Schiri, wir wissen, wo dein Fernseher steht

(rk) Wir schreiben den 5. März 2016. Im walisischen Cardiff trifft das “International Football Association Board” (IFAB) eine weitreichende Entscheidung. Der Video-Assistent soll – zunächst testweise – eingeführt werden.

Das IFAB ist ein altehrwürdiges Gremium. Eingerichtet wurde es schon 1882 von den vier Ur-Fußballverbänden aus England, Schottland, Wales und Irland anlässlich eines gemeinsamen Turniers ihrer Nationalmannschaften (British Home Championship). Im IFAB werden die international geltenden Fußballregeln definiert, seit 1904 ist das IFAB auch die oberste Regelkommission der FIFA. Im IFAB sitzen heute vier Mitglieder der FIFA und vier Vertreter der Verbände aus England, Schottland, Wales und Nordirland.

 

Für eine Regeländerung ist eine Mehrheit von sechs Stimmen erforderlich. Die Vertreter der FIFA können nur en bloc (also alle vier Stimmen gemeinsam) abstimmen, die Vertreter der britischen Verbände können einzeln votieren.Das IFAB gilt als nicht besonders transparent: Man trifft sich in edlen Hotels im walisischen Llandudno oder im schottischen Gleneagles, in Zermatt, Rio de Janeiro, Nizza oder Venedig. Die Sitzungen finden hinter verschlossenen Türen statt, die Entscheidungen werden nach dem Ende des Treffens kurz und bündig mitgeteilt.

In Deutschland und der Welt wird schon seit langer Zeit über einen Video-Assistenten diskutiert. Seltsame Tatsachenentscheidungen der Schiedsrichter, übersehene Fouls oder Schwalben, falsch gegebene Elfmeter oder Phantomtore haben immer wieder für Gesprächsstoff gesorgt. Meistens sind die Diskussionen dann entfacht worden, wenn sich eine Mannschaft besonders benachteiligt gefühlt hat, auch wenn sich diese Ungerechtigkeit im Laufe der Saison doch meist wieder ausgeglichen hat.

Gefordert wurde der Video-Assistent von vielen Seiten. Er sollte für mehr Gerechtigkeit sorgen, in einem “Geschäft”, in dem es um immer mehr Geld geht und in dem eine Fehlentscheidung für den Bevorteilten gleich einige Millionen Euro mehr und für den Benachteiligten einige Millionen Euro weniger in der Kasse bedeuten kann. Was früher eine Tatsachenentscheidung des Schiedsrichters war, endgültig und unanfechtbar, das soll nun nochmal einer gewissen Nachprüfung standhalten können, auch wenn die grundsätzliche Entscheidung weiterhin beim Schiedsrichter liegt. Der Video-Assistent ist also kein Ober-Schiedsrichter, er hat lediglich beratende Funktion.

Auch andere Sportarten kennen ähnliche Systeme, etwa Hockey, Eishockey oder auch Basketball. In manchen Disziplinen wird die Regelung allerdings zum Teil als sogenannte “Challenge” durchgeführt: Beim “Team Referral” kann im Hockey per Video geklärt werden, ob zum Beispiel eine Strafecke oder eine Siebenmeter-Entscheidung berechtigt ist. Jedes Team hat das Recht, den Video-Referee einzuschalten. War der Einwand berechtigt oder kann keine abschließende Klarheit erzielt werden, behält das Team sein Einspruchsrecht. Anderenfalls ist dieses Recht verwirkt. Das ist im Fußball anders. Die Mannschaften können die Überprüfung einer Spielsituation nicht selbst anfordern, das können nur der Video-Assistent und der Schiedsrichter.

Der Video-Assistent sollte (ursprünglich) nur dann eingreifen, wenn eine offensichtliche Fehlentscheidung des Schiedsrichters vorlag. Das betrifft Spielszenen wie Torerzielung, Strafstoß, rote Karte. In der Praxis sieht das aber inzwischen etwas anders aus. Der Video-Assistent gibt offenbar auch Hinweise an den Schiedsrichter in Spielszenen weiter, die nicht von so hoher Bedeutung sind. Auch hat der Schiedsrichter selbst die Möglichkeit, in der Review-Area eine Spielszene noch einmal zu begutachten, wenn er sich selbst bei seiner Entscheidung nicht so sicher ist – und das zunächst einmal völlig unabhängig vom Video-Assistenten.

Störend für den Spielfluss ist der Gang in die Review-Area allemal, längere Spielunterbrechungen sind vorprogrammiert. Und ganz oft bleibt die Entscheidung über eine Spielszene dann eben doch sehr subjektiv. War der Körpereinsatz nun regulär oder wurde ein Foul gespielt? War es ein zu ahnendes Handspiel im Strafraum oder war der Arm doch am Körper angelehnt? Da gibt es noch genügend Graubereiche, die auch durch zigmalige Betrachtung mittels verschiedener Kameraperspektiven nicht aufzuklären sind. Der Video-Assistent ist also kein Allheilmittel: das kann er aber auch gar nicht sein.

Es ist jedoch zu befürchten, dass die Schiedsrichter in Zukunft sehr viel häufiger Szenen erst einmal abpfeifen, um sich dann nochmal am Monitor zu vergewissern. Revidieren kann der Schiedsrichter seine Entscheidung ja dann immer noch, er wäre aber zunächst einmal auf der sicheren Seite. Damit wird das Instrument des Video-Assistenten allerdings überstrapaziert, Spielunterbrechungen nehmen zu, und auch der Fußballfan kann sich darauf einstellen, bei einem Tor oder Elfmeterpfiff das Jubeln erst einmal zu unterlassen und ein paar Minuten auf die Entscheidung zu warten.

Die Kosten für den Video-Assistenten sind nicht unerheblich: Der Video-Assistent sitzt in einem Studio in Köln, er hat 17 Kameraperspektiven zur Auswahl und ihn unterstützen zwei Video-Techniker, die möglichst schnell Szenen mit den besten Perspektiven aus dem Angebot an Bildern aus den Stadien herausfiltern sollen. Parallel können bis zu sechs Spiele von je einem Video-Assistenten verfolgt werden. Jedes Spiel der ersten Bundesliga wird in der Saison 2017/18 durch einen Video-Assistenten begleitet.

Die Information der Fans im Stadion bleibt noch etwas intransparent: Zwar zeichnet der Schiedsrichter mit beiden Händen symbolisch den Umriss eines TV-Bildschirms in die Luft und man wird auch über die Videowand darüber informiert, dass eine Video-Bewertung stattfindet, die besagten Szenen selbst werden aber nicht am Videowürfel gezeigt. Man kann sich also selbst kein Bild machen und muss in dem Moment quasi darauf vertrauen, dass der Schiedsrichter die richtige Entscheidung getroffen hat. Und im Zweifel jubelt man erst Minuten später. Oder man kann den Jubel wieder einpacken. Wie auch immer.

Die Testphase des Video-Assistenten läuft nun noch bis zum Ende der Saison. Danach wird das IFAB das System bewerten – und vielleicht auch ausrollen auf alle europäischen (ersten) Ligen und Wettbewerbe sowie bei der Weltmeisterschaft einsetzen. Man wird sicherlich an einigen Stellen noch nachbessern. Man sollte allerdings nicht davon ausgehen, dass der Video-Assistent wieder eingestampft wird.

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