Tiktok, Männlichkeit, Fußball – Fanarbeit unter Druck

(ae, mg, cm)Patrick Arnold, Geschäftsführer der Landesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte (Medif) NRW sprach mit SCHALKE UNSER über Herausforderungen der Fanarbeit, windige Staatsanwälte und eine Social-Media-App, die er für einen Deep-Dive in ein nationalistisches Rabbit-Hole hält.

SCHALKE UNSER:
Wir Schalker meckern oft und gerne über unseren Verein und dessen mitunter unbeholfenes Handeln. Drehen wir das Ganze mal um! Was macht Schalke in deinen Augen gut und wie profitiert die Stadt Gelsenkirchen davon?

PATRICK:
Ich glaube, dass Schalke 04 spätestens seit der Neuinterpretation von “Schalke hilft”, wirklich ein sozialer Akteur in der Stadt ist. Die Stiftung gibt es ja schon länger, aber mittlerweile hat sich die Identifikation mit der Stiftung vereinsintern verändert. Darüber hinaus habe ich das Gefühl, dass die Stiftung inhaltlich, strukturell und substanziell gewachsen ist. Sie fördert und unterstützt wirklich viele interessante Projekte in Gelsenkirchen – nicht nur monetär, sondern häufig mit Öffentlichkeitsarbeit, mit Netzwerken, mit Sichtbarkeit, was für Leute, die sich sozial engagieren, eine Riesenunterstützung bedeutet. 

Da kann man jetzt dem Verein natürlich immer unterstellen, „naja, das ist alles nur eine Marketingstrategie, das macht Schalke, um sich einen sozialen Anstrich zu geben“. Zuallererst ist, so glaube ich, die Förderung von Jugendarbeit eine politische Aufgabe. Die Stadt Gelsenkirchen ist in der Haushaltssicherung. Das heißt nicht, dass sie keine Verantwortung übernimmt. Das heißt aber, dass sie mit Sicherheit gar nicht so viel Verantwortung übernehmen kann, wie in Gelsenkirchen Bedarf ist. Und da springt “Schalke hilft” ein. Am Ende ist es schwierig, wenn Unternehmen oder Stiftungen Aufgaben übernehmen, die eigentlich elementare Aufgabe der Kommune sind. 

Aber dass “Schalke hilft” – so nehme ich es wahr – viele kleine Projekte und Mikroförderungen ermöglicht, finde ich cool. Das stärkt im Nachhinein meine Identifikation als sozialer Mensch, als Sozialarbeiter, als Schalke-Mitglied und als Teil der Zivilgesellschaft mit diesem Verein, bei dem ich Mitglied bin und dem ich mein Herz geschenkt habe. 

…wobei das eigentlich von meinem Großvater verschenkt wurde. Die Entscheidung habe ich gar nicht selbst getroffen. Aber ich bin damit einverstanden. Das erfüllt mich, auch in Zeiten, wo das im Sportlichen gar nicht so einfach möglich ist, mit Stolz. 

SCHALKE UNSER: 
Jetzt haben sich deine beruflichen Wege von Schalke getrennt. Jetzt bist du hier. Bist du glücklich? 

PATRICK: 
Ja, auf jeden Fall! Ich habe 2014 bei Schalke 04 aufgehört – gar nicht im Groll, sondern in so einer Phase der Neuorientierung. Der Kontakt zu Schalke ist nie abgerissen und hat sich an vielen Punkten nochmal intensiviert. Zum einen bin ich natürlich als Mensch, aber auch in meiner beruflichen Aufgabe gereift und bin am Ende absolut zufrieden damit, dass ich die Entscheidung so getroffen habe, hier in meinem Beruf als Sozialarbeiter, Sozialpädagoge zu arbeiten. 

SCHALKE UNSER: 
Du sagst, du bist mit Leib und Seele Sozialarbeiter. Dann gehen wir mal auf das Schalker Fan-Projekt ein. Wir sehen immer die Schwierigkeit: Eigentlich haben die viel zu wenig Geld für viel zu viele Dinge, die sie gerne machen würden. Wie funktioniert das mit der Finanzierung? 

PATRICK: 
Das ist eine Dreierfinanzierung. Ein Viertel des Geldes kommt von der Kommune, ein weiteres Viertel des Geldes vom Land NRW und die Hälfte und damit der Löwenanteil des Geldes wird vom „Fußball“ übernommen. Das Ganze wird in den ersten beiden Ligen über die DFL ausgeschüttet. Dadurch bekommt die Stadt ein relativ gut ausgestattetes Projekt zu 75 Prozent fremdfinanziert, wodurch Fan-Projekte für Kommunen ein interessantes Konstrukt sind, weil sie relativ wenig Eigenmittel einbringen müssen. 

SCHALKE UNSER: 
…wichtig für die Stadt… 

PATRICK: 
Betrachtet man, wie Fußballfanszene sich in den letzten Jahren oder über die letzten Jahrzehnte verändert hat, dann sind die Aufgaben mit Sicherheit gewachsen, die an Fan-Projekte gestellt werden. Unabhängig davon, wer alles Erwartungen an die Arbeit von sozialpädagogischen Fanprojekten hat, muss aus meiner Perspektive im Vordergrund stehen, den Bedarfen der Adressaten gerecht zu werden. Fan-Projektearbeit ist Teil von Jugendhilfe. Es gibt ja gar nicht mehr diese vielfältigen Jugendkulturen, sondern die aktiven Fanszenen sind mittlerweile mit einer vierstelligen Anzahl von Jugendlichen und jungen Erwachsenen die größten sozialen Gebilde in den Kommunen. Wenn man dann den Betreuungsschlüssel anguckt, den so ein sozialpädagogisches Fan-Projekt mit zwei bis drei Stellen am Standort hat, kommt man ziemlich schnell zu dem Entschluss, dass man diese Aufgaben kaum adäquat bearbeiten kann. 

SCHALKE UNSER: 
Gibt es denn Fan-Projekte, die du begleitest, die mehr Mitarbeiter haben als die in Gelsenkirchen? Und reichen die finanziellen Mittel aus? 

PATRICK: 
Im nationalen Konzept Sport und Sicherheit sind Rahmenbedingungen und Mindeststandards geregelt. Dort werden erwartete Ausbildungsprofile benannt oder etwa eine Mindestzahl an Mitarbeiter*innen. Das ist mit zwei bis drei Hauptamtlichen-Stellen beschrieben, dazu kommt noch die Verwaltung und dann dürften wir beim Schalke-Fan-Projekt auch ziemlich schnell da angelangt sein. 

Die Krux ist natürlich, dass das für alle Fan-Projekte gleichermaßen gilt: An einem Standort wie Wuppertal, der eine viel kleinere Fanszene hat und als Traditionsverein in einer anderen Liga spielt, kannst du bei einer Bezugsgruppe von 50 Personen mit zwei bis drei Fachkräften ganz anders wirken als bei den Big Playern Schalke, Dortmund, Köln, Mönchengladbach, wo du mögliche Adressat*innen in vierstelliger Anzahl hast. Von daher, nein, die Mittel reichen nicht. 

SCHALKE UNSER: 
Ist es wirklich so, dass die Sozialarbeiter, die in dieses Studium reingehen, selten bis gar nicht aus dem Fußball kommen? Und wie viele Frauen findet man dafür? 

PATRICK: 
Wie will ich in so einem sehr männlich konnotierten Feld, wo Männlichkeit eine gewisse Rolle spielt, wo Omnipräsenz von Gewalt und Diskriminierung eine Rolle spielen, weibliche Fachkräfte gewinnen? Fan-Projekt-Arbeit ist kein Nine-to-Five-Job, sondern Teil aufsuchender Jugendsozialarbeit. Zu ungünstigen Zeiten und an ungünstigen Orten. Deswegen bietet es sich an, wenn man Fußballfan ist. Dann kann man das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden. Allerdings geht das Hobby durch die professionelle Distanz etwas verloren – da mache ich gar kein Geheimnis draus. Da muss man selbst ein bisschen herumdoktern, bis man dieses Nähe- und Distanzverhältnis entwickelt hat. Wenn man viele männliche Fachkräfte hat, ist es natürlich schwieriger, geschlechtersensible Angebote durchzuführen oder für weibliche Fußballfans Ansprechpartner zu sein. Das sind Herausforderungen, die wir als Landesarbeitsgemeinschaft identifiziert haben. 

SCHALKE UNSER: 
Und wie ließe sich das Geschlechterverhältnis ändern? 

PATRICK: 
Förderung von weiblichen Fachkräften. Dazu gehört auch, die gewonnenen Kolleginnen über Qualifizierungsangebote und Fortbildungen auf die Herausforderungen vorzubereiten, die ihnen im konkreten Arbeitsfeld begegnen. Diese Arbeit ist in der Hochschulausbildung, in der Form, wie sie dann in der Praxis stattfindet, unterrepräsentiert oder wird nicht gelehrt. Dazu muss man eine Haltung entwickeln, muss wahrscheinlich ein Fan sein und vielleicht ein bisschen verrückt. 

SCHALKE UNSER: 
Wie siehst du Schalke aufgestellt? 

PATRICK: 
Schalke ist auf jeden Fall ein repräsentativer Standort für unsere Arbeit. Was wir uns immer wünschen, ist eine lange personelle Kontinuität in der Mitarbeiterschaft, denn das schafft Vertrauen und ein substanzielles Angebot. Das ist mit Henne und Markus gewährleistet, die sich maximal gut auskennen und gute Zugänge haben. Dazu haben wir mit den Kollegen, die jetzt später dazugekommen sind, Leute, die ein gewisses Interesse an diesen subkulturellen Themen mitbringen, die bestens vernetzt sind und die aufgrund ihres Alters möglicherweise nochmal andere Themenbereiche abdecken. 

SCHALKE UNSER: 
Weil wir gerade über Geld gesprochen haben. Was lässt sich mit der Erhöhung der maximal abrufbaren Fördermittel bewirken, die die DFL ziemlich prominent vermarktet hat? 

PATRICK: 
Das ist ein hochpolitisches Thema. Durch Lohnsteigerungen und die Anpassung von gewerkschaftlich erkämpften Tarifverträgen hat sich das Verhältnis von Personalkostenetat und Sachmitteletat verschoben. Die Fördersumme, war jedoch nicht angepasst worden, wodurch an einigen Standorten – auch in Nordrhein-Westfalen – am Ende des Jahres ein Minus rausgekommen ist.  

Und das Geschäft, das ich gerade noch als relativ interessant für die Kommunen beschrieben habe, ist für die Träger sofort uninteressant, wenn es am Ende des Jahres unterm Strich ein Minus gibt. Deswegen war es wichtig, dass die DFL durch die Bereitschaft, die Mittel anzupassen, als größter Förderer ein Signal an die anderen Zuwendungsgeber gesendet hat, dass sie zur sozialpädagogischen Arbeit steht. Selbst wenn dadurch die eben beschriebenen Mechanismen nicht komplett aufgefangen werden.  

SCHALKE UNSER: 
Also kann man unaufgeregt abhaken: Davon entsteht keine zusätzliche Vollzeitstelle, sondern man sichert eher den Status Quo unter erschwerten Bedingungen? 

PATRICK: 
Da muss man ganz klar sagen, dass das genau so ist. Der Status Quo wird gesichert und der Status Quo war an vielen Standorten durch fehlende Mittel schon unterlaufen worden. Die Diskussion ist nicht aufgelöst, sondern nur vertagt. Ich will nochmal das Engagement der DFL loben, denn die war deutlich gesprächsbereiter als der andere Fußballverband. 

SCHALKE UNSER: 
Jetzt sagst du, die Zusammenarbeit mit der DFL sei positiv, weil eure Arbeit anerkannt wird. Andererseits gibt es wenig Rückhalt in der Diskussion um das Aussageverweigerungsrecht für Fanprojekt-Mitarbeiter. Warum werdet ihr nicht stärker von DFL und DFB geschützt? Wie kann es sein, dass durch den existierenden Druck auf Sozialarbeiter, eine Aussage gegenüber der Polizei machen zu sollen oder ansonsten bestraft zu werden, das Vertrauensverhältnis zu den Fans aufs Spiel gesetzt wird? 

PATRICK: 
Das ist eine interessante Frage, aber die Zuständigkeit liegt in dem Bereich ja nicht bei DFB und DFL. Das ist eine Frage der Judikative. Es gibt mittlerweile eine Gesetzänderungs-Initiative zum Zeugnisverweigerungsrecht. Einige Berufszweige in der sozialen Arbeit haben ein solches Zeugnisverweigerungsrecht. Das sind die Drogenberatung, die Schwangerschafts-Konfliktberatung und konfessionelle Beratungsstrukturen.  

Aus unserer Perspektive ist es elementar, im doch sehr konfliktbehafteten Fußball, als Vertrauensperson akzeptiert werden zu können. Polizei und Strafbefolgungsbehörden haben ihrerseits vielfältige Möglichkeiten, ihre Ermittlungsarbeiten durchzuführen. Wenn sie jetzt allerdings die Fachkraft aus dem Fanprojekt vorladen, entziehen sie deren Arbeit ihre Existenzberechtigung. Da muss man als Fachkraft höllisch aufpassen. „Wo bewege ich mich hier, wie verhalte ich mich hier, wo gucke ich hin, wo gucke ich weg?“ Das schränkt die Kollegen in der praktischen Arbeit maximal ein und es wird herausfordernder, mit jungen Leuten in ein Vertrauensverhältnis zu gehen oder so anerkannte Dinge wie einen Täter-Opfer-Ausgleich zu organisieren. 

SCHALKE UNSER: 
So wie es in Karlsruhe der Fall war.

PATRICK: 
Und wenn das dann einfach von einem windigen Staatsanwalt torpediert wird, der am Ende wahrscheinlich auch von seiner Männlichkeitsvorstellung angetrieben wird und dem einfach alles egal ist. 

SCHALKE UNSER: 
Weil er möglicherweise doch eine eigene Agenda verfolgt? 

PATRICK: 
Ja und die Polizei, die Strafverfolgungsbehörden, sind an den Spieltagen mit einer dreistelligen Anzahl von Personen unterwegs. Die haben szenekundige Beamte, fallkundige Beamte, es gibt eigene Ansprechpartner für Intensivgewalttäter-Sport. Wenn wir demgegenüber auf den Mehrwert von sozialer Arbeit im Umfeld von Fußballgroßveranstaltungen blicken, macht das aus meiner Sicht gar keinen Sinn, diesen präventiven Ansatz auszulöschen, nur um … 

SCHALKE UNSER: 
Ja, warum eigentlich? Nur um bequem auf Zuträger zurückzugreifen? 

PATRICK: 
Und das finde ich wirklich absolut niederträchtig und nicht lösungsorientiert. Und dann gibt es Innenministerkonferenzen, bei denen man geringes Verständnis für den Auftrag sozialer Arbeit feststellt. Wir als Landesarbeitsgemeinschaft-Fanprojekte haben uns mit dem NRW-Innenminister getroffen und wollten zu dem Thema diskutieren und stellten fest: Unser Auftrag im Fußball ist gar nicht unbedingt verstanden worden. 

Die Vorladungen der Fachkräfte sind seltene Einzelfälle, die aber wie ein Damoklesschwert über allem schweben. Man sitzt dort dann noch nicht einmal als Angestellter eines Trägers, sondern als Privatperson! Das ist bei Polizeibeamten anders. Wir erfüllen zwar keine hoheitlichen Aufgaben, aber wir führen im gesetzlich verankerten Auftrag durch, was im Jugendhilfegesetz geregelt ist. Und wenn ich diesen Auftrag angemessen ausführe, ich also „Teilhabe an der jugendlichen Lebenswelt, Gewaltprävention, Abbau von extremistischen Orientierungen“ ermögliche, soll ich dann dafür vor Gericht verurteilt werden?  

Diese Diskrepanz, die sich da für mich stellt, konnte noch keiner auflösen. Und da erwarte ich ein klares Zeichen von Politik und Polizei. Wenn es die Gesetzesgrundlage schon nicht gibt, doch bitte nicht auf diese Ressource zurückzugreifen und Ermittlungsarbeit anders zu organisieren. 

SCHALKE UNSER: 
Würdet ihr Fanprojekt-Mitarbeitern dazu raten, vorsichtshalber ein paar tausend Euro zur Seite zu legen, falls mal wieder ein Staatsanwalt auf die Idee kommen sollte, sie für die professionelle Ausübung ihres Berufes zu belangen? 

PATRICK: 
Ich verrate euch noch ein Geheimnis: Als Sozialarbeiter werden wir gar nicht so bezahlt wie Fußballprofis! Und ich gehe davon aus, dass die wenigsten Rücklagen für Beugehaft oder Strafverfahren haben, denn auch das bleibt ja bei den Leuten persönlich hängen. Das ist klar existenzgefährdend und ich glaube, dass genau das das Ziel war, diese gute Beziehung, die es am Standort Karlsruhe gibt, nachhaltig zu schädigen. 

SCHALKE UNSER: 
Bräuchte es dann nicht einen direkteren Dialog mit Innenpolitik und Polizei, damit sowas in der Öffentlichkeit nicht als reißerische Law-and-order-Überschrift verarbeitet wird und darüber hinweggegangen wird, was präventive Arbeit zu leisten imstande ist? 

PATRICK: 
Das ist wohl so ein bisschen dem Zeitgeist geschuldet – das sehen wir in der aktuellen Bundespolitik – dass sich viele Leute nach Law and Order zu sehnen scheinen. Es gibt ein großes Bedürfnis nach Sicherheit und gleichzeitig nach Autonomie. Das passt aber in den Punkten einfach nicht zusammen. Eine unserer Aufgaben als LAG-Fan-Projekte ist es, den Dialog auf Landesebene dahingehend zu führen. Wir sind mit den Fraktionen im Austausch und haben dazu mit Innenminister Reul ein Gespräch geführt. 

SCHALKE UNSER: 
Und? 

PATRICK: 
Die Rückmeldungen sind da halt “von – bis”. Es gibt überall Leute, die sagen: „Grundsätzlich können wir eure Haltung verstehen und wir können das Vorgehen auch nicht nachvollziehen. Aber nun ist das eben politisch so entschieden und wenn das gemacht werden muss, dann wird es halt gemacht.“ Insgesamt ist das Verständnis von Konfliktlösungen weit voneinander abgekoppelt. 

SCHALKE UNSER: 
Ist das so, als würde der politische Zeitgeist den Stein, den ihr so mühsam den Berg hochgerollt habt, leichtfertig wieder runterkicken? 

PATRICK: 
Dafür kann man viele Bilder finden. Aber ich glaube, es ist unsere Kernaufgabe als LAG, diese Themen im Sinne der Fachkräfte immer wieder zu benennen, immer wieder zu bespielen. Wir haben selbstredend auch Fachkräfte, die davon eingeschüchtert sind. Am Ende können wir nicht unbedingt die Gesetzeslage ändern, aber auf Anliegen, wie das arbeitsvertraglich geregelte Aussageverweigerungsrecht der Kollegen und Kolleginnen verweisen. 

Grundsätzlich hätte ich vielleicht sogar Verständnis, wenn es möglicherweise Vorfälle beträfe, die sich auf Leib und Leben reduzieren. Wir haben das 1998 in der Aufarbeitung von Lens erlebt, dass es Fachkräfte gab, die das anders eingeordnet haben. Aber grundsätzlich habe ich die Erwartung, dass unser Netzwerk nicht weiter geschädigt wird. 

1998 kam es beim WM-Spiel Deutschland gegen Jugoslawien in Lens zu schweren Hooligan-Krawallen. Deutsche Schläger griffen Menschen und Polizei an. Der französische Polizist Daniel Nivel wurde dabei fast totgeschlagen und blieb schwerbehindert. Das führte zu großer Empörung und strengeren Maßnahmen gegen Hooligans in Deutschland. 

SCHALKE UNSER: 
Kaum ein Fan außerhalb der organisierten Szene weiß genau, was ihr an Spieltagen vor Ort bei Heim- oder Auswärtsspielen leistet. Auch ganz normale Fans können in Situationen geraten, in die sie sich nicht selbst reingehangelt haben. Wer festgenommen wurde und nicht weiß, was danach zu tun ist, kann Markus Mau anrufen und Unterstützung erhalten. Seid ihr für jeden da? 

PATRICK: 
Also grundsätzlich ist das natürlich ein Angebot von Jugendarbeit. Insgesamt trägt die Arbeit dazu bei, dass der Fußball gewaltfreier wird. Aber wer in Krisen oder Konfliktsituationen gerät, kann das Fanprojekt potenziell ansprechen. Und das ist richtig und wichtig, so aufzutreten. Neben der Fanprojektarbeit gibt es das Netzwerk der Vereins-Fanarbeit, also die Fanbeauftragten. Speziell dieses Feld hat sich in den letzten 15 Jahren maximal professionalisiert. Im besten Fall findet die Arbeit am Spieltag Hand in Hand statt. Auch wenn ich inzwischen extern bin, kann ich das für den Standort Schalke durchaus bestätigen. 

Darüber hinaus gibt es die Fan-Infos mit Erreichbarkeiten und Zuständigkeiten, die vor den Spielen verschickt werden. Ich glaube, viele Leute gehen zum Fußball, ohne so ein Unterstützungsangebot je zu benötigen. Aber wir kennen das ja alle: Es gibt diese besonderen Vorfälle, Konfliktsituationen, die jeder von uns schon irgendwann erlebt hat. Und die machen dann was mit einem selbst. Und da haben natürlich aktive Fußballfans auf der einen Seite, aber auch die Fanbeauftragten und die Fanprojektler, eine gewisse Verhaltenssicherheit. Da ist man oft gut beraten, die zu involvieren. 

SCHALKE UNSER: 
Du hast mal gesagt, ihr versteht euch als Dienstleister für die Fanprojekte? Findet ein wechselseitiger Austausch über Qualitätsstandards statt, die unbedingt eingehalten werden sollen? Über welche Feedbackschleifen gewährleistet ihr das? 

PATRICK: 
Ja. Neben unserer LAG, die es aufgrund der hohen Dichte an Fußballstandorten nur noch in NRW gibt, gibt es ja noch die Koordinationsstelle der Fanprojekte beim Deutschen Olympischen Sportbund. Eine der Aufgaben lautet: Qualitätssicherung.  

Im nationalen Konzept Sport und Sicherheit sind Parameter festgehalten, die Fanprojektarbeit strukturell beinhalten muss. Alle drei bis vier Jahre findet eine Runde mit einem unabhängigen Evaluationsunternehmen statt, das ein Qualitätssiegel verleihen kann. In diesem Prozess werden alle lokalen Netzwerkpartner um eine Stellungnahme gebeten. Das sind Vereine, das sind Fans, das sind Träger, auch die Polizei. Daneben werden von Wissenschaftlern anhand eines bestimmten Fragenkataloges Interviews geführt. Da geht es dann um angemessene Bezahlung, um Einfluss oder um Ausbildung die der Fachkräfte. Und ich kann für den Standort Schalke auf jeden Fall sagen, dass jeder einzelne Durchgang positiv bewertet worden ist. Das Schalker Fanprojekt trägt aktuell dieses Qualitätssiegel. 

SCHALKE UNSER: 

Und wenn mal was schief geht? Gibt es Rückmeldungen à la: „Ich bin zu der geeigneten Anlaufstelle gegangen, aber irgendwie haben die mich nicht ernstgenommen oder die haben mir nicht weiterhelfen können. Was kann ich tun, wenn ich keinen Schritt weitergekommen bin? Wer ist mein nächster Ansprechpartner?“ 

PATRICK: 
Das gibt es an allen Standorten mal. Wer sich dort engagiert, ist häufig im Spieltag gefangen. Aber dann gibt es durchaus mal einen aufzuarbeitenden Anlass, der schon am Montag ein bisschen vom Tagesgeschäft eingeholt wird. Und der Fußball ist so organisiert, dass spätestens am nächsten Donnerstag die nächste Pressekonferenz ansteht und der Blick nach vorne geht. Da gibt es mit Sicherheit mal Dinge, die in dieser Flut von Wahrnehmung untergehen und nicht adäquat bearbeitet werden. 

Wir versuchen mit der Meldestelle für Diskriminierung im Fußball in NRW (Medif), die überparteilich und unabhängig konzipiert ist, für alle Fußballfans ein Angebot zu schaffen, an das sich jeder anonym wenden kann. Wir interessieren uns dabei nicht für Täter, sondern für die Bedarfe von betroffenen Personen. Wir beschränken uns dabei auf die Dimension der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit. Für Intergruppenkonflikte, für Gewaltvorfälle, wenn die jetzt nicht politisch motiviert sind, interessieren wir uns nicht. 

Grundsätzlich begrüßen wir die Qualifizierung an den Standorten in Richtung Awareness-Projekte und Anlaufstellen. Ich glaube, da hat sich in den letzten Jahren viel verändert. Wir haben erste Netzwerktreffen aller Awareness-Projekte bei uns in Bochum durchgeführt und versuchen die Standorte kontinuierlich zu vernetzen, damit sie untereinander von positiven, wie negativen Erfahrungen profitieren können. 

SCHALKE UNSER: 
Und wie kommt das voran? 

PATRICK: 
Im Moment ist das noch eine Kann-Option in der Lizenzierungsordnung, die Vereine sind angehalten, sich in dem Bereich zu qualifizieren. Da ist der Fußball auf einem guten Weg, muss man sagen. Aber diese Entwicklung steckt natürlich trotzdem noch in den Kinderschuhen. Finanziell potente Vereine können auf dem Weg oft größere Schritte gehen als Vereine, die stark aufs Ehrenamt bauen müssen und wo finanzielle Ressourcen – wie aktuell auf Schalke – eingeschränkt sind. Insgesamt sehe ich aber ein starkes Bemühen, den Bedarfen von marginalisierten Gruppen im Fußballstadion gerecht zu werden. 

SCHALKE UNSER: 
Man stolpert etwas über die Opferzentrierung und kann es nicht sofort nachvollziehen. Natürlich geht es bei Rassismus und sexueller Belästigung beim Torjubel nicht immer allein um die Ergreifung der Täter, aber haben die Opfer kein unmittelbares Interesse daran, dass gefälligst der Täter zur Rechenschaft gezogen wird? 

PATRICK: 
Im wissenschaftlichen Diskurs reden wir eher von Betroffenen. „Opfer“ beinhaltet immer schon eine gewisse Stigmatisierung. Wenn die Person allerdings sagt, sie möchte, dass Konsequenzen in Gang gesetzt werden, sollte alles dafür getan werden. Kernidee des Awareness-Gedankens ist es zunächst, die Bedarfe betroffener Personen in den Vordergrund zu stellen. Wir sind in Deutschland total täterorientiert und Bedürfnisse Betroffener werden meist außer Acht gelassen. 

Daher ist die „Steht auf“-Anlaufstelle im Schalke-Museum ein geeigneter Ort, an den man sich zurückziehen kann, wo Ruhe ist. Nicht nur für Betroffene von Gewalt oder Diskriminierung, sondern ebenso für Leute, die psychische Beeinträchtigungen erleben, beispielsweise mit Panikattacken zu kämpfen haben. 

Und erst im nächsten Schritt müsste dann die betroffene Person gefragt werden, welcher denn der nächste Schritt sein soll? Das hätte für die betroffene Person schließlich Konsequenzen und wäre eventuell mit unangenehmen Situationen und Vorwürfen verbunden. Deswegen hielte ich es für übergriffig, den Personen im Konflikt- oder Krisenfall die Entscheidungshoheit abzusprechen. Und Konsequenzen müssen ja nicht Strafverfolgung bedeuten. Eine andere Option können Gespräche sein, das können auch Sanktionen sein, die der Verein ausspricht, vom Hausverbot bis hin zum Entzug der Dauerkarte. 

SCHALKE UNSER: 
Auf dem Fankongress kam immer wieder die Frage auf, wo die Anlaufstelle überhaupt ist. Was kann man denn tun, um die von der Nordkurve aus betrachtet entlegene, über Treppenhaus 13 erreichbare Anlaufstelle stärker ins Bewusstsein zu rücken? Aufkleber auf dem Boden? Aktiver aufklären, wie man dorthin kommt? 

PATRICK: 
Die Raumfrage ist natürlich so ein bisschen der Architektur der Arena geschuldet. Das würde man sich gerne anders wünschen. Wir wissen, dass die Logen-Bereiche für die Vermarktung essenziell sind. Dadurch ist das Raumangebot letztlich begrenzt, obwohl es gefühlt unendlich viele Räume gibt. Eine Containerlösung wäre eine Möglichkeit gewesen, die auch diskutiert wurde. Dennoch halte ich die Lösung mit dem Museum, das während des Spiels nicht genutzt wird, eigentlich für ideal – abgesehen davon, dass sie nicht am perfekten Ort ist. 

SCHALKE UNSER: 

Personen, die im Stadion bedroht, geschlagen, sexuell belästigt, oder homophob beleidigt werden, schrecken meistens vor Anzeigen bei der Polizei zurück, weil sie nicht möchten, dass ein gefürchteter Täter dadurch automatisch an ihre persönlichen Informationen gelangt. Die sagen sich: „Die Polizei brauche ich für den Moment erstmal nicht, bin aber daran interessiert, mit dem Verein zu erörtern, was geschehen soll, damit mein Erlebnis anderen möglichst erspart bleibt.” Was tun Betroffene, die sich erfolglos an Ordner gewandt haben, die im Glücksfall sogar ein Foto des Täters haben oder ihn identifizieren können? 

PATRICK: 
Die Awareness-Angebote sind der richtige Schritt. Aber viele Fans haben den Perspektivwechsel, den wir jetzt vollziehen, noch gar nicht begonnen. Und das ist einigermaßen normal. Deswegen ist es wichtig, darüber zu sprechen. Im Fußball haben sich über 40 Jahre lang patriarchale Strukturen und das Recht des Stärkeren durchgesetzt und verfestigt. 

SCHALKE UNSER: 
Damit wurden wir ja alle mehr oder weniger sozialisiert. 

PATRICK: 
Genau. Wir haben das lange Zeit nicht thematisiert, aber in gewissen Teilbereichen von Gesellschaft wird das heute progressiver diskutiert. Als ich früher Fußballfan war, habe ich mich für solche Themen nicht mal rudimentär interessiert. Da standen meine eigenen Interessen im Vordergrund. Mittlerweile möchte ich aber, dass alle Stadionbesucher gleichermaßen ein cooles Stadionerlebnis haben! Das ist eine stetige Veränderung einer Haltung. 

Sexismus und Queer-Feindlichkeit sind nach wie vor an der Tagesordnung. Die Zuwanderungsgesellschaft, die in Gelsenkirchen deutlich sichtbar ist, ist im Stadion maximal unterrepräsentiert. Und da muss man sich mal fragen, woran das liegt. Da gibt es mit Sicherheit ganz viele Faktoren. Und die hat die Fan-Ini bereits sehr früh untersucht, mit dem Galatasaray-Projekt damals. Das war aller Ehren wert. 

Wir kennen Narrative, wie: „Das war schon immer so“, „beim Fußball darf man das“. Und wir sind hier gerade alle gefragt, zu entgegnen: „Nee, warum denn eigentlich?“ Der Fußball wird gerne als Spiegelbild der Gesellschaft beschrieben. Das würde ich deutlich verneinen, der Fußball ist ein Brennglas der Gesellschaft. Gerade gesellschaftliche Prozesse lassen sich im Fußball nochmal ganz besonders ablesen. Und gerade, wenn es um Diskriminierungsdynamiken geht, ist der Fußball eher rückschrittig und akzeptiert wenig Einfluss von außen, von Leuten, die nicht so gelesen werden, dass sie Teil der Vereinsfamilie sind. Engagement in die Richtung, wird dann schnell als verweichlicht wahrgenommen. In diese Richtung sind wir sehr lange rausgeschwommen. Und entsprechend lange brauchen wir, um wieder zurückzuschwimmen. 

Natürlich kennen noch nicht alle die Anlaufstelle, aber ich war letztens im Stadion unterwegs und da hängen diese großen Poster im Umlauf mit „Wo ist Elli?“ Die Flächen könnte man durchaus kommerziell vermarkten. Und in der Vergangenheit hätte es Leute gegeben, die auf jeden Fall gesagt hätten, „runter mit dem Scheiß, da hängen wir Werbung auf“. Und das ist dann schon ein Umdenken, das “Schalke hilft” so einen Einfluss auf die Außendarstellung hat. 

SCHALKE UNSER: 
Und wer ist nun der richtige Ansprechpartner für Betroffene auf Schalke? 

PATRICK: 
Die ersten Ansprechpartner für Faninteressen sind auf jeden Fall die Kolleginnen von Fanbelange. Ich denke, die sind wirklich allen Schalkern bekannt. Das sind Menschen mit langjähriger Verankerung beim S04 und entsprechender Fanbiografie. Grundsätzlich gehe ich erstmal davon aus, dass den Betroffenen geholfen wird. Das Fanprojekt sollte aus meiner Perspektive immer eine Option sein. Sofern das Fanclub-Leben vernünftig funktioniert, gibt es auch dort Gesprächskanäle und der SFCV könnte ebenfalls eine Rolle spielen. Der Ordnungsdienst sollte geschult sein. Im besten Fall verhalten sich Schalker untereinander solidarisch. Wenn gar nichts hilft, gibt es noch vereinsinterne Gremien, die als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Das wäre in letzter Konsequenz der Ehrenrat, aus meiner Perspektive, der dann zu konsultieren wäre. 

SCHALKE UNSER: 
Der Ehrenrat könnte also ein legitimer Ansprechpartner sein, wenn es zum Beispiel darum geht, ob sich jemand als Schalker dermaßen unwürdig verhalten hat, dass er dafür aus dem Stadion, aus dem Verein oder aus dem Dauerkartenvergabeprozedere ausgeschlossen werden soll? Und gibt es eine klare Abfolge von Ansprechpartnern für Hilfesuchende? 

PATRICK: 
Eigentlich gibt es ein Konstrukt, das funktionieren sollte. Der erste Ansprechpartner für die Belange von Fans bleibt Fanbelange. Und an der Stelle muss dann verifiziert werden, wo das Problem liegt. Anschließend würde die Weitervermittlung an eine Fachabteilung im Verein oder an ein Schiedsgericht erfolgen. 

SCHALKE UNSER: 
Männer ohne tragfähige Erfolgserlebnisse, ohne Selbstwirksamkeit, ohne Orientierung, ohne soziale Intelligenz, ohne nachgefragte Rolle fallen häufig negativ auf. Sind das nicht ungleiche Kräfteverhältnisse, wenn ein Fanprojekt 60 junge Männer davon abhält, die falsche Ausfahrt zu nehmen, aber Tiktok Millionen mit toxischer Männlichkeit erreicht? Und was ist, wenn das dann wieder im Stadion landet? 

PATRICK: 
Superspannende Frage. Gewalt ist ein Problem von Männlichkeit, Gewalt im Fußball ist aus meiner Perspektive beinahe ausschließlich männlich geprägt. Wir werden den Fußball mit sozialpädagogischer Fanarbeit nicht befrieden, weil natürlich auch durch gesellschaftliche Veränderungen, durch Ängste, durch sozialen Unfrieden immer wieder Konflikte nachproduziert werden.  

Junge Menschen werden den Fußball immer als interessant identifizieren, um dort Grenzen zu überschreiten. Von daher sind wir alle gut beraten, Role-Models im Fußball sichtbar zu machen, die für andere Werte stehen. Das ist sicher eine unpopuläre Meinung, aber Mackertum müsste perspektivisch eigentlich aus dem Stadium verbannt werden. Aber das ist ein langer Weg. 

SCHALKE UNSER: 
Sind wir in der Hinsicht seit Corona vorwärts oder nur nicht ganz so schlimm rückwärtsgegangen? 

PATRICK: 
Subjektiv habe ich das Gefühl, dass wir uns eher auf dem Weg zurück befinden und wir schon mal weiter waren. Im Moment habe ich das Gefühl, wir haben hier einen männlich gelesenen Raum, in dem eine Art Kulturkampf stattfindet und die Leute eher bereit sind, diesen Raum zu verteidigen als für eine Veränderung einzustehen. 

Und zu Tiktok: Wenn ich was zu sagen hätte, würde ich Tiktok verbieten. Wir beobachten, dass viele Jugendliche historisch-politische Bildungsarbeit oder Bildung insgesamt über Tiktok vermittelt bekommen. Wir wissen bis heute nicht, wie der Algorithmus funktioniert. Aber einfachste Tests zeigen, dass so ein Newsfeed nach Minuten mit nationalistischen Inhalten angefüttert wird. Und wenn man sich das näher ansieht, macht man wirklich einen Deep Dive in ein nationalistisches Rabbit Hole. 

Wir merken das landesweit in diversen Einrichtungen der Jugendhilfe, dass Jugendliche durch ihr Medienkonsumverhalten – vorrangig bei Tiktok – mit einem nationalistisch geprägten Meinungsbild ankommen. So wie „Deutschland zuerst“, Profile mit dem Deutschlandadler und der Deutschlandfahne. Wir registrieren zudem Versuche der AfD, im Fanbereich zu landen. Die fischen in dieser Erlebniswelt Fußballfans, die einen hohen Organisationsgrad und eine gewisse Gewaltaffinität haben. Das ist eine hochinteressante Klientel für rechte Parteien, für den politischen Kampf, für den Tag X.  

Durch diese permanente Normalisierung von rechten Narrativen verändert sich einfach das Klima. Schlicht gegen rechts zu sein, wird ja in Teilen schon als linksextremistisch geframed. Ich weiß, dass die Fanszene des S04 sich in der Beziehung stark positioniert und positive Beiträge dazu leistet, das will ich ganz deutlich sagen. Das ist damit auf Schalke ein anderes Thema als an vergleichbaren Standorten in Nordrhein-Westfalen. Nichtsdestotrotz beobachten wir „Stolzmonat“-Sticker oder „Deutsche Jugend voran“ selbst im Umfeld der Veltins-Arena. Das heißt, die Leute sind da und durch diesen Raumkampf wird versucht, eine Normalisierung solcher Zustände herbeizuführen. 

SCHALKE UNSER: 
Einige Politiker und Funktionäre fallen dem Anliegen des Antirassismus mit Populismus in den Rücken. Aber wer sind denn Mitstreiter gegen Rassismus? 

PATRICK: 
Ich hätte eigentlich gehofft, dass der Deutsche Fußballbund ein solcher Mitstreiter ist. Wenn wir das Problem immer negieren und wegschieben, dann werden wir auch nichts verändern. Es ist wichtig, Vorfälle zu thematisieren. Und Leuten, die sich nicht so gut auskennen, Alternativen aufzuzeigen und deutlich zu machen, wie privilegiert wir sind, hier aufgewachsen zu sein. Und dass Menschenfeinde im Fußballstadion einfach keinen Ort finden sollten, an dem sie sich wohlfühlen. 

SCHALKE UNSER: 
Der AfD wurden Chancen eingeräumt, nach der Wahl die Bürgermeisterin oder den Bürgermeister zu stellen. Du hattest angeführt, dass die Kommune Gelsenkirchen ihren Teil zur Finanzierung der Fan-Projekte beiträgt. Was wäre im Falle eines Wahlsieges der AfD mit dem Thema Finanzierung des Fan-Projektes und anderer Organisationen in Gelsenkirchen geworden? 

PATRICK:  
Das wäre auf jeden Fall eine Zäsur. Wir als LAG-Fanprojekte hatten mittlerweile zwei parlamentarische Anfragen von der AfD, mit denen erfragt wurde, ob wir bei der Medif auch Diskriminierung von Deutschen erfassen. Insgesamt habe ich das Gefühl, dass die auf ziemlichem Low-Level unterwegs sind. Nichtsdestotrotz, wenn die dann wie auch immer in Entscheidungspositionen kämen – das kann ich mir gar nicht vorstellen. Damit habe ich mich noch nicht ernsthaft auseinandergesetzt. 

Für mich ist das eine gesichert extremistische Partei, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung abschaffen will oder auf jeden Fall völlig anders interpretiert als alle anderen demokratischen Fraktionen. Die steht mit Sicherheit nicht für Prävention. Die steht mit Sicherheit nicht für Vielfalt. Die steht mit Sicherheit nicht für Integration. Da müsste man erstmal gucken, wie sich das mit den Werten des Sportvereins vereinbaren ließe. Und wie wertvoll sozialpädagogische Fanarbeit ist, wird man dann auch erst sehen, wenn es sie nicht mehr gibt. 

SCHALKE UNSER: 
Nehmen wir den Fall an, ihr wärt in der Situation, dass sich der politische Wind gedreht hat. Und politische Akteure unterstellen, der ganze schöne Präventionskram koste nur unnötig Geld. Wie beziffert ihr dann den Wert eurer Arbeit? Wie misst man den Erfolg einer Arbeit, die vor allem damit zu tun hat, was nicht passiert? 

PATRICK: 
Ich weiß gar nicht, ob man sich da immer beziffern lassen muss. Ich kann nichts dafür, dass der Erfolg nicht ohne weiteres messbar oder grafisch abbildbar ist. Aber mir fallen doch einige Erfolge sozialpädagogischer Fanarbeit ein. Soziale Fanprojektarbeit hat mit Sicherheit dazu beigetragen, dass Gewalt im Zusammenhang mit großen Großveranstaltungen zurückgegangen ist, dass Extremismus aus den Stadien verschwunden ist. Deswegen sehe ich es als fundamental wichtig an, diese Aufgaben weiter zu verfolgen.  

Ich persönlich tue mich schwer, Erfolg und Misserfolg nur mit Zahlen festmachen zu wollen. Ein gesellschaftliches Klima kann ich auch nicht messen. Ich weiß aber ganz genau, dass durch die Arbeit, wie wir sie machen, eine hohe Bindungsqualität entsteht zu Jugendlichen und dass ein direkter Impact auf das Verhalten von Jugendlichen besteht. Das kann man beobachten. Wir leben in einer männlich sowie gewalttätig geprägten Gesellschaft. Es ist wichtig, den Mehrwert von Prävention grundsätzlich zu verstehen. Ich möchte gerne mal wissen, was es kosten würde, wenn wir die Leute alle für Fehlverhalten in Haftanstalten unterbringen würden. Oder ob wir manchmal nicht ganz gut beraten sind, die Entwicklung von Jugendlichen oder abweichendes Verhalten in der Adoleszenz ein Stück weit zu akzeptieren.  

Gerade die Lebensphase Jugend ist doch eine Phase von Sturm und Drang, Wunsch nach Veränderungen, manchmal auch nach Konfrontation. Mitglied in einer Fußball-Fan-Szene zu sein, heißt mitnichten in eine organisierte Kriminalität einzutreten, sondern ganz im Gegenteil: Wir erleben doch, dass die jungen Erwachsenen ganz viele positive Kompetenzen für das spätere Leben erwerben, dass Bildungsabschlüsse auf jeden Fall deutlich höher sind als in anderen gesellschaftlichen Bereichen. Natürlich kommt es zur Grenzüberschreitung und das hat mit der Jugend zu tun. Wir erleben aber doch im Fußball-Fan-Bereich, dass da immer wieder eine ganz normale Ablösung von diesem Lebensabschnitt stattfindet. Verschiedene biografische Ereignisse, die eine Neuorientierung bei Mitgliedern der Subkultur bewirken. 

SCHALKE UNSER: 
Wie lässt sich besser in die Öffentlichkeit transportieren, dass die bloße Akzeptanz von abweichendem Verhalten im Heranwachsendenalter und das Vertrauensverhältnis zu Leuten, die potenziell Probleme in bestimmten Lebensphasen haben, ungleich Komplizenschaft ist? 

PATRICK: 
Das ist doch eine Aufgabe, die Fanprojektarbeit aus meiner Sicht permanent macht: Übersetzen. Da findet viel spieltagsunabhängiger Kontakt statt. Begleitung zu Strafverfahren, Kontakt mit Anwälten und permanentes Erklären, Übersetzen, Moderieren dieser Erlebniswelten. Ich glaube, das ist eigentlich eine der Kernaufgaben von Fanprojektarbeit. Ich glaube aber sowieso nicht, dass man den Diskurs immer in der Öffentlichkeit führen muss. Wir werden zum Beispiel häufig gefragt, „könnte ihr nicht einen Ultra besorgen, der etwas im Fernsehen erzählt“. Aber selbst, wenn ich diesen Kontakt hätte, warum soll ich diese Person dahingehen beraten, sich im Fernsehen zu exponieren? Es gibt doch sowas wie eine persönliche Beziehung, es gibt eine Beziehungsqualität, es gibt eine Beziehungskontinuität. Das ist doch auch was Geschlossenes. 

SCHALKE UNSER: 
Bist du der Meinung, die extreme Beleuchtung durch Soziale Medien trägt dazu bei, dass problematische Ereignisse mit Fanbeteiligung als zahlreicher wahrgenommen werden, einfach weil sie überall multipliziert werden? 

PATRICK: 
Auf jeden Fall. Über diese Feeds werden Vorfälle aus ganz Europa sichtbar gemacht, fast in Echtzeit. Da bekommt man manchmal das Gefühl: „Ach, was ist denn da eigentlich los im Fußball?“ Da werden heute ständig überall Dinge gezeigt, die früher den Ort gar nicht verlassen hätten. Dieses ganze soziale Engagement, das Fußball-Fans an den Tag legen, diese Bereitschaft, ihre Gesellschaft zu gestalten, selbst wenn deren Gesellschaft nicht aussieht, wie andere Gesellschaft interpretieren, das ist doch auch ein berechtigter Teil und ein Kulturgut, irgendwie. 

Wenn wir dagegen sehen, wie sich der Fußball in England durch die Kommerzialisierung entwickelt und wie stark er sich dort von den Leuten entfernt hat, dann finde ich es eigentlich nach wie vor schön, hier ins Stadion zu gehen. Ich sag‘s mal so: Eine Bratwurst vom Holzkohlegrill, das hört sich vielleicht total dahergequasselt an, aber das ist echt schön. 

SCHALKE UNSER: 
Aber kannst du überhaupt noch aufs Spielfeld gucken oder ist die Déformation professionnelle so krass, dass du immer die Ränge im Blick hast und überall schaust, wo sich welcher Ordner positioniert? 

PATRICK: 
Leider ja. Ehrlich gesagt schon. Ich bin ein Fachassi geworden. Wenn ich in die Stadt gehe, dann gucke ich mir jeden Aufkleber an den Laternen an und fotografiere die notfalls. Stadionbesuche auf Schalke haben sich verändert. Ich gehe meistens spät rein und „zwinge“ mich wieder mehr, wirklich das Fußballspiel zu gucken. Ihr könnt mich dafür verurteilen, aber dann verschwinde ich auch oft in der 87. Minute, weil ich nicht auf dem Parkplatz warten möchte.  

Ich bin seit acht Jahren Vater. Ein Wochenende bekommt dadurch nochmal einen anderen Stellenwert, finde ich. Ich fahre nach dem Spiel gerne schnell nach Hause und nehme mir jedes Mal vor: „Heute guckst Du das Sportstudio!“ Ich bin Frühaufsteher und halte mich jedes Mal krampfhaft wach, bis die Musik vom Sportstudio kommt. Dann entspanne ich mich auf der Couch und werde irgendwann um drei Uhr nachts in Jeanshose wach und habe nicht einmal die ersten Minuten des Interviews gesehen und denke mir so: „Ach, Scheiße!“ Das passiert mir jedes zweite Wochenende. 

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