(ru) Seit Juli hat der FC Schalke mit Raúl González Blanco eine echte Ikone des spanischen Fußballs in seinen Reihen. Wie populär der Stürmer allerdings in Spanien ist, verdeutlicht erst ein Besuch in seinem Heimatland.
„Du willst Barcelona gucken? Das zeigen sie nebenan. Wir zeigen hier Schalke gegen Tel Aviv“, sagt der Spanier Cristian, Barmann in Valladolid. Valladolid ist knapp anderthalb Stunden Autofahrt von Madrid entfernt, doch der Geist von Real ist allgegenwärtig.
Nur verständlich, dass hier eine Real-Ikone wie Raúl auch nach seinem Weggang innig geliebt wird. Cristian und seine Freundin haben Schalke-Trikots mit Raúls Namen auf dem Rücken übergestreift. Vor einem Monat haben sie diese über das Internet bestellt. Mit Raúls Wechsel ist die Leidenschaft für „Schalke Cero Quatro“ entflammt worden. Es ist einer der wenigen Abende, an dem die beiden mit ihrem neuen Club feiern können. Schalke schlägt Tel Aviv 3:1, Raúl brilliert, trifft doppelt und wird somit „pichichi de Europa“.
Die spanischen Sportzeitungen werden am kommenden Tag in Doppelseiten darüber berichten. Am gleichen Abend zeigt der spanische Bezahlsender eine halbstündige Sendung, in der nur Tore von Raúl aus seiner Zeit in Madrid gezeigt werden. Doch Cristian hat schon nach kurzer Zeit seiner blau-weißen Fanhistorie westfälische Nüchternheit und durch Schalkes Auf und Ab erzeugten Pessimismus gelernt.
„Man sollte nicht ausflippen“, gibt er über den Tresen hinweg zu verstehen. „Wir“, und er spricht beim Thema Schalke immer von WIR, „wir müssen in der Liga auch mal was reißen. Die Abwehr ist noch zu schlecht.“ Er weiß Bescheid, denn hier in seiner Bar läuft immer das Schalke-Spiel, wenn nicht gerade zeitgleich Real Valladolid oder Madrid antreten.
Der spanische Sender „Canal Plus“ überträgt pro Spieltag drei Bundesligaspiele live. Seit Raúls Wechsel ist Schalke immer dabei, selbst wenn es gegen Kaiserslautern geht. Die großen spanischen Sporttageszeitungen haben Korrespondenten nach Deutschland entsandt, die nach jedem Spiel über Raúl und Schalke berichten. Nach Raúls erstem Ligator gegen Mönchengladbach wurde der Hergang des Tores gar in einer großen Grafik nachgezeichnet. Wenn man Spaniern erklären will, dass man aus dem Ruhrgebiet kommt, ziehen sie unwissend die Augenbrauen hoch. Berlin, München, Köln kennt man, aber „Cuenca del Ruhr“? Nie gehört. Erklären kann man es seit diesem Sommer immer einfacher, wenn man sagt, dass das die Region sei, wo Schalke und Raúl spielen. Selbst alte Damen nicken dann. Auch wenn man sich hier in den letzten Jahren rein gar nichts aus Fußball gemacht hat, am Namen Raúl war kein Vorbeikommen. In spanischen Atlanten sollte man also einfach über Westdeutschland einen Punkt und den Begriff „Raúl“ einzeichnen.
Einzig bei einer anderen Gruppe der Spanier, die nicht gerade klein ist, lässt die Popularität des Stürmers etwas zu wünschen übrig: Die Anhänger vom FC Barcelona sehen Raúl naturgemäß kritischer. „Habt ihr bei euch denn auch ein Sauerstoffzelt für den alten Mann?“, fragt zum Beispiel Barca-Fan Julian. Er fährt fort: „Ich habe mich kaputt gelacht, als sie Raúl neben zwei Bergleuten und mit einem Stück Kohle in der Hand vorgestellt haben. Der Kerl wusste doch gar nicht, was das ist. Hatte noch nie die Hände schmutzig.“
Dass Raúl überhaupt bei einem anderen Verein vorgestellt wurde, haben viele in Madrid hingegen immer noch nicht ganz verwunden. So musste Reals Sportdirektor Jorge Valdano am 28. Oktober, mehr als drei Monate nach eben jener Vorstellung auf Schalke, gegenüber Medienvertretern noch einmal Stellung zu Raúls Weggang beziehen. „Hat jemand wie Raúl einen solchen Abschied verdient? Es gab noch nicht mal ein Abschiedsspiel“, meinte jemand.
„Es war seine freie Entscheidung zu gehen, er wollte eine neue Herausforderung. Warum sollte es ein Abschiedsspiel geben? Er hat seine Karriere nicht beendet, er geht weiter seinen Weg“, antwortete Valdano. „Er wird in anderer Funktion zurückkommen und dem Club mit seinem Wissen weiterhelfen.“
Raúl ist so etwas wie ein Kulturgut in Spanien. Sie nennen ihn „goleador“, „el siete“, „el rey de los anillos“, „el gran capitan“, „caballero del honor“. Jeder verbindet eine Geschichte mit ihm. In Cristians Kneipe will einer mal bei dessen Großeltern zu Abend gegessen haben. Ein anderer meint: „Als er 18 war, hat er mal meine Schwester in der Disco angegraben.“ „So ein Schwachsinn“, meint sein Kumpel, „der ist seit hundert Jahren mit seiner Frau verheiratet. Der hat noch nie eine Disco von innen gesehen.“ „Ich hab ihn mal persönlich getroffen“, erzählt jemand anderes.
Jurado? „Kenne ich von der Schule.“ Escudero? „Seine Tante wohnt hier die Straße runter.“ (Die letzte Aussage stimmte zumindest wirklich.) Die Welt ist halt ein Dorf oder wie sie hier sagen: Die Welt ist ein Schnupfen. Am Ende des Abends nach dem 3:1 gegen Hapoel Tel Aviv beschweren sich einige Gäste, weil sie keine Lust mehr haben, die Spielzusammenfassung des deutschen Senders auf dem Bildschirm zu sehen.
Cristian lenkt ein und schaltet um, er poliert die Gläser und fährt dann mit der Analyse fort. „Wenn du Raúl die Bälle so zuspielst wie heute, dann trifft er immer. Da kann er hundert Jahre alt sein, den Torinstinkt nimmt ihm keiner.“ Er sagt, dass es bald mehr solcher Tore geben werde. WIR, ja WIR bräuchten nur Geduld. Den schlechten Saisonstart der Schalker konnte allerdings auch Raúl nicht verhindern.
Doch da schlägt bei Cristian wieder die typische Gelassenheit eines Barmanns durch und es wird Zeit für die Weisheiten zwischen Zapfhahn und Tresen: „Im Fußball ist es wie im Leben. Manchmal geht es nach unten, dann wieder nach oben.“
Ein kurzer Blick aufs Schalke-Emblem. Hombre, wem sagst du das!?