Zu Gast bei Eingeborenen

SCHALKE UNSER schildert in aufwühlenden Tatsachenberichten die Entdeckung der Leidenschaft. Mitmenschen brechen das Schweigen. Diesmal berichtet Almut, sie ist hörig ­ dem S04. Allerdings berichtet sie nicht von königsblauer Euphorie und Ekstase, nicht von Agonie und Apathie.

Cover SCHALKE UNSER 49
SCHALKE UNSER 49

„Multikulti“ war ein Begriff, der 1974 im Ruhrgebiet keine Rolle spielte, im Ruhrgebiet gab es wenige Menschen anderer Hautfarbe. Dann kam die WM 1974. Kaum jemand nahm bewusst wahr, dass am 18.6.1974 eine Nationalmannschaft namens „Zaire“ in Gelsenkirchen spielte. Bis ich – damals 15 – eines Abends nach Hause kam und meine Mutter mich im Flur warnte „erschrick nicht, wir haben zwei Neger zu Besuch.“ Tatsächlich, in unserem Wohnzimmer saßen zwei kräftige schwarze Männer, die meine Mutter, immer gastfreundlich und dank VHS mit rudimentären Französischkenntnissen, in der Straßenbahn aus Essen kennen gelernt hatte. Sie hatten den Weg zum „Maritim“-Hotel in Gelsenkirchen gesucht. Nachdem auch mein Vater mit seinen noch rudimentäreren Französischkenntnissen die Einladung bestätigt hatte, sich mal anzusehen, wie eine deutsche Familie lebt, wagten sie sich in unsere kleine Dachwohnung.

Wir kauderwelschten dann sehr nett miteinander und lernten viel über das uns völlig fremde Land Zaire (aus der Sicht der Oberschicht). Dieser erste Abend führte zu zahlreichen weiteren Verabredungen der neuen Freunde aus Zaire mit meinem Freund Gerd und mir. So dolmetschten wir beim Shopping in Gelsenkirchen, wo die „armen Afrikaner“ mal eben mehrere Tausend DM in einem Kaufhaus ausgaben (davon hätten wir damals, glaube ich, ein Jahr gut leben können). Die Krönung der Deutsch-Zairischen Beziehungen war die Geburtstagsfeier des Vaters meines Freundes, als Geschenk gab es ein kostbares Hemd mit dem Porträt des Diktators Mobutu.

Die Gäste aus Kinshasa wollten sich bei Gerd, seiner Cousine und mir mit Karten (Haupttribüne) für das Spiel Jugoslawien gegen Zaire bedanken, leider verpassten wir uns aber in der Hotellobby. Natürlich wollten wir unbedingt dieses Spiel sehen. Wir wussten ja auch, dass die Karten für uns schon gekauft waren, aber was tun? Ich bekam eine Einladung eines jugoslawischen Fernsehjournalisten, für ihn in der Pressekabine zu dolmetschen, aber alleine traute ich mich nicht. Dann fuhr ein Bus mit Journalisten aus mehreren afrikanischen Ländern vor, die uns gerne zum Parkstadion mitnahmen, dafür konnten sie sich wenigstens einmal mit Einheimischen unterhalten.

Am Stadion angekommen scheiterten jedoch alle Versuche, unsere Freunde ausrufen zu lassen, die FIFA machte so etwas nicht. Beinahe wäre es also so gewesen, wie es in diesem Jahr den meisten Gelsenkirchenern gehen wird – wir hätten draußen bleiben müssen. Aber dann schenkte uns jemand am Eingang eine Karte, eine weitere Stehplatzkarte kauften wir für die 10 DM, die wir hatten, und die dritte im Bunde durfte dank eines mitleidigen Kontrolleurs mit durchhuschen. Also ab in die Nordkurve, das Stadion war natürlich fest in jugoslawischer Hand, schließlich lebten viele in Deutschland. Für die Mannschaft von Zaire waren die 200 mitgereisten Fans (alle aus den führenden Familien des Landes) und wir drei. Das fanden die Jugoslawen um uns herum ziemlich lustig, wir wurden bei jedem Tor mitleidig angesehen und mit allem versorgt, was man sich auf dem Fußballplatz so wünscht: Getränke, Zigaretten, Nahrung, Schulterklopfen, tröstende und witzige Bemerkungen. Je länger das Spiel dauerte, desto lustiger wurde es. In der zweiten Halbzeit war es eine einzige Party, die letzten Tore hat man dann gar nicht mehr so richtig registriert, aber die Anzeige sah aus unserer Sicht niederschmetternd aus: Jugoslawien – Zaire 9:0.

Wir trafen unsere Freunde aus Zaire dann doch noch zum Abendessen, sie trugen die Niederlage mit Fassung und reisten anschließend ein wenig durch Europa.