(axt/sw) „Es gibt keine Karten für das Spiel in Stockholm“, hatte der Ver- ein Twente Enschede seinen Fans drei Tage vor dem Spiel mitgeteilt. Und die blieben damit weitgehend auf ihren Flug- und Hotelbuchungen sitzen. Bei der Aufarbeitung ergeben sich aber mehr und mehr Ungereimtheiten.
Twente spielte wieder einmal international – und das erste Ziel in dieser Saison sollte eben für viele Fans aus den Niederlanden, aber auch für Schalker, Stockholm mit sei- nem Verein Hammarby sein. Zunächst aber stand das Heimspiel in Enschede an.
Hier kam es zu Ausschreitungen nach dem Spiel: Vielleicht hundert schwarzgekleidete Menschen bewegten sich auf der Haupttribüne auf die „Fans“ von Hammerby zu, die dort saßen. Erkennbar daran, dass sie wie alle in weiß gekleidet waren wie die Stockholmer, die sich im Gästeblock tummelten. Es kam zum „Kontakt“, kurze Raufereien, einer der Besucher flog dabei auch die Treppe herunter. Von Ordnern oder Polizei war lange nichts zu sehen. Der Platz auf der Haupttribüne ist aller- dings eigentlich für Sponsoren und VIPs des Gastvereins vorgesehen. Doch diese „Sponsoren“ und „VIPs“ ergriffen nicht etwa die Flucht, wie man hätte erwarten können. Stattdessen nahmen sie die „Einladung“ der Randalierer aus Enschede ganz offensichtlich nur allzu gerne an.
Der Verein musste Konsequenzen ziehen – und tat das dann auch irgendwann. Zunächst aber stand denen, die eine Auswärtskarte bestellt hatten, ein Berg an E-Mails ins Haus: Man arbeite das auf, man werde mehr erfahren. Das bestand in dem Hinweis, man solle in Stockholm halt vorsichtig sein. Stand Sonntag nach dem Heim- und damit auch vier Tage vor dem Auswärtsspiel. Am Montagnachmittag, deutlich später als angekündigt, dann eine E-Mail mit den versprochenen „weiteren Informationen“: Man habe „neue Nachrichten“ aus Stockholm und werde deshalb keine Auswärtskarten ausgeben.
Der so ziemlich schlechteste Zeitpunkt: Für die meisten, die sich Flug und Hotel für Stockholm gebucht haben, wäre Sonntag der letzte Tag gewesen, das Hotel noch stornieren und das gesamte Geld zurückbekommen zu können. Somit blieben viele auf ihren Kosten sitzen.
Zumindest auf dem größten Teil: Twente erklärte sich bereit, einen „Zuschuss“ zu zahlen. Maximal jedoch 100 Euro für den Flug und 50 Euro für das Hotel. Stockholm ist allerdings ein teures Pflaster, wenn man dort übernachten will – und die Zeit der Billigflüge für 99 oder weniger Euro ist auch Vergangenheit. Und für die Schalker, die Enschede auswärts anfeuern wollten, kam die nächste unangenehme Überraschung: Auch dieses Geld gab es nur, wenn man höchstpersönlich in der Zeit vor dem Spiel am Twente-Stadion vorbeikam.
Auf Nachfrage zeigte sich Twente bei den deutschen Fans aber versöhnlich: Ausnahmsweise dürfte man das auch per E-Mail machen, wenn man die Rechnungen oder Stornierungen per E- Mail einreiche. Allerdings haben noch nicht alle das Geld bekommen; der Redaktion sind Fälle bekannt, in denen Twente anzweifelt, dass man doch nicht geflogen sei.
Auch wenn Twente mit konkreten Informationen sehr zurückhaltend war, sickerte doch einiges durch. Selbst auf mehrfache Nachfrage der Supportersvereinigung Vak P gab es keine Antwort auf die Frage, was denn die „neuen Informationen“ gewesen seien, die man erst am Montag erhalten habe. Auch eine Nachfrage des SCHALKE UNSER zu dieser und anderen Fragen trug nicht zur Erhellung bei: Man habe, so der Verein, in der Zeit viel über seine Kanäle verbreitet und dabei wolle man es belassen.
So bleibt Raum für Spekulationen: Waren es Gespräche mit oder Strafandrohungen durch die UEFA, die man vermeiden wollte? Oder hat der Verein den in den sozialen Medien verteilten Beitrag ernst genommen, in dem ein Poser allen Twente-Fans drohte und aufrief, sie zu jagen? Ebenfalls nicht beantwortet bleiben damit die Fragen, warum offensichtlich der Gewalt nicht abgeneigte Fans auf den Sponsorenplätzen saßen. Und warum, wenn das so offensichtlich war, weder Ordner noch Polizei das im Blick hatten. Auch hierzu, auch auf Nachfrage, kein Statement von Twente Enschede.
Für die Polizei hätte das aber eigentlich alles nicht so überraschend kommen sollen. Zum einen gab es eine öffentliche Pressemitteilung der Polizei Borken: „Es gibt Hinweise, dass sich Problemfans beider Seiten zu gewalttätigen Auseinandersetzungen im Grenzraum Enschede und Haaksbergen und auch auf deutscher Seite am Mittwochabend verabredet haben. Schalker-Ultras sollen auf dem Weg ins Grenzgebiet sein, um die befreundeten Twente-Fans zu unterstützen. Ajax-Fans seien hingegen unterwegs, um die Hammarby-Fans zu verstärken. Einsatzkräfte der Polizei sind im nördlichen Grenzgebiet des Kreises Borken präsent, um aufzuklären, zu kontrollieren und mögliche Konfrontationen frühzeitig zu unterbinden. Die niederländische Polizei ist ebenfalls mit starken Polizeikräften im Grenzraum anwesend. Es findet ein enger Informationsaustausch zwischen den Polizeien der beiden Länder statt.“ Für die Heimfans gab es dann noch eine andere Konsequenz: Beim Folgespiel gegen Riga wurde der ganze Bereich von Vak P gesperrt. Auch wenn das nominell Sitzplätze sind, entspricht das doch in etwa unserer Nordkurve. Die Betroffenen konnten sich dann aber Plätze anderswo im Stadion suchen. Auch das geschah, nachdem die Dauerkarteninhaber ihren Platz schon längst hatten zurückkaufen können.
Schnöde Mitteilung des Vereins: Die Karte sei gecancelt, man dürfe woanders hin, aber das organisiere man bitte selbst, dem Verein sei der Aufwand zu groß.
Kommentar
Dass der Verein Vorsichts- maßnahmen ergreift, ist nachvollziehbar. Allerdings kann man sich angesichts der Ungereimtheiten des Eindrucks nicht erwehren, dass Twente Enschede hilf- und planlos agiert hat. Die Informationen kamen spät, lange wurde gar nichts ent- schieden und insgesamt wirkte der Verein hoff- nungslos überfordert. Das höfliche, aber bestimmte Abwehren von insgesamt sechs Nachfragen erwecken auch nicht den Eindruck, man wolle Fehlerkultur be- treiben, sondern lieber den Mantel des Schweigens über die Details dieses Abends und der Woche danach de- cken. Wollte man Sanktio- nen durch die UEFA vermeiden? Wenn ja, blieb das erfolglos. Seinem Ruf, auch in Deutschland, hat Twente Enschede damit einen Bärendienst erwiesen.