(rk) Sein Schatten war groß – vielleicht zu groß. Als Huub Stevens den FC Schalke 04 in Richtung Berlin verließ, hievte Rudi Assauer einen absoluten Newcomer auf die Schalker Trainerbank. Frank Neubarth, der bis dahin gerade mal die zweite Mannschaft von Werder Bremen trainiert hatte, sollte die großen Fußstapfen des Holländers ausfüllen. Das konnte nicht gutgehen.
Frank Neubarth begann bei Concordia Hamburg in der E-Jugend und hatte, wie er einmal behauptete, anfangs nie besondere Ambitionen. Dennoch trat er als Amateurspieler so gut in Erscheinung, dass er 1982 zum Spieler des Jahres in der Oberliga Nord gewählt wurde. Beim SV Werder Bremen wurde man folglich auf das Talent aufmerksam. Seine Bodenständigkeit bewies er, indem er als Fußballprofi immer nur im Trikot des SV Werder Bremen den Rasen betrat. Von 1982 bis 1996 spielte er 317 Mal für Werder Bremen in der Bundesliga und erzielt dabei 97 Tore. Unter Otto Rehagel musste er sich dabei stets gegen eine große Stürmerkonkurrenz durchsetzen. Zunächst noch hinter Norbert Meier und Rudi Völler als Stürmer „Nummer 3“ hatte er später mit den Goalgettern Manfred Burgsmüller, Frank Ordenewitz und Karlheinz Riedle zu tun. Zwei Deutsche Meisterschaften (1988, 1993), zwei DFB-Pokalsiege (1991, 1994) und der Gewinn des Europapokals der Pokalsieger (1992) krönten seine Laufbahn.
Nachdem Frank Neubarth in der Saison 1995/96 von Bernd Hobsch und Wladimir Best schastnych verdrängt wurde, beendete er seine Karriere nach Ablauf der Saison. Sein letztes Bundesligaspiel absolvierte er am 18. Mai 1996 gegen den FC Schalke 04 (2:1 für die Königsblauen). Zur Nationalmannschaft reichte es nur ein Mal: In Vorbereitung auf die Fußball-EM 1988 berief ihn Franz Beckenbauer in den Kader. Beim 1:0-Sieg gegen Argentinien wurde er kurz vor Schluss eingewechselt. Das war die ganze Herrlichkeit im schwarz-weißen Dress.
Gewagtes Experiment
Die Saison 2001/2002 der Schalker war geprägt von den Ereignissen des letzten Spieltags der vorherigen Saison. Die „4-Minuten-Meisterschaft“ steckte allen in den Knochen und vor allem in den Köpfen. Huub Stevens durfte sich im Laufe der Saison mehrfach „Stevens-raus“-Rufe in der heimischen Arena anhören. Und als der Hauptstadtclub lockte, musste sich Rudi Assauer erneut auf Trainersuche begeben. Doch mit dem, den er dann aus dem Hut zauberte, hatte niemand gerechnet.
Es sollte ein gewagtes Experiment werden. Mit dem jungen und unverbrauchten Trainer Frank Neubarth wollte der FC Schalke 04 seine Erfolgsstory der letzten Jahre fortschreiben. Mit seiner sachlichen, kooperativen und doch konsequenten Art war er Rudi Assauer als Trainer von „Werder Bremen II“ aufgefallen und so sollte er nach dem gestandenen und quasi unantastbaren Huub Stevens für frischen Wind sorgen.
Und es fing auch alles sehr erfolgversprechend an: Bis zum sechsten Spieltag waren die Knappen mit ihren uruguayischen Neuzugängen Dario Rodriguez und Gustavo Varela immer noch ungeschlagen. Siege gegen Wolfsburg, Kaiserslautern und Mönchengladbach, dazu drei Remis gegen Hertha BSC, VfB Stuttgart und im Derby in Lüdenscheid. Doch schon im Laufe der Hinrunde gab es immer wieder Rückschläge, die die erfolgsverwöhnten Schalker Fans beunruhigten – und das vor allem im so geliebten Uefa-Wettbewerb. Nachdem der FC Gomel klar aus dem Weg geräumt wurde (4:1, 4:0), wurde es gegen Legia Warschau schon knapper. Nach einem 3:2 beim polnischen Meister zitterte sich Schalke im Rückspiel mit einem torlosen Unentschieden in die nächste Runde. Ladehemmung im Schalker Sturm, der nominell mit Ebbe Sand, Emile Mpenza, Gerald Asamoah und dem Neuzugang Victor Agali immer noch stark besetzt war.
Die dritte Runde war dann Endstation. Nach einem 1:1 in Krakau kam Schalke im Rückspiel in der Arena mit 1:4 gegen den polnischen Herbstmeister Wisla Krakau unter die Räder. „Das war eine sehr bittere Niederlage, aber Krakau war heute schneller, spritziger, beweglicher – körperlich und auch im Kopf“, räumte Trainer Neubarth in der anschließenden Pressekonferenz ein. Das zweite Ziel, im europäischen Wettbewerb zu überwintern, war damit verfehlt.
Das erste Ziel, im DFB-Pokal möglichst weit zu kommen, hatte Trainer Neubarth bereits eine Woche zuvor beerdigen müssen. In der dritten Runde mussten die Schalker gegen Bayern München antreten, das zu diesem Zeitpunkt bereits souverän die Bundesligaspitze anführte. Was vor acht Monaten in der Arena „Auf Schalke“ noch ein stimmungsvolles Duell vor ausverkauftem Haus war, präsentierte sich im mit gerade einmal 20.000 Zuschauern enttäuschend besetzten Olympiastadion lange Zeit als Tiefkühlkost. Auch nach der Verlängerung hieß es 0:0, so dass ein Elfmeterschießen die Entscheidung bringen musste.
Ausgerechnet Ebbe Sand war dann der große Pechvogel, mit dem ersten Elfer traf er nur die Latte. So behielten die Hausherren schließlich mit 5:4 die Oberhand und beendeten den Schalker Traum, als erste Mannschaft drei Mal hintereinander den Pokal zu gewinnen. Nach der Hinrunde resümierte Frank Neubarth: „Dass es bitter ist, was heute hier geschehen ist, steht ganz außer Frage. Und dass uns das Pokal-Aus in München, das ja sehr unglücklich zustande gekommen ist, ärgert, muss ich auch keinem erzählen. Aber wir haben immer noch eine komplette Rückrunde. Unser Ziel ist es nach wie vor, in einen internationalen Wettbewerb zu kommen.“
In der Nacht von Samstag auf Montag
Doch das Ziel, einen internationalen Wettbewerb zu erreichen, geriet in der Rückrunde immer mehr in Gefahr. Zudem legte sich Neubarth auch mit gestandenen Spielern an. Marc Wilmots und Andy Möller fanden sich des öfteren nur auf der Ersatzbank wieder. Aber auch die so genannte Maulwurf-Affäre um einen Spieler, der der „Bild“ regelmäßig Interna steckte sowie das disziplinlose Verhalten der Spieler, die sich in dieser Saison sieben rote Karten einfingen – das alles waren Punkte, die das Arbeiten nicht gerade erleichterten. Nach 26 Spieltagen und dem Abrutschen auf Tabellenrang sechs endete dann tatsächlich auch die neunmonatige Amtszeit Neubarths. „Wir müssen die Reißleine ziehen. Wir haben gemerkt, dass es nicht mehr funktioniert. Wir waren zum Handeln gezwungen“, begründete Manager Rudi Assauer die Entscheidung. Auf die Frage, wann die Entscheidung gereift wäre, antwortete der Manager: „In der Nacht von Samstag auf Montag habe ich das immer wieder abgewogen.“ Es muss eine lange Nacht gewesen sein.
Mit Bedauern fügte er nach der „Entscheidung in beiderseitigem Einvernehmen“ hinzu: „Schade, dass ein so junger Mann auf der Strecke bleibt.“ Das Experiment war gescheitert. Neubarth war auf seine Entlassung nicht vorbereitet. „Es hat mich überrascht. Ich bin sehr enttäuscht und traurig. Aber wir haben zu wenig Punkte geholt, und so sind die Gesetze des Geschäfts. Man muss das akzeptieren“, sagte Neubarth, der für die Entscheidung sogar Verständnis zeigte. „Es tut mir leid für den Manager. Er ist ein großes Risiko mit meiner Verpflichtung eingegangen. Aber es hat leider nicht gepasst.“
Die Presse sah sich in ihrer ersten Beurteilung bei der Trainerverpflichtung bestätigt. In der Neuen Züricher Zeitung resümierte man: „Der hanseatische Kopfmensch passte nicht in die Schalker Gefühlswelt; am Ende hatte sich der ehemalige Internationale mit dem Spitznamen ‚Sokrates’ im Qualm von Assauers kubanischen Zigarren aufgelöst. Man sah ihn nicht mehr in diesem Dunstkreis, höchstens schemenhaft tauchte der stille Zeitgenosse mal vor der Ersatzbank auf; er hatte sich sehr früh der Macht von ‚Mister Schalke’ ergeben.“
In der Elf, die zuletzt ein gestörtes Verhältnis zu ihrem Coach hatte, stieß die Entscheidung nicht nur auf Zustimmung, sondern wurde offenbar auch mit initiiert. „Es ist richtig“, sagte Kapitän Tomasz Waldoch. „Wir wollen Erfolg haben. Natürlich haben auch die Spieler Fehler gemacht. Aber der Trainer trägt die Verantwortung. So ist das Geschäft.“ Sein Stuhl begann gefährlich zu wackeln, als bekannt wurde, dass Torhüter Frank Rost den Coach vor Wochen in einer Mannschaftssitzung scharf attackiert hatte: „Seit du da bist, macht mir Fußball keinen Spaß mehr.“ Rudi Assauer, der immer einen engen Draht zur Mannschaft pflegte und sich bei „gestörten Verhältnissen“ zwischen Spielern und Trainer lieber auf die Seite der Mannschaft schlug, ging bei der Nachfolge kein großes Risiko ein, zumindest standen die Fans total hinter der Personalie: „Kampfschwein“ Marc Wilmots sollte als Teamchef – unterstützt von Ersatztorhüter Oliver Reck als Co-Trainer – die Interimslösung darstellen. Assauer hatte Wilmots sogar einen Vertrag bis 2004 angeboten, den der aber ablehnte, weil er im Sommer in der belgischen Heimat eine Karriere in der Politik anstrebte.
Was danach geschah
Schalke brachte die Saison mehr schlecht als recht zu Ende. Niederlagen gegen Bayer Leverkusen, Bochum, Hannover 96 und Werder Bremen zeigten auch, dass es für Marc Wilmots als Chef-Trainer wohl noch zu früh war. Am Ende landete Schalke auf dem siebten Platz, was die Teilnahme am UI-Cup bedeutete. Am letzten Spieltag gab es zumindest noch einen 1:0-Prestigesieg über den neuen Deutschen Meister Bayern München.
Frank Neubarth zog es hingegen wieder in den hohen Norden. Auf seine Tätigkeit von 2004 bis 2006 beim Regionalligisten Holstein Kiel folgte ein Engagement beim FC Carl Zeiss Jena. Dort war er seit dem April 2007 Cheftrainer und Nachfolger des entlassenen Vorgängers Heiko Weber. Unter seiner sportlichen Leitung blieb das Team des FC Carl Zeiss in den letzten sechs Spielen der Saison 2006/2007 ungeschlagen und konnte so den Klassenerhalt in der 2. Bundesliga sichern. Nach fünf Spieltagen in der Saison 2007/08 stand Jena dagegen mit nur einem Punkt am Tabellenende. Aufgrund des mangelnden Erfolgs trennte sich der Verein am 17. September 2007 von Neubarth. Seitdem ist Frank Neubarth vereinslos, er gibt der Jugend Fußballunterricht in der „Fußballschule Millerntor“.