Wahrheitsfindung ausgesetzt

„Die Entscheidung des Einsatzleiters, das Banner des Komiti Skopje aus der Nordkurve durch Polizeikräfte entfernen zu lassen, war richtig”, beharrt Polizeipräsident Rüdiger von Schoenfeldt in einer Pressemitteilung. Nur bleibt er den Beweis schuldig.

„Alle Hinweise und das Verhalten der griechischen Fans deuteten auf einen unmittelbar bevorstehenden Ausbruch der Gästefans aus ihrem Block und einer möglichen Platzstürmung, die durch die vorhandenen Polizisten nicht zu stoppen gewesen wären, hin. Leib und Leben von Fußballfans wären gefährdet gewesen.”

Die Polizei behauptet das, also ist es so, war so, bleibt so richtig. Wahrheitsbeweis durch ständiges Wiederholen. Mehr werden wir auch nicht erfahren, denn von jetzt an verweigert die Polizei alle weiteren Auskünfte: „Bis zum Abschluss der strafrechtlichen Verfahren sind auch von der Polizei keine weiteren Aussagen möglich.” Informationsfreiheitsgesetz hin, Pressegesetz NRW her. So einfach geht das. An Gesetze muss man sich halten. Außer, man ist bei der Institution, die ihre Einhaltung durchsetzen soll.

Damit macht von Schoenfeldt eines deutlich: Er ist nicht eine Spur daran interessiert, Dienstaufsichtsbeschwerden nachzugehen, die genau diese Verhältnismäßigkeit untersuchen sollen. In einem Rechtsstaat ein Unding. Das Problem: Schlussendlich müsste sein oberster Dienstherr Ralf Jäger , der Innenminister des Landes NRW, tätig werden und für eine unabhängige Untersuchung sorgen. Doch auch der hat sich schon festgelegt und ist damit untauglich – zumal auch im Raum steht, dass eine „härtere Gangart“ gegenüber Fußballfans durchaus von selbigem ausgerufen sein könnte.

Damit ist die Forderung klar: Der Landtag NRW wird nicht umhin kommen, eine Untersuchungskommission zu den Vorfällen einzurichten. Es steht zu hoffen, dass die Fraktionen des Landtags auch zu diesem Schluss kommen – denn anders ist nicht zu gewährleisten, dass die Wahrheit doch ans Licht kommt. Quis custodiet ipsos custodes – wer wacht über die Wächter? In dem Falle der Landtag. Hoffen wir, dass wenigstens die Opposition sich des Themas entsprechend annimmt. Und vielleicht sogar Herrn Jägers Koalitionspartner, die Grünen, die sich vielleicht noch erinnern, wie sich Pfefferspray in der Fresse und Schlagstock auf der Birne anfühlen, wenn man ein Grundrecht in Anspruch nimmt, so beispielsweise damals das auf Demonstrationsfreiheit. Erinnert Ihr Euch, Ihr Castorgegner? Ihr Volksbefragungsverweigerer?

Schleichend hat Herr von Schoenfeldt auch die peinliche Sache mit der „Volksverhetzung“ versucht, unter den Tisch fallen zu lassen. Eigentlich schade, war doch das der Anlass dafür, mit den Hundertschaften in eine Fankurve einzumarschieren. Wenn aber schon A ein Fehler ist – wie kann man dann nur so beharrlich dabei bleiben, dass B richtig gewesen sein muss? Wohlbemerkt, ohne auch den Hauch eines Beweises zu liefern?

Jetzt war es eben nötig, damit die PAOK-Anhänger nicht ausrasten, über einen drei Meter hohen Zaun in einen zwei Meter tiefen Graben hüpfen und dann noch mal eben ohne von der stets richtig und angemessen handelnden Polizei aufgehalten zu werden, in die Nordkurve zu stürmen.

Die Fahne hätte halt abgehangen werden sollen. Tja, vielleicht hätte sie das. Hätte ja schon mal eine Fahne – eine israelische in Duisburg. Scheinbar sind die Einschätzungen bezüglich Fahnen und Störerhaftung der nordrhein-westfälischen Polizei von Irrtümern geprägt. Hier war übrigens ein gewisser Herr Wendt von der Polizeigewerkschaft der Meinung, das Abhängen sei ein Fehler gewesen: “Es ist unerträglich, wenn in Deutschland Islamisten polizeiliches Handeln bestimmen.” Jo. Aber griechische Randalierer, die dürfen das.

Ein guter Punkt der Mitteilung: Es wird auch gegen die Polizisten ermittelt. Hat er angewiesen, der Herr von Schoenfeldt. Nur dummerweise von genau den Leuten, die mit denen an einem Frühstückstisch sitzen, gegen die sie ermitteln sollen. Wenn von Schoenfeldt hier ein objektives Ermittlungsergebnis erwartet, hat er ein positiveres Menschenbild als wohl so manch anderer.

Hier hilft ein Blick nach Bayern: In der Ermittlungssache Polizeigewalt in München ist so ziemlich gar nichts ermittelt worden, bis auf Druck der Presse Bayerns Innenminister Monate später auf die glorreiche Idee kam, die Ermittlungen woanders hinzuverlegen. Korpsgeist ist da immer noch nicht ausgeschlossen, aber der Ansatz ist nicht verkehrt. Nur ist dummerweise auch Innenminister Jäger befangen – siehe oben. Landtag, übernehmen Sie!

Rüdiger von Schoenfeldt entschuldigt sich in aller Form bei den unbeteiligten Opfern – ein erstes Eingestehen, dass es solche gegeben hat. Wenn dem aber so ist, dann führt sich die Argumentation, es hätte vielleicht unter Umständen den Hauch einer Gefahr eines Risikos bestanden, dass durch die PAOK-Fans Schaden hätte entstehen können – Beleg fehlt, s.o. -, ad absurdum: Hier hat der „verhältnismäßige“ Einsatz genau das ausgelöst, was er hätte verhindern sollen. Wie das dann „richtig“ gewesen sein soll, diese Frage bleibt unbeantwortet. Mindestens bleibt eine eklatante Fehleinschätzung des Einsatzleiters im Raum stehen – und dann hat er eben nicht „richtig“ gehandelt. Q.E.D.

Es bleibt dabei: Hier kann nur noch der Landtag helfen. Mit „brutalstmöglicher Aufklärung“. Hoffen wir, dass diese auch in der Bundesrepublik Deutschland stattfindet. In einem Rechtsstaat.