„Wenn ein Verein keine Kritik mehr ertragen kann, dann ist er tot“

(bob/fr/rk) Schalke spielt scheiße. Millionen für Neuverpflichtungen ausgegeben, und doch will sich der erhoffte Erfolg nicht einstellen. Was lag also näher, als ein Interview mit dem Kapitän und Kopf der Schalker Mannschaft zu führen? SCHALKE UNSER sprach mit Olaf Thon über Jörg Berger, Huub Stevens und Berti Vogts. Ach ja, und über Schalke.

Cover SCHALKE UNSER 26
SCHALKE UNSER 26

SCHALKE UNSER:
Als Schalke-Fan ist man praktisch mit dir großgeworden, ist mit dir gealtert. Wir haben dich immer auch als einen sehr selbstkritischen Spieler kennen gelernt. Wir haben in Berlin eine grottenschlechte Schalker Mannschaftsleistung gesehen. Dort fehlte es an Selbstkritik bei den Spielern.

OLAF THON:
Wenn wir auf die Tabelle schauen, haben wir soviel Kritik, dass wir schon Bescheid wissen. Doch nach so einem Spiel, in dem es um alles ging, kann man hinterher auch nicht immer in die Kurve gehen und den Fans zuklatschen. Nach einer Niederlage vor die Kamera zu treten, ist unheimlich schwer. Aber wenn ein Verein keine Kritik mehr ertragen kann, dann ist er tot. Kritik muss immer da sein, gerade von den Fans, denn sie sind schließlich unser höchstes Organ.

SCHALKE UNSER:
Aber nun ist doch schon seit fast drei Jahren der Wurm drin.

OLAF THON:
„Der Wurm drin“ ist übertrieben, aber wir stagnieren im Mittelfeld. Erst der UEFA-Cup-Sieg 1997, danach bis ins Viertelfinale und dann nochmal international qualifiziert – da war schon Kontinuität im Verein und seiner Struktur vorhanden. Und es wird nicht alles auf „Deubel komm raus“ über den Haufen geworfen. Von unserer Zielsetzung her haben wir fünf Plätze zu wenig, aber für Konstanz steht auch, dass man sich mal in der Mitte bewegt. Die Kontinuität wird sich auszahlen: Über kurz oder lang kommen wir nach oben, da führt kein Weg dran vorbei.

SCHALKE UNSER:
Wir haben auch schon schlechte Zeiten mitgemacht.

OLAF THON:
Das hier sind doch keine schlechten Zeiten. Als wir 1984 aufgestiegen sind, war keine Kontinuität drin, da sind wir 8., 10., 13. geworden und dann wieder abgestiegen. Das waren schlechte Zeiten. Heute ist es so, dass sich jeder Gegner gegen uns erst einmal hinten reinstellt. Früher war das nicht so. Auch auswärts: Wir haben immer eine realistische Chance gehabt, das Spiel zu gewinnen. Und das gibt mir Mut.

SCHALKE UNSER:
Es mögen ja jetzt auch bessere Einzelspieler im Kader sein, aber es ist nur noch selten eine bessere Mannschaft. Redet ihr vielleicht nicht genug auf dem Platz?

OLAF THON:
Wir hatten früher einen de Kock, einen Mulder, einen Lehmann – die haben schon mal verrückte Sachen gemacht. Heute sind schon einige dabei, die sehr zurückhaltend sind. Ich selbst habe auch eher eine ruhige Art, mit meinen Kollegen zu sprechen und während des Spiels Anweisungen zu geben. Das müssen am besten alle machen. So richtig funktioniert das noch nicht, aber das ist nur eine Frage der Zeit. Aber guckt euch doch auch mal unsere Mannschaft an: Sand, Oude Kamphuis, Waldoch und Asamoah kamen zu Saisonbeginn, Happe, Legat und Mpenza in der Winterpause. Wir haben im Prinzip eine ganz neue Mannschaft, dazu noch die Verletzungsprobleme mit Mulder, de Kock, Eigenrauch und van Hoogdalem. Dafür spielen wir noch ganz ordentlich, davor darf man die Augen nicht verschließen. Da ist ein Prozess im Gang; über kurz oder lang mischen wir auch oben wieder mit.

SCHALKE UNSER:
Unsere „Freunde“ aus der Nähe von Lüdenscheid haben ja im Moment ganz ähnliche Probleme.

OLAF THON:
Naja, ein bisschen Schadenfreude war am Anfang schon dabei. Die haben ja mit den Millionen nur so um sich geworfen und hinterher keine Mannschaft gehabt, die eigentlich spielen sollte. Aber in dieser Saison muss Schalke sehen, wo man selbst bleibt. Da muss man nach jedem Strohhalm greifen. Wir haben jedenfalls für den UI-Cup gemeldet. Wenn man international dabei sein will, muss man eben auch diesen Weg gehen wollen. Absolut.

SCHALKE UNSER:
Würdest du sagen, dass Schalke eine homogene Truppe hat?

OLAF THON:
Homogen sind wir sicher nicht, weil wir dafür viel zu anfällig sind und zu viele Tore kassieren. Wir sind halt im Augenblick eine Mannschaft auf der Suche, sich zu finden. Aber eins ist klar: Es ist unaufhaltsam, dass wir nach oben kommen.

SCHALKE UNSER:
Aber das sind doch Durchhalteparolen, die andauernd kommen.

OLAF THON:
Ich kann nicht alles sagen, weil andere Leute bei uns dafür zuständig sind. Wenn ich über meine Grenzen hinaus in die Belange des Trainers oder des Managers eingreifen will, sind mir die Hände gebunden. Wir als Spieler sind dafür da, Leistung auf dem Platz zu bringen. Für alles andere sind auch andere Leute da. Und wenn die Spieler nicht ihre Leistung bringen, dann müssen sie den Verein verlassen. Aber wir sehen ja, dass Schalke die Möglichkeiten hat. Vielleicht sind deshalb alle unzufrieden, weil wir nicht mehr erreichen. Ich glaube, es ist auch das Gefühl, „man könnte doch gewinnen, warum gewinnen wir dann nicht?“

SCHALKE UNSER:
Und wenn diese blöden Abwehrfehler nicht wären … in Berlin gab es da auch schon wieder einen, der zum Gegentor führte.

OLAF THON:
Ja, ganz genau. Das war ein amateurhafter Pass, der zwar gut gemeint, aber viel zu riskant war. Abwehrspieler, die technisch nicht so beschlagen sind, hauen den Ball einfach weit ins Seitenaus. Happe wollte da noch einen Spielzug einleiten, aber der Schuss ging nach hinten los.

SCHALKE UNSER:
Elf Freunde müsst ihr sein – zählt dieser Satz noch für dich? Sind dir die sozialen Kontakte innerhalb der Mannschaft wichtig?

OLAF THON:
Wie alle anderen Spieler auch habe ich Spieler, die ich sehr mag, und Spieler, die ich weniger mag. Ich spiele seit dem sechsten Lebensjahr im Verein und bin mit solchem Teamgeist auch aufgewachsen. Meine Kinder haben zwar noch nicht die richtige Sportart für sich gefunden, aber ich finde es sehr wichtig, dass sie einen Mannschaftssport ausüben, um das soziale Verhalten in der Gruppe zu lernen.

SCHALKE UNSER:
Du beschäftigst dich ja auch mit der Börse. Würdest du denn auch Aktien vom BVB zeichnen?

OLAF THON:
Ja, würde ich auch machen, denn da kann es ja nur noch besser werden. Das muss man trennen können: Schalke-Aktien würde ich aus Liebhaberei kaufen und auch nicht mehr verkaufen. Aber Fußball und Aktiengesellschaft oder andere Rechteverwerter, das ist schon gefährlich. Die Frage ist: Wie lange kann sich Schalke diesem Trend entziehen? Aber wenn man die Möglichkeit hat, alles in den Händen zu behalten und trotzdem mit Rechteverwertern Verträge einzugehen, dann sehe ich keine großen Probleme. Nur darf man sich nicht in die Abhängigkeit begeben.

SCHALKE UNSER:
Da sind wir wieder beim Thema „Fußball und Moral“.

OLAF THON:
Ja, sicher. Der Manager muss auch über seinen eigenen Schatten springen. Wie lange ist das her, dass Assauer gesagt hat: „Wir holen keinen Spieler für zehn Millionen“? Zwei oder drei Jahre. Und jetzt? Da hat er Mpenza geholt – für 17 Millionen.

SCHALKE UNSER:
Auf den Rängen steht die Moral aber immer noch an erster Stelle.

OLAF THON:
Ja, okay. Aber heute gibt es nun mal eine Art Söldnermentalität. Welcher Spieler bleibt denn noch 15 Jahre bei einem Verein? An einer Hand kann man die abzählen.

SCHALKE UNSER:
Was hat es mit der „Jörg-Berger-Gedächtnis-Uhr“ auf sich, die Jens Lehmann als Abschiedsgeschenk von der Mannschaft erhielt?

OLAF THON:
Der Jörg Berger hat immer so trainieren lassen: 90 Meter hin und zurück laufen, dann 60 und nochmal 30 Meter. Dabei hat er immer auf die Uhr geschaut, und wir durften eine gewisse Zeit nicht überschreiten. Irgendwann wurde es uns zu bunt, und da haben wir die Uhr kaputtgemacht. So eine Uhr haben wir dem Jens zum Abschied auch geschenkt, hatte er ja auch verdient. Wahrscheinlich hätte er sie aber nicht bekommen, wenn wir gewusst hätten, dass er später zu Dortmund gehen würde.

SCHALKE UNSER:
Befürchtest du, dass er wieder zurückkommt?

OLAF THON:
Nein, dann ist er halt wieder da. Im Fußball gibt es schon lange keine Moral mehr. Der Jens geht erst nach Mailand und dann nach Dortmund. Da brauchen wir doch über nichts mehr reden! Ich musste damals nach Bayern gehen, weil wir abgestiegen waren. In Schalke hatte ich erst einmal keine Zukunft mehr. Mein letztes Spiel hatte ich in Gladbach gemacht. Da musste ich auch noch verletzt ausgewechselt werden. Das war bitter, denn so fehlte ich auch noch in den letzten Spielen.

SCHALKE UNSER:
Bei Bayern wurdest du dann auch zum Libero.

OLAF THON:
Ja, der Erich Ribbeck hat mich dazu gemacht. Da habe ich dann am Anfang auch sehr gute Kritiken bekommen. Es war auch überhaupt kein Thema mehr, nach Schalke zurückzukommen, denn damals war Schalke ja so weit abgerutscht, dass sie beinahe in der dritten Liga gelandet wären. Dank Günter Eichberg – so sagen viele – ist es aber doch nicht so weit gekommen, dafür hat er aber den Verein in einer noch viel miserableren Verfassung wieder verlassen. In Bayern hatte ich dann immer wieder Verletzungsprobleme. Ich habe so ein Überbein, das operiert werden musste. Dieser Operation ist es eigentlich zu verdanken, dass ich wieder nach Schalke gekommen bin.

SCHALKE UNSER:
Meinst du, du kannst heute die wahren Gründe für deine Ausbootung bei der WM 1998 nennen?

OLAF THON:
Erst habe ich in Frankreich ja auch noch gespielt. Dann hat der Berti Vogts wohl einmal gut oder schlecht geschlafen und gedacht: „Den Matthäus habe ich ja auch noch. Was mache ich denn mit dem jetzt?“ Ja, dann hat der Matthäus gespielt, und ich denke immer noch, dass dieser Schritt nicht notwendig war. Niemand hatte damit gerechnet, aber ich musste es akzeptieren und nahm diese Entscheidung auch ziemlich emotionslos hin. Wenn mir so etwas bei Schalke passieren würde, wäre das etwas anderes.

SCHALKE UNSER:
Hatte Vogts vielleicht zuviel Respekt vor der Lothar-Matthäus-BILD-Connection?

OLAF THON:
Kann sein, aber das ist abgehakt. Ich habe dann ganz klar meinen Rücktritt erklärt. Erich Ribbeck rief zwar nochmal an und sagte: „Olaf, überleg‘ dir das nochmal“, aber ich habe gesagt „Nichts da, einmal ist für immer.“

SCHALKE UNSER:
Uns ist immer noch dein Spiel bei der WM 1990 gegen Paul Gascoigne in Erinnerung.

OLAF THON:
Ja, die WM war klasse. Leider war ich im Finale nicht dabei, aber ich bin dem Franz nicht böse. Eher dankbar, dass er mich nach meinen Verletzungen mitnahm. Diese Rückschläge haben mich zwar innerlich stark gemacht, aber auch dazu geführt, dass ich nie der „Weltstar“ wurde. Momentan fühle ich mich wieder gut und will unbedingt noch mindestens eine Saison im neuen Stadion spielen.

SCHALKE UNSER:
Werden wir dich in der amerikanischen Soccer League sehen?

OLAF THON:
Die Wahrscheinlichkeit ist sehr gering.

SCHALKE UNSER:
Weil Matthäus schon da spielt?

OLAF THON (lacht):
Nein, ich habe zwei schulpflichtige Kinder. Für mich wäre das schon eine sehr aufwändige Sache. Außerdem habe ich ja hier auf Schalke noch einiges vor.

SCHALKE UNSER:
Sehen wir dich dann später mal auf der Trainerbank?

OLAF THON:
Kann ich noch nicht sagen. Ich weiß nicht, ob man sich das direkt nach der Spielerkarriere antun sollte. Das ist auch eine Frage des Alters. Das hat nichts mit Leistung zu tun, sondern eher mit Akzeptanz und Autorität. Guckt euch Michael Skibbe an, bei ihm lag es bestimmt nicht an der Leistung. Aber er hatte nicht das Alter, um von den Spielern für voll genommen zu werden.

SCHALKE UNSER:
Kannst du dich noch an die Aktion „Stars gegen Alkohol am Steuer“ erinnern?

OLAF THON:
Da sah ich fürchterlich aus. Da wurde ich so zurechtgeschminkt, um neun Uhr morgens waren die Fotoaufnahmen im Stadion, bei null Grad Kälte. Ich sah dann aus, als hätte ich die ganze Nacht durchgemacht. Im Sinne des Erfinders war das aber sicher nicht.

SCHALKE UNSER:
Vielen Dank für das Gespräch. Viel Erfolg in der nächsten Saison und Glückauf.