(rk) Für Olaf Thon war er der beste Trainer, unter dem er jemals gespielt hat – für die Fans der Frankfurter Eintracht gilt er immer noch als „persona non grata“. Jupp Heynckes hatte immer schon das Image eines polarisierenden Trainers. Mit ihm kam aber endlich der langersehnte Trainer von Weltruf an den Schalker Markt. Doch am Ende war alles wieder einmal nur ein großes Missverständnis. „Don Jupp“ kam, sah und verlor.
Berti Vogts, Rainer Bonhof, Günter Netzer: Es waren illustre Namen, mit denen Jupp Heynckes in den 70er Jahren in der „Fohlenelf“ von Borussia Mönchengladbach seine größten Erfolge als Spieler feierte. Viermal schafften die Gladbacher in dieser Zeit das, worauf die Schalker Anhänger nun seit über fünfzig Jahren warten, dazu kamen noch Erfolge im DFB- und UEFA-Pokal. Schon bald erwarb sich Jupp Heynckes einen Namen als Goalgetter: Mit 195 Toren bekleidet er den dritten Rang in der ewigen Torschützenliste der Bundesliga direkt hinter Gerd Müller und Klaus Fischer. Auch im Dress der DFB-Elf konnte er überzeugen: Bei seinen 69 Einsätzen gewann er sowohl die EM (1972) als auch die WM (1974).
Talentspäher
Seine Trainerlaufbahn begann er bei „seinen“ Gladbachern ein Jahr nach dem Ende seiner Profispieler-Karriere. Für einen „Neuling“ sensationell: Die Trainer-Ehe mit der Borussia hielt gleich acht Jahre lang. In diesen Jahren entwickelte sich Heynckes zum Talentspäher: Er entdeckte und förderte etwa Lothar Matthäus, Calle Del’Haye, Wolfram Wuttke, Hans-Günter Bruns, Frank Mill oder Uwe Rahn. Doch mit Gladbach schaffte er nie den ganz großen Wurf bis an die Spitze der Bundesliga, da gute Spieler immer wieder aus wirtschaftlichen Zwängen verkauft werden mussten. Jupp Heynckes hatte Hunger auf Titel – und wo kann man die einfacher erlangen als beim FC Bayern? Und mit Olaf Thon als umfunktionierten Libero gelingt zweimal das Meisterstück (1989 und 1990). Doch die darauffolgende Spielzeit 1991/92 sollte zu einem Desaster für die Bayern werden. Die Münchener stürzten in eine tiefe Krise und am 9. Oktober 1991 wurde Jupp Heynckes entlassen. Uli Hoeneß bezeichnete später den Rausschmiss von Heynckes oftmals als „größte Fehlentscheidung“ seiner Karriere.
Nun zog es Heynckes nach Spanien zu Athletico Bilbao, wo man ihm seinen Beinamen „Don Jupp“ verlieh. Trotz des Handicaps, nur Spieler aus dem Baskenland einsetzen zu dürfen, formte Heynckes eine Mannschaft, die im ersten Jahr von Platz 15 auf den 8. Rang kletterte und sich im zweiten Jahr sogar für den UEFA-Pokal qualifizierte. Immer wieder entdeckte er dabei junge Talente, wie etwa den baskischen Star Julen Guerrero.
Vom Beinah-Meister zum Absteiger
Was nun folgte, war wohl die schlimmste Zeit in seiner Trainerkarriere. Heynckes heuerte bei Eintracht Frankfurt an, die sich soeben mit Andy Köpke im Tor verstärkt hatten. Jupp Heynckes, der aufgrund seiner Gerichtsröte auch von Wolfram Wuttke in einer „Auseinandersetzung“ den Beinamen „Osram“ verpasst bekam, wollte die „Diva vom Main“ an die europäische Spitze führen. Zu dieser Zeit war die Eintracht-Elf mit absoluten Granaten bestückt. Im Mittelfeld wirbelten Mauricio Gaudino und Jay-Jay Okacha, vorne verwandelte Anthony Yeboah deren Pässe.
Doch ausgerechnet diese drei Kicker sorgten für einen Eklat, den es bis dahin in der Bundesligageschichte noch nicht gegeben hatte. Laut Trainer Jupp Heynckes hatten „einige Spieler schlecht trainiert“ und so ordnete er einen 30-minütigen Waldlauf an. Yeboah erklärte daraufhin, er werde zum Spiel gegen den HSV nicht erscheinen. Okocha gab vor, „mental nicht in der Lage zu sein, Fußball zu spielen“ und Gaudino fühlte sich nach zwei Trainingseinheiten körperlich am Ende. Lange Rede, kurzer Sinn: Alle drei Spieler meldeten sich für den 16. Spieltag der Saison 1994/95 krank. Jupp Heynckes roch den Braten und strich alle drei Spieler ein paar Tage später gänzlich aus dem Kader. Lediglich Jay-Jay Okocha wurde in der Rückrunde „begnadigt“. In den Augen vieler Eintracht-Fans gilt diese „Machtdemonstration“ immer noch als der Anfang vom Ende der aufstrebenden Frankfurter, für den sie Heynckes noch heute verantwortlich machen.
Steht auf, wenn Ihr Schalker seid
1995 wechselte Jupp Heynckes wieder nach Spanien, diesmal auf die Kanaren zu CD Teneriffa. Mit seinem Co-Trainer Ewald Lienen war CD Teneriffa dann auch Schalkes Gegner im Uefa-Pokal-Halbfinale 1997. Mit einer höchst unglücklichen 1:0-Niederlage im Gepäck kehrten die Knappen von der Urlaubsinsel zurück. Höhepunkt der Tragik in einem hektischen Spiel (zwei rote Karten für Teneriffa) war die 76. Minute, als Johan de Kock einen Foulelfmeter verschoss.
Das Rückspiel versprach Hochspannung: Das Tor von Thomas Linke in der 68. Minute brachte die Verlängerung. Angepeitscht von den „Steht auf, wenn ihr Schalker seid“-Gesängen gab es in der 107. Minute die Erlösung: Marc Wilmots köpfte einen Freistoß von Olaf Thon aus fünf Metern unhaltbar in die Maschen und ganz Schalke lag ihm zu Füßen. Im Parkstadion startete eine Jubelorgie und auch Jupp Heynckes musste anerkennen, dass seine Mannschaft heute verdient verloren hatte.
Von Wolke 7 auf Sohle 8
Es hatte sich inzwischen auf der iberischen Halbinsel herumgesprochen, dass Jupp Heynckes ein Händchen dafür hatte, aus bescheidenen Mitteln den größten Erfolg herauszuholen. Real Madrid war – wie immer – auf der Suche nach einem Startrainer, und als Ottmar Hitzfeld sie abblitzen ließ, klopften die Königlichen bei ihm an. Die „Königlichen“ hatten mit Raul, Hierro, Roberto Carlos, Clarence Seedorf, Davor Suker und Mijatovic gleich mehrere Weltklassespieler in ihren Reihen, doch von der ersten Minute an traten Heynckes die Medien extrem skeptisch gegenüber. Kaum auf dem „königlichen Schleudersitz“ seinen Platz eingenommen, sorgte das Aus im Pokal gegen einen Zweitligisten im Januar 1998 für erste Unruhe. Am Ende reichte es nur zu Platz 4 in der Primera Division. Trotzdem gewann Heynckes mit Real die Champions League. Kurios: Als Champions League-Sieger wurde er auch sofort gefeuert. Nach einem kurzen Intermezzo bei Benfica Lissabon kehrte Heynckes zu Athletico Bilbao zurück. Doch als er dort nicht mehr die notwendige Unterstützung erhielt, rief Rudi Assauer an.
Spanische Kommandos
„Schalke ist etwas Spezielles, für viele so etwas wie eine Religion, für mich eine absolute Topadresse. Schalke hat fantastische Fans und das modernste Stadion in Europa. Und Rudi Assauer hat mir von Anfang an das Gefühl gegeben, dass ich der Wunschtrainer für Schalke 04 bin und wir gemeinsam wieder an die Erfolge anknüpfen können, die der Verein in den letzten zehn Jahren hatte. Ich habe ein sehr gutes Gefühl“, so Jupp Heynckes direkt nach seiner Verpflichtung im „Spiegel“-Interview. Doch Skepsis blieb: Wird Rudi Assauer, der Heynckes schon Mitte der 80er Jahre als Schalke-Coach holen wollte, mit einer solch starken Trainer-Persönlichkeit harmonieren? Ebenso spannend war die Frage, ob der weltmännische Erfolgscoach mit der Mentalität im Revier zurechtkommen werde. Beim Antrittstraining wurde Jupp Henckes mit Applaus von den Schalke-Fans begrüßt. Und seine Art kam gut an: Einfachste Übungen wie Kurzpässe über drei Metern – bei denen sich auch heute noch macher Profi schwer tut – wurden durchgeführt, und insgeheim dachten wohl die Trainingskibitze, dass genau das die Trainingseinheiten waren, die sie den Spielern auch am liebsten beigebracht hätten. „Don Jupp“ war in seinem Element, manchmal sogar zu sehr, denn er brachte aus alter Gewohnheit immer noch spanische Kommandos: Arriba, arriba!
Nicht alls Gold, was glänzt
Die Saison 2003/2004 startete mit einer hohen Erwartungshaltung – und mit dem Derby aller Derbys: Nur wenige Sekunden fehlten Schalke 04 gegen Lüdenscheid zum ersehnten Auftaktsieg. Nach zwei Treffern von Neuzugang Hamit Altintop schienen die Knappen bereits auf der Siegesstraße, ehe Conceicao und Amoroso in der Nachspielzeit für die Gäste noch ausglichen.
So unglücklich wie dieses Spiel verlief ein Großteil der Saison. Heynckes probierte ständig etwas Neues aus, brachte viele junge Spieler und kam dabei aber nie auf eine Stammelf. Hinzu kam, dass Ebbe Sand größtenteils Ladehemmung hatte. Abhilfe sollte Ailton schaffen, der ablösefrei von Werder losgeeist worden war, genauso wie Mladen Krstajic. Über den UI-Cup schafften es die Knappen doch noch, das internationale Geschäft zu erreichen. Aus dem Weg wurden dabei Esbjerg fB und Slovan Liberec geräumt.
Die Jubiläumssaison – Schalke hatte gerade groß seinen 100. Geburtstag gefeiert – startete trotzdem stotternd. Nach vier Spielen fanden sich die Knappen gerade mal auf dem 16. Tabellenrang wieder. Ein Abstiegsplatz – und das, obwohl das gesamte Umfeld so riesige Erwartungen hatte. Nach dem bescheidenen Saisonverlauf 2004 und den ambitionierten Neuverpflichtungen schien die Geduld bei den Vereinsverantwortlichen mit dem ehemaligen Meistertrainer aufgebraucht. Es roch nach Panik und Angst: Warum brachten die hohen Investitionen nicht den gewünschten Erfolg?
Bei Osram gehen die Lichter aus
„Er hat wirklich einen Hexenschuss“, sagte Rudi Assauer bei der Pressekonferenz, auf der die Trennung von Jupp Heynckes bekannt gegeben wurde. Hexenschuss hin oder her: Die Begründung des Managers für die Entlassung ließ viele Fragen offen. Jupp Heynckes habe sich „einfach nicht helfen lassen“. Wie Assauer das nun wirklich meinte, blieb offen. Assauer hatte Heynckes in einem persönlichen Gespräch „Hilfestellung“ angeboten, doch Heynckes – ein Mann mit Prinzipien – wollte sein Ding durchziehen. Assauer: „Er hat seine Philosophie, und von der weicht er nicht ab“. Heynckes wollte sich nicht verbiegen lassen – und so gab es laut Assauer nur die einzige Alternative der Trennung. Die Spieler waren anscheinend heilfroh. Zwar wollte sich niemand vor der Journalistenschar so recht äußern, aber zwischen den Zeilen wurde deutlich, dass Jupp Heynckes nicht mehr den engen Draht zur Mannschaft hatte. Woran das gelegen hat? Assauer umschrieb es so: „Der Jupp ist ein Fußballer der alten Schule, aber wir haben das Jahr 2004.“
Vier Trainerwechsel in zwei Jahren
Zwar übernahm Rudi Assauer die Verantwortung für die vier Trainerwechsel binnen zwei Jahren, aber das hielt ihn nicht davon ab, noch mehr in das Vereinsgeschehen einzugreifen: Die Trainerbank wurde verbreitert, denn ab jetzt saßen dort neben Eddy Achterberg (Co-Trainer) auch noch Oliver Reck (Torwarttrainer), Andreas Müller (Sportlicher Leiter) und Rudi Assauer. Dies war zumindest solange der Fall, bis mit Ralf Rangnick der neue Chef-Trainer gefunden war.
Jupp Heynckes legte indes eine eineinhalbjährige gesundheitlichen Auszeit ein. Am 23. Mai 2006 unterschrieb er erneut bei seiner Borussia. Die Saison 2006/07 begann mit vier Heimsiegen durchaus erfolgreich, danach konnte Gladbach aber nicht mehr gewinnen und fand sich zur Winterpause auf einem Abstiegsplatz wieder. Trotzdem entschied sich der Verein, an Heynckes fest zu halten. Nach zwei weiteren erfolglosen Spielen zu Beginn der Rückrunde trat Heynckes Ende Januar zurück und beendete damit seine Trainerlaufbahn. Jupp Heynckes begründete seinen Rücktritt mit Fanattacken in „einer Dimension, die ich meiner Frau nicht länger zumuten kann“. Morddrohungen und Spiele unter Polizeischutz, das wollte er nicht länger erdulden.