(rk) Geht es Euch auch so? Denkt Ihr nicht auch oft, warum um alles in der Welt verpflichtet denn Schalke 04 ausgerechnet diesen Spieler oder jenen Trainer? Um einen solchen Fall geht es in der heutigen Folge. Fragt man heute selbst intime Schalke-Kenner, warum 1967 Karl-Heinz Marotzke das Traineramt auf Schalke übernahm, so erntet man nur Achselzucken.
Karl-Heinz Marotzke wurde am 29. März 1934 geboren und wuchs im Rheinland auf. Nach einer unspektakulären Spielerlaufbahn wurde er früh Trainer und assistierte dabei der Trainerlegende Hennes Weisweiler Anfang der sechziger Jahre an der Kölner Sporthochschule.
Nach seinem Studium trat er in der Saison 1963/64 beim Oberligisten Sportfreunde Hamborn 07 seine erste Trainerstelle an. Doch schon in der nächsten Saison heuerte Marotzke beim VfL Osnabrück an und trat dort die Nachfolge des zuvor entlassenen Emil Iszo an. In seiner Antrittsrede gab Marotzke das Ziel Aufstieg in die Bundesliga an. Doch davon war Osnabrück in der Folge weit entfernt. Im zweiten Jahr seiner Tätigkeit geriet Marotzke auf Kollisionskurs mit Mannschaft und Verein, was auch in diesem Fall dazu führte, dass er seinen Stuhl räumen musste. Interessant ist dabei, dass er während seines Osnabrücker Engagements auch noch einer Nebentätigkeit als Lehrer an einer Realschule nachging. Es waren eben andere Zeiten, der Fußball war lange nicht so professionalisiert wie heute.
Mehr Glück als Verstand
Auf Schalke begann zu dieser Zeit ein mühsamer Neuaufbau. Gekreiselt wurde schon lange nicht mehr und aus der letzten Meisterschaft von 1958 war auch niemand mehr an Bord. Bei der Weltmeisterschft 1966 in England war kein einziger Schalker Spieler dabei und in der Liga bildete die Schalker Mannschaft eher unteres Mittelmaß. Trotz des deutlichen Renovierungsbedarfs änderte sich das Bild der Schalker Mannschaft in der Saison 1966/67 kaum. Nur im Tor trat der gerade einmal 18 Jahre alte Norbert Nigbur an die Stelle von Josef Elting. Dass Präsident Fritz Szepan auch nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit stand, zeigt diese Anekdote: Der jugoslawische Nationalspieler Nikolic wurde den Schalkern 1966 angeboten. Fritz Szepan griff zu, die Ablösesumme wurde vereinbarungsgemäß gezahlt – und dann stellte sich heraus, dass der „echte“ Nikolic in Holland spielte.
Der in Schalke angekommene Zarko Nikolic hatte mit dem Nationalspieler nur den Nachnamen gemeinsam. Gerade einmal acht Einsätze bestritt er in der gesamten Saison. Und dabei hätte man den jugoslawischen Nationalspieler gut gebrauchen können, denn in der Liga lief es unter Trainer Fritz Langner alles andere als rund. Zu Beginn der Rückrunde gab es mit dem 0:11 gegen die Gladbacher Fohlenelf die höchste Niederlage in der Geschichte des FC Schalke 04.
Mit mehr Glück als Verstand und einem knappen 2:1-Sieg gegen Fortuna Düsseldorf retteten die Schalker am drittletzten Spieltag den Klassenerhalt, Düsseldorf hingegen musste den Weg in die Zweitklassigkeit antreten. Zur Saison 1967/68 holte Schalke 04 dann Karl-Heinz Marotzke. Ein echter Nobody, der auch einen schweren Stand hatte, denn wieder gab es kaum Verstärkungen im Schalker Team. Zwar hatte sich Klaus Fichtel – gerade mal ein Jahr nach seiner Erstligapremiere – zum Nationalspieler gemausert, doch es musste mit Manni Kreuz auch einer der erfahrensten Spieler seine Karriere beenden. Anders als einen klassischen Fehlstart kann man den Beginn der Saison nicht beschreiben. Nach Niederlagen gegen Mönchengladbach, Braunschweig, Köln, Stuttgart, Bremen, Kaiserslautern und Unentschieden gegen 1860 München, Nürnberg und den MSV Duisburg gab es erst am 10. Spieltag den ersten Sieg gegen Alemannia Aachen. Willi Kraus und Jürgen Wittkamp sorgten mit ihren Toren für einen knappen 2:1-Erfolg.
Diamantenauge
Die kritischen Stimmen wurden natürlich immer lauter, zudem gab es einen neuen Präsidenten, der solch eine Schmach nicht lange mitansehen wollte. Seit September hieß der Günter Siebert. Der ehemalige Mittelstürmer der Meisterelf von 1958 und im Hauptberuf Getränkehändler wollte Schalke – zusammen mit dem Schatzmeister Heinz Aldenhoven – wieder nach oben bringen. Er versprach, innerhalb der nächsten fünf Jahre auf Schalke eine Spitzenmannschaft auf die Beine zu stellen. Das waren genau die Worte, nach denen den Schalke-Fans dürstete.
Erstmals wurde konsequente Einkaufspolitik betrieben. Siebert, der sich selbst ein „Diamantenauge“ bescheinigt, hatte immer wieder einen guten Blick für aufstrebende Talente. Die Jugendspieler wurden in einer Art Internat untergebracht, und wenn sie Erfolg hatten, winkte ihnen eine große Karriere. Bei den folgenden Spielen saß Präsident Siebert immer mit auf der Trainerbank. Doch dort saß schon bald nicht mehr Karl-Heinz Marotzke. Denn Günter Siebert war es leid. Er sah schnell, dass der unerfahrene Marotzke hier fehl am Platz war. Apropos Platz: Schalke befand sich zum Ende der Hinserie auf einem Abstiegsplatz. Der Ex-Schalker – und ebenfalls Mitglied der Meistermannschaft von 1958 – Günter Brocker, kurz zuvor in Bremen gefeuert, kam als neuer Trainer. Das einzige Ziel: Klassenerhalt. Die total verunsicherte Mannschaft brachte Brocker wieder auf Kurs. Aus neun Spielen holte Schalke noch 15:3 Punkte, damit war der Abstieg erfolgreich verhindert worden.
Robinson Crusoe
Für Karl-Heinz Marotzke war damit die kurze Zeit als Bundesliga-Trainer schon wieder beendet und er verschwand wieder in der Versenkung – zumindest, was den europäischen Kontinent angeht. Denn kurz darauf wagte Marotzke den großen Schritt und übernahm ein Entwicklungshilfe-Fußballprojekt in Ghana.
Heute blickt er unter anderem stolz auf seine Teilnahme an den Olympischen Spielen 1968 mit der Mannschaft von Ghana und seine Zeit als Nationaltrainer von Nigeria Anfang der 70er Jahre zurück. In dieser Zeit entwickelte er sich zu einem echten Afrika-Experten, trainierte unter anderem auch die Nationalmannschaft von Botswana und war immer wieder kompetenter Berater für die FIFA.
Seinen großen Erfahrungsschatz brachte er als „World Manager“ in insgesamt 162 Ländern in verschiedenen FIFA-Entwicklungsprogrammen ein. Seine Erfahrungen hat er in seiner Biographie „Leben – Fußball – Afrika“ verewigt, die er auf der diesjährigen Buchmesse in Leipzig vorstellte.
Heute lebt der Vielgereiste in Nigeria, weil ihm Deutschland, die deutsche Mentalität, nach eigenen Aussagen „zu eng“ geworden ist. Vielleicht ist es ja auch das, was seine weitere Leidenschaft begründet. Marotzke sammelt alle möglichen Ausgaben des Klassikers „Robinson Crusoe“ von Daniel Defoe – seine Sammlung beträgt stolze 700 Exemplare.