(idw) Wer wäre nicht gerne Millionär? Wer würde nicht gerne den Applaus und die horrende Siegprämie einer Quizshow ernten? Einfach bewerben und gewinnen – so schwer kann das doch nicht sein. SCHALKE UNSER berichtet von Refrather Kellerräumen, Jogginghosen und sauguten Gefühlen.
Ich hab’s getan! Ich bin Teil der riesigen Unterhaltungsmaschinerie „Quizshows“. Nein, ich saß nicht bei Jauch auf dem Hocker, Sonja Zietlow hat mich nicht als Schwächling beschimpft und dann fliegen lassen, ich habe auch keinen Zuschauerkandidaten per Telefon aus Mecklenburg-Vorpommern zuschalten lassen, weil meine Oma da im Krieg hamstern war. All‘ das hätte ich gerne getan, noch viel lieber aber hätte ich mein Schalke-Wissen bei der ZDF-Expertenshow „Risiko“ unter Beweis gestellt. Es hat nicht sollen sein. Und dennoch war ich dabei.
„Casting“ lautet die Parole, die die allmächtigen Fernsehmacher vor jeden Auftritt gestellt haben. Und so kam es, dass schon kurz nach meiner schriftlichen Bewerbung das Telefon klingelt. „Erstes Kennenlernen“ steht auf dem Programm. Ringelpietz mit Anfassen auf subintellektuellem Niveau.
„Wie heißt der älteste Sohn von Boris Becker?“ oder „Wie heißt die Band, in der Vanessa, Jess, Lucy, Nadja und Sandy singen?“ lauten die Fragen, mit denen ich beweisen soll, dass mein Allgemeinwissen dem TV-Standard genügt – und ich schäme mich fast, als ich mich „Noah Gabriel“ und „No Angels“ in den Hörer nuscheln höre. Woher weiß ich so einen Scheiß – und warum kann ich mir nicht meine Kontonummer merken? Egal. Erste Castingrunde gut absolviert, die Telefon-Casterin hat ein „saugutes Gefühl“ und verspricht, sich in ein paar Tagen wieder zu melden.
Macht sie dann auch. Nächste Runde des Castings: Literatur angeben. Bereitwillig krame ich im Bücherschrank herum und zähle auf, was er zum Thema Schalke hergibt. Verfasser, Herausgeber, ISBN-Nummer. Dankeschön und Tschüß. Ach ja: Die Casterin hat ein „saugutes Gefühl“.
Eine Woche später. Das Telefon klingelt, es soll ans Eingemachte gehen. Nun steht mein Experten-Wissen auf dem Prüfstand. Erste Frage: „Im Jahr 1997 als Borussia Dortmund die Champions-League gewann, hatte Schalke einen Erfolg im UEFA-Cup. Wie hieß der Endspielgegner?“ Ich beantworte die Frage brav, kann es mir aber nicht verkneifen nachzuharken, welcher Depp diese Formulierung in die Welt gesetzt hat. Die Casterin ist zunächst irritiert, weiß dann aber folgenschweres aus ihrem Fußballwissen zu berichten: „Ach ja, die mögt ihr ja nicht so sehr, die Dortmunder, oder?“
Der Rest der Telefon-Expertenfragen ist Formsache. Wie üblich wird nach Schatzmeister Willi Nier gefragt, der sich dereinst im ersten Schalker Skandal das Leben nahm, die Löwenpark-Anekdote nach dem Hundebiss kommt wie immer zur Sprache und auch der Pokalfinalgegener von 1972 muss – Überraschung – mal wieder herhalten, um zu belegen, was für ein Experte ich doch bin. Zum Abschied, kurz bevor mir die Casterin üblicherweise von ihren „sauguten Gefühlen“ berichtet, noch ein Rat. „Wenn du dann nächste Woche zum Casting kommst, dann zieh dich bitte ordentlich an.“
Ich bin 27 Jahre alt. Meine Mutter gab mir zuletzt bei meiner Firmung Kleidertipps. Seitdem, so dachte ich, sei ich alt genug, um mich selbst einzukleiden. Aber okay. „Was meinen sie mit ordentlich anziehen?“ „Na ja, eben nicht so wie ein Fußballfan.“ Rums – das saß.
Ich verspreche ihr die angesabberte Jogginghose, die Adiletten und das Muskelshirt zu Hause zu lassen und auch wirklich nur eine kleine Plastiktüte mit Karlsquell mitzuführen. Sie versteht die Ironie nicht. Ihr Gefühl tendiert vielleicht gerade deshalb in Richtung „saugut“.
Der große Tag. Die Sonne knallt vom Himmel, ich würde gerne irgendwo hinradeln und mit meiner Freundin picknicken, kann aber nicht. Ich setze mich in mein Auto und fahre die komplette A1 von Münster bis nach Bergisch Gladbach-Refrath herunter. Auf dem Beifahrersitz die Wegbeschreibung zum Casting-Büro versehen mit dem Hinweis, dass ich wirklich überall, aber nicht vor dem Haus parken darf. Ich halte mich daran, begebe mich in den Keller eines 08/15-Bürohauses. Man erwartet mich. Ich bin ordentlich angezogen.
Simone, Sandra, Susi, oder wie sie auch immer heißen mag, teilt mir mit, dass man sich hier duzt. Ich erspare mir die Rückfrage, ob das in allen Refrather Kellern so gehalten wird. Die Kaffeeküche dient als Aufenthaltsraum.
Ich treffe eine Dame mittleren Alters, bekleidet in einer Art „Küchenkittel Deluxe“, die das ganze Prozedere schon kennt. Sie bewirbt sich diesmal zum Thema „Altes Ägypten“. Bei „Tut Anch Amon“ und „Kleopatra“ war sie auch schon dabei. Ohne Erfolg. Vielleicht klappt’s ja diesmal. Im Aufenthaltsraum stellen die anderen Casting-Kandidaten irritiert fest, dass ich zum Thema „Schalke“ eingeladen wurde. „Das sieht man Dir aber gar nicht an“, sagt ein Begleiter der Ägypten-Frau.
Ich frage nach der Telefon-Casterin und erfahre, dass sie nicht anwesend sein wird. Dann soll ich in einer Vorbesprechung zeigen, was ich an persönlichen Gegenständen zum Thema mitgebracht habe.
Ich komme nicht weit. „Oooh, das Trikot, das ziehst du aber gleich beim Kamera-Casting an“, fordert eine Casterin. „Muss das sein?“, frage ich und erinnere mich an die mahnenden Worte, mich doch bitte nicht wie ein Fußballfan zu kleiden. Des weiteren widerstrebt mir der Gedanke, in einem Refrather Keller mein Trikot überzustreifen, wo ich doch am Morgen extra das gute Hemd gebügelt habe. Es muss sein. Begleitet von zahlreichen „Aahs“ und „Oohs“ streife ich das Leibchen über. „Jetzt sieht man, dass du Schalke-Fan bist“, stellt der Ägypten-Frau-Begleiter süffisant und selbstzufrieden fest. Wenigstens habe ich sein Weltbild wieder geradegerückt.
Dann das Kamera-Casting. Eine leichte Aufgabe, besonders wenn man die Fragen schon seit einer Woche kennt. Die gutgefühlige Casterin hatte mir die Fragen unter dem Mäntelchen der Verschwiegenheit mitgeteilt. „Das mache ich aber nur bei Dir so“, hatte sie gesagt und ich hatte ihr das nie geglaubt.
Erste Frage: „Gegen wen verlor Schalke 1933 das Endspiel um die deutsche Meisterschaft mit 0:37?“ Ich kucke irritiert, die Casterin kuckt irritiert, ein Aufseher aus dem Hintergrund korrigiert: „Das muss 0:3 heißen – ein Druckfehler!“ Danach Willi Nier, danach die Löwenpark-Anekdote – ich beginne zu verstehen, dass es beim Casting auf alles, nur nicht auf Wissen ankommt. Ich erinnere mich an die Ägypten-Expertin im Kittel. Sie wird es auch diesmal nicht schaffen.
„Im UEFA-Cup-Finale von 1997 schaltete ein Schalker den Weltstar Ronaldo im Alleingang aus und wurde daraufhin in die Nationalmannschaft berufen. Wie heißt er?“ Ist das jetzt ein Test? Soll ich brav „Yves Eigenrauch“ antworten und den Mund halten?
Ich kann es nicht – wahrscheinlich war das mein Fehler. „Die Frage ist falsch“, lasse ich die verdutzte Casterin wissen und kläre sie darüber auf, dass sie das Viertelfinale 1997/98 meint. „Oh, das ist mir jetzt peinlich. Aber Fehler können ja mal passieren.“ Ja, können sie. Mal.
Das Casting ist vorbei. Ich gehe zurück in die Kaffeeküche, die mittlerweile von einer Horde junger Mädchen bevölkert wird, die sich darüber streiten, welcher „No Angel“ am besten singen kann. Ich knicke mir die Frage nach ihrem Spezialgebiet.
In der Küche sitzt die Casterin, die mich vor zehn Minuten dazu zwang, das Trikot anzuziehen. Sie schaut mich mit großen Augen an, hebt unbeholfen eine Faust und stimmt in einem merkwürdigen Singsang ein, der wohl einen aus zehntausenden Kehlen intonierten Schlachtruf imitieren soll.
Sogar das Rauschen und Wiederhallen setzt sie mit weit aufgeplusterten Backen fast perfekt um: „Schalkööh, Schalkööh.“ Der Rest im Aufenthaltsraum ist amüsiert. Einer fragt mich, ob ich denn bei Spielen auch immer viel Alkohol saufe. Eines der Mädchen bekommt offenbar Angst vor mir, dem bösen Fußball-Hooligan, und rutscht ihrem Papa fast auf den Schoß. Ich bin genervt. Im Hintergrund immer noch „Schalkeööh öhöh“.
Kurze Selbstreflexion: Was habe ich anderes erwartet? Ich stehe in einem Refrather Keller mit Einbauküche und trage ein Fußballtrikot. Wahrscheinlich bin ich wirklich ein niveauloser, gewaltbereiter, emotional verkrüppelter Idiot, der sich den ganzen Tag nur von Currywurst und Dosenbier ernährt.
Wahrscheinlich wusste ich das nur noch nicht. „Schalkööh, Schalkööh“, tönt es nach wie vor hinter mir, als ich den Keller verlasse und wieder an das Tageslicht trete. Zwei Wochen später. „… bedauern wir Ihnen mitteilen zu müssen … viel Spaß mit ihrem Hobby … bewerben Sie sich doch bitte mit einem anderen Thema … hoffen sie hatten Spaß und Freude …“
Das Formschreiben mit der Formabsage ist da. Kein Wort mehr von „sauguten Gefühlen“, dafür aber der Hinweis, dass ich es erst gar nicht versuchen soll, eine Kopie von meinem Castingvideo zu bestellen, weil das nicht möglich ist.
Ich habe nun also meine Pflicht vor der großen Fernsehnation erfüllt. Ab sofort bin ich eine Nummer irgendwo in einem Castingbüro. Vielleicht wird man mich doch noch anfordern, wenn irgendwann einmal Not an Kandidaten ist. Vielleicht aber auch nicht. Zumindest, was das angeht, habe ich ein saugutes Gefühl.