Ein Trauerspiel in fünf Akten

(rk) In der Winterpause der Saison 1990/91 hatte Günter Eichberg die Weichen in Richtung Aufstieg gestellt. Der Ex-Düsseldorfer Trainer Aleksander Ristic löste Peter Neururer ab und für den Sturm wurde Radmilo Mihajlovic von Bayern München an den Schalker Markt geholt.

Cover SCHALKE UNSER 41
SCHALKE UNSER 41

Als Schalkes neuer Stürmerstar auf der Geschäftsstelle im Berger Feld auftauchte, war nicht er der Star, sondern seine Freundin, das Fotomodell Zorica Pantic. Alle Blicke richteten sich auf das neue Schalker Traumpaar. Dabei hatten es die Schalker mit Radmilo Mihajlovic wahrlich nicht einfach. Drei Millionen Mark Ablöse, bis dahin der teuerste Transfer der Vereinsgeschichte, dazu war er ständig verletzt. Nach einem Meniskusschaden am rechten Knie war es die Patellasehne im linken.

Und die Hintergründe des Transfers wurden in der Sport-Bild breit getreten. Uli Hoeneß muss wohl noch heute schmunzeln, wenn er daran zurückdenkt. Sobald Hoeneß dann ausgeschmunzelt hat, erzählt er die Story, wie er Eichberg beim Transfer des Jugoslawen 500.000 Mark aus der Tasche gezogen hat.

1. Akt: Mihajlovic kommt ins Büro von Uli Hoeneß und fragt nach seiner Ablöse. Hoeneß: „Für 2,5 Millionen kannst Du gehen.“

2. Akt: Helmut Kremers ruft von Teneriffa aus bei Hoeneß an, will die Telefonnummer von Mihajlovic. Hoeneß: „Kremers sagte mir, dass er nun nach Deutschland zurückfliegt, um alles klar zu machen.“

3. Akt: Eichberg will sich von Kremers nicht die Show stehlen lassen, im Privatjet düst er nach München und trifft sich mit Mihajlovic. Wenig später läuft bereits über den Ticker der Presseagenturen, dass Mihajlovic ein Schalker wird. Hoeneß: „Dem Eichberg werden wir’s zeigen. Dafür muss er zahlen…“

4. Akt: Hoeneß tut vor der Presse so, als würde er vor Wut platzen: „Eine Sauerei von Eichberg, dass er einen Spieler verpflichtet, ohne uns zu informieren.“ Eichberg, mittlerweile wieder im Westen, kontert: „Der Hoeneß glaubt immer noch, dass er der Größte ist. Der kann mich mal am Hobel blasen.“ Hoeneß reist an diesem Tag früher ab, um für Eichberg nicht erreichbar zu sein.

5. Akt: Als Eichberg bei Bayern anruft, um über die Ablöse zu verhandeln, sagt die Sekretärin: „Herr Hoeneß ist nicht da, aber der Chef möchte sie persönlich sprechen.“ Bayern-Präsident Fritz Scherer geht an den Apparat und spielt die Rolle des Empörten: „Das sind ja eigenartige Methoden. Drei Millionen oder Mihajlovic bleibt bei uns.“ Im Nu ist der Handel perfekt. Eichberg erzählt später triumphierend: „Der Hoeneß hat bei Bayern gar nichts mehr zu sagen.“ Hoeneß schmunzelte weiter: „Hätte Kremers die Verhandlungen geführt, wäre Mihajlovic eine halbe Million billiger gewesen. Wenn wir mit solchen Komödien 500.000 Mark verdienen, dann darf mich Eichberg so oft am Hobel blasen, wie er will. Ich bin sofort bereit.“

Was kostet die Welt?

Das war aber noch lange nicht alles. Wie später die Bild-Zeitung verbreitete, zahlte Schalke nicht nur eine überhöhte Ablöse, sondern auch ein total überzogenes Gehalt an Mihajlovic. 1,6 Millionen Mark sollen als Handgeld geflossen sein. Dazu ein garantiertes Gehalt von 500.000 Mark plus einen Mercedes 500 SL (fast 150.000 Mark) plus Miete für sein Haus in Herten (2000 Mark) plus Wohnungseinrichtung (120.000 Mark). Damit war Mihajlovic einer der absoluten Spitzenverdiener im deutschen Fußball – und das in der 2. Liga. Vielleicht lag die schlechte Vertragsverhandlung aber auch einfach nur an dem Charakter des Günter Eichberg, über den Charly Neumann einmal sagte: „Er kann nicht nein sagen. Wenn er eine Frau wäre, hätte er bestimmt schon zwanzig Kinder.“

Personalia

Mit Mihajlovic hatte Schalke nun das Problem, einen Ausländer zuviel im Kader zu haben. Für Wladimir Ljuty suchte Manager Helmut Kremers nun einen Abnehmer. Es fand sich aber keiner, also wurde mit Ljuty kurzerhand ein Kontrakt als Vertragsamateur geschlossen, dafür musste der Russe allerdings eine dreimonatige Sperre in Kauf nehmen.

Eduard Geyer, von Eichberg als Jugend-Koordinator und „Nordost-Berater“ geholt, wurde es auf Schalke zu langweilig. Der ehemalige DDR-Auswahltrainer funkte SOS: „Hilfe, ich will wieder auf die Bank.“ Als Nachfolger wurde Bodo Menze, bis dato Verbandstrainer, geholt. Als Talentspäher sollte ihm Mathias Herget zur Seite stehen. Während in der Heimat Schneechaos herrschte, fuhr Schalke in der Winterpause ins Trainingslager nach Portugal. Ein Hinflug mit Hindernissen, denn die Mannschaft saß wegen einer Bombendrohung stundenlang am Frankfurter Flughafen fest.

Eine traurige Meldung schockierte die Schalker Fan-Szene: Ötte Tibulski erlag im Alter von 78 Jahren einem langwierigen Krebsleiden. Tibulski war Mittelläufer im „Schalker Kreisel“, trotz seiner nur 1,72 Meter war er ein gefürchteter Kopfballspieler. Mit dem zweimaligen Nationalspieler war damit der letzte Schalker Fußballer verstorben, der in den 30er und 40er Jahren an allen sechs Meisterschaften und am Pokalsieg 1937 beteiligt war.

Richtung Aufstieg

Zurück in der zweiten Bundesliga feierte Ristic beim ersten Spiel nach der Winterpause vor 15.000 Zuschauern in Braunschweig einen Einstand nach Maß. Schalke spielte dabei überaus couragiert, die quicklebendigen Borodjuk, Sendscheid und Mihajlovic fuhren den 1:0-Sieg ein (Torschütze Thorsten Wörsdörfer).

Schalke gab Gas. Gegen Osnabrück (1:0), Havelse (2:1) und Schweinfurt (2:0) zeigte vor allem ein überzeugender Sascha Borodjuk, dass man die Aufstiegsambitionen nun auch in die Tat umsetzen wollte.

Und so ging Schalke als Spitzenreiter ins „Spiel der Spiele“ gegen den MSV Duisburg. Das Wedaustadion war schon seit Wochen ausverkauft, Sicherheitsstufe eins war angesagt. Ein Aufgebot von 570 Polizisten, so viel wie noch nie zuvor bei einer Partie in Duisburg, und 220 Ordner sollten für Ruhe sorgen. Das Spiel endete ziemlich glücklich aus Sicht der Schalker 1:1 (Treffer durch Sascha Borodjuk und Ewald Lienen).

Beim nächsten Spiel setzte es die erste Heimniederlage seit langem (1:2 gegen Waldhof Mannheim), doch im nächsten Spiel zu Hause gegen den SV Meppen lief es wieder besser (2:0). Beim Spitzenspiel gegen die Stuttgarter Kickers (0:0) kam Trainer Ristic einige Minuten zu spät nach dem Wiederanpfiff aus der Kabine und wunderte sich, dass ihm Egon Flad bereits entgegenlief. Keine Lust mehr?“, fragte Ristic. „Ich schon, aber der Schiri nicht.“ Egon Flad, in Fan-Kreisen auch „Karten-Egon“ genannt, war bereits 44 Sekunden nach Anpfiff der zweiten Halbzeit mal wieder vom Platz geflogen. Er wurde für zwei Spiele gesperrt.

Beim Spiel gegen Homburg (3:1) gab es großes Aufatmen, denn Mihajlovic traf zum ersten Mal in einem Pflichtspiel ins gegnerische Tor. Alle hofften, dass damit der Knoten geplatzt war. Preußen Münster spuckte vor dem nächsten Duell große Töne, doch vor 15.000 mitgereisten Schalke-Fans hatten sie keine Chance (3:0, Tore durch Anderbrügge, Sendscheid und Schlipper). Der Aufstieg rückte immer näher und auch Spekulationen wurden laut, Olaf Thon würde zurückkehren. „Für Schalke ist das Beste gerade gut genug“, wusste Günter Eichberg zu erklären. Doch auch andere Namen kursierten am Schalker Markt: Holger Fach (Bayer Uerdingen), Sascha Jusufi (HSV), Hendrik Herzog (FC Berlin), Darius Wosz (Chemie Halle), Christian Wörns (Waldhof Mannheim), Michael Tarnat (MSV).

Planung der Aufstiegsfeier kann beginnen

Gegen Oldenburg gab es im folgenden Match ein überzeugendes 4:1, dann mussten die Königsblauen nach Hannover. Zur Stadt an der Leine reisten 10.000 Schalke-Fans mit ihrer Mannschaft, alle bereits im Aufstiegsfieber, doch das 0:0 enttäuschte die Zuschauer etwas. Im Heimspiel gegen Freiburg zeigten sich die Breisgauer destruktiv und wurden auch prompt mit 3:1 bestraft. Schalke konnte die Aufstiegsfeier bereits planen.

Zum Auswärtsspiel in Mainz startete Schalke eine „Fair-Play“-Aktion, die es in dieser Form im bezahlten Fußball noch nicht gegeben hatte. Schalke hatte für 13.000 Mark 1.000 Eintrittskarten beim FSV Mainz 05 gekauft und setzte auf Vereinskosten zwanzig Busse ein, um die 1.000 Fans in einer Sternfahrt aus verschiedenen Orten zum Mainzer Stadion zu bringen. Das Match endete 1:1, es fehlte dank der Rückrundenserie von 22:6 Punkten und sechs Punkten Vorsprung auf einen Nichtaufstiegsplatz nur noch ein einziger Punkt aus drei Spielen zum Aufstieg. Die Fans trugen „König Aleks“ auf ihren Schultern in die Kabine. Als die Mannschaft am Abend im Vereinsheim an der Glückauf-Kampfnahn eintraf, floss das Pils in Strömen. Dennoch gab es nach Auskunft der Polizei keine Fan-Randale, ohne Zwischenfälle war auch die Fair-Play-Bustour verlaufen, obwohl schon auf der Hinfahrt in einigen Bussen das Bier ausgegangen war.

Königsblau in Mode

Die Stadionuhr zeigt 16:42 Uhr. Da ergriff Schiedsrichter Manfred Schmidt plötzlich die Flucht, brach bereits drei Minuten vor dem regulären Ende das Spiel ab und gab damit den Startschuss zu einer irren blau-weißen Jubelfeier. 2:1 gewann Schalke gegen Fortuna Köln – doch das interessierte (fast) niemanden mehr, zumal das Spiel durch den Punktverlust des Aufstiegskonkurrenten Stuttgarter Kickers am Vortag bereits bedeutungslos geworden war. Das Parkstadion kochte über. Schon eine Viertelstunde vor Spielende waren Tausende der 55.000 begeisterten Fans in den Innenraum geklettert. Trainer Ristic saß da längst mit Schalke-Mütze und Riesen-Fahne „bewaffnet“ auf den Schultern der Fans. Mittendrin Charly Neumann: „So was habe ich noch nicht erlebt!“ Schalke feierte den Aufstieg wie den Gewinn der Deutschen Meisterschaft. Auch Fortunen-Trainer Tony Woodcock zeigte sich beeindruckt: „Einmalig!“

Die Saison war noch nicht vorüber und im nächsten Spiel musste Schalke in Essen ran. Und Rot-Weiß Essen hatte echten Bammel vor Schalke. Zwei Jahre zuvor drangen Schalke-Fans nachts vor dem Derby ins Georg-Melches-Stadion ein und strichen die Torpfosten blau und weiß. Um das zu verhindern, stellte der Essener Ordnungsdienst sogar eine Nachtwache auf. Dennoch gab es Trouble. Der Schlusspfiff nach dem 0:0 war das Startsignal für Hooligans, das Stadion halb abzureißen. Hunderte stürmten den Platz, schwere Zäune wurden niedergerissen. Die Ordner waren machtlos, Polizisten mit Helmen und Schlagstöcken standen anfangs abwartend im Abseits. Wenige lange Minuten später schritten die Polizisten ein und jagten die Hools wieder auf die vollbesetzte Tribüne. Die Straßenschlacht an der Hafenstraße dauerte bis weit nach Mitternacht.

Am Ziel der Träume

Am Ende einer langen Saison sah man den Spielern an, dass sie am Ende ihrer Kräfte waren. Und so war es kein Wunder, dass sich beim letzten Ligaspiel gegen Darmstadt 98 (1:0) auf den Rängen meist mehr tat als auf dem Spielfeld. Dort ging die „La Ola“-Welle 65 Mal duch`s Parkstadion – das war neuer Weltrekord. Von Rekorden wusste auch Aleksander Ristic zu berichten: „Ich weiß ja aus Düsseldorf wie es ist, wenn man aufsteigt. Aber hier auf Schalke gab es ja gleich mehrere Aufstiegsfeiern. Ich denke da an die letzten vier Spiele – jedes eine Feier für sich.“ Im allgemeinen Jubel wirkte es fast schon störend, dass noch Fußball gespielt werden musste. Vorher und nachher ging dafür die Post ab, so stark, dass ein Großteil der Brieftauben, die aus dem Parkstadion ihren Heimflug antreten sollten, vorzog, lieber nicht zu starten.

Beim großen Schalke-Umzug über die Tartanbahn wirbelten Vertreter von 90 Fanclubs rund um das Spielfeld, und als die Bee-Gees-Revival-Band „Marmor, Stein und Eisen bricht, aber unsere Schalker nicht“ anstimmte, gab es kein Halten mehr. Im allgemeinen Jubelfest ging selbst die offizielle Meisterehrung durch den DFB unter. „Hier brennt der Baum“, meinte der einiges gewohnte Charly Neumann. „Jungens, datt is Schalke, hier is ja wieder richtig wat los“, schwärmte auch Ex-Präsident Günter Siebert. Trubel gab es bis spät in den Abend und bis in die Morgenstunden eines blauen Montags. Doch Darmstadt 98 legte auch noch Protest gegen die Wertung des Spiels ein, da wieder einmal der Platz von den Fans bereits vor Abpfiff gestürmt wurde, und das Spiel nicht fortgesetzt werden konnte. Darmstadt 98 befand sich im Abstiegskampf und benötigte jeden Punkt. Später ließen die Darmstädter allerdings den Einspruch fallen, da Rot-Weiß Essen keine Lizenz bekam, absteigen musste, und Darmstadt somit der Verbleib in der 2. Liga gesichert war.

Danish Dynamite

Schalkes Planungen für die Bundesliga liefen auf Hochtouren. Schatzmeister Rüdiger Höffken rechnete mit einem Zuschauerschnitt von 37.000 und einem Etat von 15 Millionen Mark (Etat 1990/01: 8 Millionen Mark). Schalke wies damit den vierthöchsten Etat der Liga aus (nach dem 1. FC Köln, Eintracht Frankfurt und Bayern München), damit konnte man auch so manchen Transfer ermöglichen. Hendrik Herzog kam vom FC Berlin, Sascha Jusufi vom HSV und Steffen Freund von Stahl Brandenburg. Die beiden Jugend-Nationalspieler Markus Schwiderowski (Schalker Eigengewächs) und Andreas Gaber (SV Schwetzingen) verstärkten den Kader.

Aber ein Kracher sollte noch kommen: „Danish Dynamite“ Bent Christensen, Stürmerstar von Brondby IF Kopenhagen, sollte an den Schalker Markt geholt werden, stand jedoch auch bei einigen italienischen Spitzenclubs auf dem Wunschzettel. Die Ablösesumme von fünf Millionen Mark schien für Günter Eichberg wieder mal keine Hürde zu sein, und so unterschrieb der 24-jährige Torjäger einen Zwei-Jahresvertrag bei den Königsblauen. Wladimir Ljuty musste weichen und wurde an den MSV Duisburg ausgeliehen. Günter Eichberg rechnete in der ersten Bundesligasaison mit einem Rang im Mittelfeld („Platz acht oder neun“).

Schalke 04 entwickelte sich zu einer neuen Großmacht im deutschen Fußball – zumindest, was das Finanzielle anging. Günter Eichberg sorgte für den nächsten Paukenschlag. Erst besorgte er einen 9-Millionen-Mark-Vertrag mit dem neuen Sponsor „Müller-Milch“, jetzt lockte er Günter Netzer zurück in die Bundesliga. „Nie mehr Fußball“, hatte Netzer gesagt, als er sich 1986 nach drei Meisterschaften und dem Europacup als Manager beim HSV verabschiedete. Jetzt kam raus: Schon seit Monaten war Netzer als Berater für Eichberg tätig. Ihm war es zu verdanken, dass der Ristic-Deal über die Bühne ging. Die Idee zur Zusammenarbeit entstand bereits während der WM 1990 im exklusiven Hotel Villa d‘Este am Comer See, wo sich der Ex-Nationalspieler und Eichberg trafen. Auf Schalke pfiffen es nun die Spatzen von den Fördertürmen: Netzer sollte schon im Herbst als Vize-Präsident in den Vorstand gewählt werden. Und was war mit Helmut Kremers? Zwei waren einer zuviel.

Der Konflikt zwischen Günter Eichberg, Helmut Kremers und Günter Netzer eskaliert. Schalke startet in die Bundesliga und bald ist auch Aleksander Ristic nicht mehr gut genug für Günter Eichberg. Dieses und vieles mehr in der nächsten Ausgabe des SCHALKE UNSER.