Ultramania

(com1904) Wer zuletzt das Geschehen im Parkstadion und bei den Auswärtsspielen aufmerksam verfolgt hat, wird es schon gemerkt haben: endlich tut sich etwas in der Schalker Fanszene. Was bei vielen anderen Vereinen schon seit längerer Zeit zum festen Inventar in den Stadien geworden ist, gibt es jetzt auch bei den Spielen unserer Knappen – die sogenannte Ultra-Kultur. Rein optisch äußert sich dies in Papptafel-Choreografien und im Block sichtbaren Doppelhaltern. Dazu gehört auch der akustische Versuch, neue und halbwegs kreative Gesänge zu etablieren. Irgendwo ist es doch ein wenig peinlich für uns Schalker, wenn nach vier Jahren immer noch ständig das alte Lied von „… Valencia, Teneriffa und Inter Mailand… “ gesungen wird.

Cover SCHALKE UNSER 29
SCHALKE UNSER 29

Der Ursprung der Ultra-Kultur liegt in Südeuropa, vor allem in Italien. Dort ist es schon seit vielen Jahren für die Fans selbstverständlich, durch Choreografien, pryrotechnische Effekte und Gesänge in ihre Stadien ein einzigartiges Flair zu bringen. Wer beim UEFA-Cup-Finale in Mailand dabei war, hat zumindest eine Ahnung davon bekommen, wie das gemeint ist. Die deutsche Ultra-Kultur orientiert sich an diesen Vorbildern, allerdings mit gewissen Abwandlungen. So ist sie im Gegensatz zu so mancher extrem rechts ausgerichteten Gruppierung in Italien unpolitisch und auch die Verwendung pyrotechnischer Erzeugnisse wird hierzulande doch ein wenig anders gehandhabt als in südlichen Gefilden.

Auf Schalke gab es erste Anfänge vor zwei Jahren, als der Supportersclub (www.supportersclub.de) bei einem Spiel gegen Nürnberg die erste größere Choreografie auf dem Oberrang des Parkstadions organisierte. Die erste wichtige Änderung trat dann im Oktober 2000 ein, als eine eingeschworene Gruppe aus „Allesfahrern“, also Leuten, die jedes Spiel besuchen, die bei Heimspielen hauptsächlich auf dem Oberrang des Parkstadions tätige „Radikale Minderheit Gelsenkirchen (RMG)“ (www.forza-schalke.de) gründete. Die RMG hat in Kooperation mit dem Supportersclub schon diverse Choreografien organisiert und ist auch auswärts immer präsent. Im November gründete sich eine weitere „ultra-orientierte“ Gruppierung auf Schalke, das „Commando 4. Mai 1904″ (www.commando-1904.de), dessen Mitglieder bei Heimspielen im Block 4 unten zu finden sind und bis vor kurzem durch die massive Verwendung von Doppelhaltern auffielen. Im Unterschied zur RMG versteht sich das Commando als offene Ultra-orientierte Gruppe, bei der jeder an dieser Art von Fankultur Interessierte mitwirken kann. Der Name der Gruppierung beruht auf dem Gründungsdatum des Vereins und soll vor allem dokumentieren, dass der VEREIN und kein Vermarkter, kein Sponsor, kein Spieler und keine AG im Mittelpunkt des Interesses steht.

Bisher war dem FC Schalke der optische Support in Form von Doppelhaltern ein Dorn im Auge, mit dem Argument, dass im Schutz dieser Doppelhalter ständig Rauch gezündet worden sei. Sowohl Doppelhalter als auch Fahnen mit über 1,20 Meter Stocklänge wurden verboten. Wie ernst es den Ultra-Gruppierungen hingegen mit dem Erhalt der Fahnen- und Doppelhalterkultur ist, zeigte sich beim Pokal-Halbfinale in Stuttgart: dort verteilten Supportersclub, Commando und RMG sogar selbstproduzierte Flugblätter, in denen die mitgereisten Fans zum Verzicht auf Pyro-Effekte aufgerufen wurden. Das zweite Betätigungsfeld der Ultras neben der eher spaß-orientierten Stadionkultur ist wesentlich ernster: es geht um die Substanz des Selbstverständnisses vom Fan-Sein.

Die Ultras sind gegen die hemmungslose Kommerzialisierung des Fußballs, tragen deshalb auch so gut wie keine offiziellen Fan-Artikel und fahren, wann immer es geht, selbst ins Stadion, anstatt sich die Spiele ihres Vereins im TV anzusehen. Und genau aus diesem Grund ist innerhalb kürzester Zeit die wohl populärste bundesweite Fan-Aktion der letzten Jahre entstanden. Was ganz klein mit einer Diskussion im Forum von www.stadionwelt.de anfing, ist zu einer Lawine geworden, die selbst die auflagenstärksten und mittlerweile auch seriösesten Zeitungen mitgerissen hat: die „Aktion Pro 15:30″ (www.pro1530.de), die am 20. Spieltag erstmals durchgeführt wurde. Bei dieser Aktion wurden in allen Stadien der Profi-Ligen Transparente gezeigt: „Samstag, 15:30 Uhr – sonst nichts“, „Ohne Fans stirbt der Fußball“ oder „Der Samstag gehört dem Fußball, der Sonntag der Familie“. Sie haben die Nase voll von zersplitterten Spieltagen, abenteuerlich kurzfristigen Spielansetzungen und von Spielen am Freitag-, Samstag- oder Sonntagabend, die eine Fahrt zu Auswärts- und oft genug zu Heimspielen so gut wie unmöglich machen. Die Forderung ist klar: Um den Fußball attraktiv zu halten, müssen alle Spiele wieder samstags um 15.30 Uhr ausgetragen werden, damit die reisenden Zuschauer Planungssicherheit haben und der womöglich doch nur vor dem Fernseher sitzende Fan ein lebendiges Spiel statt eines halbleeren Stadions zu Gesicht bekommt.

Das Medien-Echo auf die erste Aktion war überwältigend, wie aus dem Nichts und für manchen hemmungslosen Verkäufer unseres Sports wohl auch arg überraschend brach eine Diskussion los, die wohl keiner von den Initiatoren so erwartet hätte: Auf einmal ist der „Fußball ohne Fans“ in aller Munde. Deshalb wird es noch im Laufe dieser Saison einen zweiten Protesttag geben, und zwar am 27. Spieltag (31. März), wenn unsere Königsblauen an einem Samstagabend (!!!) im Ulrich-Haberland-Stadion antreten müssen. Alle beim Werksclub in Leverkusen anwesenden Schalker Fans sind aufgerufen, sich an den dort durchgeführten Aktionen zu beteiligen.