. Tonnenweise Eindrücke prasselten auf mich ein. Jetzt wusste ich: Hiervon kommst du nicht mehr los! Ist das der Sinn des Lebens?
Inzwischen ist der Virus zur schönsten Krankheit der Welt ausgebrochen und seit einiger Zeit auch auf meiner Brust zu sehen. Weitere Spielbesuche mit meinem Kumpel folgten, ungläubige Gesichter und Fragen „Warum fahrt ihr wegen so einem Scheißfußballspiel so weit?“ Ich glaube, die Frage kann sich hier jeder selber beantworten. Den UEFA-CupGewinn verfolgte ich in London. 2001 stand ich dann im Fanladen hinterm Tresen und saß dann irgendwann heulend auf der Straße. In diesem Sinne: „Oi Oi Oi Schalke troi“ wie mal auf meinem Geburtstagskuchen stand. Das SCHALKE UNSER und die Fan-Ini fand ich auf dem Weg ins Parkstadion, natürlich im Dreck. Seitdem hebe ich nur noch Geld vom Fußboden auf und krieche auch nicht mehr in Müllcontainer.