(cm) Unmittelbar vor der Einführung der Mehrwegbecher auf Schalke gönnte sich die Deutsche Umwelthilfe (DUH) nochmal einen besonders großen Schluck Aufmerksamkeit und Reichweite aus Schalkes Einwegbechern. Und zwar, indem sie den FC Schalke 04 öffentlichkeitswirksam als Bundesliga-Schlusslicht in Sachen „Müllvermeidung“ präsentierte. Hintergrund: Zum damaligen Zeitpunkt war Schalke der letzte Einweg-Mohikaner unter den Erstligisten.
Man mag einwenden: „Mit Schalke am Pranger lässt sich eben hervorragend Aufmerksamkeit für eigene Anliegen generieren.“ Und wie bestellt, hagelte es dann auch einmal mehr mediale Kohlköpfe für unseren Verein. Trotzdem wunderten wir uns über das Ausmaß der Unerbittlichkeit, mit dem die Deutsche Umwelthilfe nachlegte: Das geschah mit bemerkenswert vorauseilenden Statements zur vermuteten Redlichkeit des FC Schalke 04 bei der Umstellung auf ein Pfandsystem. Ist Schalke wirklich die schlimmste Umweltsau der Bundesliga?
Schalke wollte von unabhängiger Stelle erfahren, ob der S04 wirklich Tabellenletzter in Sachen Nachhaltigkeit ist, wie die Deutsche Umwelthilfe behauptet. Daher ließ man sich von der „Global Sustainability Benchmark in Sports (GSBS)“ bewerten. Die Stelle zertifiziert Sportorganisationen auf der Basis weit gefächerter Nachhaltigkeitskriterien. Das Ranking 2022 weist Schalke als viertbesten Bundesligisten aus – allerdings tatsächlich mit gewaltigem Nachholbedarf im Bereich ökologische Nachhaltigkeit. Die beste Gesamtbewertung erhielt im letzten Jahr die Formel E. Im Teilbereich soziale Nachhaltigkeit schnitt Juventus Turin am besten ab.
Wir fragten bei Thomas Fischer nach, der als Bereichsleiter Kreislaufwirtschaft der DUH fungiert. Und der nahm umgehend den Telefonhörer in die Hand, um seine Version der Vorgeschichte zu schildern. Fischer zeichnete dabei ein Bild, das auf eine auf vielen Ebenen gescheiterte Kommunikation zwischen Schalke und dieser recht fordernd auftretenden Umweltorganisation hindeutet.
Er beklagte eine zum Teil herablassende Haltung gegenüber der Expertise von Fachleuten. Dazu habe Schalke immer wieder die grundsätzliche Machbarkeit von Teilaspekten infrage gestellt, die 17 andere Bundesligisten längst gemeistert hatten. Fischer resümiert das lange Festhalten des S04 an Einwegbechern: „Wenn man Gründe finden will, nichts zu ändern, dann findet man immer welche.“ Und da helfe manchmal eben nur öffentlicher Druck. Dank der „Entscheidungshilfe“ neues Verpackungsgesetz war zu diesem Zeitpunkt jedoch längst absehbar, dass Schalke ab dem 1. Januar 2023 sowieso auf Pfandbecher umsteigen würde. Die Vorbereitungen dazu liefen.
Gezwungenermaßen. Daher reagierte man beim FC Schalke 04 schwer verstimmt auf den öffentlichen Rummel. Fischer berichtete von Anrufen aus der Schalker Geschäftsstelle, in denen unmissverständlich darauf hingewiesen worden sein soll, dass man einstweilen keinen gesteigerten Wert mehr auf die Einlassungen der DUH zu diesem Thema lege. Alina Bolous, die Leiterin Unternehmenskommunikation, zog sich auf Anfrage des SCHALKE UNSER auf eher Grundsätzliches zurück: „Wir freuen uns immer auch über Input von außen – solange er konstruktiv und im Sinne der Sache und nicht nur zum Selbstzweck geäußert wird. Wenn der gemeinsame Diskurs diesen Weg verlässt, ist er – am Ende für beide Seiten – nicht zielführend.“
Einigkeit bestehe darüber, dass Institutionen, die sich hauptamtlich mit den Themen Nachhaltigkeit und Umweltschutz beschäftigen, den Finger in die Wunde legen müssten und es ihre ureigenste Aufgabe sei, auf Nachholbedarf hinzuweisen. Aber die Vereinsvertreterin machte keinen Hehl daraus, „dass wir zuletzt den Eindruck hatten, dass einzelne Akteure ausschließlich ein Unterthema in den Mittelpunkt der gesamten Debatte rücken, Details einfordern, obwohl diese noch nicht final und spruchreif sind, und dabei ebenfalls außer Acht lassen, dass der Verein in vielen anderen Bereichen wichtige Fortschritte macht und mit Nachdruck große Themen vorantreibt“.
Als Inspirationsquellen könnten andere Großveranstaltungen wie das Münchner Oktoberfest oder das Kulturfestival Breminale dienen. Letztere, mit 220.000 Besuchern an fünf Tagen, konnte über Mehrweg 140.000 Becher und 104.000 Schalen und Teller einsparen. Dadurch wurden 2600 Kilogramm Abfall vermieden, was umgerechnet 8,6 Tonnen CO2 entspricht. Oder die Stadt Kiel, die sich mit einem ambitionierten Konzept auf den Weg gemacht hat, „Zero-Waste-City“ zu werden.
Die Frage, ob der Gesprächsfaden mit der Deutschen Umwelthilfe wieder aufgenommen werde, ließ der Verein ebenso unbeantwortet wie die Frage, ob dies nicht einen öffentlichen Diskurs verhindere. Zur Wahrheit gehöre nach Auffassung des FC Schalke 04, dass er am Ende nur gegenüber seinen Fans und Mitgliedern, der Liga und den Behörden Rechenschaft ablegen müsse.
An anderen Bundesligastandorten muss man wohl ordentlich Kreide gefressen und eigene Versäumnisse geschickter kaschiert haben. Jedenfalls klappte der Diskurs mit der Umweltorganisation in Wolfsburg, Freiburg und in Berlin-Köpenick anscheinend ohne gravierende Stimmungskiller. Schwachgelb erntete sogar Verständnis für räumlich bedingte Umsetzungshemmnisse.
Doch nun ist ja auch Schalke wieder in die zivilisierte Welt zurückgekehrt und spült aufwändig und kostenintensiv Pfandbecher. Die benutzten Mehrwegbecher werden nach jedem Spiel abgeholt, in einer mit erneuerbaren Energien betriebenen Spül-Waschstraße gereinigt und zum nächsten Heimspiel wieder sauber angeliefert. Ein solches Hin und Her klingt im ersten Moment nicht so wahnsinnig viel umweltfreundlicher, als anfallende Einwegbecher zu recyceln. Problem: die Recyclingquote. Einige Bundesligisten wähnten sich zeitweilig mit Einwegbechern aus Plastik-Alternativen auf der sicheren Seite. Doch Müllvermeidung hat Priorität.
Umweltverbände erklärten ihnen, warum auch Behältnisse aus Polyactid (PLA, auf Maisstärke- und Milchsäurebasis) oder Bagasse (Nebenprodukt der Zuckerrohrproduktion) wenig zum Klimaschutz beitragen. Thomas Fischer erläutert anhand eines Entstehungsprozesses eines „umweltfreundlichen“ Einwegbechers, wie verheerend dessen Ökobilanz ausfallen kann: „In den USA wird unter massivem Einsatz von Pestiziden und Wasser Mais auf Flächen angebaut, die damit der Nahrungsmittelproduktion entzogen werden. Das Rohmaterial reist anschließend tausende Kilometer um die Welt nach Finnland, wo ein Unternehmen die Becher herstellt, die später im Stadion wenige Minuten nach ihrer ersten und einzigen Verwendung zusammen mit Bratwurst-Resten im Müll landen und dadurch größtenteils niemals recycelt oder kompostiert werden.“ Bei einem großen Prozentsatz dieser Produkte steht am Ende die Müllverbrennungsanlage. Dadurch verschwinde sogar der ökologische Vorteil zu Plastikprodukten aus Rohöl, meint Thomas Fischer: „Das ist dann auch nicht viel anders, als Rohöl zu verbrennen.“
Sport-Großveranstaltungen mit ihrem Müllaufkommen, dem immensen Energiebedarf und der Lawine aus motorisiertem Individualverkehr werden allein den Vereinen als Umweltfrevel angekreidet. Dabei ist es ganz einfach: Bilden die Menschen, die der Fußball in ihren Bann zieht, häufiger Fahrgemeinschaften, nutzen sie wieder häufiger Bus und Bahn für die Anreise oder radeln sie zum Spiel, leisten sie mit ihrem verbesserten Kohlendioxid-Fußabdruck zugleich einen Beitrag zu einer vorteilhafteren CO2-Bilanz der Klubs.
Unserem Verein gefällt besonders das Engagement aus den Reihen seiner Fans und Mitglieder: „Beim Mitglieder-Kongress im Dezember haben sich diverse, sehr engagierte wie fachlich versierte Schalker im Rahmen des Workshops zum Thema Nachhaltigkeit zusammengetan“, lobt Alina Bolous. „Mit diesen steht der Verein auch weiterhin im Austausch und möchte ihr Wissen und ihren Einsatz zukünftig im Rahmen einer Arbeitsgruppe im Club bündeln – um am Ende auch hier zu Gunsten des Themas von der Kompetenz der eigenen Mitglieder zu profitieren.“
Muss man immer gleich alles verbieten? Bei der 2. Deutschen Mehrweg-Konferenz der Deutschen Umwelthilfe nannte der Grüne Europaabgeordnete Malte Gallée die Zahl von 226 Kilogramm pro Kopf an Verpackungsmüll. Tendenz seit 1994 kontinuierlich steigend. Eine Studie des Wuppertal-Instituts kommt zu dem Schluss, dass Verbote zu Unrecht in ein schlechtes Licht gerückt werden. Diese könnten ein legitimes Instrument staatlicher Institutionen und wesentliche Innovationstreiber sein – sofern daneben der Wegweiser auf ein schlüssiges gemeinsames Ziel steht.
Und sogar die DFL belohnt die Vereine für den Nachweis ökologischer Mindeststandards – mit der Lizenz: Die DFL-Mitgliederversammlung hat eine Nachhaltigkeitsrichtlinie in die Lizenzierungsordnung aufgenommen. Verpflichtend ist künftig beispielsweise der Nachweis einer Nachhaltigkeitsstrategie und einer Umweltstrategie. Dazu gehören laut DFL etwa „jährliche Messungen des Wasserverbrauchs, der Abwasserproduktion und des Energieverbrauchs sowie eine Mobilitäts- und Verkehrsanalyse. Darüber hinaus haben alle Clubs unter anderem einen Verhaltenskodex für alle Mitarbeitenden nachzuweisen, sich klar von jeglichen Arten von Diskriminierung abzugrenzen und sich zu Gleichberechtigung, Diversität sowie Inklusion zu bekennen.“
Der Verein betont, mit seinen eigenen Maßnahmen nicht bloß den DFL-Kriterien genügen zu wollen. Nachhaltigkeit solle vielmehr eine elementare Säule der Arbeit des FC Schalke 04 sein. Solarpaneele an den Parkhäusern, Mehrwegbecher und das Pflanzen einiger Bäume, um den CO2-Ausstoß zu kompensieren, genügen jedoch bei weitem nicht für klimaneutrale Heimspiele: Die Dokumentationsreihe „Endspiel ums Klima“ rechnete kürzlich vor, dass pro Bundesligaspieltag 7753 Tonnen CO2 verursacht werden. Eine gigantische Menge, die – wollten die Vereine sie kompensieren – 60.000 zu pflanzenden Bäumen entspräche.
Schalke kapituliert nicht vor dieser Hausnummer. Aber man fängt bescheiden an: In einem Waldstück bei Dorsten und auf dem Gelände der Zeche Ewald 5 beteiligt man sich in Kooperation mit der Landschaftsagentur Plus und der HeimatERBE GmbH an Renaturierungs- und Wiederaufforstungsprojekten. So soll zumindest der CO2-Fußabdruck für die Mannschafts-Anreise zu den Bundesliga-Auswärtsspielen erreicht werden. Das korreliert – und so fair sollte man auch sein – mit den aktuellen Möglichkeiten des finanzschwachen S04. Alina Bolous ist sich im Klaren darüber, dass „was das Thema Nachhaltigkeit betrifft, vor uns noch ein langer Weg liegt – diesen bestreiten wir allerdings mit voller Überzeugung.“ Schalke befinde sich auf der Suche nach starken Umsetzungspartnern „aktuell in Gesprächen mit den Hochschulen der Umgebung, mit dem Ziel, durch Kooperationen unsere Nachhaltigkeitsstrategie und -projekte auf eine wissenschaftliche Basis zu stellen.“
Der Verein wisse, dass er Unterstützung von außen benötigt. „Wir sprechen mit Institutionen, Vereinen und Verbänden, die die sinnvolle Ausweitung unserer Stärken ebenso mit uns analysieren, wie die Schwächen, die wir aktuell noch haben.“ Für die Deutsche Umwelthilfe war in dieser Aufzählung zunächst einmal kein Platz.
Thomas Fischer von der DUH findet indes versöhnliche Worte: „Wir werden uns die Umsetzung bei den Heimspielen vor Ort natürlich genau anschauen und sind die Ersten, die lobend erwähnen, falls unsere Zweifel zerstreut wurden.“
„Wir befinden uns im Prozess“ – Stellungnahme des FC Schalke 04
Viele Besucher des Schalker Vereinsgeländes lebten bisher mit sehr großer Selbstverständlichkeit den Irrtum aus, das gesamte Areal als Ort zu betrachten, auf dem Müllentsorgung durch beiläufiges Fallenlassen erledigt werden kann. Warum das nicht nur der Umwelt und dem Verein, sondern auch der Lebensqualität der Stadtbewohner schadet, haben viele Fans dabei nicht unbedingt auf dem Schirm: Durch ihre Achtlosigkeit treiben sie nämlich die Kosten für die Abfallbeseitigung in die Höhe. „Wie bei anderen Veranstaltungen gilt bei den Spielen in der Arena das Verursacherprinzip. Demzufolge ist für die Reinigung des Stadionumfelds der FC Schalke 04 verantwortlich. Gelsendienste ist hierbei im Rahmen einer vertraglichen Vereinbarung als Dienstleister tätig“, erklärte Tobias Heyne vom städtischen Entsorgungsunternehmen. Außerhalb des Vereinsgeländes ist das Müllentsorgungsverhalten der Stadiongänger nicht automatisch weniger sündhaft: Dort wälzen herummüllende Kumpel und Malocher die Kosten auf die klamme Stadt Gelsenkirchen ab – und somit auf die Bürger der Stadt. Die Allgemeinheit mit schlechterer Lebensqualität und höheren Gebühren zu beglücken – ganz fair ist das nicht. Thomas Fischer von der DUH spricht hier von „externalisierten Kosten“.
Transparenzhinweis: In der ursprünglichen (Print-)Fassung dieses Artikels befand sich ein Satz über ein Telefonat zwischen Deutscher Umwelthilfe und Schalke 04. Da sich hier im Nachgang trotz unserer anfänglichen Nachfrage Ungereimtheiten ergeben haben, die sich nicht abschließend aufklären ließen, haben wir diese Passage in der Onlinefassung entfernt.
Kann ich die Pfand Becher übers Internet kaufen?
Sorry, da müssen wir passen. Frag doch am besten einfach den Verein – gesehen hätten wir das aber noch nicht.