(sw) Wie lange braucht man, um einen Rechtsverteidiger zu verpflichten? Um die 16 Monate – zumindest auf Schalke.
Im Juni 2019 verpflichtete Jochen Schneider Jonjoe Kenny. Seit diesem Datum war klar: Am Ende der Saison läuft das Leihgeschäft aus – ein neuer Rechtsverteidiger wird dann benötigt. Am 5. Oktober, also unmittelbar vor Transferschluss, verpflichtete Schneider endlich Kennys Nachfolger: Kilian Ludewig.
Das überrascht – trotz der Corona-Wirren auf dem Transfermarkt. Laut Zeit und Frankfurter Allgemeiner Zeitung soll die Ludewig-Leihe gar auf Neu-Trainer Baum zurückgehen und nicht etwa auf Schneider, Reschke oder die Scouting-Abteilung. Ohne Baum, so könnte man überspitzt sagen, stünde der S04 ohne gelernten Rechtsverteidiger im Kader da. Die Trainer-Position auf Schalke ist seit Jahren von schnell wechselnden Besetzungen geprägt. Doch Jochen Schneider schickte sich an, mit der Tradition des regelmäßigen Trainertauschs zu brechen: David Wagner durfte nach katastrophaler Rückrunde mit nur einem Sieg weitermachen.
Das Ergebnis ist bekannt: Der Start in die neue Saison war ähnlich bemitleidenswert wie die Rückrunde. Wagner ging und Manuel Baum kam. Doch dem fehlt nun die Zeit einer Vorbereitung. Die entscheidende Frage: Gab es berechtigte Hoffnung, dass sich die Leistungen unter Wagner zum Ligastart wieder bessern? Zumindest berechtigte Zweifel dürfte es nach den letzten Spielen der Hinrunde gegeben haben.
Auch der Blick in die Zukunft bietet Grund zur Sorge. Am Ende dieser Saison laufen die Verträge von zehn Spielern aus. Drei davon sind Leihspieler (Pacienca, Ludewig und Rönnow). Für Pacienca soll es laut verschiedenen Medien eine Kaufpflicht geben. Bei den anderen beiden Spielern hätte der FC Salzburg beziehungsweise Eintracht Frankfurt das letzte Wort. Ein Umbruch vom Umbruch droht im Sommer 2021.
Schwieriger wird dann die Situation zusätzlich durch eine Vielzahl von Verträgen, die im Sommer 2022 auslaufen. Bei Salif Sané, Mark Uth, Omar Mascarell, Matija Nastasic und Suat Serdar laufen dann fünf Stammspieler-Verträge aus. Nassim Boujellab und Ahmed Kutucu könnten 2022 ablösefrei gehen. Damit könnten zwei Talente aus der Knappenschmiede den Verein verlassen. Besonders ärgerlich: Suat Serdar hatte bereits öffentlich seine Bereitschaft zur Vertragsverlängerung bekundet. Schneider nutzte die Chance nicht – obwohl es auf Schalke durchaus bekannt sein dürfte, dass ablösefreie Abgänge ein Problem sein können. Matip, Meyer, Goretzka, Kolasinac und Nübel: Die Liste ist lang.
Apropos Kutucu: Der junge Gelsenkirchener könnte den Verein per Leihe verlassen, hieß es in der Transferphase. Auch wenn der Abgang wohl viele Fans geschmerzt hätte: Kutucu würde von der Spielpraxis profitieren. Am Ende ließ der Verein ihn nicht ziehen, aber auch nicht spielen. Im Sturm hatten unter anderem die Neuzugänge Pacienca und Ibisevic die Nase vorn. Kutucu blieben die Bank und Einwechslungen. Erschwert wird Schneiders Arbeit zweifelsfrei durch Altverträge wie den von Sebastian Rudy, der nun für Hoffenheim spielt und dennoch teilweise von Schalke bezahlt werden muss.
Doch das ist auch das Ergebnis eines langen Pokers. Wohl weil Schneider Rudy lieber verkauft hätte, wartete er mit der Leihe bis kurz vor Ende des Transferfensters. Hoffenheim wusste, dass Schalke unter Zugzwang stand und nutzte das geschickt aus. Etwas finanziellen Handlungsspielraum hätte man sich mit dem Verkauf eines Top-Spielers verschaffen können. Weston McKennie wurde derweil für eine schmale Leihgebühr abgegeben – Entlastung für das geplagte Schalker Konto bringt er also frühestens im kommenden Sommer.
Vereinzelt verzeichnete Schneider auch Erfolge: Durch den Torhüter-Tausch Rönnow gegen Schubert konnte ohne Kosten auf der Torwartposition nachgelegt werden und mit Can Bozdogan hat ein junges Talent jüngst verlängert.
Und: Schneider überzeugte Neu-Trainer Baum, dass er noch zum Spiel gegen Leipzig die Mannschaft übernahm. Der einfachere Weg für den neuen Trainer wäre es gewesen, wenn er das Spiel noch von einem Interimstrainer hätte verlieren lassen. Im Anschluss hätte Baum die Länderspielpause zum Neustart nutzen können. Dass Baum das Spiel bereits als verantwortlicher Trainer miterlebte, spricht für ihn und möglicherweise Schneiders Überzeugungsfähigkeit.
Auf der Pressekonferenz nach dem Rücktritt von Clemens Tönnies, sagte Schneider, er wisse, woran der sportliche Niedergang seit Februar liege. Abstellen konnte er ihn aber nicht. Den fehlenden Zusammenhalt im Team hat mittlerweile sogar „Experte“ Lothar Matthäus erkannt. Ob sich nach dem Abschied Reschkes die Kaderplanung verbessert?