(rk) Sein Auftritt im ZDF-Sportstudio vor knapp zehn Jahren, bei dem er die Taktiken eines Spiels an einer Tafel erklärte, brachte ihm den Beinamen „Fußballprofessor“ ein. Die Morgenpost nannte ihn gar „Professor ohne Labor“, bei der TSG Hoffenheim nennen sie ihn den „Missionar an der Magnettafel“. Und Rudi Assauer nannte ihn einfach „Rolf“.Mit fast missionarischen Eifer schob er die Magnete der Viererkette im ZDF hin und her und das als Trainer des damals noch Zweitligisten SSV Ulm.
Nicht bei jedem kam das gut an. Insbesondere die Kollegen der eigenen Zunft betrachteten ihn argwöhnisch. So sagte einst Max Merkel: „Wenn du fragst: Wo beginnt die Steigphase des Balles im Strafraum, wenn er mit einer Geschwindigkeit von 55 km/h von rechts aus 35 Metern geflankt wird – Rangnick nestelt kurz an seiner Nickelbrille, tippt ein paar Zahlen in seinen Taschenrechner und schon wissen es alle Spieler.“ Dabei kam ihm sicherlich auch nicht zugute, dass er es selbst nur bis zum Oberliga-Kicker geschafft hat, seine Spielerstationen im einzelnen: VfB Stuttgart Amateure, FC Southwick, VfR Heilbronn, SSV Ulm, Victoria Backnang und TSV Lippoldsweiler.
Als Trainer jedoch gelang ihm eine „Bilderbuchkarriere“. Als Jahrgangsbester schloss er seine Trainerlizenz an der Sporthochschule Köln mit der Note 1,2 ab. Beim VfB Stuttgart begann er als A-JugendTrainer, 1995 übernahm er mit dem Süd-Regionalligisten SSV Reutlingen 05 seinen ersten höherklassigen Verein, mit dem er denkbar knapp den Aufstieg in die 2. Liga verpasste. Ralf Rangnick ging zum SSV Ulm, mit dem er von der Regionalliga in einem Durchmarsch sensationell bis zur 1. Bundesliga durchstartete.
Eher ein großes Missverständnis war anschließend sein Engagement beim VfB Stuttgart: Mit Krassimir Balakov hatte er einen „Altstar“ mehr auf der Auswechselbank sitzen als auf dem Spielfeld stehen. Nach der 1:2-Niederlage im Achtelfinale des UEFA-Pokals bei Celta de Vigo erklärte er seinen Rücktritt und ging kurz darauf zum Zweitligisten Hannover 96, den er gleich in seiner ersten Saison mit dem ligainternen Rekord von 93 Toren zur Meisterschaft und in die Bundesliga führte. Im März 2004 wurde er aber auch hier nach einer Negativserie entlassen.
Nachfolger von Don Jupp
Nach nur vier Spielen in der Saison 2004/2005 hatte der FC Schalke 04 bereits drei Niederlagen auf dem Konto – ein völlig missglückter Saisonstart. Manager Assauer bestellte daraufhin zunächst die Spieler und später den Trainer Jupp Heynckes zum Rapport. Letzterem legte er eine Liste vor mit Punkten, mit denen die Mannschaft unzufrieden ist. Doch Heynckes, ein Trainer der alten Schule, zeigte sich in keinem der Punkte kooperativ. Somit stand fest: Der Trainer muss gehen.
Als 50. Trainer der 100-jährigen Clubgeschichte sollte nun Ralf Rangnick die Talfahrt des FC Schalke 04 stoppen und die Mannschaft im Jubiläumsjahr zurück in die Spitze führen. Er war laut Teammanager Andreas Müller der einzige Kandidat. Manager Rudi Assauer lobte den einstigen „Shooting-Star“ unter den Trainern, der ihn im abschließenden Gespräch restlos überzeugte. „Da hat er mit dem Skalpell die Stärken und Schwächen jedes Spielers seziert. Das war eine hundertprozentige Übereinstimmung. Wir gehen davon aus, dass er das Riesenpotenzial der Mannschaft ausschöpfen kann.“ Trotz aller Lobhudelei rutschte Rudi Assauer doch tatsächlich der falsche Vorname über die Lippen: Er präsentierte „Rolf“ statt „Ralf“ Rangnick der geladenen Presse.
Ab wie ’ne Rakete
Doch das sollte auf die sportliche Zukunft keinen negativen Einfluss haben. Ganz im Gegenteil, von nun an ging es steil bergauf in Gelsenkirchen. Viel Zeit, aus einer Ansammlung von erstklassigen Individualisten und teuren Stars wie Ebbe Sand, Ailton, Marcelo Bordon, Mladen Krstajic oder Lincoln eine funktionierende Einheit zu formen, blieb ihm nicht, denn schon stand das UEFA-Cup-Rückspiel bei FHK Liepajas Metalurgs in Lettland an.
Die finanziell eminent wichtige Gruppenphase des Wettbewerbs zu erreichen, war allerdings angesichts des 5:1-Polsters aus dem Hinspiel kein großes Problem. Der 4:0-Sieg im Rückspiel war denn auch nie gefährdet. Unter Ralf Rangnick gewannen die Königsblauen in der Liga sechs Spiele in Folge und wurden vom Krisenclub und Kellerkind zu einem ernsthaften Titelkandidaten. Selbst Bayern München und der VfB Stuttgart zogen in dieser Phase gegen die Königsblauen den Kürzeren. Spätestens zu diesem Zeitpunkt dürfte Rudi Assauer den Namen seines Trainers verinnerlicht haben.
Auch in der Rückrunde der Meisterschaft erwiesen sich die Schalker als schärfster Konkurrent des FC Bayern. Während auf Platz drei ein munteres Wechselspiel zwischen Werder Bremen und dem VfBStuttgart herrschte, hielten die Knappen stets den zweiten Platz in der Tabelle. Bis zum 25. Spieltag, als man durch einen Sieg über den bisherigen Spitzenreiter aus München die Pole-Position erobern konnte.
Doch mit dem „Platz an der Sonne“ fand man sich nicht zurecht, bereits am darauffolgenden Spieltag fiel man auf den „schattigen“ zweiten Platz zurück. Durch ein 3:2 gegen den SC Freiburg war den Königsblauen am Ende die zweite Champions League-Teilnahme der Clubgeschichte nicht mehr zu nehmen.
Die Ehrenrunde
Die Vorrunde 2005/06 verlief unbefriedigend, obwohl Schalke in der Liga solide Ergebnisse erzielte. Im Pokal unterlag man 0:6 in Frankfurt und schied auch in der Champions League früh aus. Kurz vor der Winterpause beschloss der Vorstand, sich mit sofortiger Wirkung von Rangnick zu trennen, nachdem dieser schon angekündigt hatte, seinen 2006 auslaufenden Vertrag bei Schalke 04 nicht zu verlängern. Viele nehmen das – insbesondere Rudi Assauer – noch heute übel. Schließlich hatte Rangnick im Schnitt mehr Spiele gewonnen als alle anderen Schalker Trainer vor ihm. Aber es waren wohl andere Probleme, die ihm den Kopf kosteten: Er galt gemeinhin als „zu modern“ und ein Erneuerer hat immer auch etwas Oberlehrerhaftes, wirkt schnell arrogant und besserwisserisch.
In seiner Zeit beim VfB Stuttgart erzählte man sich, dass der Trainer den Spielern gern vorschreiben wollte, welche Autos sie zu fahren hatten (möglichst keine riesigen Modelle), und dass er sogar einen wöchentlich wechselnden Putzdienst in der Kabine einführen wollte. Ganz ähnlich war es wohl auch auf Schalke: Auf der Geschäftsstelle soll er den Sekretärinnen erklärt haben, wie sie Flüge im Internet zu buchen haben. Ein bisschen davon scheint wirklich zu stimmen, ein bisschen ist aber lediglich der Fantasie der Rangnick-Gegner entsprungen.
Rangnick mischte vieles auf – und das gefiel ganz besonders Rudi Assauer überhaupt nicht. Und so kritisierte der Manager den Trainer und die Mannschaft viel zu überzogen nach der 0:1-Niederlage beim PSV Eindhoven. „Ich bin diese politischen Possenspiele leid“, sagte Rangnick, und zog es vielmehr vor, noch vor dem Spiel gegen des FSV Mainz 05 eine Ehrenrunde zu drehen. Es sollte ein „Danke schön“ für die Unterstützung sein, im Endeffekt aber war es ein Affront gegen die Clubführung. Wäre es nur ein Dank gewesen, hätte er natürlich bis nach dem Spiel warten können.
Das sah auch Assauer so: „Wenn ich eine Ehrenrunde drehe, dann verabschiede ich mich vom Publikum. Wenn ich mich verabschiede, dann heißt es: Jetzt ist Schluss.“ Kapitän Frank Rost soll die Ehrenrunde mit den Worten „So ein Zirkus hier“, kommentiert haben.
Auf der kurz darauf anberaumten Pressekonferenz erklärte Rangnick: „Ich kann verstehen, dass einige Spieler und der Vorstand das als Provokation aufgefasst haben“, erklärte Rangnick. „Aber für mich war das eine absolute emotionale Ausnahmesituation.“ Er habe sich zu dieser spontanen Reaktion durch die unerwartete Sympathiewelle der Fans „hinreißen lassen“. Nun gut, sei es wie es will.
Rangnicks Nachfolger wurde – auch zur Überraschung Assauers – der bisherige Gehilfe von Rangnick: Mirko Slomka. Der hatte bekanntlich eigentlich mit seiner Entlassung statt einer Beförderung gerechnet. Fortan wollte auch Rangnick mit seinem langjährigen Weggefährten Slomka nicht mehr sprechen, er fühlte sich hintergangen.
Die SAP-Millionen
Im Juni 2006 verpflichtete Mäzen Dietmar Hopp, SAP-Gründer und Multi-Millardär, Ralf Rangnick, um gemeinsam mit ihm seinen Kindheitstraum zu erfüllen: Die TSG 1899 Hoffenheim in die erste Liga zu führen. Zusammen mit dem ehemaligen Hockey-Bundestrainer Bernhard Peters als Direktor für Sport- und Jugendförderung hat Rangnick das Projekt akribisch geplant.
Und das schier Undenkbare ist nun eingetroffen: Rangnick hat aus einer zusammengekauften Truppe eines 3274-Seelen-Dorfes aus dem Kraichau eine Mannschaft geformt, die er wie einst den SSV Ulm von der dritten in die erste Liga katapultierte. 20 Millionen wurden bereits zu Zweitligazeiten in die Mannschaft investiert, aber Geld hin oder Geld her: Das muss man trotzdem erst einmal schaffen.
Software-Milliardär und Übervater Dietmar Hopp wird es ihm sicher nicht nur mit Worten danken.