„Wenn ihr das Gefühl habt, daß ich abhebe, dann haut mir auf die Fresse, einfach reinhauen“

Nach Abgänger Linke und Draufgänger Müller interviewen wir nicht Freigänger Urs Güntensperger, sondern Zugänger Sven Kmetsch. Vielleicht führt sein Weg von Dresden über Hamburg und Schalke weiter in die Nationalmannschaft.

Cover SCHALKE UNSER 19
SCHALKE UNSER 19

SCHALKE UNSER:
Die Vorurteile gegen Schalke und das Ruhrgebiet sind tief verwurzelt. Vor vierzig Jahren konnte man nicht mal die frisch gewaschene Wäsche draußen aufhängen, weil sie sofort schwarz wurde. Du wohnst jetzt in Bottrop – bereust du es schon?

SVEN KMETSCH:
Auf‘ keinen Fall, ein bißchen weiter draußen gibt’s ja jede Menge Grün. Selbst hier, in der Stadt. Diese Vorurteile hatte ich natürlich auch, und ich kenne das ja auch von zuhause. Ich komme aus Ostsachsen, dort war der Schnee nie weiß, sondern grau. Das war bei uns genauso, wir haben die Wäsche rausgehängt – ging nicht, die kam grau wieder rein. Wir haben Planen drübergedeckt und solche Späße… ohne Erfolg.

SCHALKE UNSER:
Thomas Linke hat die Nachwuchsförderung der ehemaligen DDR zur Nachahmung empfohlen, weil die Bildung neben dem Sport nicht vernachlässigt wurde. Warst du von Anfang an in einem solchem „Internat“, wie es kleiner jetzt auch von Schalke aufgebaut wird?

SVEN KMETSCH:
Nein, ich habe schon mit vier oder fünf Jahren beim BSG Motor Großdubrau angefangen, Fußball zu spielen. Mit sieben Jahren – 1977 – bin ich ins Trainingszentrum Bautzen delegiert worden. Dort wurden die größten Talente aus dem Umkreis gefördert. Ich mußte zwei Kilometer mit dem Fahrrad bis in den Nachbarort fahren und dann mit dem Bus weiter zum Trainingszentrum. Morgens Schule, nachmittags Training, etwa dreimal die Woche, und am Wochenende dann Punktspiele mit der Mannschaft von Bautzen.

Mit 13 Jahren – 1983 – bin ich zur Kinder- und Jugendsportschule nach Dresden delegiert worden. Das war allerdings ein Internat, 60 Kilometer entfernt, nur freitags abends nach dem Spiel und Samstag war ich zu Hause bei meinen Eltern. Sonntags spielten wir schon wieder.

Bei den Ostvereinen war alles eingespielt. Die Trainer stimmten sich mit den Lehrern, und die wieder mit dem Direktor ab. Der wiederum mit dem Vorsitzenden des Fußballvereins, das war alles professionell. Klar war das hart mit dem vielen Training, aber ich hatte auch ein Ziel vor Augen: Nämlich Oberligaspieler bei Dynamo Dresden zu werden. Deswegen wurde man ja direkt in die Sportschule geschickt. Im Dresdner Internat waren so ziemlich alle Sportarten vertreten. Das war ein riesig großer Komplex. 16 Stockwerke, 15 Zimmer auf jeder Etage mit jeweils drei Personen, also Platz für ca. 800 Sportler.

Uns wurde nicht alles abgenommen: Um viele Dinge mußten wir uns selber kümmern. Das hat mir eigentlich viel gebracht. Der Tag war zwar zum großen Teil verplant, aber dein Zimmer mußtest du selber in Ordnung halten. Da gab es Prämien für das beste Zimmer, es wurden Listen mit Noten geführt. Die Arbeiten haben wir uns aufgeteilt, dabei lernt man, mit seinen Mitmenschen auf der Etage klarzukommen. Training, Essen und Schule waren geplant, aber die Freizeit und der Rest war jedem selbst überlassen. Man hatte auch mal Ausgang, bis zur 8. Klasse aber nur bis abends um 20.30 Uhr. Ab der 10. Klasse gab es dann keinen Zapfenstreich.

SCHALKE UNSER:
Hattest du von Anfang an eine Fußballkarriere im Auge?

SVEN KMETSCH:
Mein größtes Ziel war von Anfang an, bei Dynamo zu spielen. Bei uns in der Region war das eben „die“ Oberligamnannschaft. Vor der Delegierung mußte man einige Tests absolvieren: Balljonglieren (rechts fünfzig jonglieren, links fünfzig, rechts-links, strenger Wechsel), Schnelligkeit, Ausdauer, Dribbeln, genau Schießen – da mußtest du alles geben. Dann wurden die ganzen Ergebnisse ausgewertet und die Besten direkt nach Dresden delegiert.

1987 war es dann soweit: Mein erster Einsatz in der Oberliga für Dresden. Es ging gegen Energie Cottbus. 1988/1989 sind wir hinter Hansa Rostock Zweiter geworden. Damit waren wir direkt für die Bundesliga qualifiziert. Mit 16, 17 und 18 Jahren habe ich in der DDR-Nationalmannschaft gespielt. Ich war bei der EM in Frankreich und bei der U18-Weltmeisterschaft in Saudi-Arabien. Auch in der Olympia-Auswahl habe ich gespielt, unter anderem zusammen mit Thomas Linke.

Der durch die Auswahlspiele ausgefallene Schulstoff wurde aber nachgeholt, die drei oder vier Spieler wurden aus der Klasse rausgenommen und extra unterrichtet. Man mußte zum Abschluß entweder Abitur oder eine Berufsausbildung machen, ich habe mich dann für das zweite entschieden.

Maschinen- und Anlagenmonteur, das gibt’s heute wohl nicht mehr. Aber ich werde mich nach meiner Karriere sicher nicht auf die faule Haut legen. Ich könnte mir vorstellen, als Trainer zu arbeiten, nicht in den höheren Spielklassen, aber vielleicht in der Nachwuchsarbeit mit Kindern etwas zu machen. Oder auch als Karriereausklang in meiner Geburtsstadt Bautzen als Spielertrainer zu arbeiten.

SCHALKE UNSER:
Es war nicht leicht, etwas über dich herauszufinden. Auch über deine Dresdener Zeit haben wir fast nichts gefunden…

SVEN KMETSCH:
Das kommt wahrscheinlich durch die Stasizeit, da ist alles *krrkk* (macht das Geräusch zerreißenden Papiers) weggekommen. Nein, im Ernst, wir wurden ja wirklich von denen überwacht. Als wir dann in der Bundesliga spielten, mußten sich die Spieler direkt melden, die für die Stasi gearbeitet haben. Das haben einige auch zugegeben. Nachher haben wir als Mannschaft bei der Gauck-Behörde Akteneinsicht beantragt. Aber ich habe nie mehr etwas von dem Antrag gehört und daher bis heute nicht meine Akten eingesehen. Zu einem internationalen Turnier in St. Malo, zu dem die DDR- Auswahl eingeladen war, durfte ich nicht mitfahren, da mein Vater einen Onkel in Frankreich hat. Da waren zwei Männer bei meinem Vater im Betrieb, um ihn zu befragen. Danach hieß es dann auf einmal, daß die Paßbilder für meinen Reisepaß zu spät gekommen wären und ich deshalb nicht mitfahren könnte.

SCHALKE UNSER:
Wie siehst du die Unterschiede zwischen Schalke und Hamburg?

SVEN KMETSCH:
Schake ist ein ganz anderer Verein Hier merkt man das besondere Fluidum, diese Fans und die Stimmung. Mir gefällt, daß die Fans bedingungslos hinter einem stehen und sagen: Komm, mach weiter. Auch wenn es nicht so gut läuft, versuchen sie, der Mannschaft zu helfen und fangen nicht nach 10 Minuten an zu pfeifen. In Gladbach war das unglaublich: Am Anfang schon 2:0, daß dann die Fans immer noch versuchen, was zu machen – das spürt man auf dem Platz. Natürlich habe ich mich unter anderem auch aus finanziellen Gründen so entschieden, das könnt ihr ruhig schreiben. Da habe ich keine Probleme mit – wenn jemand die Möglichkeit hat, sowas zu machen, möchte ich den mal sehen, der es nicht macht.

SCHALKE UNSER:
Wie sehen deine sportlichen Ziele aus?

SVEN KMETSCH:
Die Nationalmannschaft ist sicherlich ein Ziel. Außerdem möchte ich mit Schalke einen Titel erringen, wo ich sagen kann: „Ja, ich bin dabei gewesen.“ Das ist halt der sportliche Anreiz und auch ein Grund hierherzukommen. Auf Schalke, und in dieser Mannschaft, sehe ich soviel Potential, und ich will nicht in meiner ganzen Karriere gegen den Abstieg spielen. Zudem kann man bei Europapokalspielen dem Bundestrainer zeigen, daß man auf internationaler Ebene mithalten kann. Wenn man da oben besteht, hat man eine reelle Chance, in die Nationalmannschaft gerufen zu werden.

Aber das ist erst der zweite Schritt. Den ersten will ich immer zusammen mit dem Verein, mit der Mannschaft machen. Ich habe drei super Jahre in Dresden und in Hamburg gehabt. Ich hab‘ bis zuletzt versucht, für den Verein auf dem Platz alles zu geben, trotz Verletzung. Ich will auf jeden Fall mal einen Pokal holen, und wenn es nur ein kleiner Pott ist, den ich mal in den Händen halten kann.

SCHALKE UNSER:
Ist es nicht allein schon ein Verdienst, in der Bundesliga zu spielen?

SVEN KMETSCH:
Das ist sicher der Anerkennung wert. Aber wenn ich Olaf Thon sehe mit seinen 52 Länderspielen und seinen schweren Verletzungen, und wie er trotzdem über die Jahre seine Klasse erhalten hat davor ziehe ich den Hut. Außerdem ist Olaf überhaupt nicht abgehoben. Und so muß es sein, entweder du gewinnst zusammen oder verlierst zusammen. Und du mußt immer wissen, wo du herkommst. Ich habe meinen Freunden gesagt, wenn ihr das Gefühl habt, daß ich abhebe, dann haut mir auf die Fresse. Einfach reinhauen.

SCHALKE UNSER:
Wie wichtig ist heute noch die Identifikation mit dem Verein im Profifußball?

SVEN KMETSCH:
Ich denke, das ist wichtiger denn je. Die Fans brauchen den Verein und die Spieler genauso wie umgekehrt: Wenn man auf dem Platz steht und hat keine Unterstützung, ist man ziemlich aufgeschmissen. Ich persönlich spiele lieber, wenn die Fans mich unterstützen, dann bekomme ich eine Gänsehaut, da läuft’s mir kalt den Rücken runter, und ich bekomme noch einen zusätzlichen Schub.

SCHALKE UNSER:
Was würde passieren, wenn du das Angebot deines Lebens bekommen würdest, wie zum Beispiel von Real Madrid?

SVEN KMETSCH:

Naja, sehr unwahrscheinlich. Aber man sollte nie „nie“ sagen. Ich kann nur sagen, daß ich nicht für vier Jahre unterschrieben hätte, wenn ich vorhätte, bei der nächsten Gelegenheit Schalke 04 wieder zu verlassen. Ich habe mir bei der ganzen Sache was gedacht. Ich will bodenständig bleiben und mir hier etwas aufbauen. Was würde es mir nützen, wenn ich zur Supertruppe Real Madrid kommen würde und nur auf der Bank säße?

SCHALKE UNSER:
Bei der Saisoneröffnung in Meschede haben wir festgestellt, daß das Verhalten der Fans den Spielern gegenüber sehr rücksichtslos geworden ist.

SVEN KMETSCH:
Ja, das ist auch etwas, was mir nicht gefällt. Ich wäre der Letzte, der Autogrammwünsche nicht erfüllt. Aber wenn ein Kind von mir ein Autogramm verlangt und nicht darum bittet. dann schalte ich auch auf stur. Man ist ja schließlich auch nur ein Mensch, und etwas Respekt sollte einem schon entgegengebracht werden. Selbst beim Essen wird man gestört, weil ein Vater seinen vierjährigen Sohn für ein Autogramm verschickt. Wenn man dann verneint, wird man als arroganter Profi abgestempelt. Oder nach dem Training, wenn wir naßgeschwitzt vom Platz kommen und stehen da in der Kälte, müssen wir zuerst zum Duschen und Massieren. Danach bin ich immer bereit, Autogramme zu geben. Das ist für mich kein Thema, und das habe ich auch, seit ich hier bin, nie gesehen, daß einer der Spieler einfach wegfährt, ohne vorher alle gewünschten Autogramme zu schreiben.

SCHALKE UNSER:
Ist der geplante Stadionneubau für dich auch ein Thema?

SVEN KMETSCH:
Ja, natürlich. Rudi Assauer hat mir schon ausführlich davon vorgeschwärmt. Das soll wohl der Höhepunkt seiner Laufbahn auf Schalke werden. Aber das Wichtigste ist, daß man seinen Spaß am Fußball erhält. Der Streß und der Druck der Medien wird immer schlimmer. Das absolute Gewinnenmüssen dabei geht leicht der Spaß verloren. Das ist aber vor allem der Druck, den die Medien aufbauen, das pflanzt sich natürlich bei den Fans fort‘ Nehmt Hami. Schießt der mal vorbei, ja und? Ist er deswegen gleich ein Flop? Beim nächsten Mal macht er einen Supertrick und trifft, dann ist er gleich der Gott. Man muß ihm Zeit geben für die Umgewöhnung. Das wäre ja dasselbe, wenn ich da unten spielen würde und erst mal türkisch lernen und mich auf eine neue Mannschaft und Taktik einstellen müßte. Das dauert seine Zeit. Aber Hami muß niemandem mehr etwas beweisen, der hat schon zehn Jahre super Fußball gespielt, das verlernt man nicht so schnell.

SCHALKE UNSER:
In der letzten Saison haben wir gesehen, daß wir auch gegen technisch überlegene Mannschaften wie Inter Mailand durch unseren Einsatz gewinnen konnten.

SVEN KMETSCH:
Ja, das ist der Wille. Und mit diesen Fans im Rücken wirst du automatisch gepuscht. Da kannst du unendlich lange laufen, wenn du bei jeder gelungenen Aktion angefeuert wirst. Das ist wie Doping, und nach dem Spiel bekommst du deine Füße gar nicht mehr hoch.

SCHALKE UNSER:
Vielen Dank, alles Gute „auf Schalke“ und Glückauf!