Banner in der Nordkurve "Wer im Glashaus sitzt, sollte zuerst mit C.T. reden - Ihr Heuchler2

Denn sie wissen nicht, was sie tun

(aw) Insgesamt sieben Spielabbrüche hat es in der Geschichte der Bundesliga gegeben. Vier Mal waren Wetterbedingungen wie Nebel oder Dauerregen der Grund, zwei Mal das Werfen von Gegenständen aus dem Zuschauerbereich – so auch 2011 beim Spiel unseres S04 gegen St. Pauli, als ein voller Bierbecher den Schiedsrichter-Assistenten außer Gefecht setzte – und im Jahr 1972 führte beim Spiel Borussia Mönchengladbach gegen Werder Bremen ein gebrochener Torpfosten zum Spielabbruch.

Sieben Spielabbrüche in fast 58 Jahren Bundesligageschichte sprechen also dafür, dass diese Maßnahme nur in Ausnahmesituationen zum Tragen kommen und aufgrund der daraus resultierenden Konsequenzen vor dem Einsatz gut durchdacht werden sollte. Im Frühjahr 2020 werden wir eines Besseren belehrt.
Plötzlich reicht es aus, dass ein mehr als gutbetuchter Funktionär des deutschen Fußballs auf Spruchbändern mit kritischen Worten aus der Kurve bedacht wurde, um die gesamte Liga und die deutsche Medienlandschaft in Aufruhr zu versetzen und den Spielabbruch als probate Sanktion gegenüber den vermeintlichen Konflikt-Verursachern zu positionieren. Über die (Un-)Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahme wurde bereits groß und breit geschrieben. Die Frage, die sich darüber hinaus stellt, lautet: Wissen sie überhaupt, was sie da tun? Die Antwort gaben die Verbände DFB und DFL mit ihrem Aktionismus.

Was ist eigentlich aus dem Recht auf freie Meinungsäußerung geworden? Wo ist die Grenze zwischen Satire und Beleidigungen zu ziehen? Sind nur Spruchbänder, die explizit gegen Herrn Hopp und seine Mutter gerichtet sind, mit einem Spielabbruch zu sanktionieren oder wie sieht es mit Plakaten gegen den Wortbruch der Verbände aus? Der – nur so am Rande – der eigentliche Grund für die Kritik der Fanszenen ist. Und was ist eigentlich mit Gesängen? Führen diese auch zur Spielunterbrechung?

Cover SCHALKE UNSER 102
SCHALKE UNSER 102

Wie kann es sein, dass DFB und DFL einen Drei-Stufen-Plan bei Fanprotesten ausrufen, sich Vereine wie Bayern München und auch unser eigener königsblauer Vorstand dem blinden Aktionismus anschließen und sogar mit dem sofortigen Verlassen des Platzes drohen? Vor allem, wenn sich offensichtlich vorher keiner darüber Gedanken gemacht hat, welche sportlichen und wettbewerbsrelevanten Folgen eine solche Maßnahme hat?

Nicht nur die Klubs der zweiten Liga unter der Federführung der SpVgg Greuther Fürth fragten sich: Wie erfolgt die sportliche Wertung im Falle eines Spielabbruchs? Und wie wird das Spiel gewertet, wenn Fans beider Vereine kritische Spruchbänder zeigen? Welche Konsequenzen sind zu erwarten, wenn sich Vereine nicht an den Drei-Stufen-Plan halten?

Dreht man das Fragen-Karussell weiter, verstärkt sich immer mehr der Eindruck, dass den Funktionären die Tragweite ihrer Ankündigungen selbst nicht bewusst war: Die Maßgabe auf dem Platz umsetzen, die Entscheidung für eine Spielunterbrechung und einen möglichen Abbruch treffen, müssen die Schiedsrichter der jeweiligen Partien.

Doch nach welchen Richtlinien sind diese Entscheidungen zu treffen? Sind die Schiedsrichter überhaupt für solche Situationen geschult oder werden solche Schulungen nun stattfinden? Dass so mancher Referee mit der Gesamtlage überfordert sein könnte, zeigte die Partie FC Carl Zeiss Jena gegen 1860 München. Hier wurde das Spiel fast wegen eines Spruchbands mit dem Inhalt: „Kritiker mundtot machen und Kollektivstrafen: Habt ihr das von Dietmars Papa gelernt?“ abge-
brochen. Offensichtliche Beleidigung, rassistische Äußerungen oder Diskrimi-
nierung? Fehlanzeige.

Im Gegenteil: Das Banner thematisierte die NS-Vergangenheit von Hopp senior und den Umgang damit. Trotzdem wurde das Spiel für 15 Minuten unterbrochen und erst nach Einrollen des Banners fortgesetzt. Der „Drei-Stufen-Plan“, ursprünglich erfunden – und nie eingesetzt – gegen rassistische Aktionen der Fans, verkehrt sich hier ins Gegenteil.

Neben dem Anwalt von Dietmar Hopp forderten auch weitere selbsternannte Fußballexperten wie Mario Basler oder Michael Rummenigge lebenslange Stadionverbote für „Störer“. Doch auf welcher Rechtsgrundlage sollen diese ausgesprochen werden? Was passiert, wenn Beleidigungen vor einem ordentlichen Gericht nicht als solche bewertet werden? Wie es beispielsweise zuletzt bei den Schmähungen gegen Renate Künast oder Sawsan Chebli der Fall war. Auch in den Richtlinien zur einheitlichen Behandlung von Stadionverboten wird ein Stadionverbot nur für „Handlungen / Verhaltensweisen, die die Menschenwürde einer anderen Person in Bezug auf Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, Geschlecht oder Herkunft verletzen“ (vgl. §4 (4) 18) vergeben. Dies ist in der Kritik an Hopp und den Kollektivstrafen nicht gegeben.

Am 6. März – also erst Tage, nachdem bereits mehrere Bundesliga-Partien und DFB-Pokal Spiele unter dem Damoklesschwert des Spielabbruchs stattgefunden hatten – stellte der DFB eine Erläuterung zum Drei-Stufen-Plan auf der eigenen Website online und gab hier auch eine „unklare Kommunikation“ sowie eine zu sensible Reaktion in einzelnen Partien zu. Man wolle „die kreative und kritische Fankultur in Deutschland“ erhalten und „Kritik gegen Institutionen und Personen [sei] selbstverständlich zulässig“. So der Wortlaut der Meldung. Auch wenn der Artikel sogar mit einem FAQ-Part ergänzt wird, mangelt es an klaren Aussagen. Am Ende des Tages bleibt also weiterhin die Frage stehen: Wissen sie, was sie da tun?

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