Sponsoren stehen Schlange

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SCHALKE UNSER 42

(rk) Günter Eichberg hatte sein erstes Nahziel erreicht: Der Aufstieg in die erste Bundesliga war geschafft. Die königsblaue Euphorie kannte keine Grenzen mehr. Laut Charly Neumann sollte Schalke in Zukunft nie mehr gegen Meppen oder Osnabrück spielen, sondern nur noch gegen Mailand, Madrid und Lissabon.

Sponsoren stehen Schlange

Schalke war im Fieber. Marketing-Chef Heribert Bruchhagen hatte bereits alle Banden für die neue Saison 1991/92 verkauft. Der „Schalker Kreisel“ wuchs von 28 auf 104 Seiten und täglich verzeichnete der Klub rund 30 bis 40 neue Mitglieder. Seit Eichbergs Amtsantritt im Januar 1989 war die Mitgliederzahl auf das Doppelte gestiegen und lag nun bei etwa 12.500.

Nachdem sich die Schalke-Euphorie nach der Jubelfeier zum Aufstieg etwas gelegt hatte, vermeldete Günter Eichberg den Transfer des Bochumer Stürmers Uwe Leifeld. Das ganze sollte noch ein langes Nachspiel haben, denn Uwe Leifeld war schon „totgesagt“. Sein Knie machte schon lange nicht mehr mit, war bereits achtmal operiert worden, er galt schon als halber Sport-Invalide. Helmut Kremers war der einzige, der vor einem Transfer warnte – er wurde nicht gehört. Später gab es dann noch ein langes Hick-hack über die fällige Ablösesumme an den VfL Bochum, wobei Schalke sogar den Rechtsanwalt und ehemaligen BVB-Präsidenten Dr. Rauball einschaltete.

Zoff auf Schalke

Die Idylle trog in der Erbismühle, dem Trainingslager im Taunus. Drei Wochen vor Saisonbeginn sagte Trainer Ristic: „Kremers schleicht wie eine Hyäne herum, er wird die nächste Woche bei Schalke nicht überleben.“ Ristic war unzufrieden mit Kremers über sein mangelndes Engagement. „Ich mache hier alles selbst, besorge die Trainingsgeräte. Andernfalls geht es über drei, vier Stationen und wird schließlich zu spät oder gar nicht besorgt“, kritisierte der Coach. Und auch Max Merkel glaubte nicht mehr an eine längere Bindung von Kremers an Schalke 04. In seiner Bild-Kolumne gab er dem Management gerade einmal „zwei Bälle“. Und schon in der Woche drauf war es tatsächlich aus. Helmut Kremers wurde seines Amtes enthoben, trotzdem wurde er zunächst weder beurlaubt noch entlassen, er sollte sich nun nur noch um Sponsoren kümmern.

Günter Netzer sollte dann ab dem 1. August den Vorstand in „strategischen Fragen“ beraten. Beraten sollte Netzer hauptsächlich von der Schweiz aus per Telefon, denn seine Tätigkeit bei der Werbe-Firma CWL wollte er nicht aufgeben. Für Ristic und Netzer war es ein Wiedersehen, sie kannten sich noch bestens aus ihrer Zeit beim HSV. Damit zog Günter Eichberg einen Schlussstrich unter die schon länger andauernden Querelen zwischen Manager Kremers und Coach Ristic. Der „Fall Leifeld“ spielte bei der sensationellen Entwicklung nach Eichbergs Worten keine Rolle. Der Torjäger sollte nun in die Rehabilitation gehen und dann einen neuen Versuch starten. Das aber sollte nach Eichbergs Aussage „maßvoll“ geschehen, nachdem Ristic den Ex-Bochumer vor die Wahl gestellt hatte: „Entweder du spielst, oder du kannst wieder nach Hause gehen.“ Daraufhin spielte Leifeld bei einem Testspiel eine Halbzeit und musste danach mit dick geschwollenem Knie seine Hoffnungen auf ein schnelles Comeback begraben.

Im beigefarbenen Sommeranzug betrat Günter Netzer bei seinem Amtsantritt die Schalker Geschäftsstelle. Sein strategisches Ziel: „In den nächsten drei Jahren den Club in den internationalen Fußball führen.“ Sein erstes „strategisches Opfer“ sollte Charly Neumann werden. Netzer: „In Schalke haben zu viele Leute mitgeredet“. Doch Charly bekam Rückendeckung durch Ristic: „Charly gehört zu Schalke, er ist Schalke.“ Kurz drauf feierte Charly seinen 60. Geburtstag – ohne Netzer, der war in der Schweiz geblieben.

Der Auftakt

Im letzten Test vorm Bundesligaauftakt schlug Schalke den VfR Limburg mit 9:1, und Ristic geriet ins Schwärmen: „Die neun Tage Trainingslager haben viel gebracht. Sportlich und menschlich stimmt es jetzt bei uns.“ Doch der „Attacke“-Schlachtruf der fast 55.000 Zuschauer inspirierte die Kicker kaum: nur ein mageres 0:0 gegen den HSV beim ersten Heimspiel. Schalke spielte viel zu brav. Bent Christensen, der mit einer schmerzhaften Blutblase spielen musste, war auch nach dem Match selbst von sich enttäuscht. Ein starkes Debüt hingegen gab Hendrik Herzog, der vom ehemaligen DDR-Oberligisten FC Berlin zu den Knappen kam.

Zwischendurch durfte Schalke 04 noch einmal auf der Anklagebank Platz nehmen. Das letzte Spiel in der 2. Liga gegen Darmstadt 98 hatte ein Nachspiel: Weil vier Minuten vor dem regulären Ende Zuschauer auf den Platz stürmten und der Schiedsrichter das Spiel nicht mehr fortsetzen konnte, sprach der DFB-Kontrollausschussvorsitzende Hans Kindermann von irregulären Verhältnissen und verhängte eine Strafe von 25.000 Mark. Schalke war mit einem blauen Auge davon gekommen.

Beim ersten Auswärtsspiel der Saison wurde Schalke von einem Frankfurter Orkan überrollt. 0:5 kamen die Knappen unter die Räder, die Floskel „Schalke 05“ bekam eine neue Bedeutung. Die Truppe von Dragoslav Stepanovic zeigte dabei eine Gala-Vorstellung, Andy Möller erzielte das 2:0 und 3:0. Bei den Schalker Spielern lagen die Nerven blank. Bent Christensen zerschlug in den Katakomben des Waldstadions in seiner Wut eine Glasscheibe.

Beim nächsten Heimspiel nutzte Steffen Freund, Neuzugang von Stahl Brandenburg seine Chance und köpfte die Königsblauen zum 1:0-Erfolg gegen den Club aus Nürnberg. Das Punktekonto war wieder ausgeglichen. Im DFB-Pokal dann aber wieder ein herber Rückschlag. Bei Zweitliga-Schlusslicht Rot-Weiß Erfurt setzte es eine empfindliche 1:2-Schlappe. Nach Christensen war es diesmal Jens Lehmann, der eine abgeschlossene Tür in einem Wutausbruch eintrat. Schalke musste als nächstes bei den Münchener Bayern ran, damaliger Trainer: Jupp Heynckes. Schalkes großer Kampf beim „Goliath“ Bayern wurde nicht belohnt, am Ende nur ein 2:3 aus Schalker Sicht. Heynckes, damals ziemlich unter Beschuss, konnte seinen Kopf noch einmal aus der Schlinge ziehen. Schalke musste nun im nächsten Heimspiel gegen den BVB punkten, ansonsten wäre bereits jetzt ein Abstiegskampf vorprogrammiert.

Das Revier-Derby

Am knallheißen August-Samstag elektrisierte das Revier-Derby die Massen. Am Ende war es ein totaler Triumph für den FC Schalke 04. 70.200 Zuschauer – ausverkauft – feierten einen grandiosen 5:2-Erfolg über den Erzfeind. Sogar Günter Netzer flippte aus: „Das habe ich nur einmal erlebt. Damals haben wir mit Real Madrid Barcelona aus dem Bernabeu-Stadion gefegt.“ Kapitän Didi Schacht: „Ich konnte nicht begreifen, was da passiert. Wir haben gespielt wie im Rausch.“ Ingo Anderbrügge machte sein Treffer zum 1:0 besonders stolz: „Vier Jahre bin ich jetzt weg vom BVB – in dieser Zeit bin ich ein echter Schalker geworden.“ Aber ein anderer – späterer – Borusse sorgte für die nächste Niederlage der Königsblauen. Matthias Sammer traf für den VfB Stuttgart gegen Schalke zum 1:0-Siegtreffer. Doch Schalke hatte noch den Willen und kämpfte sich beim 3:1 über Gladbach wieder zurück.

„Diese Nacht werde ich wohl nicht schlafen können“, befürchtete Rene Unglaube nach dem Spiel seiner SG Wattenscheid 09 gegen Schalke (1:2). Der Stürmer war fix und fertig, weil er Sekunden vor der Pause eine Riesenchance zum 2:0 vergeben hatte. Allein vor Lehmann versemmelte er, im direkten Gegenzug erzielte Egon Flad den Ausgleich. Derweil musste sich ein Schalker Held verabschieden. Für Didi Schacht war nach elf Profijahren „Schicht im Schacht“. Achillessehnen und Sprunggelenke waren kaputt, dazu kamen höllische Rückenschmerzen.

Bislang zündete nur Charly Neumann für Schalke dicke Kerzen an. Vor dem Spiel in Leverkusen wandte sich auch Ristic an die Fußballgötter und suchte Beistand für seine Notelf (ohne Lehmann, Schacht, Mihajlovic, Christensen, Müller, Jusufi): „Vor 0:0 war ich in Kirche, habe gebetet für meine Jungs – liebe Gott hat erhört Aleks.“ Schalkes Berg- und Talfahrt ging weiter. Ausgerechnet der Ex-Schalker Wladimir Ljuty erzielte den ersten Treffer beim 2:0 der Duisburger über den S04. Kurz darauf dann eine Gala-Vorstellung von Günter Schlipper beim 3:1 über den Karlsruher SC. Beim nächsten Auswärtsspiel wieder eine Niederlage: Werder Bremen besiegte die Schalker mit sehr viel Glück mit 2:1.

Absolute Mehrheit

Am 7. Oktober 1991 stellte sich Günter Eichberg zur Wiederwahl. 2100 Mitglieder kamen in die Eishalle des Sportparadieses und machten aus der Generalversammlung eine Riesenfete in Blau und Weiß. Zwischen Sprechchören und Klatsch-Märschen sorgten die Schalker um 20:45 Uhr für die standesgemäße Krönung von „Sonnenkönig“ Günter Eichberg. Mit überwältigender Mehrheit wurde Eichberg, der als einziger Kandidat antrat, für drei Jahre wiedergewählt. Nur zwei Mitglieder wagten, dagegen die Hand zu erheben. Das ging aber in donnernden „Günter, Günter“-Rufen und der „Attacke“ unter. Die Vorstandswahl verlief mit noch nie dagewesener Geschwindigkeit: Schatzmeister Rüdiger Höffken und Vize-Präsident Herbert Schmitz wurden ohne Gegenstimme im Amt bestätigt. Pfiffe und Buh-Rufe gab es nur bei der Wahl des Verwaltungsratsmitglieds Jürgen Möllemann. Der damalige Bundeswirtschaftsminister, gegen dessen Kohlepolitik die Schalker protestierten, wurde in Abwesenheit aber doch gewählt. Eichberg verhinderte eine weitere Diskussion: „Es geht hier und heute um Schalke und nicht um Kohle.“ Auch die Vision eines neuen Stadions half Eichberg bei der Wiederwahl: „Wenn unser Stadion 1994 fertig ist, wollen wir eine Spitzenmannschaft haben, die im Europapokal spielt.“ Bis in den Morgen soll Eichberg noch im Hotel Maritim seinen Supersieg gefeiert haben.

Please release me

Dann kam der Tag von Uwe Leifeld. Nach der Reha bekam er von Eichberg einen Zwei-Jahresvertrag. Beim Spiel gegen Hansa Rostock versenkte er die Hansa-Kogge beim 5:0-Heimsieg mit zwei Kopfball-Torpedos. Gast im Stadion auf Einladung von Günter Eichberg war Schnulzen-Sänger Engelbert Humperding: „Fußball ist meine zweitgrößte Leidenschaft.“ Als nächstes kehrte „König Aleks“ an seine alte Wirkungsstätte zurück. Bei Fortuna Düsseldorf (1:1) blieben die Schalker allerdings blass und konnten keinen Profit aus der Roten Karte für den damaligen Fortunen Mike Büskens schlagen.

Unterdessen feierte einer der ganz Großen der Schalker Vereinsgeschichte seinen 65. Geburtstag: Bernie Klodt, Mitglied des Aufgebots von Sepp Herberger der Weltmeisterschaften 1954 und 1958 und Kapitän der Schalker Meistermannschaft von 1958, war zwar seit einem Herzinfarkt und einer Herzoperation rechtsseitig gelähmt, aber seine Frau Annette, die mit ihm bereits über 35 Jahre verheiratet war, gab ihm immer wieder Mut: „Wir machen das Beste draus!“ Mit der Hilfe seines Sohnes Jürgen konnte Bernie wieder die Spiele im Parkstadion besuchen, wo eigens für ihn ein Rollstuhl-gerechter Platz auf der Ehrentribüne eingerichtet wurde.

Schalke im Schönheitsschlaf

Gegen die vermeintlich schwachen Mannschaften taten sich die Königsblauen schwer. 1:1 bei den Stuttgarter Kickers und ebenfalls 1:1 im Heimspiel gegen Dynamo Dresden (Tor durch Christensen). Es folgte ein Schicksalsspiel für Holger Osieck. Bochums Trainer stürmte als kleiner Junge auf Schalke, Vater Gustl Osieck starb sogar beim Spiel der Schalker in Saarbrücken an einem Herzinfarkt. Und dann der große Knatsch mit Königsblau: Als Jugend-Trainer angeheuert, als Weltmeister mit Franz Beckenbauer nach Marseille abgesprungen, gab‘s ein Jahr lang Gerangel um Vertragsklauseln und Abfindungssummen. Nun sollte Schalke wieder Schicksal spielen, doch Bochum gewann äußerst glücklich mit 1:0. Uwe Leifeld war nach dem Match wütend: „Rob Reekers hatte wohl Blut getrunken“, zeigte er sein Unverständnis für das ruppige Spiel des Holländers in den Reihen des VfL.

Gegen einen weiteren – aus heutiger Sicht ehemaligen – Schalker Trainer ging es in der nächsten Partie gegen den 1. FC Köln. Jörg Berger hatte nach dem Match aber nur einen einzigen Kommentar abgegeben: „So ein Gurkenspiel von uns.“ Dr. Markus Merk pfiff das Spiel gegen die Kölner, in dem die Schalker vor 61.400 Zuschauern eine ihrer besten Saisonleistungen brachten und die Rheinländer mit 3:0 nach Hause schickten.

Eine Halbzeitbilanz, die sich sehen lassen konnte: mit einem verdienten 1:1 beim Deutschen Meister 1. FC Kaiserslautern kletterte Schalke 04 am letzten Spieltag der Hinserie auf Platz 6. Auch auf dem gefürchteten Betzenberg hatten sich die Knappen keinesfalls versteckt. Der 1:1-Ausgleich durch Andy Müller per Fallrückzieher à la Klaus Fischer wurde in der Sportschau zum „Tor des Jahres“ gewählt.

Einem total unnötigen 1:2 beim HSV folgte am Tag vor Nikolaus ein wiederum eher glückliches 1:1 gegen die Frankfurter Eintracht (Tor durch Anderbrügge in der Schlussminute per Strafstoß) vor knapp 50.000 Zuschauern – und das, obwohl der Pay-TV-Sender Premiere das Spiel unverschlüsselt übertrug. Der Verein sorgte dabei für Weihnachtsstimmung: Wunderkerzen wurden verschenkt, Schalke-Adventskalender und Aachener Printen verteilt. Charly Neumann hatte sogar vor, als Engel per Kran ins Parkstadion einzuschweben, aus Sicherheitsgründen wurde dieser Gag aber wieder abgesagt.

Ganz Schalke war glücklich über das Christkindl-Tor von Bent Christensen. Der Däne schoss das 1:0 in Nürnberg und bescherte damit den zweiten Auswärtssieg und schöne Aussichten: Beim Aufsteiger Schalke 04 wurde zu Weihnachten von einem UEFA-Pokalplatz geträumt.

Günter Eichberg sorgt für ein weiteres Novum: „Attacke“-Trompeter „Fio“ wird der erste „Profi-Fan“ der Bundesliga. Doch Schalke dümpelt weiter in der Liga und Eichberg will mehr. Er holt den erfolgreichsten Vereinstrainer aller Zeiten an den Schalker Markt. Dieses und vieles mehr in der nächsten Ausgabe des SCHALKE UNSER.