(rk) Das Experiment, eine chinesische U20-Auswahl in der Regionalliga Südwest außer Konkurrenz antreten zu lassen, ist gescheitert. Die Umstände, die dazu geführt haben, sind bemerkenswert. Genauso wie die Reaktionen aus China und seitens des DFB.
„Zum Bedauern aller beteiligten Parteien hat das Projekt nicht die erwartete breite Zustimmung erhalten“, teilte der DFB in einer Presseerklärung mit. Wie der DFB allerdings dazu kam, eine „breite Zustimmung“ zu erwarten, bleibt rätselhaft. Schließlich gab es bereits im Vorfeld diverse kritische Stimmen, die das Experiment nicht nur aus politischer Sicht anzweifelten.
Zum Hintergrund: China strebt als politische Großmacht auch im Sport eine Spitzenposition an und tut dies oft nicht blind, sondern verfolgt dabei einen längerfristigen Plan. So ist etwa Tischtennis nicht schon immer chinesischer Volkssport, sondern wurde es erst, als Mao Zedong erkannte, dass er den verfeindeten Japanern auf der Tischtennis-Platte eine Niederlage beibringen konnte. Nach sowjetischem Vorbild gründete China ein landesweites System von Kaderschmieden. Den Anfang mit den chinesischen Erfolgen machte der frühere Hongkong-Meister Rong Guotuan, der 1959 die Weltmeisterschaft gewann. Mao Zedong nannte Rongs Sieg eine „spirituelle Atombombe“. Seitdem ist Pingpong im Reich der Mitte Volkssport Nummer eins.
Was beim Tischtennis so gut klappte, will aber beim Fußball noch nicht so recht gelingen. Das bevölkerungsreichste Land der Erde ist grad mal auf Platz 71 der FIFA-Weltrangliste. Einen Platz hinter Ecuador und einen Platz vor Mali. China ist Fußball-Entwicklungsland, auch wenn es grad viele Anstrengungen macht, das zu ändern. Wenn es nach Chinas Präsident Xi Jinping geht, so richtet China im Jahre 2030 eine Weltmeisterschaft aus und 2050 soll die sogar gewonnen werden. Dazu schießen überall im Land Fußballschulen aus dem Boden, Trainer werden mit viel Geld aus Europa in die Nachwuchsleistungszentren gelockt und China schließt Kooperationen mit europäischen Vereinen und Verbänden.
Die stellvertretende Ministerpräsidentin Chinas, Liu Yandong, unterzeichnete so auch Ende 2016 eine auf fünf Jahre angelegte Fußball-Kooperation zwischen China und Deutschland. Die Vereinbarung sah vor, dass DFB und DFL China in der Ausbildung von Spielern, Trainern und Schiedsrichtern sowie in der Ligaorganisation unterstützen. Darüber hinaus sollte die chinesische U20-Auswahl in die Regionalliga Südwest integriert werden, um diese auf die Olympischen Spiele 2020 in Tokio vorzubereiten.
Was auf politischer Spitzenebene auch unter Mitwirken der Kanzlerin Angela Merkel vereinbart wurde, traf an der Basis lange nicht auf positive Resonanz. Viele Fans und Vereinsverantwortliche reagierten mit starkem Protest. Stuttgarter Kickers, TuS Koblenz und Waldhof Mannheim ließen sich auch von der Antrittsprämie in Höhe von 15.000 Euro nicht überzeugen, an ihrem spielfreien Tag ein Freundschaftsspiel auszutragen. Andere kleinere Vereine hingegen schon, so auch der TSV Schott Mainz, bei dem im November auf der Bezirkssportanlage von Mainz-Mombach das erste – und letzte – Spiel gegen die U20-Auswahl stattfand.
Doch kurz nach Spielbeginn entrollten einige Demonstranten mehrere tibetische Flaggen und hielten diese in die Fernsehkameras. Sodann stürmte ein Fan der chinesischen Mannschaft auf die Demonstranten zu und forderte sie auf, ihre Fahnen zu entfernen. Es folgte ein Handgemenge, die Flaggen wurden nicht entfernt und die chinesische Auswahl verließ aus Protest das Spielfeld. Erst nach längerer Diskussion – und nachdem die Fahnen wieder eingerollt worden waren – konnte die Partie weitergehen. TSV Schott Mainz gewann mit 3:0.
Der Pressesprecher der Polizei Mainz, Rinaldo Roberto, stellte richtigerweise fest, dass „die Aktion der Tibeter ganz klar von der Meinungsfreiheit gedeckt“ ist und „es daher keinen Anlass gab einzuschreiten“. Das hielt den DFB allerdings nicht davon ab, die Schuld für die Eskalation bei den Demonstranten zu suchen. Wörtlich hieß es: „Tatsächlich wurde das Projekt von einigen wenigen Zuschauern genutzt, um Botschaften zu senden, die von der chinesischen Mannschaft, den Offiziellen, dem Betreuerstab des Chinesischen Fußball-Verbandes und auch den chinesischen Zuschauern als verletzend empfunden wurden.“
China und Tibet – das ist ein lang schwelender Konflikt. Nach der Machtübernahme der Kommunisten 1949 in Peking und dem Einmarsch der Volksbefreiungsarmee 1950 in Tibet hatte sich die Volksrepublik das Hochland als autonome Region einverleibt. Viele Tibeter fühlen sich politisch, kulturell und wirtschaftlich diskriminiert, während Peking separatistische Bestrebungen in dem Hochland beklagt. Es ist daher auch kein Wunder, dass Tibeter gegen China demonstrieren und die Chinesen dies wiederum nicht toll finden.
Der DFB wusste um diese Brisanz, hat es aber trotzdem so weit kommen lassen. Und er wusste auch, dass solche Demonstrationen in keinem deutschen Stadion unterbunden werden können und dürfen. Die Verantwortlichen des zweiten vorgesehenen Testspielgegners FSV Frankfurt erkannten dies und kündigten an, die geplanten Proteste ihrer Fans jedenfalls zu tolerieren.
Der DFB hat aber anscheinend Scheuklappen auf, denn wie er danach versuchte, das Projekt doch noch zu retten, indem man plante, die Partien auch aufgrund von „substantiellen Hinweisen auf weitere Eskalationen“ nur noch unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchzuführen, das zeigt nur, wie weit sich der DFB inzwischen von politischen Realitäten entfernt hat.
China schickte seine U20 zwischenzeitlich nach Hause und ließ über das Presseorgan der regierenden kommunistischen Partei, die chinesische Volkszeitung, verlautbaren: „Die Verantwortlichen auf der deutschen Seite sollten sich schämen für ihr Verhalten, das eines Gastgebers nicht würdig war. Tibet gehört seit der Antike zu Chinas Territorium, die Tibet-Frage berührt Chinas Kerninteressen und die Gefühle der chinesischen Bevölkerung.“
Für die Volkszeitung war das Zeigen der tibetischen Flagge blanke Provokation: „Erlaubt Deutschland Meinungsfreiheit auch für Nazi-Anhänger?“ fragte der Kommentator, der da offenbar keinen nennenswerten Unterschied erkennt.
Kurz vor Weihnachten teilte der DFB mit, dass die chinesische U20-Nationalmannschaft keine Spiele mehr gegen die Teams der Regionalliga Südwest bestreiten wird. Die Entscheidung sei in Absprache mit dem chinesischen Verband erfolgt.
Wir schließen diesen Artikel mit einem dem chinesischen Philosophen Konfuzius zugeschriebenen Zitat und empfehlen dieses auch dem DFB: „Wenn über das Grundsätzliche keine Einigkeit besteht, ist es sinnlos, miteinander Pläne zu machen.“