„Ich habe Eure Zukunft gesehen, sie wird Euch gar nicht gefallen“

(stu) So beschrieb Kevin Miles, Vorsitzender der Independent Newcastle United Supporters‘ Association (INUSA), das Los der Fans in der neuen englischen Fußballwelt. Anlaß war das zweite internationale, von der Schalker Fan-Initiative organisierte Fan-Projekt, welches vom 29. 1. bis zum 1.2.1998 in unserem Fan-Laden stattfand. Fans aus vier Ländern, England (Newcastle United), Holland (Roda JC Kerkrade), Polen (Lech Poznan) und aus Schalke diskutierten vier Tage lang über Probleme, die ihnen zu schaffen machen.

Cover SCHALKE UNSER 17
SCHALKE UNSER 17

England gilt nicht nur als Wiege des modernen Kapitalismus, sondern auch als Mutterland des Fußballs. Und hier ist der neue Fußballkapitalismus am weitesten fortgeschritten. Die Sachen, gegen die wir uns als Fans in Deutschland zu wehren versuchen, wie z.B. die Versitzplatzung der Stadien, den Kommerz (Stichwort: Merchandising) und den Einfluß der Fernsehgesellschaften (Stichwort: Terminverlegungen), gehören dort längst zum Alltag. Im Zuge der Versitzplatzung sind ganze Gesellschaftsschichten vom Besuch eines Fußballspieles ausgeschlossen worden.

In Newcastle ist die Situation besonders kraß. Dort ist das Stadion (Fassungsvermögen: 36 000) die ganze Saison komplett an Dauerkarteninhaber ausverkauft. Tageskarten sind nicht zu bekommen, es sei denn, es kommen welche vom Gästeverein unverkauft zurück. Ab 21 Pfund (63 Mark) ist man dann dabei. Die billigste Dauerkarte kostet 380 Pfund (1140 Mark). Es stehen über 15000 Leute auf der Warteliste!

Kinnladen fielen, als Kevin erzählte, daß der Verein vor der Versitzplatzung bereits 3000 Leute gefunden hatte, die bereit waren, für das Recht (und nur das Recht), über die nächsten zehn Jahre in einem bestimmten Stadionbereich sitzen zu dürfen (ohne Karte!), jeweils 3000 Pfund (9000 Mark) zu berappen. Einige glaubten, einen Übersetzungsfehler festgestellt zu haben. Dem ist nicht so! Da es auch schwierig ist, für Auswärtsspiele Karten zu bekommen, werden diese live in Kinos übertragen. Das Vergnügen kostet nur schlappe 8 Pfund (24 Mark) pro Nase. Der Haken an der ganzen Sache: Dazu werden offiziell nur Kinder bzw. Jugendliche in Begleitung eines Erwachsenen – was mindestens 48 Mark bedeutet – zugelassen.

Die Situation in Holland ähnelt der in Deutschland, wobei doch einige grundsätzliche Unterschiede zu verzeichnen sind. Hier ist der freie Spielbesuch nur begrenzt möglich. Die Schalker, die im Grenzbereich wohnen, werden vielleicht spätestens beim UEFA-Cup-Spiel in Kerkrade ihre ersten Erfahrungen damit gemacht haben.

Die Rede ist von der Clubkarte, die jeder besitzen muß, der ins Stadion möchte. Ich kenne viele Schalker, die sich die Clubkarte von Kerkrade besorgt haben (Kostenpunkt: ca. 12,50 DM), um überhaupt ins Stadion zu kommen. Mein Fanclub hat damals auch reichlich Gebrauch davon gemacht. An einen spontanen Spielbesuch ist in Holland also nicht zu denken. Viel schlimmer noch: Die Kerkrader berichteten von Plänen, wonach in Holland demnächst eine Clubkarte mit Foto eingeführt werden soll, was nichts anderes wäre als die berühmt-berüchtigte ID-Card, die die britische Regierung Ende der 80er Jahre vergeblich versucht hat einzuführen.

Weitere Einschränkungen gibt es mittlerweile auch beim Besuch von Auswärtsspielen. So werden Eintrittskarten für manche Spiele nur in Verbindung mit einer vom Verein organisierten Busreise ausgegeben (kommt mir irgendwie bekannt vor). Wer mit dem Auto oder mit dem Zug hinfahren will, kann sein Vorhaben getrost vergessen. Die Fans werden direkt vor der Kurve ausgesetzt und nach Spielende wieder abgekarrt.

Vom ganzen Drumherum, dem Stadtbummel, dem Kneipenbesuch, der Übernachtung bei Freunden kriegt man nichts mehr mit. Wie zu erwarten war, machen die Fans im wahrsten Sinne des Wortes mobil. So fuhren vor kurzem eine organisierte Gruppe von 500 Utrecht-Fans mit dem Auto zum Spiel nach Heerenveen, um den Verantwortlichen zu zeigen, was sie von ihren Bus-Kombikarten halten. Jetzt wird sogar ein Boykott all solcher Spiele erwogen.

Von Interesse für alle Schalker im Hinblick auf den geplanten Stadionneubau wird die Situation in der Amsterdamer Arena sein. Abgesehen von der miesen Stimmung, die jetzt im ‚Theater‘ herrscht, ist es geradezu eine Frechheit, was den Fans in Sachen Gastronomie aufgezwungen wird. Denn dort sind die Arenawürstchen nicht für Geld zu haben. Wer im Stadion was verzehren will, muß sich eine Art Kreditkarte zulegen.

Diese Karte enthält einen Chip, damit die Karte analog der neuen Geldkarte von der Sparkasse mit einem Guthaben geladen werden kann. Geld wird nicht als Zahlungsmittel angenommen, nur „Arena“, wie die Amsterdamer Stadionwährung sehr einfallsreich genannt wird. Der Mindestbetrag beträgt 10 Gulden. Wer regelmäßig hingeht, kann vielleicht damit leben, aber was macht der, der nur ein Bierchen trinken will?

Am anderen Ende des Spektrums steht Polen. Im SCHALKE UNSER haben wir über die dortige Situation schon mehrfach berichtet. Der Fußball in Polen ist krank, es werden Spiele verschoben, außer den Hools geht so gut wie keiner hin. Statt sich dauernd die Köpfe einzuschlagen, ist es Zeit, daß die polnischen Fans sich zusammentun. Ob sie den Mut dazu aufbringen werden, ist eine andere Sache.

In vier Tagen ist es unmöglich, alles ausführlich zu diskutieren. So kamen wichtige Themen wie der Börsengang der englischen Vereine und die indiskutable Situation in Manchester – Stadionverbot und Dauerkartenentzug wegen Aufstehens – überhaupt nicht zur Sprache. Wir haben deswegen vor, den Fan-Austausch auf jeden Fall zu wiederholen und, wenn möglich, auszubauen.

Denn es steht viel auf dem Spiel. Wie ein Redaktionsmitglied nach dem Kaiserslautern-Spiel in der Schalker Mailing-Liste schrieb: „Dieses grausam langweilige, von Schlafmützen aller Art bevölkerte Stadion, das ich heute sah, war für Teresa, Ian, Ged, Kevin und die anderen Engländer ein kleines Paradies. in dem jeder fast völlig frei entscheiden kann, ob es ihm hier oder im Nachbarblock besser gefällt. Ob er stehen oder sitzen möchte. Ob er singt, lacht, macht, was er will.“ Teresa formulierte es so: „Laßt euch das nicht wegnehmen, kämpft dafür! Wir sind hier, um Euch zu warnen. Vor fünf Jahren haben wir auch nicht gewußt, was wir an den Stehplätzen hatten, welche Freiheit wir genossen haben. Jetzt ist das vorbei, und wir suchen verzweifelt den Weg zurück. Nur die Liebe zu unserem Verein hält uns noch aufrecht, realistisch betrachtet können wir uns zur Zeit nichts ausrechnen und müssen auf vieles verzichten, um die Spiele überhaupt noch sehen zu dürfen. Aber was wir einmal verloren haben, ist weg und kommt – wie’s aussieht – nicht wieder: Die Freiheit.“

Wir möchten uns bei der EU-Kommission bzw. beim deutsch-polnischen Jugendwerk für ihre Unterstützung bei der Finanzierung dieses Treffens recht herzlich bedanken. Außerdem bedanken wir uns bei Heiner Kördell für die informative Stadionführung in der Glückaufkampfbahn und im Parkstadion, bei Markus vom Schalker Fan-Projekt für die Erläuterung der Projekt-Arbeit, bei Youri Mulder, der uns am Freitag abend Rede und Antwort gestanden hat, bei den Supporters für den freundlichen Empfang, bei Schalke 04 für die Eintrittskarten sowie bei allen Leuten, die durch ihren Einsatz diesen zukunftsweisenden Fan-Austausch ermöglicht haben.

Folgende Erklärung wurde von den Teilnehmern einstimmig verabschiedet:

Wir, Fans von Newcastle United, Roda Kerkrade, Lech Poznan und Schalke 04 geben bekannt, daß der Fan-Austausch ein großer Erfolg gewesen ist und auf jeden Fall wiederholt wird.

Jede Gruppe wird hierzu einen Bericht erstellen und diesen zusammen mit den in dem jeweiligen Land erschienenen Presseartikeln an die anderen Fangruppen verschicken.

Außerdem geben wir bekannt, daß wir beabsichtigen, ein internationales Netzwerk von Fußballfans aufzubauen, damit wir uns das Fußballspiel zurückholen, es gegen Rassisten und Faschisten verteidigen und gegen die Ausbeutung von Fans durch Profitgeier vorgehen können.