diesmal: David Wagner, Manuel Baum und Christian Gross
(rk) Ein Trainer, der seit mehr als neun Jahren keinen europäischen Klub mehr trainiert hatte: Viele auf Schalke rieben sich verwundert die Augen, auch wenn man doch einiges gewohnt war: Sportvorstand Jochen Schneider verpflichtete nach den Weihnachtstagen 2020 Christian Gross.
Es waren wirklich turbulente Zeiten und Schalke befand sich im freien Fall. Dabei hatte das Jahr doch so gut angefangen. Nach der Winterpause startete Schalke – damals noch unter David Wagner – mit einem 2:0-Heimsieg gegen Gladbach und stürmte auf Platz 4 der Tabelle. Neuzugang Michael Gregoritsch überzeugte dabei auf ganzer Linie.
Doch danach muss etwas passiert sein, was das gesamte Schalke-Gebilde erst ins Wanken und schließlich auch zum Einstürzen brachte. Dieses Rätsel ist bis heute nicht aufgeklärt.
Geisterspiele
Am 7. März spielte Schalke 1:1 unentschieden gegen Hoffenheim und Schalke war auf dem 6. Platz. Mehr als 58.000 Zuschauer waren dabei. Es war nicht ganz ausverkauft, was am Gegner gelegen haben kann, eventuell hatten aber auch schon einige Fans Angst vor einer Ansteckung. Corona war nämlich inzwischen in Deutschland angekommen. Von den noch ausstehenden neun Spielen schaffte Schalke grad mal zwei Unentschieden, der Rest ging – häufig auch hoch – verloren. Am Ende landete Schalke auf dem 12. Platz. Dazu wurde unterirdischer Fußball von einer Truppe geboten, die zwar auf dem Gehaltsscheck Champions League-Niveau besaß, aber leider auch nur dort.
Corona wütete weiter und erfasste nun auch das Tönnies-Werk in Rheda-Wiedenbrück. Er geriet immer mehr unter Druck, legte sein Amt am 30. Juni nieder. Am selben Tag endete auch die Amtszeit des bereits zuvor zurückgetretenen Peter Peters. Beide hinterließen ein Machtvakuum, das niemand zu füllen vermochte, auch wenn Marketingvorstand Alexander Jobst dies versuchte. Sein Wirken auf der Geschäftsstelle blieb allerdings nicht ohne Widerstände und so hatte man auch bei ihm den Eindruck, dass er schon auf gepackten Koffern saß.
Abwärtsspirale
„Wir alle hatten gehofft, dass wir die sportliche Wende zusammen mit David Wagner schaffen können. Leider haben die ersten beiden Spieltage der neuen Saison nicht die dafür notwendigen Leistungen und Resultate erbracht”, wurde Sportvorstand Jochen Schneider auf der S04-Webseite zitiert: „Wir haben uns daher dazu entschlossen, den Weg des personellen Neuanfangs zu gehen. Diese Entscheidung ist uns trotz der enttäuschenden Ergebnisse alles andere als leichtgefallen.” Was man halt so sagt, wenn man mit einem bereits glück- und erfolglosen Trainer in die neue Saison geht und dort 0:8 bei Bayern München und 1:3 zuhause gegen Werder Bremen untergeht.
Schon wenige Tage später gab Jochen Schneider Ende September die Verpflichtung des früheren Augsburg-Trainers Manuel Baum bekannt. Er war zuletzt für den DFB tätig, coachte dort die U18-Nationalmannschaft und unterstützte auch die Trainer-Ausbildung. Mit Naldo kehrte zudem ein alter Bekannter als Mitglied des Trainerstabs zurück.
Was allerdings nicht zurückkehrte, war der Erfolg. Und auch neben dem Platz herrschte weiterhin das Chaos. Nachdem öffentlich wurde, dass der als Kaderplaner angestellte Michael Reschke ohne Einbindung der sportlichen Leitung Spieler wie Omar Mascarell bei anderen Vereinen angeboten haben soll und zudem weitere Unstimmigkeiten in der Ausrichtung zu Jochen Schneider bestanden, wurde die Trennung im gegenseitigen Einvernehmen bekannt gegeben. Eine Personalie, die schon zu Beginn für viel Kontroverse gesorgt hatte, wurde hiermit mit hohem Kostenaufwand abgeschlossen.
Gleichzeitig gab der Verein bekannt, dass der Vertrag mit Vedad Ibisevic nach nur drei Monaten zum Jahresende aufgelöst und die Spieler Amine Harit und Nabil Bentaleb suspendiert werden. Für Bentaleb war es die bereits fünfte Suspendierung bei Schalke unter dem vierten Trainer. Stambouli entkam einer Suspendierung nur knapp. Er soll Trainer Manuel Baum in der Kabine vor die Füße gespuckt haben, nachdem er früh ausgewechselt worden war. Ein intaktes Verhältnis zwischen Mannschaft und Trainer klingt anders.
Sechs Tage vor Weihnachten zog Schalke die Reißleine und feuerte Trainer Manuel Baum. Baums historisch schlechte Bilanz: zehn Bundesliga-Partien, kein einziger Sieg. Jetzt steckte der Klub bis zum Hals im Abstiegskampf. Mehr als 300 Tage, fast ein ganzes Jahr also, und 28 Spiele warteten die Königsblauen nun auf einen Sieg in der Bundesliga – der letzte Sieg war das eingangs erwähnte 2:0 gegen Gladbach.
„Ich verspüre noch viel Energie”
Eine Pressekonferenz nach einer Trainerentlassung ist keine dankbare Aufgabe für die Entscheidungsträger. Dennoch versucht man in einer solchen Situation so etwas wie eine Aufbruchstimmung zu versprühen. Bei Schalke 04 aber herrschte auf dem Podium eine eher passiv-aggressive Abwehrstimmung gegenüber den fragenden Journalisten. Ein sichtlich überforderter Sportvorstand Jochen Schneider war mit den Nerven am Ende.
Im Netz wurde die Trainerentlassung mit Galgenhumor verarbeitet: „Baum vor Weihnachten rausgeworfen.” Für das letzte Spiel des Jahres musste „Jahrhunderttrainer“ Huub Stevens nochmal ran, bis ein Nachfolger gefunden war. Mit einem Sieg gegen den Tabellensechzehnten Arminia Bielefeld und einer gleichzeitigen Niederlage des Vorletzten Mainz gegen Bremen hätte man nach Punkten mit dem Aufsteiger aus Ostwestfalen gleichziehen können. Hätte – denn auch dieses enorm wichtige Heimspiel ging mit 0:1 verloren.
Während die Presse schon auf Friedhelm Funkel als Nachfolger spekulierte, verdichteten sich Hinweise auf den Schweizer Christian Gross, der schon zweimal – von Rudi Assauer und von Horst Heldt – zu früheren Zeiten kontaktiert worden sein soll. „Frühere Zeiten” ist dann auch das Stichwort, denn nur die Älteren unter uns konnten sich noch an das Wirken von Christian Gross bei Grasshoppers Zürich, Tottenham, FC Basel und VfB Stuttgart erinnern. Die letzten knapp sieben Jahre war er in Saudi-Arabien und Ägypten tätig und ein Jahr zuvor hatte er sich ins Rentnerleben verabschiedet.
Was Jochen Schneider an dem 66-jährigen Christian Gross fand, bleibt vermutlich sein Geheimnis. Gemunkelt wurde, dass er der einzige Trainer in Schneiders Telefonbuch war, der nicht sofort wieder auflegte. Natürlich stand auch die Frage im Raum, was Gross dazu bewogen hatte, sein beschauliches Rentnerdasein aufzugeben, um dieses Himmelfahrtskommando zu übernehmen. Der Aargauer Zeitung beantwortete er diese Frage mit: „Ich verspüre noch viel Energie.”
Offiziell hieß es von Schneiders Seite: „Christian Gross hat sowohl in Deutschland als auch in England bewiesen, dass er schwierige Missionen erfolgreich gestalten kann. Er wird die Mannschaft mit klarer Linie und einer unmissverständlichen Erwartungshaltung auf den richtigen Weg bringen, davon sind wir überzeugt.”
Aber da war wohl mehr die Hoffnung der Vater des Gedankens. Anders als bei David Wagner und Manuel Baum, die beide einen Kontrakt bis 2022 mit vergleichsweise hohem Grundgehalt besaßen, war für den Zürcher laut „Kicker“ ein anderes Vertragsmodell vorgesehen. Einem geringen monatlichen Festbetrag sollte eine hohe Prämie im Falle des Nichtabstiegs folgen – diese läge voraussichtlich im siebenstelligen Bereich. Bei seinem Debüt auf der Trainerbank sah die komplett verunsicherte Mannschaft beim 0:3 gegen Hertha in Berlin kein Land. Nun waren es bereits 30 sieglose Partien, noch eine weitere und Schalke hätte den Negativrekord von Tasmania Berlin aus der Saison 1965/66 eingestellt. Doch im Heimspiel gegen die TSG Hoffenheim platzte der Knoten: 4:0-Kantersieg, drei Treffer von Matthew Hoppe und einer vom spielfreudigen Harit. Leider blieb diese Leistung nur ein kurzes Strohfeuer. Aus den nächsten acht Spielen unter Christian Gross gab es wieder keinen einzigen Sieg – sechs Niederlagen, zwei Remis.
Massimo Schüpp & Kaan Erdogan
Auch dieser Griff war für Jochen Schneider also einer ins Klo. Dabei zeichnete sich der Fehlgriff schon Mitte Januar ab, als Christian Gross in einer Pressekonferenz vor dem Spiel gegen Eintracht Frankfurt die eigenen Spielernamen nicht auf die Reihe bekam. Aus Alessandro Schöpf wurde Massimo Schüpp und aus Can Bozdogan wurde Kaan Erdogan. Verwundert und leicht amüsiert nahm man das im Internet weiter auseinander. Da war dann auf der „11 Freunde”-Webseite die Rede von Klaus-John Hünteler, Olaf Kaback und Benny Rahmann.
Aus diesen Versprechern wurde Wochen später ein weiteres Internet-Phänomen. Ein Fan erstellte auf Instagram einen Account mit dem Namen „Massimo Schüpp”. Auf dem „offiziellen Profil” wurden lustige Fotomontagen mit dem Gesicht des echten Alessandro Schöpf veröffentlicht, es gab sogar Autogrammkarten. Nach der Entlassung von Christian Gross gab es dort folgenden Post: „Es war nicht alles schlecht. Danke für alles, Ottmar.”
Auf einer weiteren Pressekonferenz sprach Christian Gross davon, dass die Spieler Extraleistungen abrufen müssen. Und er ergänzte: „Und wenn ich sage Extraleistungen, dann meine ich auch extra Extraleistungen.”
Jedoch müssen Christian Gross, der seine Spieler mit Schweizer Schokolade für gute Leistungen belohnte, diese Verwechslungen häufiger passiert sein. Er soll die Gegenspieler bei der Taktikbesprechung verwechselt haben und – auch wenn er zwar mehrerer Sprachen mächtig ist – die Spieler oftmals in der falschen Sprache angesprochen haben. Wie man hört, soll er sich auch mal in den Gängen verirrt haben und wurde dann von der Mannschaft wieder in die Kabine geleitet.
Das alles führte dazu, dass mehrere Spieler bei Sportvorstand Jochen Schneider vorstellig wurden und die Defizite in der Arbeit des Trainers angesprochen haben. Neben den Verwechslungen ging es auch um die ungenügenden Trainingsgestaltungen und taktischen Ausrichtungen in den Spielen. Bei den Spielern soll es sich nach übereinstimmenden Medienberichten um Sead Kolasinac, Klaas-Jan Huntelaar und Shkodran Mustafi gehandelt haben, die alle erst im Winter verpflichtet worden waren. Und so kam es, wie es kommen musste: Nach der 1:5-Niederlage beim VfB Stuttgart war also wieder Schluss.
Christian Gross war nur so kurz im Amt, dass es noch nicht einmal Autogrammkarten von ihm gab. Tragisch, dass er zum Ende seiner durchaus erfolgreichen Trainerkarriere (16 Titel in 32 Jahren) in eine Konstellation geriet, die quasi zum Scheitern verurteilt war.
Alle Entscheidungen falsch
Mit der Entlassung von Christian Gross Ende Februar 2021 war nun auch Jochen Schneider – und mit ihm Teamkoordinator Sascha Riether, Athletiktrainer Werner Leuthard und auch Co-Trainer Rainer Widmayer – nicht mehr haltbar, auch wenn seine Amtszeit im Sommer sowieso geendet hätte. Aus dem Verein hatte es schon länger geheißen, Schneider sei einfach kein Mann für die erste Reihe: „Praktisch alle seine Entscheidungen waren falsch“, schrieb das Internet-Portal „Goal”.
Der Schwabe, der im März 2019 vom damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden Clemens Tönnies als Hoffnungsträger präsentiert worden war, war das Gesicht des Schalker Absturzes. Seine Neueinkäufe schlugen nicht ein und die folgenschweren Fehleinschätzungen bei der Trainerwahl taten ihr Übriges. Auch vermittelte er nicht den Eindruck, als kenne er einen Weg aus der existenziellen Krise der Königsblauen.
Blick in die Gegenwart
Jochen Schneider ist inzwischen wieder bei RB untergekommen, allerdings nicht in Leipzig, sondern als „Head of Sports” in New York. „Wir sind ganz klar kein Farmteam”, betonte Schneider bei seinem Antritt. Möglicherweise eine weitere Fehleinschätzung von ihm.
Christian Gross hingegen wechselte im Mai 2021 in den Verwaltungsrat der FC Basel 1893 AG. Ein Jahr später organisierte der FC Basel seine Gremien um und verkleinerte den Verwaltungsrat. 2024 trainierte er in Ägypten Zamalek SC. Nach zwei Monaten wurde er trotz guter Bilanz (7 Siege in 12 Spielen) wieder entlassen. Es soll dort aber auch grundsätzlich Chaos geherrscht haben.
Manuel Baum wurde im Juni 2023 Sportlicher Leiter beim Nachwuchsleistungszentrum von RB Leipzig, zwei Jahre später dann Leiter Entwicklungs- und Fußballinnovation beim FC Augsburg.
David Wagner übernahm die Young Boys Bern im Juli 2021. Er führte diese durch die Qualifikationsrunden bis in die Champions League. In den Monaten danach lief es in der Liga nicht mehr rund, man lag abgeschlagen hinter dem FC Zürich und im Pokal-Wettbewerb scheiterte man im Achtelfinale. Im März 2022 wurde David Wagner schon wieder entlassen. Er ging als Cheftrainer zu Norwich City, wurde aber im Mai 2024 entlassen, weil er den Aufstieg in die Premier League verpasste. Seit Juli 2025 ist er Leiter Nachwuchs bei RB Leipzig.

