(cbm) Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Also läuft auch die Abhand- lung rassistischer Vorfälle immer gleich ab. Wir haben da unsere abrufbaren Rituale. Die sitzen perfekt und schützen uns vor anstrengender Konsequenz im Wollen und Handeln.
Und das geht so: Christopher Antwi-Adjej wird im Bruno Plache Stadion in Leipzig als „scheiß Nigger“ beschimpft. Nicht, weil Lok per se ein Fascho-Verein wäre – auch dort gibt es gegen Rechtsextremismus engagierte Menschen in der Fanszene und im Klub. Sie könnten offensichtlich mehr mutige Mitstreiter und mehr politischen Rückhalt gebrauchen, aber es gibt sie.
Problem: Wie überall in ost- und westdeutschen Fußballstadien besteht auch in Leipzig kein akuter Mangel an Rassisten. Und die können durch das fatale Zusammen- wirken unterschiedlicher Akteure (unbeabsichtigt) beflügelt werden.
So schien Pressesprecher Carsten Muschalle zwar angemessen schockiert vom Kolportierten, als er sich vor laufenden Kameras professionell ratlos dazu äußerte – wie man später auf der Pressekonferenz heraushörte, dürfte er zu diesem Zeitpunkt jedoch schon geahnt haben, dass die Bestätigung des rassistischen Vorfalls kaum lange auf sich warten lassen würde.
Auf der PK ging André Schmidt von der Bild Leipzig nämlich bei einer Frage auf den Ort des Geschehens ein. Jenen „Block, der ja nun schon öfters Probleme gemacht hat“. Und wer dort schon öfter „Probleme“ gemacht haben könnte, hatten reichlich irritierte Schalke- Fans genau in jenem Umfeld, aus dem der Rassismus gegen Christopher Antwi-Adjej hervorgegangen war, fotografisch dokumentiert: selbstbewusst zur Schau gestellte Tattoos von „SA-Siggi (sic!) auf Männerwaden, tätowierte Hitlergrüße, die Abbildung der Reichsflagge mit eisernem Kreuz und weitere Erkennungsinsignien des Rechtsextremismus. Niemand schien gewagt zu haben, diese im Gefühl eigener Unantastbarkeit zur Schau gestellte Überdosis Nationalismus am Stadioneingang in die Schranken zu weisen. Und eine bewusste Duldung solcher Nazi-Kackscheiße wäre auch nicht unbedingt ermutigender.
Im Ergebnis ist die tolerierte Anwesenheit dieser bedrohlich auftretenden Personen aber zumindest eine glänzende Voraussetzung dafür, von Rassismus im Stadion nicht ganz so überrascht sein zu müssen, wie es das merkwürdig routiniert aufgeführte „Nichts Genaueres weiß man nicht“-Theater suggeriert. Field-Reporter Patrick Wasserzieher – sicher bemüht um journalistische Zurückhaltung – konnte offenbar nicht anders, als den größtmöglichen Vorbehalt „falls es denn so gewesen sein sollte“ in den Raum zu stellen, und zwar unmittelbar nachdem ihm Christopher Antwi-Adjej den Rassismus-Eklat persönlich absolut glaubhaft bestätigt hatte. Ohne Gefahr zu laufen, gegen berufsethische Prinzipien zu verstoßen, hätte er diese Aussage zur Kenntnis nehmen können. So klang es fast danach, als würde die Glaubwürdigkeit des Betroffenen in Zweifel gezogen.
In weitaus größerem Ausmaß geschah dies dann tags darauf in der Facebook-Kommentarspalte unter der Entschuldigung des 1. FC Lokomotive Leipzig in Richtung von Christopher Antwi-Adjej. Der Verein hatte dort seine liebe Mühe, gestreuter Desinformation entgegenzutreten. Tapfer wiederholte er, dass der unter anderem mit Gil-Ofarim-Vergleichen als Erfindung oder Lüge in Zweifel gezogene Vorfall längst evident sei.
Da wirkte das eilige Einschwenken auf die Einzeltäter-Erzählung fast wie eine Beruhigungspille in Richtung der eigenen Anhänger, die partout nichts von Rassismus hören wollten und in einzelnen Fällen auch keinen Anlass für eine Entschuldigung einsahen.
Nur einer hat gerufen. Das ist wohl wahr. Aber abgesehen von Miron Muslic, der offenbar mit dem Prozedere noch nicht so vertraut ist und deswegen lästige Zusammenhänge zur Mitverantwortung aller herstellte, hakte niemand nach. Beispielsweise hätte man durchaus fragen können, weshalb die Zuschauer die Durchsage, diskriminierende und rassistische Äußerungen bitte zu unterlassen, mit derart lautstarkem Unmut quittiert hatten.
Miron Muslic’ Einwand, das ganze Stadion habe ein Gefühl für den Grund der Spielunterbrechung gehabt, aber sich dennoch 120 Minuten wütend am Beleidigten abreagiert, brachte die Einzeltäter-Ausflucht ins Wanken, mit der üblicherweise immer alle so zufrieden sind. Tatsächlich war die Atmosphäre geeignet, einen Einzeltäter im Glauben zu lassen, er habe als legitimer Vollstrecker der Mehrheitsmeinung gehandelt.
Einen ungleich anständigeren Gegenentwurf dazu hat das Stadion beim Pokalspiel Stahnsdorf-Lautern beherzigt: Sich nicht mit dem Täter gemein machen, Täter identifizieren, Rassismus aus dem Stadion begleiten, Konsequenzen! Lautstarke, aktive Ablehnung von Rassismus anstelle der Bestärkung sogenannter Einzeltäter. Dafür braucht es ein wahrhaftiges Problembewusstsein, Solidarität mit den Richtigen, viele mutige Verbündete und Entschlossenheit im Handeln.
Eine solche Haltung dürfte Asa-Spezi Otto Addo gefallen. Der versucht seit Jahren mit viel Geduld zu vermitteln, warum Rassismus nicht einfach verschwindet, indem wir notorisch die immer gleichen Betroffenheits- und Solidaritätsbekundungen abspulen. Er äußerte nach den Vorfällen: „Rassismus im Fußball ist kein Unfall und kein Randphänomen – er ist systemisch. “ Addo betonte, das Problem Rassismus im Fußball müsse zur Chefsache erklärt werden. Hermann Winkler wäre als Vize-Präsident des DFB und Präsident des Nordostdeutschen Fußballverbandes ein solcher „Chef“.
Nun ist Winkler zwar ein umtriebiger Funktionär und politisch in der CDU engagiert, aber ob der Kampf gegen Rassismus in seiner persönlichen Agenda Priorität vor seiner 2016 geäußerten Forderung hat, bei entsprechender „bürgerlicher Mehrheit“ eine Koalition mit der AfD anzustreben, ist uns nicht abschließend bekannt.
In Leipzig war er übrigens auch. Und hatte gegenüber der Deutschen Presseagentur sehr eindringlich gefordert: „Bei aller Notwendigkeit einer zügigen Aufarbeitung dieses ernsten Themas, hört auf mit Spekulationen und Schuldzuweisungen, bevor nicht Spielbericht und Ergebnisse der polizeilichen Befragungen ausgewertet sind.“ Das klingt einerseits sehr vernünftig, aber riecht zugleich doch arg nach „nicht zu viel Staub aufwirbeln, bitte“.
Mit seiner persönlichen Auswertung war er zu dem Zeitpunkt bereits fertig. Er hatte als Zaungast der Veranstaltung „keine fremdenfeindliche Stimmung wahrgenommen“. Ohne seinen Ansichten Gewalt anzutun, können wir festhalten, dass er sich da ein bisschen geirrt hat.
Otto Addo wird wohl noch viele weitere, vielversprechendere Verbündete im Kampf gegen Rassismus für die DFB-Chefsache „Anti-Rassismus“ ausfindig machen müssen: Ob Chef oder nicht, wir müssen raus aus den Ritualen, die nichts wollen. Unser Umgang mit Rassismus deckt allzu oft bloß sämtliche Bedürfnisse derjenigen ab, die nicht von Rassismus betroffen sind. Weil wir perfektioniert haben, mit geringstem Aufwand auf der richtigen Seite wahrgenommen zu werden. Wobei uns selbst und anderen kaum noch auffällt, wie geschäftig wir daraufhin arbeiten, endlich wieder nichts zu tun. Das unterscheidet uns kaum von Funktionären, die nur zehn Sekunden Betroffenheit heucheln, den Stellenwert herunterspielen und dann sagen: „Und jetzt bitte weiter im Hochglanzprodukt.“ Alle sechs Monate eine inhaltsleere Botschaft bei einem Länderspiel? Ändert genau gar nichts.
Auch wir, die „Fanzeitung gegen Rassismus“, waren uns einen Tag nach dem Vorfall schon nicht mehr ganz sicher, ob nicht schon alles dazu gesagt ist. Dabei sollten wir zumindest Fragen stellen: Wie lange wollen wir jetzt auf dem Status verharren, dass Rassismusbetroffene sich einmal kurz beschweren dürfen, sofern sie immer schön lieb das Opfer geben und nichts wollen, wonach wir dann gönnerhaft unsere drei Sätze runterlabern, bevor es ohne Konsequenzen für Rassisten weitergeht?
Hat unsere schnell abgehakte Spontanempörung unbequeme Konsequenzen für Rassisten? Nein, im Gegenteil: So schadete die exzessiv auf Empörung ausgelegte Verbreitung des Sylt-Videos dem eigentlichen Anliegen massiv. Rechte Kreise profitierten von einer zustimmenden Gegenbewegung zur allgemeinen Empörung. So erzeugt multiplizierte Empörung oft eine massenmediale Gegenempörung, die das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft Jena einst „Flugsandeffekt“ nannte.
Wir brauchen also den nächsten Schritt: Veränderung durch echte Konsequenzen. Und eine letztlich auch begriffene Entwicklung zur nachhaltigen Entsolidarisierung mit rechtsextremem Gedankengut.
Und dem zunächst in der Anonymität abgetauchten Rassisten von Leipzig, an dessen Identifikation der 1.FC Lok arbeitet, sei gesagt: „Niemand hier ist ein ,scheiß Nigger’! Jimmy ist ein Junge aus Hagen und ein Schalker!“